Titel: | Der Oßke-Kühnesche Biegungszeichner und die Auswertung seiner bei Eisenbahnbrücken ermittelten Messungsergebnisse. |
Autor: | Jaehn |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 275 |
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Der Oßke-Kühnesche Biegungszeichner und die
Auswertung seiner bei Eisenbahnbrücken ermittelten Messungsergebnisse.
Der Oßke-Kühnesche Biegungszeichner und die Auswertung seiner bei
Eisenbahnbrücken usw.
Die Verkehrslasten dei Brücken wirken mit einer gewissen, meist recht
erheblichen Geschwindigkeit auf das Brückensystem ein. Hierdurch werden in den
Brückengliedern Beanspruchungen erzeugt, die größer als die durch ruhende Lasten
hervorgerufenen sind. Hierbei treten Stöße und Schwingungen auf, die für die
Berechnung einer Brücke meist in der Weise berücksichtigt werden, daß man die
Verkehrslasten mit einem Beiwert, dem Stoßbeiwert, multipliziert. Wenn auch die
Frage des Spannungszuwachses infolge der dynamischen Wirkung der Verkehrslasten
gegenüber der statischen Wirkung dieser LastenDr. Zimmermann, Die Schwingungen eines Trägers
mit bewegter Last Berlin 1896. in ausgezeichneter Weise
theoretisch behandelt worden ist, so werden praktische Erfolge zur Lösung dieser
Aufgabe nur durch planmäßig angestellte, sorgfältig ausgeführte und in ausreichender
Zahl vorgenommene Beobachtungen mittels geeigneter Vorrichtungen zu erwarten sein.
Zu letzteren zählt der Oßke-Kühnesche Biegungszeichner.
Für seine Anordnung waren folgende Grundsätze maßgebend: klare und leicht
übersichtliche Konstruktion, einfache Handhabung, hohe Empfindlichkeit durch
möglichst geringe Reibung der bewegten Teile, und selbsttätige Aufzeichnung der
Durchbiegungen durch eine Schreibvorrichtung. Die grundsätzliche Anordnung der
Vorrichtung ist durch Fig. 1 und 2
dargestellt: ein einarmiger, um den Punkt a
schwingender Hebel ist einerseits in b mit einem
senkrechten Gestänge verbunden, anderseits an seinem Ende in c mit einer Schreibfeder versehen.
Textabbildung Bd. 322, S. 275
Fig. 1. Biegungsmesser auf dem beweglichen Teil (Brückengurt)
angebracht.Fig. 2.>Biegungsmesser auf dem festen Teil (Flußsohle)
angebraucht.
Je nachdem nun der Apparat entweder auf einem Brückengurt
befestigt und das Gestänge mit einem festen Punkt – der Flußsohle – in Verbindung
gebracht wird (Fig. 1), oder der Apparat auf einem festen Punkte – der Flußsohle – ruht,
während nun das Gestänge mit dem Brückengurt in Verbindung gebracht wird (Fig. 2), schwingt der Hebel
bei Durchbiegungen oder Schwingungen des Brückengurtes um den Punkt a, während die Schreibfeder bei c diese Durchbiegungen oder Schwingungen in vergrößertem Maßstabe auf
einen vor ihr befindlichen abrollenden Papierstreifen aufträgt. Im einzelnen besteht
der mit 5 bis 10facher Vergrößerung arbeitende Biegungszeichner aus folgenden Teilen
(Fig. 3):
Textabbildung Bd. 322, S. 276
Fig. 3.
Dem Unterteil U, welches mittels zweier kräftiger
Klemmschrauben K an beliebiger Stelle des Brückengurtes
oder auf einem in der Flußsohle eingerammten Pfahl mit darauf befestigtem
Bohlenstück festgeschraubt wird,
dem Meßapparat A, welcher schlittenartig in das mit
gehobelten Leisten versehene Unterteil eingeschoben und durch Anziehen von 4
Horizontalschrauben H in demselben festgeklemmt wird,
und
dem Gestänge G, welches die Verbindung zwischen dem
Fühlhebel f des Apparates und der Flußsohle, d.h. einem
von der Brückenkonstruktion unabhängigen Punkte, bezw. dem Brückengurt
herstellt.
