Titel: | Fortschritte in der Theorie des Eisenbetons seit 1904. |
Autor: | P. Weiske |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 152 |
Download: | XML |
Fortschritte in der Theorie des Eisenbetons seit
1904.
Von Dr.-Ing. P. Weiske,
Kassel.
(Schluß von S. 135 d. Bd.)
Fortschritte in der Theorie des Eisenbetons seit 1904.
1. Dehnungsfähigkeit.
Die grundlegenden Versuche Considères hatten nach seiner
Veröffentlichung (Génie civil 1899) Dehnungen des
Eisens ohne Rißbildung ergeben, welche diejenigen des reinen Betons um das 10 bis 20
fache übertrafen.
Neuerdings sind diese Dehnungsversuche nachgeprüft. Kleinlogel veröffentlichte im Heft 1 der Forscherarbeiten sein
Versuchsmaterial, welches durch Untersuchung wesentlich größerer Versuchstücke, als
wie sie Considère verwendet hat, gewonnen war. Die
Probekörper hatten verschieden hohe Armierung. Bei sämtlichen Probekörpern zeigte
sich eine nicht wesentlich andere Dehnung des Eisenbetons bis zum Eintritt der Risse
als bei reinen Betonkörpern.
Rudeloff hat ebenfalls zur Nachprüfung der Considèreschen Versuche in dem Königlichen
Materialprüfungsamt in Groß-Lichterfelde mit etwa fünf Jahre alten, an der Luft
erhärteten Probekörpern verschiedener Armierung Dehnungsversuche angestellt, welche
zeigen, daß die Bruchdehnung keinesfalls durch die Eiseneinlagen vergrößert wird.
Diese Versuche, welche in den Mittellungen aus dem
Königlichen Materialprüfungsamt 1904, Heft 1, veröffentlicht sind,
bestätigen also die Considèreschen Beobachtungen auch
nicht.
Erneut von Considère angestellte Versuche zeigten
dagegen wieder eine größere Dehnungsfähigkeit, wenngleich nunmehr nur Dehnungen bis
etwa zur Hälfte der von ihm zuerst angegebenen Werte von dem unter Wasser erhärteten
Probekörper erreicht wurden, während der an der Luft erhärtete Probekörper noch
weiter zurückblieb.
Bei Versuchen von Wayß und Freytag wurde etwa das dreifache der Dehnungsfähigkeit des reinen Betons
bei
Eisenbetonträgern festgestellt. Die Körper wurden nach ihrer Anfertigung naß
gehalten, aber dann in lufttrockenem Zustande geprüft. Aus diesen Versuchen scheint
hervorzugehen, daß man durch Naßhalten und Aufbewahren unter Wasser die
Dehnungsfähigkeit des Eisenbetons gegenüber reinen Betonkörpern steigern kann. Für
die Beurteilung der Bruchursachen von Eisenbetonkörpern ist eine geringere
Dehnungsfähigkeit des Betons im Eisenbetonkörper, als wie sie bisher angenommen
wurde, nur von sekundärer Bedeutung.
2. Haftfestigkeit.
Zur Bestimmung der Haftfestigkeit des Eisens in der Betonhülle sind zahlreiche
Versuche angestellt.
Versuche von Mörsch (siehe Wayß-Freytag, Eisenbetonbau, S. 46 ff.) zeigten eine Haftfestigkeit von
48,8 kg/qcm bei 10
v. H. Wasserzusatz, von 31,2 kg/qcm bei 12,5 v. H. Wasserzusatz und von 29,1 kg/qcm bei 15 v.
H. Wasserzusatz als Mittel aus vier Versuchen. Die Betonmischung war 1 : 4, die
Probekörper waren vier Wochen alt und 20 cm hoch. Bei besonderer Sicherung gegen
Zerspringen des Betons durch eine Drahtspirale zeigten sich noch höhere Zahlen. Nach
Ueberwindung der Haftfestigkeit blieb noch ein Gleitwiderstand von 24–32 kg/qcm. v. Bach hat ebenfalls Versuche angestellt (Heft 22 der Forscherarbeiten auf dem Gebiete des
Ingenieurwesens), deren wichtigstes Ergebnis ist, daß die Adhäsion mit
zunehmender Länge der einbetonierten Eisen abnimmt. Nach diesen Versuchen scheint
sich die Haftfestigkeit um so mehr der Scherfestigkeit des Betons zu nähern, je
kürzer die Eisen sind.
