Titel: | Ueber die Formänderung von Drahtseilen. |
Autor: | Hirschland |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 279 |
Download: | XML |
Ueber die Formänderung von
Drahtseilen.
Von Diplom-Ingenieur Hirschland, Essen.
(Schluss von S. 268 d. Bd.)
Ueber die Formänderung von Drahtseilen.
Versuche. Die Versuche wurden mit den oben
erwähnten drei Drahtseilen und mit vier verschiedenen Rollen vom Durchmesser 300 mm,
400 mm, 500 mm und 600 mm vorgenommen. Für jeden Einzelfall wurden die Verlustkräfte
(V1
+ V2) festgestellt. Sie
schwankten je nach der Grösse der Rolle zwischen den Werten 0,75 kg und 1,13 kg. Der
Weg der Rolle R wurde jedesmal zu 2 m gewählt und mit
Hilfe eines Zählwerks an der Winde W
(Fig. 18) genau innegehalten. Mit Hilfe dieses
Zählwerks und einer Stoppuhr wurde für möglichst gleichmässige Drehung gesorgt, um
Beschleunigungen und Verzögerungen der Massen zu vermeiden. Gleichwohl konnte
natürlich ein vollkommen gleichmässiges Kurbeln an der Winde durch Handantrieb nicht
erzielt werden. In den Diagrammen zeigte sich dies an dem wellenförmigen Verlauf der
Linien. Auch verursachten Unregelmässigkeiten im Drahtseil, wie kleine Verdickungen,
starkes vorausgegangenes Biegen oder Klemmen Unregelmässigkeiten im Diagramm.
Der divergierende Verlauf der beiden Diagrammlinien beim Heben und Senken der Rolle
war eine Folge des Hebens und Senkens der Seilbelastung P. Entsprechend den Gleichungen:
Textabbildung Bd. 321, S. 280
Fig. 20 Diagramm für Seil No. II, Rollendluchmesser 300 mm, Belastung = 1000
kg.
Textabbildung Bd. 321, S. 280
Fig. 21. Diagramm für Rollendurchmesser = 300 mm.
Textabbildung Bd. 321, S. 280
Fig. 22. Diagramm für Seil No. I.
4S
= (D1
– D2) – (V1
+ V2)
und
0
= (D'1
– D'2) – (V1 + V2) ergibt
sich:
4S
= (D1 – D2) – (D'1
– D'2),
jede der vier rechtsstehenden Grössen der letzten
Gleichung wird für sich gemessen. Die Art der Auswertung der Versuchsergebnisse ist
an einem Beispiel in den Fig. 20 und 21 dargelegt.
So ergibt sich für Seil II und einem Rollendurchmesser von 300 mm bei einer Belastung
von 1000 kg
(D1 –
D2) im Mittel 46,3
mm
(D'1
– D'2) im Mittel 2,3
mm.
Textabbildung Bd. 321, S. 281
Fig. 23, Diagramm für Seil No. II.
Seil No. I. Tabelle 16.
Belastung Pin kg
Seilsteifigkeitswiderstand S in kg bei
300 mm φ
400 mm φ
500 mm φ
600 mm φ
100
0,94
0,65
0,48
0,39
200
1,51
1,15
0,76
0,63
300
2,01
1,40
1,02
0,83
400
2,52
1,76
1,30
1,05
500
2,99
2,08
1,56
1,24
600
3,50
2,42
1,78
1,44
700
3,95
2,75
1,96
1,63
800
4,40
3,04
2,24
1,81
900
4,76
3,31
2,30
1,97
1000
5,22
3,61
2,60
2,15
Folglich ist: 4S = (46,3 – 2,3)
0,73 = 44 . 0,73 = 32,12 kg
S = 8,03 kg.
Jeder Versuchsfall wurde sechs mal wiederholt. Nennenswerte Abweichungen konnten
hierbei nicht festgestellt werden. Die Ergebnisse sind in den folgenden Tab. 16–19
für die verschiedenen Durchmesser zusammengestellt. Die ersten Reihen enthalten die
Belastungen P in Kilogramm, die folgenden den
Seilsteifigkeitswiderstand S in Kilogramm.