Der Apparat zeigt Senkungen durch steigende und Hebungen durch fallende Linien an,
wenn das Gestänge nach unten gerichtet ist (Fig. 1 und 3) und umgekehrt, wenn das Gestänge nach oben führt
(Fig.
2). Die Aufzeichnungen erfolgen in 1½-, 5-, 6⅔- oder 10facher Vergrößerung, je
nachdem das Gestänge mit dem Fühlhebel verbunden wird.
Der Apparat verzeichnet
bei
1½
facher
Vergrößerung
Senkungen
bis
zu
53
mm
Größe
„
5
„
„
„
„
„
16
„
„
„
10
„
„
„
„
„
8
„
„
Der Fühlhebel f ist nahe dem linksseitigen Lager mit
drei spitzkonisch gestalteten Aussperrungen versehen, welche den angeschriebenen
Vergrößerungszahlen entsprechen. Das linke Ende des Fühlhebels spielt zwischen zwei
Stahlspitzen und gewährleistet dadurch ein Mindestmaß von Reibung. In gleicher
Weise ist die Verbindung zwischen dem Gestänge und dem kurzen Fühlhebelarm
hergestellt. Der Fühlhebel trägt am rechten Ende die Schreibfeder S, welche nach Art der Füllfedern ausgebildet ist. Vor
dieser Feder (Fig. 4) und zwar zwischen der
Leittrommel L und der Uhrtrommel u bezw. der Reibungswalze F ist ein 10 cm hoher Papierstreifen derartig ausgespannt, daß die mittels
der Justierschraube J (Fig.
3) genau verstellbare Schreibfeder das Papier in der Mitte eben nur
berührt, ohne eine merkbare Reibung darauf zu erzeugen. Das Aufziehen des in dem
Gehäuse h gelagerten Uhrwerkes geschieht mittels eines
auf die Aufzugachse a aufgesteckten Uhrschlüssels durch
Drehen in der Richtung des eingravierten Pfeiles, das Ingangsetzen des Uhrwerkes
durch Hervorziehen, Drehen und Wiederzurücklassen des federnden Handgriffes g. Der von der Uhrtrommel im Mittel zurückgelegte Weg
beträgt 2,5 mm/Sek. Für die Füllung der Schreibfeder wird zweckmäßig satzfreie Tinte
verwendet. Zur Zeichnung der sogenannten Normalen ist eine ebenfalls elastisch
ausgebildete Schreibfeder unter S angebracht, welche
auf dem Gehäuse h in e
drehbar gelagert ist und durch eine kleine Spiralfeder in fester Lage erhalten wird.
Durch kurzes auf den Knopf k lassen sich mit dieser
Schreibfeder senkrecht zur Normalen stehende kurze Markierstriche verzeichnen.
Textabbildung Bd. 322, S. 276
Fig. 4.
P Ablaufender Papierstreifen.
Rechts neben dem Gehäuse befindet sich die Ausrückvorrichtung
r, welche ein Abheben der Schreibfedern vom Papier
zum Zwecke ihrer Anfüllung mit Tinte ermöglicht. Links neben dem Gehäuse ist ein
Notizblock B, auf welchem etwaige während der
Probebelastung erforderlich werdende Vermerke schnell gemacht werden können. Das
eiserne Rohrgestänge G, welches je nach Bedarf
verschieden lang gestellt werden kann, wird am oberen Ende mit einer
Spannvorrichtung Sp verschraubt, welche eine genaue
Längenregulierung zuläßt. Das untere Ende des Gestänges endigt zum Zwecke des
Einsetzens in die Flußsohle in einer massiven Stahlspitze bezw. zum Befestigen am
Brückengurt in einer Universalklemme. Der Apparat wird, vom Unterteil getrennt, in
einem 0,30 m hohen und 0,60 × 0,65 m großen Kasten untergebracht, welcher von zwei
Mann an zwei Handhaben bequem getragen werden kann. Das Gewicht des Apparates
einschließlich des Kastens beträgt 38 kg.
Textabbildung Bd. 322, S. 276
Belastung durch eine 18 t schwere, einseitig fahrende Dampfwalze.
Walze über Brückenmitte haltend
(Stufenfahrt); Schnellfahrt, v = 0,88 m/Sek.
In den Fig.
5a–6d sind mittels des Oßke-Kühneschen Biegungszeichners
aufgetragene Schaubilder dargestellt.
