Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. |
Autor: | Oscar Koch |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 312 |
Download: | XML |
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Von Oscar Koch,
Gross-Lichterfelde, West.
(Fortsetzung von S. 298 d. Bd.)
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Zur weiteren Erläuterung des Vorgesagten soll zunächst an Hand der
massgebendsten Typen die allgemeine Anordnung der Fahrzeuge besprochen werden, ohne
deren einzelne Organe näher zu erörtern, da sie in den späteren Kapiteln eingehend
behandelt werden.
Textabbildung Bd. 321, S. 312
Fig. 38. Einzylinder-Motorfahrrad von Göricke.
I. Personenfahrräder.
a) Einzylindrige,
Fahrzeuge.
Der Bau der Motorzweiräder ist im grossen ganzen auf einer so hohen Stufe
angelangt, dass es bei den diesjährigen Modellen auf den ersten Blick erscheint,
als weichen sie nicht von denjenigen D. p. J. 1905, 320, 262 u. ff. ab. Bei näherer Betrachtung findet man aber, dass doch
alle Teile Verbesserungen erfahren haben, und seien es auch nur solche, die die
Benutzung angenehmer machen.
So hat auch die diesjährige Berliner Internationale Automobilausstellung den
Beweis geliefert, dass die Fabrikation des Motorzweirades sowie des
Warentransportdreirades keineswegs stehen geblieben ist. Wie beim Motorwagenbau
alles aufgeboten wird, neben dem Ausbau der Motoren und ihrer Organe
grösstmöglichste Bequemlichkeit für den Reisenden zu schaffen und auch den
Führer selbst bei der Bedienung des Motors durch Verwendung möglichst vieler
selbsttätig wirkender Anordnungen zu entlasten, so herrscht auch bei den
zwei- und dreirädrigen Fahrzeugen dasselbe Bestreben vor.
Ein Blick auf das Motorzweirad (Fig. 38) der Bielefelder Maschinen- und Fahrradwerke, Aug.
Göricke in Bielefeld genügt, um zu sehen, dass das Fahrzeug aufgehört
hat, ein gewöhnliches Tretrad mit eingebautem Motor zu sein. Der Rahmen ist nach
Fig.
8 S. 295 konstruiert und so niedrig gehalten, dass das Fahrzeug, vom
Erdboden bis zum Sattel nur 740 mm misst. Der Motor hat 80 mm Zylinderbohrung
und 85 mm Hub bei 3 PS. Der Magnet-Apparat ist wagerecht hinter dem Motor so
tief angeordnet, dass die Wärmeausstrahlung des Motors nicht ungünstig auf ihn
einzuwirken vermag.
Textabbildung Bd. 321, S. 312
Fig. 39. Einzylinder-Motorfahrrad von Nevoigt.
Als recht moderne Type kann das 3 PS.-Fahrzeug (Fig.
39) der Diamant-Fahrradwerke, Gebr.
Nevoigt in Reichenbrandt-Chemnitz gelten. Der nach Fig. 10
konstruierte Rahmen ist zwar höher als der vorhergehende und misst vom Erdboden
bis Oberkante des oberen Rahmenrohres 765 mm bei 1400 mm Radstand. Der Grund,
den Rahmen höher zu bauen war, eine möglichst bequeme Haltung der Beine auf den
Pedalen zu ermöglichen, dagegen ist der in Fig.
38 gezeigte dadurch vorteilhafter, dass man sofort beim Ausstrecken
der Beine auf dem Boden steht. Der Magnet-Apparat hat auch hier eine gute Lage.
Er sitzt auf einer Platte, die mit der hinteren Klaue des Rahmens ein Stück
bildet.
Die Reguliervorrichtungen sind mit Ausnahme der später zu beschreibenden
Drosselvorrichtung an die Lenkstange verlegt.
Die Bremsvorrichtung ist dadurch vereinfacht, dass sie mit dem linken Fuss durch
Zurücktreten der Kurbel betätigt wird.
Textabbildung Bd. 321, S. 313
Fig. 40. Einzylinder-Motorfahrrad von Conrad & Patz.