Seil No. II. Tabelle 17.
Belastung Pin kg
Seilsteifigkeitswiderstand P in kg bei
300 mm φ
400 mm φ
500 mm φ
600 mm φ
100
1,54
1,07
0,80
0,63
200
2,41
1,70
1,23
0,99
300
3,21
2,36
1,67
1,32
400
3,97
2,84
2,07
1,63
500
4,69
3,40
2,45
1,93
600
5,37
3,76
2,81
2,21
700
6,05
4,19
3,17
2,49
800
6,75
4,60
3,53
2,70
900
7,37
4,98
3,83
2,96
1000
8,01
5,38
4,19
3,20
Seil No. III. Tabelle 18.
Belastung Pin kg
Seilsteifigkeitswiderstand S in kg
bei
300 mm φ
400 mm φ
500 mm φ
600 mm φ
100
2,16
1,49
1,06
0,84
200
3,24
2,30
1,65
1,32
300
4,34
2,99
2,15
1,76
400
5,55
3,73
2,69
2,22
500
6,48
4,35
3,13
2,54
600
7,42
4,97
3,59
2,92
700
8,30
5,65
4,05
3,24
800
9,20
6,29
4,53
3,56
900
9,98
6,80
4,93
3,96
1000
10,80
7,39
5,35
4,24
Textabbildung Bd. 321, S. 282
Fig. 24, Diagramm für Seil No. III.
Folgerungen aus den Versuchen. Durch die drei letzten
Tabellen ist die Abhängigkeit des Seilsteifigkeitswiderstandes von der Belastung in
Richtung der Seilachse und von dem Krümmungsdurchmesser wiedergegeben. In den Fig. 22, 23 und 24 sind die drei Grössen in einem dreiachsigen
Koordinatensystem aufgetragen. Es zeigt sich übereinstimmend, dass der
Steifigkeitswiderstand mit zunehmender Belastung steigt und mit wachsendem
Durchmesser abnimmt.
Tabelle 19.
Seil No. ILast = 400 kg
Seil No. IILast = 800 kg
Seil No. IIILast = 100 kg
300 mm φS =
400 mm φS =
300 mm φS =
400 mm φS =
300 mm φS =
400 mmφS =
Eigener Versuch
2,52
1,76
6,75
4,60
10,80
7,39
Nach Weisbach
6,84
5,26
13,20
10,02
16,38
12,42
Nach Redtenbacher
6,74
5,8
22,24
16,68
37,90
28,40
Nach Grashof
1,64
1,28
4,44
3,40
7,46
5,70
Es wird von Interesse sein, den sich bei normaler Belastung und normalem
Rollendurchmesser ergebenden Steifigkeitswiderstand mit dem zu vergleichen, der sich
nach den FormelnVergl. D. p. J. S.
209. von Weisbach, Redtenbacher und
Grashof ergibt. Deshalb sind für die normalen
Rollendurchmesser und für die normale Betriebslast, nämlich für
Seil No.
I
400 kg
Seil No.
II
800 kg
Seil No.
III
1000 kg
die verschiedenen Werte der Seilsteifigkeit nach den drei Formeln
zusammengestellt und mit den Ergebnissen der vorstehenden Versuche verglichen.
Betrachtet man in den Fig. 22, 23 und 24 den
Charakter der durch den Versuch gefundenen Kurven, so zeigt sich, dass die
Abhängigkeit des Steifigkeitswiderstandes von der Belastung nahezu linear und vom
Durchmesser nahezu hyperbolisch ist, wie das ja auch in den bisherigen Formeln zum
Ausdruck kam. Auch bestätigt sich wieder, dass die Arbeit ungefähr mit dem Quadrat
des Seildurchmessers wächst. Da sehr erhebliche Abweichungen zwischen den
Ergebnissen nach den bisherigen Formeln und nach den eigenen Versuchen bestehen, so
ist versucht worden, für letztere eine neue Gleichung aufzustellen, in der die
normalen Lasten und normalen Durchmesser besondere Berücksichtigung gefunden haben.