Zu erwähnen sind noch Versuche aus der Versuchsanstalt der Technischen Hochschule in
Wien, die Meyer in der Oesterreichischen Wochenschrift für öffentlichen Baudienst 1906, Heft 32,
veröffentlicht hat. Die Versuche sind Zugversuche mit 17,5 cm Meßlänge der
einbetonierten Eisen, welche verschiedene Querschnittsformen haben. Diese Versuche
zeigen ebenfalls, daß mit der Güte des Betons die Haftfestigkeit wächst, und daß die
Eisenstäbe mit Walzhaut im Mittel eine 2,7 mal größere Haftfestigkeit zeigen als
bearbeitete Stäbe. Die Haftfestigkeitswerte sind den von Mörsch gefundenen ähnlich. Außerdem zeigt sich aus den Versuchen der große
Vorteil des haken- oder gabelförmigen Abbiegens der Enden.
Die hohen Haftfestigkeitszahlen, die Mörsch gefunden
hat, erklärt Martens hauptsächlich dadurch, daß
dieselben aus Druckversuchen gewonnen sind, und daß die Zeitdauer zu kurz gewesen
sei. Die von Martens im Materialprüfungsamt in
Groß-Lichterfelde gewonnenen Zahlen sind erheblich niedriger. Martens vertritt die Anschauung, daß die Haftfestigkeit
durch die Scherfestigkeit der Betons begrenzt ist, und daß man dem Eisen eine
derartige Form geben soll, daß man nicht mit der Haftfestigkeit des Bindemittels am
Eisen, sondern mit der Ueberwindung der Schub- und Scherfestigkeit des umgebenden
Bindemittels oder der Betonhülle zu rechnen hat. (Beton und
Eisen 1905, VI.)
3. Schub- und Scherfestigkeit.
Die Schubfestigkeit von reinen und armierten Betonkörpern wurde von Morsch (Weiß und Freytag, Eisenbetonbau, S. 34 ff.) mit
Hilfe der Martensschen Druckpresse untersucht.
Dieselbe wächst mit dem Alter und der Güte der Mischung. Probekörper von zwei Jahren
Alter im Mischungsverhältnis 1:3 ergaben eine Scherfestigkeit von 65,9 kg/qcm, solche von
1½ Monat Alter im Mischungsverhältnis 1:4 zeigten eine Scherfestigkeit von 37,1 kg/qcm.
Prismen, mit Eiseneinlagen an der Ober- und Unterseite, zeigten die gleiche
Scherfestigkeit; der Körper wurde jedoch erst vollständig zerstört, nachdem
auch die Scherfestigkeit des Eisens ausgenutzt war.
Die Scher- und Schubfestigkeit hat Zipkes zum Gegenstand
einer eingehenden Untersuchung gemacht in seiner Arbeit: „Scher- und Schubfestigkeit des Eisenbetons“ („Beton und
Eisen“ 1906, I–IV, Sonderdruck bei Ernst & Sohn). Zipkes berichtet über Scherversuche der Firma
Luipold & Schneider in der
Materialprüfungsanstalt in Stuttgart, welche mit reinen und armierten Betonkörpern
angestellt sind.
Die Last, welche die ersten Scherrisse hervorrief, mußte auf etwa das fünffache bis
zum Bruch gesteigert werden. Die Scherfestigkeit betrug im Mittel 25,2 kg/qcm bei
Probekörpern von 50 Tagen Alter in einer Mischung 1:3. Die höheren Zahlen von Mörsch erklärt Zipkes wie
Martens dadurch, daß die Zeitdauer der Versuche zu
kurz war.
Das Ergebnis der Versuche mit Eiseneinlagen ist, daß das Eintreten der Scherrisse
erst bei einer Belastung stattfindet, welche der Scherfestigkeit reiner Betonkörper
entspricht, während die Scherfestigkeit der armierten Betonkörper etwa auf das
Doppelte anwächst. Hierbei war außer den üblichen Einlagen von geraden und
aufgebogenen Stäben noch eine kreisrunde, spiralartige Armierung des Balkens
vorhanden. Auch wurden Körper mit kreisförmigen Aussparungen innerhalb dieser
Armierung untersucht. Die Festigkeitszahlen waren etwas niedriger.