Bei der Konstruktion (Fig. 40) der Excelsior Fahrradwerke Gebr. Conrad & Patz in
Brandenburg a. H. ist der Raum zwischen dem in Fig. 11 S. 295
erwähnten senkrechten Versteifungsrohr f und dem
Sattelstützrohr zur Unterbringung eines grösseren Werkzeugkastens ausgenutzt, so
dass ausser einer grösseren Anzahl Werkzeuge auch noch Ersatzteile leicht
mitgeführt werden können.
Der Oelbehälter ist vom Benzinbehälter getrennt, so dass letzterer
ausschliesslich für Benzin dient, von dem er 13 Liter fasst. Der Oelbehälter
sitzt dabei über ihm, so dass der Fahrer, ohne absteigen zu müssen, dem Motor
während der Fahrt Oel zuführen kann. Auch gestattet diese Anordnung jederzeit
den Oelvorrat zu kontrollieren.
Zum Antrieb des Fahrrades dient der Fafnir-Motor D. p. J. 1905, 320, 312, mit magnet-elektrischer Bosch-Zündung. Die Unterbrechung der Zündung
erfolgt von einem kleinen Druckknopf am linken Lenkstangengriff aus; zum
Verstellen des Zündzeitpunktes dient der links am Scheitelrohr drehbare Hebel,
während der rechte den Regulator betätigt (D. p. J. 1905, 320, 313 und Fig. 36 und 37 S. 314). Er ermöglicht, auf das
Ansaugventil so einzuwirken, dass es sich entweder ganz oder nur teilweise
öffnet. Durch diese Einrichtung wird die sonst übliche Drosselklappe
überflüssig. Die Regelung des Gemisches durch mehr oder weniger starke
Luftzufuhr erfolgt durch die am Benzinbehälter senkrecht geführte Stange. Ferner
hat die Bremse eine Verbesserung erfahren. Durch Anbringung eines
Uebersetzungshebels ist die Bremswirkung vergrössert und zugleich der
Bowdendraht entlastet.
Diesem Fahrzeug ganz ähnlich ist dasjenige der Brennabor-Fahrradwerke, dessen Rahmen in Fig. 12 S. 295
dargestellt ist. Fig. 41 zeigt eine Ausführung
der Mars-Werke A.-G. in Nürnberg-Doos. Sie besitzt
den 3¾ PS.-Zedel-Motor (D. p. J. 1905, 320, S. 331,
Fig. 48) mit 75 mm Bohrung, 80 mm Hub und 1800–2000 Umdrehungen. Der Oelbehälter
ist hier, wie allgemein üblich, in den Benzinkasten mit eingebaut, er fasst
daher etwa vier Liter weniger als obiger. Das Unterbrechen der Zündung
erfolgt im Gegensatz zu Fig. 40 durch leichtes
Anziehen des rechts an der Lenkstange sitzenden Hebels; durch stärkeres Anziehen
desselben tritt die Hinterradbremse in Tätigkeit. Hier ist also die Betätigung
zweier Organe auf einen Hebel vereinigt, so dass
man bei Gefahr, wo schnelles Anhalten geboten ist, nicht erst nötig hat, die
Zündung abzustellen und dann zu bremsen; sondern durch kräftiges Anziehen des
erwähnten Hebels ist zugleich beides erreicht. Sobald der Hebel wieder
losgelassen wird, geht er in seine alte Stellung zurück, die Bremse löst sich
und die Zündung ist wieder eingeschaltet. Diese Aus- und Einschaltung hat sich
bisher recht gut bewährt und bietet die grösste Sicherheit dadurch, dass das
Fahrzeug, wenn noch mit Nabeninnen- oder Fussbandbremse versehen, sofort zum
Stillstand gebracht werden kann. Die Höhe des Rahmens ist 535 mm.
