Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. |
Autor: | Oscar Koch |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 459 |
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Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Von Oscar Koch,
Gross-Lichterfelde, West.
(Fortsetzung von S. 447 d. Bd.)
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
VI. Leerlaufeinrichtungen.
Die Leerlaufeinrichtungen haben bekanntlich den Zweck, den Motor anzutreten ohne das
Fahrzeug mitschleppen zu müsssen. Das Hinterrad wird dabei mittels Ständer
unterstützt, und die Kupplung eingerückt. Sobald der Motor im Gang ist, wird durch
Ausrücken der Kupplung Leerlauf hergestellt, der Ständer hochgeklappt und mit
einigen Pedaltritten bei langsamem Einrücken der Kupplung angefahren.
Bei der Vorrichtung der Diamant-Fahrradwerke, Gebr.
Nevoigt in Reichenbrand-Chemnitz (Fig. 130)
erfolgt die Betätigung durch den mit zwei schwach ansteigenden Nasen versehenen
Hebel f, der von der Lenkstange aus mittels Bowdendraht
die Reibungskupplung a, b, c, d ein- oder ausschaltet.
Zu diesem Zweck umfasst er ringförmig die Verschlussmutter g des Entlastungskonus c,
wobei seine Nasen in entsprechende Vertiefungen des Ausrückers h eingreifen. Letzterer ist durch zwei Führungsstifte
i an der mit dem Motorgehäuse verschraubten Platte
k so geführt, dass er sich in der Achsrichtung
verschieben kann, jedoch an der Drehung verhindert ist.
Sobald Hebel f nach oben gedreht wird, drücken seine
Nasen den Ausrücker h nach aussen, dabei liegt Hebel
f mit seinen Kugeln an der Verschlussmutter g an, der Ausrücker h mit
seinem Kugelring l an dem Entlastungskonus d. Bei weiterer Verschiebung des Ausrückers werden die
Entlastungskonusse c und d, die durch fünf Federn m
auseinandergehalten werden, einander genähert. Hierdurch wird einerseits der
treibende, auf der Motorwelle aufgekeilte Kupplungskörper a frei, andererseits verlässt Konus d den
Innenkonus b der Riemenscheibe e. Diese macht dadurch mit ihrem Gegenkonus n
eine kleine Bewegung nach aussen, so dass dadurch auch noch der Hauptkonus n von a frei wird.
In diesem Zustande dreht sich mit der Motorwelle nur noch der Kupplungskörper a, die Riemenscheibe e und
mit ihr der Riemen, dessen Zug von der Kugelreihe l
aufgenommen wird, so dass kein Druck auf die stillstehenden Konusse fällt.
Zum Einrücken wird Hebel f heruntergelassen, wobei die
Federn m die Konusse c, d
wieder voneinander drücken, so dass sie sich gegen die Gegenkonusse a, b pressen, wodurch Kupplung und Riemenscheibe ein
Ganzes bilden, das die Drehbewegungen vom Kupplungskörper a mitmachen muss.
Textabbildung Bd. 321, S. 460
Fig. 130. Leerlaufkupplung der Diamant Fahrradwerke Gebr. Nevoigt.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Kugelringe l und
o nur im Augenblick des Aus- und Einschaltens sich
drehen und hierbei mit dem Federdruck belastet sind, dann stehen sie still, so dass
Heisslaufen ausgeschlossen ist.
Einfacher gestaltet sich die Kupplung der Bielefelder
Maschinen- und Fahrradwerke, Aug. Göricke in Bielefeld (Fig. 131). Bei ihr ist der innere Kupplungskonus a durch Mutter b mit der
Motorwelle fest verbunden, während der Gegenkonus c,
mit dem die Riemenscheibe l verschraubt ist,
verschiebbar auf der Welle sitzt und durch die Spiralfeder d, die auf das Kugeldrucklager e, f wirkt,
nach rechts über den Konus a gezogen wird. In dieser
Stellung ist die Riemenscheibe mit der Motorwelle gekuppelt. Um Leerlauf
herzustellen, wird die Mutter g durch Drehen des Hebels
h nach links gegen e
geschraubt und hierdurch die Riemenscheibe und der Konus c unter Spannung der Feder d nach links
verschoben. Sobald der Hebel h wieder umgelegt wird,
geht die Mutter g in ihre Anfangsstellung zurück.
Die Kupplung der Viktoria-Werke in Nürnberg (Fig. 132) unterscheidet sich von der vorgenannten in
der Hauptsache darin, dass der innere Reibungskonus a
mit einem Hohlraum b versehen ist, der zur Schmierung
der Riemenscheibe genügend Oel aufzunehmen vermag. Um dabei aber Verölen der
konischen Reibungsfläche zu verhüten, ist der Metallstulp e vorgesehen. Der Oelraum b ist nach aussen
durch Mutter d abgedichtet.
Das Ausschalten der Kupplung bewirkt der Hebel f
dadurch, dass er durch Rückwärtsschieben mit seinem unteren Ende keilförmig am
Motorgehäuse aufläuft und hierbei den Konus g von a abdrückt.
Während diese Kupplungen Abarten der Neckarsulmer
Kupplung, D. p. J. 1905, 320, S. 361, Fig. 73,
darstellen, haben die Adler-Fahrradwerke, vorm. H.
Kleyer in Frankfurt a. M. ihren Leerlauf auf einer ganz neuen Grundlage
aufgebaut. Um den Federdruck, der an den vorgenannten Einrichtungen beim
Ausrücken immer auftritt und schädlich auf die Motorlager wirkt, zu beseitigen,
erfolgt das Mitnehmen der Riemenscheibe bei der Konstruktion (Fig. 133) ohne Federdruck auf folgende Weise.
