Titel: | Ueber die Formänderung von Drahtseilen. |
Autor: | Hirschland |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 250 |
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Ueber die Formänderung von
Drahtseilen.
Von Diplom-Ingenieur Hirschland, Essen.
(Fortsetzung von S. 239 d. Bd.)
Ueber die Formänderung von Drahtseilen.
c) Folgerungen aus den Versuchen. Bei den Versuchen
tritt eine grosse Anzahl beachtenswerter Erscheinungen zu tage.
In den Versuchen mit neuen Seilstücken des Seiles III (Tabellen 8 und 9, Fig. 10) wurde die Belastung einmal in Zwischenräumen
von 5 Minuten, ein anderes Mal von 20 Sekunden geändert. Man erkennt: Je längere
Zeit eine Belastung am neuen Seil wirken kann, eine umso grössere Verlängerung
bringt sie hervor.
Aus den mit den drei Seilen aufgenommenen Versuchen unter 1 und 2 geht folgendes
hervor: Wurde das bis zur Höchstlast belastete Seil wieder stufenweise entlastet, so
ergaben sich für Be- und Entlastung zwei Dehnungskurven. Nach vollständiger
Entlastung zeigte das Seil eine bleibende Verlängerung. Bei neuer Be-und Entlastung
ergaben sich Dehnungskurven, die von den bisherigen abwichen; die Verlängerungen
waren gegenüber denen des ersten Versuches noch gewachsen. (Fig. 8, 9 und 10).
Wurden dann die Seile, wie es in den Versuchen unter 3 geschah, längere Zeit ihrer
Höchstbelastung ausgesetzt, so zeigte sich, dass das Seil sich weiter längte, dass
aber die Verlängerungszunahme mit der Zeit geringer wurde und nach etwa 20 Stunden
nicht mehr messbar war.
Jedoch ergaben sich auch jetzt für Be- und Entlastung zwei verschiedene
Dehnungskurven, die bei Belastungsänderungen in verhältnismässig kurzer Zeit (etwa 5
Minuten) nahezu stetig verliefen. (Fig. 8, 9 und 10). Liess man
das Drahtseil unter einer gewissen Last stundenlang hängen, so strebte es einer
Mittellage zwischen den beiden Dehnungskurven zu.
Diese Erscheinungen sind wohl darauf zurückzuführen, dass Reibungen zwischen den
Seilelementen auftreten. Bei der Belastung wirkt die Reibung hindernd auf die
Längung, bei der Entlastung hindernd auf die Kürzung ein. Es ergeben sich also für
Be- und Entlastung zwei getrennte Dehnungskurven.
Bei dem Uebergang von der Belastung zur Entlastung und umgekehrt bildeten sich in den
Dehnungskurven Uebergangsstücke aus. Man kann daraus schliessen, dass das Seil aus
dem Zustand der kleineren Längung nur allmählich in den der grösseren übergeführt
werden kann und umgekehrt. Die Grösse dieser Uebergangsstücke war nicht mit
Genauigkeit festzustellen, doch scheint der Uebergang vom Entlastungszustand aus bei
Belastung von 100 bis etwa 300 kg und umgekehrt bei der Entlastung von 1000 bis etwa
600 kg vor sich zu gehen.
Hieraus geht hervor, dass ein vorher längere Zeit der Höchstlast ausgesetztes
Drahtseil bei gleicher Belastung verschiedene Längen zeigen kann, welche innerhalb
zweier Grenzlagen schwanken. Man kann daher wohl sagen: Der Abstand zwischen den
beiden Dehnungskurven, in der Belastungsrichtung gemesssen, entspricht der doppelten
Kraft, welche, in Richtung der Seilachse wirkend, zur Ueberwindung der Reibung
zwischen den Seilelementen nötig ist. In den Lagen, die zum Vergleich herangezogen
werden können, von etwa 300 kg bis 600 kg Last, verlaufen die beiden Dehnungskurven
für Be- und Entlastung mit nahezu gleichem Abstand, in der Belastungsrichtung
gemessen, und mit gleicher Krümmung. Auch ist der Abstand der beiden Kurven bei den
drei Seilen unter sich ziemlich gleich gross. Es hat daher m. E. den Anschein, als
ob die Reibung weniger von der Belastung und der Drahtzahl, als von der
Herstellung des Seiles abhängig ist. Doch konnte dies bei den wenigen
Versuchswerten, und weil nur Seile einer Herstellungsart untersucht wurden, nicht
mit Sicherheit festgestellt werden. Es ergaben sich aus den Diagrammen folgende
Werte:
Tabelle 11.