Die Motorenfabrik „Magnet“ in
Berlin-Weissensee hat dem Auspufftopf eine vorzügliche Lage gegeben, indem sie
ihn (Fig. 42) zwischen der unteren
Hinterradgabel hindurchführt. Diese Anordnung bringt ihn ganz aus dem Bereich
des Magnet – Apparates. Der Motor besitzt Abreisszündung. Der Hebel zum Regeln
des Gasgemisches, sowie derjenige zur Gasdrosselung sind nebeneinander in der
Mitte des oberen Rahmenrohres gelagert, während der am rechten Lenkstangenarm
befindliche zum Oeffnen des Auspuffventils dient. Die Bremsen sind als
Bandbremsen ausgebildet; die des Vorderrades wird durch den Bremshebel, der auch
hier gleichzeitig die Zündung unterbricht, die des Hinterrades dagegen durch
Rückdruck der Tretkurbel betätigt. Der Benzinbehälter fasst etwa 7 Liter, die
für ungefähr 180 km Fahrt ausreichen. Die innerhalb des 1½ Liter haltenden
Oelbehälters angeordnete Pumpe füllt sich stets selbsttätig und wird während der
Fahrt durch Niederdrücken des vorne am Benzinbehälter sichtbaren Knopfes
betätigt. Das Gewicht des ganzen Fahrzeuges beträgt 62 kg.
Textabbildung Bd. 321, S. 313
Fig. 41. Einzylinder-Motorfahrrad der Mars-Werke.
Bei den bis jetzt beschriebenen Fahrzeugen ist das Ansaug- sowie das
Auspuffventil gesteuert, während die Adler-Fahrradwerke
vorm. H. Kleyer in Frankfurt a. M. wieder zur alten Methode übergehen,
und das Ansaug-Ventil automatisch arbeiten lassen. Eine wesentliche Verbesserung
hat die Vorrichtung zum Regeln der Luftzufuhr erhalten. Sie bestand bekanntlich
bis jetzt darin, dass am Vergaser verschliessbare Oeffnungen vorgesehen
sind, die mittels Schieber mehr oder weniger geöffnet werden. Beim Adler-Vergaser ist statt dessen ein unter
Federdruck stehendes Kegelventil vorgesehen, das sich innerhalb des Vergasers
und zwar unterhalb des Zerstäuberkegels befindet.
Textabbildung Bd. 321, S. 314
Fig. 42. Einzylinder-Motorfahrrad der Motorenfabrik
„Magnet“.
In der Mitte über dem Vergaser ist eine Spindel aufgesetzt
und am oberen Rahmenrohr gelagert (Fig. 43). Mit
dieser Spindel wird nun die Luftregulierung ein für allemal eingestellt, d.h.
die Feder mehr oder weniger gespannt, und der Vergaser arbeitet sozusagen
automatisch. Ein weiterer Vorteil ist, dass die gesamte Luft stets durch den
Trichter vorgewärmt in den Motor eintritt, und zwar unterhalb der
Zerstäuberdüse, während bei der sonst üblichen Anordnung die normal zugeführte
Luft unter der Düse, die Zusatzluft dagegen stets über ihr eintritt. Im
letzteren Fall kann die Mischung also erst über der Düse, oder gar erst im
Zuleitungsrohr erfolgen; ausgeschlossen ist dabei nicht, dass sogar ein Teil der
Zusatzluft noch vor dem Benzingemisch in den Zylinder eintritt. Die
Gasdrosselung ist vom Vergaser getrennt in das Zuleitungsrohr eingebaut.
(Näheres hierüber später.)
Textabbildung Bd. 321, S. 314
Fig. 43. Einzylinder-Motorfahrrad der Adler-Fahrradwerke.
Die Vorrichtung zum Verstellen des Zündzeitpunktes hat dahingehend eine
Vereinfachung erfahren, dass der sonst übliche, am oberen Rahmenrohr drehbar
gelagerte Hebel in Fortfall gebracht ist, so dass jetzt das Verstellen des
Zündzeitpunktes durch Drehen des rechten Lenkstangenhandgriffes erfolgt. Durch
Drehen des linken wird die Zündung ein- oder ausgeschaltet, während das Oeffnen
des Auspuffventils durch den links an der Lenkstange sitzenden Hebel mittels
Bowdendraht geschieht. Auch hier ist zum schnellen Anhalten des Fahrzeuges der
Zündungsunterbrecher mit der Vorderradbremse vereinigt. Ausserdem ist eine
Rücktrittnabeninnenbremse vorgesehen. Das Bestreben, sämtliche Regulierungen von
der Lenkstange aus betätigen zu können, hat sich hier erfüllt, zumal auch die
Luftregulierung nur bei Beginn der Fahrt eingestellt zu werden braucht.
