Titel: | Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. |
Autor: | W. Treptow |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 345 |
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Der Wettstreit zwischen Geschütz und
Panzer.
Von W. Treptow,
Charlottenburg.
(Fortsetzung von S. 328 d. Bd.)
Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer.
Textabbildung Bd. 321, S. 345
Entwicklung der Kappengeschosse.
In dem Wettstreit zwischen Geschoss und Panzer schien der letztere mit Einführung der
nach Kruppschem Verfahren gehärteten Nickelstahlplatten
völlig gesiegt zu haben. Die Platten widerstanden glänzend die Probe gegen Geschosse
von dem Kaliber der Plattenstärke, ja auch gegen Geschosse von mehr als
Plattenstärke. Alle, auch die widerstandsfähigsten, gehärteten Stahlgeschosse
zerbrachen beim Auftreffen auf die glasharte Oberfläche, Keine Spitze hielt stand,
höchstens Trümmer von ihr verschweissten sich mit der Platte. Da tauchte aber schon
Mitte der neunziger Jahre die „Kappe“ als der
gefährlichste Gegner des neuen Panzers auf (vergl. Fig. 27, 28 und 30 S. 327). Der Entwicklungsgang der Geschosskappe
ist so interessant, dass er nach einem im „Engineering“ von 1901 erschienenen längeren Aufsatz an Hand
der Fig.
33–39 kurz erläutert werden soll.
Textabbildung Bd. 321, S. 345
Fig. 39. Kammersprenggranate.
Vor etwa 25 Jahren wurde die zunächst ganz unerklärliche Beobachtung gemacht, dass,
wenn man gehärtete Platten (es wird sich wohl um Kompoundplatten mit harter
Stahlschicht gehandelt haben) durch Vorlage eines weichen Schmiedeisenbleches
„verstärken“ wollte, das Durchschlagsvermögen eines Geschosses erheblich,
nämlich um etwa 25 v. H. gesteigert werde. Der britische Genie-Kapitän English sprach die Vermutung aus, dass diese Wirkung
dadurch zu erklären sei, dass die Spitze durch die weiche Vorlage vor dem
Zertrümmern bewahrt bliebe und durch sie gewissermassen gestützt werde. Er versah
daraufhin Geschosse mit „English-Kappen“, hatte
aber keinen Erfolg. Das kann entweder nur daran gelegen haben, dass die Kappen nach
Form oder Gewicht nicht richtig gewählt waren oder dass durch sie die Spitze (s.
Fig.
35) vielleicht zu stark geschwächt wurde. Vielleicht auch lag es daran,
dass die damaligen Geschosse noch nicht die hohe Geschwindigkeit erreichten, die
heute als erste Grundbedingung für die volle Ausnutzung der Vorteile der Kappen
gilt. Jedenfalls verschwanden die Kappen so rasch wie sie aufgetaucht waren. Um das
Jahr 1885 tauchten die Kappen von Wells (Fig. 33 und
34)
auf. Sie beruhten auf dem Prinzip, die Geschosspitze zum Durchschlagen des Panzers
gewissermassen zu schmieren. Die Geschosse trugen dünne, hohle Metallkapseln a, die mit Oel oder Graphit gefüllt waren. Diese
Kapseln konnten keinen Erfolg haben, denn das Schmiermittel verspritzte beim
Auftreffen wirkungslos nach allen Seiten. Da nahm Holtzer im Jahre 1895 das Prinzip der English-Kappe wieder auf. Seine
Kappe nach Fig.