Seil I
Seil II
Seil III
Kraft in Richtung der Seilachse,welche zur Ueberwindung
derReibung zwischen den Seilele-menten aufzuwenden ist, in
kg
40
50
45
d) Formänderungsarbeit. Die Formänderungsarbeit der
Dehnung ist proportional der Fläche, welche begrenzt wird von der Dehnungskurve, den
Ordinaten des End- und des Anfangspunktes der Dehnungskurve und der Achse der
Verlängerungen.
Beim neuen Seil ist die Formänderungsarbeit von der Zeit abhängig, in der die
Belastung vorgenommen wird. Beim einmal gedehnten Seil hingegen ist sie nahezu
konstant. Durch Planimetrieren der Diagramme in den Fig.
8, 9 und 10 sind die Formänderungsarbeiten bei Be- und Entlastungen für die
gedehnten Seile festgestellt (s. Tab. 12). Die Fläche zwischen den Be- und
Entlastungskurven ergibt die Verlustarbeit.
Tabelle 12.
Seil I
Seil II
Seil III
Formänderungsarbeit bei Belas-tung von 100 kg auf 950 kg
für 1 m Drahtseil in mkg
1,205
0,775
0,63
Formänderungsarbeit bei Entlas-tung von 950 kg auf 100
kg für 1 m Drahtseil in mkg
1,085
0,665
0,56
Verlustarbeit bei Be- und Ent-lastung von 100 kg auf 950
kg auf100 kg für 1 m Drahtseil in mkg
0,120
0,110
0,07
Die Verlustarbeiten werden grösser ausfallen als bei diesen Versuchen, wenn das Seil
einer Zugbelastung ausgesetzt ist, unter der es sich aufdrehen kann.
e) Dehnungskoeffizient. Die Versuche haben ergeben, dass
die Länge des Seiles nicht allein von seiner Belastung abhängig ist. Jedoch
entsprachen jeder Belastung des Drahtseiles eine grösste und eine kleinste Länge und
damit zwei bestimmte Grenzlagen für die Dehnungskurven. Diese zeigen, dass bei dem
Drahtseil das Hooke'sche Gesetz der Proportionalität
zwischen Dehnung und Spannung nicht erfüllt ist. Bei steigender Belastung werden die
Verlängerungszunahmen kleiner, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass sich bei
vergrösserter Belastung einem radialen Zusammenziehen der Seile immer wachsende
Kräfte entgegenstellen.
Der Dehnungskoeffizient ist also veränderlich und soll folgendermassen festgelegt
werden: Während beim Proportionalitätsgesetz der Dehnungskoeffizient durch das
Verhältnis
\frac{\mbox{Dehnungszunahme}}{\mbox{Spannungszunahme}}=\frac{\Delta\,\varepsilon}{\Delta\,\delta}=\mbox{const}.
Seil No. I.
Tabelle 13.
Last P in
kg
100
200
300
400
500
600
700
800
900
950
\frac{P}{i\,\delta\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm
420
840
1260
1680
2100
2520
2940
3360
3780
3990
\frac{P}{k\,i\,\delta\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm
400
800
1200
1600
2000
2400
2800
3200
3600
3800
\frac{1}{\alpha_S} nach der Belastungskurve in kg/qcm
1280000
1420000
1470000
1480000
1490000
1500000
1500000
1500000
\frac{1}{\alpha_S} nach der Entlastungskurve in kg/qcm
680000
1030000
1260000
1420000
1470000
1500000
\frac{1}{\alpha_S} nach der Belastungskurve in kg/qcm
1230000
1350000
1400000
1410000
1420000
1430000
1430000
1430000
\frac{1}{\alpha_S} nach der Entlastungskurve in kg/qcm
650000
980000
1200000
1350000
1400000
1430000
\frac{1}{\alpha}\,\frac{1}{\alpha_1}
0,66
0,73
0,75
0,76
0,76
0,77
0,77
0,77
\frac{1}{\alpha_s}\,\frac{1}{\alpha_d}
0,35
0,53
0,65
0,73
0,75
0,77
\frac{1}{\alpha_s}\,\frac{1}{\alpha_d}
0,63
0,69
0,72
0,72
0,73
0,73
0,73
0,73
\frac{1}{\alpha_s}\,\frac{1}{\alpha_1}
0,33
0,50
0,62
0,69
0,72
0,73
Seil No. II.
Tabelle 14.