Diese Formel würde etwa lauten:
S=\frac{P+120}{D-10}\,d^2
worin
S den SeilsteifigkeitswiderstandSiehe D. p. J. S. 209. in kg,
P die Belastung eines Seilendes in
kg,
D den Rollendurchmesser in cm,
d den dem Umhüllungskreis des Seiles
entsprechenden Durchmesser in cm bedeutet.
Die aus der neuen Gleichung berechneten Werte sind in den Fig. 22, 23 und 24 eingetragen.
Natürlich hat die Gleichung zunächst nur für die drei Versuchsseile mit Kreuzschlag
Gültigkeit. Es ist wahrscheinlich, dass sich bei Seilen mit anderer Konstruktion und
anderen Drahtstärken andere Konstanten ergeben werden. Auch werden sich durch den
Betrieb die Verhältnisse ändern: Durch die Reibung findet ein Verschleiss der Drähte
statt, so dass sich infolgedessen andere Druck- und Reibungsverhältnisse ergeben wie
beim neuen Seil. Ausserdem werden Rostbildungen von Einfluss sein. Auch werden bei
einer Seilübertragung infolge des einseitigen Kraftangriffes der Seilrolle am Seil
sich die mit der Scheibe in Berührung kommenden Drahtelemente verhältnismässig
stärker dehnen als bei zentrischem Kraftangriff, und dadurch in den
Biegungsverhältnissen Aenderungen eintreten.
Versuche mit einem geölten Seil. Um den Einfluss
der Schmierung auf die Seilsteifigkeit zu untersuchen, wurde das Seil No. III 60
Stunden in ein Oelbad gelegt und die Biegungsversuche wiederholt.
Merkwürdigerweise ergab sich hierbei kein Unterschied gegen die früheren Versuche.
Diese Tatsache gibt zu der Vermutung Anlass, dass bei dem grossen spezifischen Druck
zwischen den Seilelementen eine Oelschicht sich nicht bilden oder halten kann, so
dass die Berührung metallischer Art bleibt. Die Versuche stehen im Widerspruch zu
denen von WeisbachSiehe Anmerkung 6 S. 209., der gefunden hat, dass „der
Widerstand bei eingeölten oder frisch geteerten Drahtseilen um 40 v. H. kleiner
ist als bei trockenen“.
Zusammenfassung der Ergebnisse.
Die Ergebnisse der Versuche sind im Folgenden kurz zusammengestellt:
Wird ein neues Drahtseil einer Zugbelastung unterworfen, so tritt eine grosse
bleibende Dehnung auf.
Die unter einer Last auftretende Dehnung eines neuen Seiles wächst mit der Zeit bis
zu einem Höchstwert.
Nachdem ein Seil einer dauernden Höchstbelastung ausgesetzt worden ist, so dass die
bleibenden Dehnungen nicht mehr zunehmen, entsprechen jeder Belastung eines Seiles
verschiedene Längen, welche zwischen zwei äussersten Grenzen schwanken.
Bei einem durch eine Zugkraft beanspruchten und an der Aufdrehung gehinderten
Drahtseil treten bei meinen Versuchen innere Reibungen zwischen den Drahtelementen
auf, ebenso bei einem auf Biegung beanspruchten Seil.
Der Dehnungskoeffizient der untersuchten Drahtseile nimmt in Uebereinstimmung mit
andern Versuchen mit wachsender Belastung ab.
Die Formeln von Weisbach, Redtenbacher und Grashof für den Steifigkeitswiderstand der
Drahtseile liefern für die untersuchten Seile mit Kreuzschlag keine brauchbaren
Werte.
Ein Einfluss der Schmierung des Seiles auf die Reibung zwischen den Seilelementen
konnte nicht beobachtet werden.