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Belastung durch 80 Mann Militär = 5,3 t in der Brückenmitte
marschierend.
Fig. 5c. Langsamschritt; Fig. 5d.
Laufschritt.
Textabbildung Bd. 322, S. 277
Fig. 6a–6d.Durchbiegungsmessungen, ausgeführt mittels Oßke-Kühneschen
Biegungszeichners an der Blechbalken-Eisenbahnbrücke in der Lützowstraße in
Vorstadt Chemnitz-Kappel.
Fig. 6a. Brückenansicht mit
ungünstigster Laststellung; Fig. 6b. Rückwärts und langsam fahrende
Einzelmaschine; Fig. 6c. Personenzug v = 54 km/Std. = 15 m/Sek.; Fig. 6d.
Schnellzug v = 67,5 km/Std. = 18,8 m/Sek. Biegungsschaubilder.
Fig. 5a–5d sind
durch Messungen an der Beckerbrücke in Chemnitz, einer chaussierten eisernen
Gitterbrücke von 23,6 m Stützweite verzeichnet worden; es läßt sich aus den
Aufzeichnungen ersehen, daß durch neue Schwingungsanstöße (Impulse) nach der Zeit
einer Schwingung oder zweier Schwingungen usw. die Schwingungsweite vergrößert
wird. Derartige Schwingungsanstöße werden bei Straßenbrücken beim Ueberfahren
unebener Pflasterstellen durch Fuhrwerke (hier z.B. durch die Dampfwalze), oder
durch die Tritte der Menschen oder Tiere erzeugt, Die Schaubilder (Fig. 6b–6d) sind
mittels des Biegungszeichners an der Eisenbahnbrücke in der Lützowstraße in
Chemnitz-Kappel, einer Blechbalkenbrücke von 14,28 m Stützweite, aufgenommen worden;
in den Figuren bedeutet P = Lokomotivgewicht, Mmax =
Größtbiegungsmoment, fmax = Größtdurchbiegung. Die Schaubilder (Fig. 6c und 6d) wurden
durch einen Personenzug bezw. einen Schnellzug erzeugt, der von einer
Schnellzuglokomotive der in Fig. 6a gezeichneten
Art geführt wurde; in Fig. 6a ist
gleichzeitig die Momentenfläche für die ungünstigste Stellung dieser Lokomotive auf
der Brücke dargestellt. Diese äußerst charakteristischen Schaubilder zeigen deutlich
den Einfluß der Fahrgeschwindigkeit und der Belastung auf die Schwingungen. Wenn nun
auch der Oßke-Kühnesche Biegungszeichner bei Brücken
mit großen Lichthöhen oder bei Brücken, welche tiefe Wasserläufe überspannen, kaum
wird zur Anwendung gelangen können, weil in solchen Fällen ein festes Auflager unter
der Brücke schwer zu ermöglichen ist, so scheint er in den übrigen Fällen ein ganz
besonders geeigneter Apparat zu sein, um an der Hand der Schaubilder einen klaren
Ueberblick über die dynamischen Einflüsse der Fahrzeuge verschiedener Art bei
wechselnder Fahrgeschwindigkeit auf die Brückenbauwerke, insbesondere die eisernen
Ueberbauten zu geben.
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Fig. 7.
Die Schaubilder werden im allgemeinen die in Fig. 7 dargestellte Form aufweisen, aus welcher die
größte statische Durchbiegung δ und die dynamische
Zusatzdurchbiegung η, ferner die Dauer T und die Weite S einer
beliebigen Schwingung ersichtlich ist. Die punktierte Linie würde der statischen
Durchbiegung oder Schwingungsachse entsprechen. Die dynamische ZusatzdurchbiegungHandbuch
der Ingenieurwissenschaften II. 2, Leipzig 1901 S. 47.