Das Ergebnis der Versuche ist jedenfalls, daß die Eisenarmierung das Erscheinen der
Scherrisse verschiebt und die erforderliche Bruchbelastung erhöht. Diese Steigerung
der Festigkeit ist von der Art und dem Grad der Armierung abhängig. An diese
Versuche schließt Zipkes Betrachtungen über die
Berechnung der Schub- und schiefen Hauptspannungen an. Insbesondere fordert er, daß
der Anteil des Eisens bei der Aufnahme der Schubspannungen auch rechnungsmäßig in
den zu verwendenden Formeln zum Ausdruck kommt. Zur Begründung dieser Forderung
führt Zipkes Beispiele aus der Praxis an, bei welchen
die Schubspannungen mehr als das Doppelte der zugelassenen Beanspruchung von 4,5 kg/qcm betragen
haben, ohne daß irgend welche Scherrisse entdeckt werden konnten.
4. Normalspannungen eines Eisenbetonträgers.
Die Spannungen im Beton nehmen nicht proportional mit den Dehnungen zu, sondern
wachsen langsamer, wie durch viele Versuche besonders von Bach nachgewiesen ist. Man hat versucht, diese Formänderungen der
elastisch veränderlichen Stoffe in eine mathematische Form zu kleiden. Die
wichtigsten Gesetze hierfür sind das Potenzgesetz (Bach-Schüle) und das hygerbolische Gesetz (Lang). Die Verwertung dieser Gesetze zur Aufstellung der
Gleichgewichtsbedingungen eines auf Biegung beanspruchten Eisenbetonträgers und zur
Berechnung der Spannungen ist umständlich. Die Berechnungen sind für das
Potenzgesetz durchgeführt von Koenen (Grundzüge für die
statische Berechnung der Beton- und Eisenbetonbauten, Ernst & Sohn) und von Mörsch (Wayß und
Freytag, Eisenbetonbau, S. 78 ff.) Hyperbolische Spannungsverteilung legt
Francke zugrunde in seiner Arbeit: „Abhängigkeit der inneren Längsspannungen eines
Querschnittes von der angreifenden Längskraft mit besonderer Bezugnahme auf
Zement und Beton („Zeitschrift für Arch.- und Ing.-Wesen“ 1904, Heft
I, S. 39 ff.)“
Die Schwierigkeiten der Berechnung werden umgangen durch die graphische Methode.
Weiske (Forscherarbeiten, Heft II) führt die mit dem
jeweiligen Elastizitätsmodul multiplizierten Flächenstreifen als Kräfte ein, zu
denen er mit Hilfe von Kraft- und Seileck die I-Flächen konstruiert. Aus diesen läßt
sich das Widerstandsmoment berechnen, sowie Formeln für die Trägerhöhe und den
Eisenquerschnitt in der einfachen Form h = a√M und Fe
= μ bh mit der Annahme bestimmter Dehnungen auf der
Zug- und Druckseite des Balkens ableiten.
Hotopp benutzt die zu bestimmten Spannungswerten aus
direkten Versuchen gewonnenen Dehnungswerte, um eine Integralkurve der in der
Momentengleichung vorkommenden Summen werte zu zeichnen, mit Hilfe deren sich leicht
zusammengehörige Spannungen und Dehnungen im Balken abgreifen lassen. Mit Hilfe des
Polabstandes des zu den Dehnungsflächen gehörigen Seilecks und des Abstandes der zu
den äußersten Dehnungen gehörigen Seilstrahlschnittpunkten auf der Nullachse läßt
sich dann leicht eine sehr einfache Formel für Höhe und Eisenquerschnitt ableiten.
(Keck-Hotopp Elastizitätslehre, Helwings Verlag und
„Zeitschrift für Arch.- und Ing.-Wesen“ 1906,
Heft IV.)
Wegen der elastischen Veränderlichkeit des Betons ändert sich der Betrag der
einzelnen, parallel zur Nullinie laufenden Schichten eines Querschnittes zu seinem
Trägheitsmoment mit zunehmender Belastung. Die Randfasern entlasten sich auf Kosten
der mittleren Schichten. Auch die Lage der Nullinie ist veränderlich, und zwar so,
daß sie mit zunehmender Belastung der Druckkante näher rückt. Bei der graphischen
Behandlung lassen sich diese Verhältnisse in einem Schaubilde verfolgen. Bei der
rechnerischen Behandlung pflegt man verschiedene Phasen des Spannungszustandes zu
unterscheiden. Man nimmt gewissermaßen eine sprungweise Aenderung des
Spannungszustandes an und macht für jeden Zustand gewisse vereinfachende Annahmen,
um die Formeln zu vereinfachen.