35 war massiv aus weichem Schmiedeisen oder Stahl; sie ist bei b mit dem Geschosskörper durch eine Ringnut vereinigt. Ihr
Prinzip liegt mehr oder weniger den früher gezeigten Kappen nach Fig. 27 und 28 zu
Grunde. Die Kappe von Hadfield aus dem Jahre 1898
besteht nach Fig. 36 zunächst aus einer dünnen Spitze b,
die als Luftablenker dient; darunter sitzt auf dem Geschosskörper d ein flacher Kopf a, der
auch schon in Fig. 30 bei der dort dargestellten
französischen Halbpanzergranate unter der äusseren Spitzkappe erkennbar ist. Von dem
flachen Kopf versprach man sich bessere Wirkung als von spitzen Kappen bei schrägem
Auftreffen. Wie weit das zutrifft, ist nicht mit Bestimmtheit festzustellen.
Jedenfalls zeigen neuere Schiessversuche gute Wirkung mit spitzen Kappen auch bei
schrägem Auftreffen.
Der Verfasser des genannten Aufsatzes Staunton selbst
schlägt die beiden folgenden Kappen (Fig. 37 und 38) vor.
Die erste von beiden ist in der Mitte durchbohrt; dadurch soll diejenige Arbeit des
Geschosses, die dazu dienen muss, um die Kappe selbst zu durchdringen, sie
gewissermassen zu spalten, herabgezogen werden. Um die Polsterwirkung der Kappe zu
erhöhen, soll der Kanal b mit Blei ausgefüllt sein. Die
Kappe a reicht ziemlich tief, bis c, auf den Geschosskörper d herab, so dass nicht nur die Spitze, sondern der ganze Kopf des
Geschosses beim Aufschlag gestützt werden soll. Die Ausführung nach Fig. 38 weicht wenig
von der eben beschriebenen ab. Sie ist stumpfer gehalten und die Bohrung b, die durch eine Schraube abgeschlossen wird, soll mit
Flüssigkeit gefüllt sein, die durch ihre hydraulische Sprengwirkung das Spalten der
Kappe beim Aufschlag unterstützen soll.
Wenn die Kappe ihre volle Wirkung entfalten soll, muss sie in richtigem Verhältnis
zum Geschossgewicht stehen, denn es darf nicht vergessen werden, dass die auf das
Hintragen der Kappe zum Ziel verwendete Energiemenge für die Durchschlagwirkung des
Geschosses an sich verloren ist. Ferner muss die Kappe weich und nicht zu dick sein.
Die Geschossgeschwindigkeit muss sehr hoch, über
500–600 m sein, bei geringer Geschwindigkeit ist die Kappe zwecklos, ja sogar
schädlich. Deshalb wird sie auch bei den Wurfgeschützen (Mörser und Haubitzen) nicht
verwendet. Nach dem Gesagten besteht die viel umstrittene Wirkung der Kappe erstens
in einer Puffer- oder Polsterwirkung, wodurch die gehärtete Spitze des Geschosses vor dem Zersplittern beim Auftreffen auf die
glasharte Panzerfläche geschützt wird und zweitens wahrscheinlich in einer Art
Führung und Stützung des Geschosskopfes beim Eindringen
in den Panzer. Die Theorie der Schmier Wirkung ist ganz unhaltbar.
Die eigentlichen Granaten unterscheiden sich von den
Panzergranaten durch grössere Sprengladung, die nur durch geringere Wandstärken,
also durch einen Geschosskörper von geringerer Widerstandsfähigkeit erkauft werden
kann (vergl. Fig. 26 ganz links). Damit ist schon
klar, dass sie keine panzerbrechende Wirkung kaben können. Sie zerschellen, wenn sie
beispielsweise auf den Gürtelpanzer treffen und die Explosion ihrer Ladung schadet
dem Panzer nicht; es entsteht höchstens eine mehr zufällige, mehr oder minder
erfolgreiche Nebenwirkung, wenn die Explosionswelle durch die Schauöffnungen des
Kommandoturmes oder die Schiesscharte eines Geschützturmes in das Schiffsinnere
dringen kann.