Paul Erbrecht, Gouverneur-Fahrradwerke in
Braunschweig vereinigt wie die Neckarsulmer
Fahrradwerke die Luftzuführung mit dem Drosselhahn, der aber nicht wie
dort am Vergaser selbst, sondern in das Zuleitungsrohr eingebaut ist. Die übrige
Betätigung ist wie bei Adler (Fig. 43), auch die magnet-elektrische Zündung ist
dieselbe wie dort (Bosch-Zündung). Ebenso besitzt der Motor automatisches
Ansaugventil, was eine Vereinfachung dem gesteuerten gegenüber ist, denn das
Gestänge mit seinen reibenden Teilen ist dadurch beseitigt, ohne die
Leistungsfähigkeit des Motors zu beeinträchtigen. Dass trotzdem die meisten
Firmen das vor einigen Jahren aufgekommene „mechanisch gesteuerte
Ansaugventil“ weiter verwenden, bezeichnet z.B. Ingenieur Paul Erbrecht als „Modesache“; er gibt
folgende treffende Begründung für den Vorzug des selbsttätig gesteuerten
Ventils:
„Die Anwendung des mechanisch gesteuerten Ventils bedeutet stets eine
vergrösserte Komplikation, die absolut nicht im Verhältnis zu den erreichten
Vorteilen steht. Das Ventil bricht leichter, weil es brutaler arbeitet; es
ist also ein Ersatzstück mehr, welches man mitnehmen muss; der Motor wird
schwerer und weniger leicht zugänglich.
Es heisst zwar, dass dieses Ventil weniger geräuschvoll arbeite, doch kann
hiervon niemals der ruhige Gang des Motors abhängig sein. Ferner wird
behauptet und als Vorteil gerühmt, dass es sich stets zum gleichen Zeitpunkt
hebt, und während der ganzen Ansaugperiode in dieser Stellung bleibt, das
Ansaugen also früher beginnt und folglich länger dauert, wodurch die Kraft
des Motors erhöht wird, zudem hat der Kolben keine Federkraft zu
überwinden.
Diesem muss nun aber entgegengehalten werden, dass es nötig ist, den
Schlussmoment des Ventils so einzustellen, dass der Schluss bereits vor dem
Hubende erfolgt, weil sonst irgend welche kleine Montagefehler und der
passive Widerstand des Ventilkegels ein zu spätes Schliessen zur Folge haben
würde.
Anderseits beträgt bei einem automatischen
Saugventil der Verlust durch den Widerstand der kleinen Feder noch nicht 1/30 des
Zylinderinhaltes, so dass das gesteuerte Ventil
nur bei ganz grossen Motoren von etwa 12 PS. einen gewissen Vorteil bringen
könnte und zwar infolge der mit der Zylindergrösse an Grösse und somit auch
an Gewicht zunehmenden Schwere des Ventilkegels.
Nun ist aber bekannt, dass die aus dem Vergaser kommenden kalten Gase sich im
Zylinder plötzlich bedeutend ausdehnen; wenn sich nun der Motor nicht sehr
schnell dreht, genügt diese Ausdehnung schon, um einen Teil der Gase
herauszutreiben. Während nun ein automatisches
Ansaugventil seiner Bestimmung getreu die Gase zurückhält, lässt das gesteuerte sie einfach entweichen. Aus obigem
geht nun hervor, dass die Anwendung des „mechanisch gesteuerten
Ansaugventils“ keineswegs gerechtfertigt ist, und es verkehrt wäre,
ein Organ, das bis jetzt gute Resultate ergab, durch ein anderes,
komplizierteres zu ersetzen.“
(Fortsetzung folgt.)