Diese Phasen sind folgende:
I. Bei niedriger Beanspruchung verhält sich der
Eisenbetonträger nahezu wie ein reiner Betonbalken. Für die Spannungsberechnung
wird der Elastizitätsmodul auf Zug und Druck gleich angenommen, der
Eisenquerschnitt wird mit dem n fachen Wert
eingeführt. Hierbei ist
n=\frac{Ee}{Ed}=\,\sim\,10.
IIa. Die Zugspannungen des Betons sind so gewachsen, daß die
Dehnungen nicht mehr proportional den Spannungen angenommen werden können. Man
nimmt zur Vereinfachung an, daß letztere von der Nullinie an bis zu einem
Höchstwert wachsen und von da ab bis zur Zugkante konstant bleiben. Die
Druckspannungen können noch geradlinig wachsend angenommen werden. Der
Eisenquerschnitt wird mit seinem n=\frac{Ee}{Ed} fachen Wert eingeführt.
IIb. Der durchschnittliche Elastizitätsmodul der Betonzugzone
hat bei weiterer Steigerung der Belastung derartig abgenommen, daß der Beitrag
der Zugzone zur Aufnahme der inneren Kräfte nur noch gering ist. Da auch das
Entstehen von Zugrissen im Beton nicht ausgeschlossen ist, so wird die
Betonzugzone ganz aus der Berechnung ausgeschaltet, und alle Zugspannungen
werden dem Eisen zugewiesen. Die Betondruckspannungen werden noch geradlinig
wachsend angenommen, wenngleich bereits ein Spannungsabfall für die. stärker
gedrückten Fasern vorhanden ist. Das Eisen wird mit dem N=\frac{Ee}{Ed} fachen
Wert in die Rechnung eingeführt. Diesem Zustand entsprechen die Annahmen
der amtlichen Bestimmungen. In denselben wird n =
15 angenommen.
III.Bruchstadium. Der Verlauf der Druckspannungen
bis zur Druckkante ist nicht mehr geradlinig wachsend, sondern stark konvex
gekrümmt. Die Betonzugspannungen sind höchstens noch in der Nähe der Nullinie
wirksam. Der Gleichgewichtszustand wird nur noch durch die Zugkraft des Eisens
hergestellt. Der Bruch erfolgt durch das Zerquetschen des Betons oder durch das
Zerreißen der Eiseneinlagen, wenn die Haftfestigkeit des Eisen am Beton oder die
Schubfestigkeit des Betons nicht vorher überwunden sind.
Für diese Phasen sind von verschiedenen Forschern Berechnungsmethoden aufgestellt,
unter verschiedener Annahme der zu wählenden Elastizitätsmodulen. Die wichtigsten
Methoden stammen von Melan, Koenen, Ritter, Emperger,
Thullié, Barkhausen, Mörsch.
Für die statischen Berechnungen im Hochbau hat man jetzt die Dimensionierung nach
Phase IIb angenommen, bei welchen der Zustand vor dem Bruch zugrunde gelegt wird.
(vergl. auch amtliche Bestimmungen vom 16. April 1904.)
Mörsch hat durch Versuche nachgewiesen, daß sich der
Spannungszustand eines Trägers bei steigender Belastung diesen Annahmen immer mehr
nähert. (Wayß und Freytag,
Eisenbetonbau, S. 92 ff.) Nach Mörsch hat man eine
mindestens 1½ fache Sicherheit gegen das Auftreten der ersten Zugrisse, wenn man
nach dieser Phase dimensioniert.
Für Ingenieurbauten, welche besonders der Witterung, den Rauchgasen usw. ausgesetzt
sind, verlangt der oben erwähnte Erlaß der Kgl. Eisenbahndirektion Berlin, außer der
Berechnung nach Phase IIb zum Nachweis des Maximums der Eisenspannungen, noch die
Berechnung der wahrscheinlichen Betonzugspannungen.
Um ein annähernd richtiges Bild der Spannungsverteilung in dem zugelassenen Zustand
zu bekommen, müßte die Berechnung nach Phase IIa geschehen, wie sie von Barkhausen durchgeführt ist in der „Zeitschrift für
Architektur und Ingenieurwesen“ 1901, Heft II in seinem Aufsatze: Die
Verbundkörper aus Mörtel und Eisen im Bauwesen.