Textabbildung Bd. 321, S. 460
Fig. 131. Leerlaufkupplung der Bielefelder Maschinen- und Fahrradwerke, Aug.
Göricke.
Textabbildung Bd. 321, S. 460
Fig. 132. Leerlaufkupplung der Viktoria Werke.
Mit der Motorwelle a ist die Trommel b fest verbunden, um die das nach innen federnde
Metallband c gelegt ist, das durch zwei Zähne
mitgenommen wird. Wird dieses Metallband nach aussen getrieben, so bewirkt es die
Kupplung, indem es sich an die Innenseite der Büchse c
anlegt, die mit der Riemenscheibe f aus einem Stück
besteht und letztere durch Reibung mitnimmt, wobei das Band von selbst immer fester
gegen e angepresst wird. Eingeleitet wird das
Auseinandertreiben des Mitnehmerbandes unter Vermittlung von Konus g, der durch leichten Federdruck in den Hochkonus d hineingedrückt wird und mit einem Zahn gegen das Ende
des Bremsbandes c sich stützt. Wird durch leichten
Druck auf die Riemenscheibe nach links der Hohlkonus d
gelöst, so rollt das Bremsband durch seine natürliche Federkraft sich wieder
zusammen und die Riemenscheibe läuft frei.
Textabbildung Bd. 321, S. 460
Fig. 133. Leerlaufkupplung der Adler-Fahrradwerke.
Textabbildung Bd. 321, S. 461
Fig. 134. Anfahrständer von Graichen.
Textabbildung Bd. 321, S. 461
Fig. 135 und 136. Anfahrständer von Graichen; Fig. 135. In Tätigkeit; Fig.
136. Ausser Tätigkeit.
Textabbildung Bd. 321, S. 461
Fig. 137. Riemenspannrolle von Graichen.
Eigenartig ist auch der angewandte Hebelmechanismus zur Auflösung der Kupplung
mittels Bowdendraht. Dieser greift an Punkt h an, und
bewegt den in i drehbar gelagerten Winkelhebel nach
oben und rückt dadurch die Ausrückscheibe k nach links,
so dass sie auf den Ring m drückt. Dieser stemmt sich
dabei gegen die mit Kugellagern versehene Riemenscheibe f und bewegt sie nach links, wobei Konus g
von d abgleitet.
Bei ellen diesen Einrichtungen muss, wie eingangs erwähnt, zum Antreten des Motors
das Hinterrad mittels Ständers unterstützt werden. Dieser Notbehelf wird besonders
bei Gepäckfahrzeugen unangenehm empfunden, denn im Strassengewühl ist es nicht immer
möglich, erst das Rad durch den Ständer zu unterstützen, dann den Motor anzutreten,
um schliesslich den Ständer wieder hochzuklappen. Zum Teil ist dieser Mangel schon
dadurch beseitigt, dass die Ständer durch Federkraft selbsttätig hochklappen, sobald
dem Fahrzeug ein Ruck gegeben wird. Eine weitere Verbesserung, freilich ohne das
Aufstellen des Ständers von Hand zu vermeiden, bietet der Ständer (Fig. 134–136) von C. Graichen in Pegau i. S. Bei ihm kippt das Fahrzeug
beim Auftreten auf den Auslöshebel a selbsttätig vom
Ständer ab und der Ständer schnellt dann durch Federkraft in die wagerechte Lage
(Fig.
136), in der er während der Fahrt ohne zu klappern verbleibt. Um
stossfreies Anfahren zu ermöglichen, ist der Ständer so niedrig gehalten, dass das
abgestützte Rad nur etwa 10 mm vom Erdboden absteht.
Da nun mit hoher Geschwindigkeit angefahren werden muss, um wirksam vom Ständer
abzukommen, werden Motor sowie Pneumatik zum Nachteil für beide in Anspruch
genommen. Diesem Mangel soll nun Graichens mit der Hand
zu betätigende Riemenspannrolle (Fig. 137) dadurch
abhelfen, dass mit ihr im Augenblick des Anfahrens der Riemen gelockert wird, so
dass das Hinterrad,
wenn es den Erdboden berührt, still steht, während der Motor weiter arbeitet und die
Motorriemenscheibe unter dem gelockerten Riemen hinweggleitet.
Textabbildung Bd. 321, S. 461
Fig. 138. Leerlaufkupplung der Brennabor-Fahrradwerke.
Die von den Brennabor-Fahrradwerken, Gebr. Reichstein in
Brandenburg a. H. getroffene Einrichtung (Fig. 138)
macht nun auch
das Absteigen zwecks Stützung des Hinterrades unnötig. Die Riemenscheibe D ist nicht wie bisher fest mit dem Laufrad verbunden,
sondern sie sitzt neben ihm auf der Reibungskupplung CE, die hier statt am Motor auf der Hinterradnabe angebracht ist. Zur
Betätigung der Kupplung ist der Freilaufzahnkranz A mit
dem auf der Nabe B drehbaren Kupplungsteil C vereinigt, der mittels Speichen die Riemenscheibe D trägt.
Treibt nun der Motor durch Riemenscheibe D den auf der
Nabe B drehbaren Kupplungsteil C an, und wird Kupplungsteil E, der auf
der Nabe verschiebbar aber nicht zu ihr drehbar angeordnet ist, durch die
Schraubenfeder F an den in Umdrehung befindlichen
Kupplungsteil C angepresst, so nimmt E die Nabe und zugleich das Laufrad mit.
Wird aber der in dem zu einer Kapsel ausgebildeten Kupplungsteil C liegende konische Kupplungsteil E durch aussenliegendes Gestänge mittels Klauenkupplung
Z entkuppelt, so läuft die Riemenscheibe D leer.
(Fortsetzung folgt.)