Ihre volle Wirkung entfaltet die Granate nur, wenn sie schwach oder garnicht
gepanzerte Teile trifft. Ihr Wirkungsbereich ist also durch die von Jahr zu Jahr
immer grössere Teile des Schiffes deckende Panzerung sehr eingeschränkt worden. Doch
sind noch genug Objekte für sie da, beispielsweise die leichte
Torpedoabwehrartillerie, die Masten und Schornsteine und andere leichte
Deckaufbauten. Auch ist die moralische Wirkung des furchtbaren Knalles, mit dem die
Granate explodiert, nicht zu unterschätzen. Die gewöhnliche Granate ist aus
Gusseisen und mit Schwarzpulver geladen. Bei der Zerlegung des Geschosskörpers
ergibt die Schwarzpulvergranate relativ wenige aber wuchtige Sprengstücke von
grosser Wirkung gegen die Schiffskonstruktion. Der Rauch der Schwarzpulver-Explosion
verdeckt dem getroffenen Gegner das Gesichtsfeld und erleichtert zugleich die
Beobachtung der Trefferwirkung vom eigenen Geschütz aus. Die Sprenggranate, auch
Brisanzgranate genannt, ist mit einem der bekannten, brisanten Sprengstoffe, mit
Lyddit, Mellinit, Pikrinsäure oder dergleichen gefüllt. Die sehr heftige Detonation
dieser Stoffe zerlegt die Sprenggranate in unzählige, kleine Splitter, deren Wirkung
gegen den Schiffskörper allerdings gering, um so grösser aber gegen die Besatzung
ist, falls die Granate im Schiffsraum platzt. Die Sprenggranate wirkt ferner durch
den sehr hohen Gasdruck, den sie bei der Detonation erzeugt und mit dem allein sie
imstande ist, leichtere Wandungen und Decks zu verbiegen oder zu zerstören. Die
Sprenggase sind zudem entweder direkt giftig oder machen doch durch Behinderung der
Atmung den Aufenthalt in dem betreffenden Raume unmöglich. Die Detonation der
Sprengladung erfolgt beim Aufschlag des Geschosses. Um die Spitze des Geschosses
widerstandsfähiger zu machen, ist der Zünder meistens in den Boden der Granate
verlegt (s. besonders Fig. 26, links und von rechts
die dritte hohe Patrone, deren Geschoss im Schnitt gezeigt ist). –
Die ungeheure Sprengkraft der brisanten Sprengstoffe, die sie gegen Mauern, Felsen
und dergleichen entfalteten, war geeignet, die übertriebensten Erwartungen bei ihrer
Einführung für Kriegszwecke zu wecken. Besonders in Nordamerika zeitigte die
Anschauung, dass es möglich sein müsse, mittels eines Geschosses mit einer genügend
grossen Menge von Sprengstoff ein ganzes Fort oder ein Linienschiff mit einem
Schlage zu vernichten, „wegzublasen“, eine Reihe von Versuchen mit
sogenannten Dynamitgeschützen. Die Versuche waren um so kostspieliger, als man mit
dem Bau solcher Geschütze, sogar eines Dynamitkreuzers (Vesuvius), der solche Geschütze als
Hauptbewaffnung führt, sehr rasch bei der Hand war, statt zuerst einmal den relativ
billigen Versuch zu machen, wie denn eigentlich die Detonation einer recht
grosskalibrigen Granate mit möglichst brisantem Sprengstoff auf eine Panzerplatte
wirkt. Derartige Versuche haben nämlich den Nachweis erbracht, dass ein Panzer der
üblichen Stärke kaum nennenswerte, oberflächliche Eindrücke erleidet, im übrigen
aber weit davon entfernt ist, zu zerbrechen. Es ist eben ein grosser Unterschied, ob
das Sprengzentrum sich an dem Gegenstand befindet wie
bei der Panzerplatte, oder in dem Körper, wie bei
Felsensprengungen, ganz abgesehen von der verschiedenen Festigkeit beider
Stoffe.