wird, wenn δ = statische Durchbiegung, g = Beschleunigung des freien Falles und v = Geschwindigkeit der Senkung im
Schwingungsmittelpunkt bedeutet,
\eta=\pm\,v\,\sqrt{\frac{\delta}{g}}
d.h. sie ist in erster Linie von der Fahrgeschwindigkeit, in zweiter von der Belastung, mit welcher die Durchbiegung in gleichem Verhältnis wächst,
abhängig. Die Schwingungszeit T und die Anzahl der
Schwingungen in der Sekunde n=\frac{1}{q} ergibt sich für einen Balken auf zwei Stützen
mit dem Eigengewicht q und der Verkehrslast p f. d. m, der Stützweite L, dem
Trägheitsmoment J, der Elastizitätsziffer E, der zulässigen Beanspruchung k, der Trägerhöhe h
für die vollbelastete Brücke
T_v=2\,\pi\,L\,\sqrt{\frac{k}{6\,E\,g\,h}},
für die unbelastete Brücke
T_u=2\,\pi\,L\,\sqrt{\frac{k}{6\,E\,g\,h}}\,\sqrt{\frac{q}{p+q}}
Ist n=\frac{1}{T} die der Brücke eigentümliche Schwingungszahl für die Sekunde, so kann
durch n,
\frac{n}{2}, \frac{n}{3}, \frac{n}{4}. Schwingungsanstöße eine bedeutende Vergrößerung der Schwingungen eintreten. Derartige
Schwingungsanstöße können vornehmlich durch die Gegengewichte der Lokomotivräder, unrunde Räder (Bremsräder) und Schienenstöße erfolgen. Bedeutet V = Geschwindigkeit km/Std., d =
Raddurchmesser, Nr =
Anzahl der Umdrehungen in der Sekunde, so wird die Anzahl der Schwingungsanstöße in
der Sekunde
N_r=\frac{V\cdot 1000}{d\cdot \pi\cdot 3600}=0,0885\,\frac{V}{d}
d.h. die Schwingungsanstöße der Räder sind von der
Fahrgeschwindigkeit und dem Raddurchmesser abhängig. Die Anzahl der
Schwingungsanstöße durch das Ueberfahren der Einsenkungen bezw. der Lücken an den
Schienenstößen wird, wenn a = Abstand der Achsen
bedeutet
N_s=\frac{100\cdot V}{3600\cdot a}=0,2778\,\frac{V}{a}.
d.h. Fahrgeschwindigkeit und Achsabstand bedingen die
Anzahl der Schwingungsanstöße infolge der Schienenstöße. Eine Vergrößerung der Schwingungen und damit eine Erhöhung der Beanspruchungen des Ueberbaues tritt ein,
wenn Nr oder Ns die Werte n,
\frac{n}{2}, \frac{n}{3} usw. annehmen.
Die neueren Bestrebungen im Lokomotivbau gehen darauf hinaus, durch zweckmäßige
Anordnung des Triebwerkes einen Ausgleich der Triebwerksmassen ohne Gegengewichte
und damit einen ruhigen Gang der Lokomotiven zu erzielen; es läßt sich demnach
annehmen, daß die Schwingungsanstöße infolge unausgeglichener Triebmassen im Lauf
der Zeit immer geringfügiger sich gestalten werden. Schienenstöße auf kürzeren
Brücken sucht man heute bereits nach Möglichkeit durch Einlegung besonders langer
Schienen zu vermeiden; bei längeren Brücken wird ihr dynamischer Einfluß durch
besondere Stoßanordnungen, z.B. Blattstoß, zu mildern gesucht. Von Einfluß auf die
Schwingungsanstöße an den Schienenstößen ist der Radstand; es ist fraglich, ob nicht
der neuzeitliche Drehgestellwagen mit großem Drehzapfenabstand und kleinem
Drehgestellradstand die Brücken dynamisch ungünstiger als der dreiachsige Wagen
beeinflußt.
Die Schaubilder des Oßke-Kühneschen Biegungszeichners
lassen durch Vergleich Schlüsse über die Einwirkung verschiedener Lokomotivtypen und Wagenarten auf die
Brückenüberbauten bei verschiedener Fahrgeschwindigkeit
zu; nach einheitlichen Grundsätzen vorgenommene Versuche werden ein Bild über die
Durchbiegungen unter Berücksichtigung der Schwingungen geben können, und damit eine
Ermittlung der je nach den Schwingungen wechselnden Beanspruchung ermöglichen. Die
Messungsergebnisse werden wertvolle Anhalte über die zweckmäßigsten Belastungs- und
Beanspruchungsannahmen für Brücken des Schnellverkehrs bieten können.
Regierungsbaumeister Jaehn,
Bromberg.