Last P in kg
100
200
300
400
500
600
700
800
900
950
\frac{P}{i\,\delta\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm
210
420
630
840
1050
1260
1470
1680
1890
1995
\frac{P}{k\,i\,\delta\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm
200
400
600
800
1000
1200
1400
1600
1800
1900
\frac{1}{\alpha_s} nach der Belastungskurve in kg/qcm
950000
1050000
1140000
1190000
1220000
1230000
1230000
1230000
\frac{1}{\alpha_s} nach der Entlastungskurve in kg/qcm
390000
750000
910000
1050000
1140000
1220000
\frac{1}{\alpha_s} nach der Belastungskurve in kg/qcm
910000
1000000
1080000
1130000
1160000
1170000
1170000
1170000
\frac{1}{\alpha} nach der Entlastungskurve in kg/qcm
370000
710000
870000
1000000
1080000
1160000
\frac{1}{\alpha_s}\,\frac{1}{\alpha_1}
0,49
0,54
0,58
0,61
0,62
0,63
0,63
0,63
\frac{1}{\alpha_s}\,\frac{1}{\alpha_1}
0,20
0,38
0,47
0,54
0,58
0,62
\frac{1}{\alpha_s}\,\frac{1}{\alpha_d}
0,47
0,51
0,55
0,58
0,59
0,60
0,60
0,60
\frac{1}{\alpha_s}\,\frac{1}{\alpha_1}
0,19
0,36
0,45
0,51
0,55
0,59
Seil No. III.
Tabelle 15.
Last P in kg
100
200
300
400
500
600
700
800
900
950
\frac{P}{i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm
170
340
500
670
840
1000
1170
1340
1510
1590
\frac{P}{k\,i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm
160
320
480
640
800
960
1120
1280
1440
1530
\frac{1}{\alpha_s} nach der Belastungskurve in kg/qcm
960000
1050000
1130000
1190000
1230000
1250000
1270000
1270000
\frac{1}{\alpha_s} nach der Entlastungskurve in kg/qcm
490000
780000
940000
1050000
1130000
1210000
\frac{1}{\alpha'_s} nach der Belastungskurve in kg/qcm
900000
990000
1060000
1120000
1160000
1180000
1200000
1200000
\frac{1}{\alpha'_s} nach der Entlastungskurve in kg/qcm
460000
730000
880000
990000
1060000
1140000
\frac{1}{\alpha_s}\,:\,\frac{1}{\alpha_d}
0,49
0,54
0,58
0,61
0,63
0,64
0,65
0,65
\frac{1}{\alpha_s}\,:\,\frac{1}{\alpha_d}
0,25
0,40
0,48
0,54
0,58
0,62
\frac{1}{\alpha'_s}\,:\,\frac{1}{\alpha_d}
0,46
0,51
0,54
0,57
0,60
0,61
0,62
0,62
\frac{1}{\alpha'_s}\,:\,\frac{1}{\alpha_d}
0,24
0,37
0,45
0,51
0,54
0,59
bestimmt ist, soll er hier bestimmt sein durch den Grenzwert
dieses Verhältnisses, also durch:
\alpha=\underset{\Delta\,\varepsilon=0}{\mbox{lim}}\,\frac{\Delta\,\varepsilon}{\Delta\,\sigma}=\frac{d\,\varepsilon}{d\,\sigma}.
Dieser Dehnungskoeffizient ist für die beiden Grenzkurven zu bestimmen. Dabei müssen
die Kurvenstücke, die sich durch den Uebergang von der Belastung zur Entlastung und
umgekehrt ergeben, ausgeschaltet werden. Der Berechnung der Spannung ist wiederum
die Summe der Drahtquerschnitte
q=i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}
und der Querschnitt senkrecht zum Seil
q^1=k\,i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}
zugrunde gelegt. Der Spannung \frac{P}{i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm entspreche
der Dehnungskoeffizient des Seiles αs in qcm/kg. Der Spannung \frac{P}{k\,i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}} in kg/qcm entspreche
der Dehnungskoeffizient des Seiles α's in qcm/kg.
Der reziproke Wert des Dehnungskoeffizienten des Drahtes ist \frac{1}{\alpha_d}=1950000
kg/qcm.
Die reziproken Werte des Dehnungskoeffizienten der Drahtseile sind in den Tabellen
13, 14 und 15 und in Fig. 11 niedergelegt und mit
dem des Drahtmaterials verglichen.
Textabbildung Bd. 321, S. 252
Fig. 11.
Es zeigt sich somit, dass die Dehnungskoeffizienten mit wachsender Spannung
wesentlich abnehmen, wie sich das auch bei allen bisherigen Untersuchungen gezeigt
hatte.
Versuche mit einem geölten Seil. Mit Seil No. III wurden
die Versuche wiederholt, nachdem das Seil mehrere Stunden in einem Oelbad gelegen
hatte. Ein Unterschied gegen die früheren Versuche konnte jedoch hierbei nicht
festgestellt werden.
(Fortsetzung folgt.)