Das Fortschleudern der Geschosse wird bei den Dynamitgeschützen, von denen einige
auch zum Schutz der Häfen von New York und San Francisco aufgestellt sein sollen,
durch Pressluft bewirkt, die in Akkumulatoren auf mehrere hundert Atmosphären
verdichtet ist und nach öffnen eines Hahnes auf das Geschoss treibend wirkt. Die
Geschütze sind sehr schwerfällig, weil aussergewöhnlich lang. Wille spricht von einem solchen, das bei 20 cm Kaliber
18 m, das sind 90 Kaliber, lang ist! Dazu kommt, dass die Schussweite im Vergleich
mit den üblichen Schiffsund Küstengeschützen klein ist (2–4000 m) und dass die
Treffsicherheit bei den wenigen Versuchen, die mit geladenen Geschossen angestellt
wurden, sich ebenfalls als sehr gering erwiesen hat. Die Geschosse sind für ihr
Kaliber ebenfalls unverhältnismässig lang und sollen je nach dem Kaliber 200–500 kg
Dynamit enthalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese gegenüber den üblichen
Geschossen allerdings sehr grosse Menge Sprengstoff das Ziel überhaupt erreicht, ist
nach dem oben über Treffsicherheit und Schussweite Gesagten nicht sehr gross.
Neuerdings sind in den Vereinigten Staaten von Nordamerika wiederum Versuche mit
einem Sprenggeschoss gemacht worden, denen mit einer gewissen Spannung
entgegengesehen wurde, weil es sich dabei um ein Geschoss handelt, das aus einem
gewöhnlichen 30,5 cm-Geschütz (also unter Anwendung rauchlosen Pulvers) verschlossen
ist. Dieses in Fig. 39 abgebildete Geschoss wird
nach dem Erfinder „Jsham-Granate“
(Isham-Torpedo-Shell) genannt. Das Geschoss a ist 5
Kaliber, also 1,5 m lang, der Höhe nach in zehn Kammern nn geteilt, die durch starre Scheidewände ee
von einander getrennt sind. Die Kammern werden durch verschraubbare Oeffnungen i mit Sprengladung gefüllt und stehen durch Kanäle f mit dem im Kern c
längslaufenden Zündkanal g in Verbindung, der von dem
Aufschlag-Bodenzünder l herkommt. Die Teilung in
Kammern verfolgt den Zweck, den Stoss, den der Sprengstoff beim Abfeuern infolge
seiner Trägheit erleidet, schichtenweise abzufangen und dadurch Rohrdetonierer zu
verhindern, die entstehen könnten, wenn im Sprengstoff infolge zu grosser Höhe der
Sprengstoffsäule in den Bodenschichten ein zu hoher innerer Druck entstehen
würde. Nach der Zeitschrift Scientific American
vom 4. November 1905 wog die Sprengladung der Granate bei dem Schiessversuch 90 kg.
Der Sprengstoff bestand aus 8 v. H. Nitrozellulose, 2 v. H. Kampher und 90 v. H.
Nitroglyzerin. Als Scheibe diente eine Kruppsche
Panzerplatte (gehärteter Nickelstahl) von 290 mm Stärke, die an einer Eichenholzwand
von 150 mm Dicke befestigt war. Dahinter war in Eisenkonstruktion ein Stück einer
Schiffswand nachgeahmt, die durch kräftige Balken und angeschüttete Landmassen nach
hinten abgestützt war. Bei der mit dem Auftreffen erfolgten Detonation der Granate
blieb die Scheibe bis auf oberflächliche Eindrücke unverletzt, wurde aber als Ganzes
etwa 175 mm von der Stelle gerückt. Man nimmt an, dass im Ernstfalle die Elastizität
des Schiffskörpers diesen Stoss ohne Schaden zu nehmen aufgenommen haben würde, da
der Panzer heil blieb. Der Versuch wird in Fachkreisen nur als ein neuer Beweis
dafür aufgefasst, dass ein modernes Linienschiff, soweit sein Panzer reicht, gegen
die schwachwandigen, eigentlichen Granaten gedeckt ist.
(Fortsetzung folgt.)