Für die Berechnung der Spannungen im Bruchzustand ist noch folgendes zu bemerken: Die
Spannungen können wegen der Unsicherheit der Dicke der Druckzone und der
Verteilungsweise der Druckspannungen über dieselbe nur annäherungsweise berechnet
werden.
Auf die Stärke der Druckzone kann annähernd aus den Enden der Zugrisse geschlossen
werden. Als Druckmittelpunkt ist dann die Mitte dieser so gemessenen. Druckschicht
anzunehmen. Der Abstand der resultierenden Druck- und Zugkräfte oder der Hebelarm
des inneren Momentes h1
ist dann die Entfernung des Druckmittelpunktes vom Schwerpunkt der Eiseneinlage. Aus
dem äußeren Moment kann man dann durch Division mit h1 die inneren Druck- und Zugkräfte
ermitteln. Von der Annahme der Spannungsverteilung in der Druckzone hängt die
Berechnung der Größe der Randdruckspunnung ab. Es ist ersichtlich, daß eine
geradlinige von Null an wachsende Spannungsverteilung die Bruchrandspennung zu groß
liefert. Emperger nimmt neuerdings gleichmäßig
verteilte Spannung im Bruchstadium an, indem er gewissermaßen den Druckquerschnitt
als Druckgurt
und den Eisenquerschnitt als Zuggurt eines Fachwerks betrachtet. Hierdurch ergeben
sich niedrigere Druckrandspannungen, als wie sie andere Forscher, z.B. Thullié, der zwei Geraden als Begrenzungslinien des
Spannungsdiagrammes der Druckzone einführt, berechnen. Faßt man die nach Emperger berechnete Spannung als durchschnittliche
Bruchspannung des Betons auf, so würde die lokale Bruchrandspannung kd durch die
Ungleichung beschränkt sein:
\frac{D}{f}\,<\,k_d\,<\,2\,\frac{D}{f},
hierbei ist f der
Bruchdruckquerschnitt und D die innere
Druckgurtkraft.
D=\frac{M_{\mbox{bruch}}}{h_1}
Die durchschnittliche Zugbruchspannung ist ebenso
k_e=\frac{Z}{F_e}=\frac{M_{\mbox{bruch}}}{F_e\cdot h_1}.
Die sämtlichen für die Berechnung der Normalspannungen aufgestellten Methoden beruhen
auf der Annahme des Ebenbleibens der Querschnitte und berücksichtigen nicht die aus
der Be- und Entlastung der Träger zurückbleibenden Dehnungen. Mit diesen Fragen
beschäftigt sich die neueste Arbeit Schüles sehr
eingehend, welche das Heft X der Mittellungen der
Materialprüfungsanstalt in Zürich bildet, unter dem Titel: „Resultate der
Untersuchung von armiertem Beton auf reine Zugfestigkeit und auf Biegung
unter Berücksichtigung der Vorgänge beim Entlasten“. Im Anschluß an
seine früheren Mitteilungen in „Beton und Eisen“ 1903, Heft II, werden hier
weitere Zug- und Biegungsversuche mitgeteilt und eingehend erörtert.
Im Rahmen dieses kurzen Referates ist es unmöglich, auch nur annähernd auszugsweise
den Inhalt dieser wichtigen Schrift anzugeben.
Es sollen nur einige wichtige Schlußfolgerungen angegeben werden:
1. Aus den Zugversuchen geht hervor, daß die Sprödigkeit des
Betons durch die Armierung vermindert und die Dehnungsfähigkeit bedeutend erhöht
wird, wie dies von Considère festgestellt
ist:
2. Schon innerhalb der zulässigen Belastung läßt sich eine
Abweichung von der Hypothese des Ebenbleibens der Querschnitte
feststellen.
3. Die bleibenden Deformationen beim Entlasten haben auch nach
Auftreten der ersten Risse im Zuggurtbeton eine Entlastung der Eisenstangen zur
Folge, solange die Streckgrenze im Eisen nicht erreicht ist. Im Beton des
Druckgurtes hingegen veranlassen diese bleibenden Deformationen eine Zunahme der
Druckspannungen, welche bisher unberücksichtigt blieb.
4. Die üblichen Berechnungsverfahren der inneren Spannungen
geben keinen auch nur annähernd richtigen Einblick in die wirklichen
Verhältnisse des armierten Betons, eine Vereinfachung dieser Verfahren für die
Berechnung der Abmessungen in der Balkenmitte ist daher begründet. Dieser
Vereinfachung gegenüber sollten jedoch die Verhältnisse der Verankerung und die
Größe der Scherbeanspruchung in jedem Falle sorgfältig untersucht werden.
5. Von größter Wichtigkeit für eine Konstruktion ist das
genügende Erhärten des Beton. Die Frist zum Ausschalen sollte nach Tunlichkeit
verlängert und Belastungen von Belang erst nach einigen Monaten aufgebracht
werden.
5. Bruchursachen.
Die Bruchursachen eines Eisenbetonträgers lassen sich auf vier Ursachen zurückführen,
die bei dem Bruche getrennt aber auch gemeinsam auftreten können.
Die zahlreich veröffentlichten Bruchbilder lassen die typischen Bruchrisse
erkennen.
Die Bruchursachen sind folgende:
1. Ueberschreiten der Druckfestigkeit des
Betons2. Ueberschreiten der Zugfestigkeit des Eisens
In der Nähe
desgefährlichenQuerschnittes.
3. Ueberschreiten der Haftfestigkeit zwischen Beton
und Eisen4. Ueberschreiten der Schubfestigkeit des
Betons
in der Nähe desAuflagers.
Diesen Brucherscheinungen geht das Entstehen von Zugrissen in der Mitte des Balkens
oder zu beiden Seiten desselben voraus. Diese Risse können als den Balken direkt
gefährdend nicht angesehen werden, sie sind nur insofern von Wichtigkeit, als sie
die zur Aufnahme der Haftspannungen des Eisens erforderliche Länge des Trägers am
Auflager begrenzen. Aus diesem Grunde ist eine ausreichende Zugfestigkeit der
Betonträger unbedingt erforderlich.
Während man früher die Bruchursachen vornehmlich in der Ueberwindung der
Normalspannungen suchte, hat man neuerdings sich der Untersuchung der unter 3. und
4. genannten Bruchursachen zugewendet und diese genauer studiert.
Eine eingehende Untersuchung der Rolle der Haftfestigkeit hat Emperger in Heft III der Forscherarbeiten gegeben. (Die Rolle der
Haftfestigkeit im Verbundbalken.)
In dieser Abhandlung führt Emperger die Bruchursachen
vieler Bruchversuche nicht auf die Ueberwindung der Normalspannungen, sondern auf
die Ueberwindung der Haftfestigkeit zwischen Beton und Eisen zurück. Als Maß für die
Größe der Haftfestigkeit ist der Ausdruck
k=\frac{V}{m\cdot U}
anzusehen.
Hierbei ist V die größte Querkraft, m der Abstand von Druck- und Zugmittelpunkt und U der Umfang der gezogenen Eiseneinlagen.
Emperger leitet aus seinen Versuchen ab, daß der
Haftfestigkeit des Eisens bis zum Bruch nie eine größere Zahl als im Durchschnitt
k = 16 kg/qcm zugemutet werden darf, falls nicht durch
besondere konstruktive Anordnungen, welche beschrieben werden, eine höhere Zahl
zulässig erscheint.
Thullie untersuchte die von Emperger besprochenen Beispiele
in seiner Arbeit: „Die Bruchursachen der betoneisernen geraden Träger“,
„Beton und Eisen“ 1905, IX bis XII, und führt die Bruchursachen
hauptsächlich auf Ueberwindung der Normalspannungen zurück.
Es sei auch noch hingewiesen auf die lehrreichen Beispiele von Mörsch, (Wayß und Frey tag, „Eisenbetonbau“ S. 127
ff), welche besonders die Wichtigkeit der am Auflager aufgebogenen Stangen
zeigen.
Aus der Beschreibung der Bruchursachen kann gefolgert werden, daß für die Berechnung
der auf Biegung beanspruchten Konstruktionsglieder zuerst die Abmessungen den
Normalspannungen entsprechend festzusetzen sind. Sodann sind die Haft- und
Schubspannungen am Auflager zu ermitteln und eventl. durch konstruktive Mittel:
Ab- und Aufbiegen der Stangenenden, Einlegung von Bügeln oder Spiralen, genügende
Breite des Zuggurtes zu vermindern.
Die vorstehenden Ausführungen sollen in der Folge ergänzt werden durch
periodische Mitteilungen über die Fortschritte in der Theorie und der Konstruktion
des Eisenbetons.