Titel: | Bemerkung über die Beanspruchung gekröpfter Wellen. |
Autor: | Gustav Kull |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 219 |
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Bemerkung über die Beanspruchung gekröpfter
Wellen.
Von Gustav
Kull.
Bemerkung über die Beanspruchung gekröpfter Wellen.
Es ist bekannt, dass die Zapfen gekröpfter Wellen auf Biegung und Torsion
beansprucht sind. In Fig. 1 ist eine an der
Kröpfungsstelle eingespannt gedachte Welle gezeichnet. Der Auflagerwiderstand P wirke in Richtung senkrecht zur augenblicklichen
Stellung des Kurbelarms. Es werden nun vom Punkte Z aus
zwei Kraftpfeile von gleicher Grösse wie P, der eine,
Pt, in gleicher, der andere, Pb, in entgegengesetzter Richtung
aufgetragen; alsdann ist klar, dass der an der Einspannungsstelle gelegene
Querschnitt des Kurbelzapfens auf Biegung beansprucht wird durch ein Kräftepaar (P und Pb) und auf Torsion durch Kraft Pt.
Textabbildung Bd. 321, S. 218
Fig. 1.
Eine Analogie zu dieser Art zusammengesetzter Beanspruchung kann gefunden werden in
der Beanspruchung des trapezförmigen Querschnitts AA
des einfachen Kranhakens (Fig. 2), welcher
durch das Gewicht Q auf Zug und Biegung beansprucht
wird, während der Querschnitt B, dessen Schwerpunktin
der Wirkungslinie von Q liegt, nur Zuganstrengung
erleidet.
Textabbildung Bd. 321, S. 218
Fig. 2.
Dies ist leicht einzusehen; von der Beanspruchung des Kurbelzapfens hingegen ist zu
sagen, dass, so einfach sie sich auch durch die oben angestellte Betrachtung
analytisch bestimmen lässt, es doch schwer ist, dem gemäss dieser Betrachtung sich
abspielenden Deformationsvorgang mit dem Gefühl zu folgen. Es ist nicht so leicht,
sich vorzustellen, dass durch die Wirkung der Stangenkraft S (Fig. 3) im Kurbelzapfen eine
Torsionsbeanspruchung zustande kommen soll.
Tatsächlich ist auch in der Praxis die Ansicht viel verbreitet, dass der Kurbelzapfen
der gekröpften Welle nur auf Biegung, nicht auf Torsion zu rechnen sei. Dem
Verfasser ist ein Fall bekannt, wo ein Dozent einer technischen Lehranstalt, der
selbst schon mehrfach literarisch tätig war, seinen Kollegen gegenüber das Auftreten
von Torsionsspannung im Zapfen der gekröpften Welle bestritt, ohne eigentlichen
Widerspruch zu erfahren.
Die folgenden Ausführungen sollen dazu beitragen, diese Art zusammengesetzter
Beanspruchung der Vorstellung näher zu bringen.
Als Beispiel für die Erläuterung möge die in Fig. 3
gezeichnete gekröpfte Welle dienen. Die bei A
angreifende Kraft S sei senkrecht zur augenblicklichen
Stellung der Kurbelarme gerichtet. Die Welle werde an dei Drehung verhindert durch
einen Anschlag, welcher sich gegen die Kurbel C stemmt;
die Kurbelarme A und C
sollen gleichen Radius haben und in einer und derselben Ebene liegen. Die Abstände
CB, BA, AB1 sollen
gleich sein. Unter diesen Voraussetzungen erhält man für die Auflagerreaktion bei
B den Wert S, für die
Auflagerreaktion bei B1, sowie für die Kraft, mit welcher sich der
Zapfen C gegen den Anschlag stemmt, den Wert – S.
Textabbildung Bd. 321, S. 219
Fig. 3.
Um ein möglichst anschauliches Bild des Deformationsvorgangs zu erhalten, nehmen wir
an, der Querschnitt des Kurbelzapfens A sei so
gestaltet, dass er gegen Verdrehung sehr nachgiebig ist; wir stellen uns vor, der
Zapfen sei durch Zersägen in eine grosse Zahl wagerechter Schichten zerteilt, s.
Fig. 4. Die Widerstandsfähigkeit des Zapfens
gegen die biegende Wirkung der Stangenkraft S wird
dadurch so gut wie gar nicht gemindert. Hingegen soll verglichen mit der
Formänderung, welche durch die Tordierung des künstlich verschwächten Zapfens
verursacht wird, die Ausbiegung von Welle und Zapfen, sowie die Verdrehung der Welle
so klein sein, dass sie vernachlässigt werden kann; mit anderen Worten: Der Zapfen
A soll gegen Verdrehung so nachgiebig sein, dass
die von der Stangenkraft S verursachte Formänderung des
ganzen Systems mit genügender Genauigkeit als ausschliesslich durch Verdrehung des Kurbelzapfens A zustande gekommen
gedacht werden kann.
Textabbildung Bd. 321, S. 219
Fig. 4.
Textabbildung Bd. 321, S. 219
Fig. 5.
Textabbildung Bd. 321, S. 219
Fig. 6.
Wir denken uns nun die Welle bei A
durchgeschnitten: und eingespannt und betrachten das Stabstück AB1 (Fig. 5). Unter den soeben ausgesprochenen
Voraussetzungen wird die Bahn der durch die Lagerreaktion S verursachten Bewegung des Punktes B1 ein Kreisbogen um den Punkt E sein, dessen Länge gleich Δ sein soll; der Punkt B1 gelangt nach B'1. Da die Länge des Bogens Δ sehr gering ist, so kann derselbe, für diese Betrachtungsweise genügend
genau, als wagerechte Gerade aufgefasst werden. Die bei der Tordierung des
Kurbelzapfens von der Lagerreaktion geleistete Deformationsarbeit ist: S . Δ.
Tatsächlich liegt nun der Punkt B1 fest. Wenn wir den Stab bei A eingespannt denken und dann von einer Bewegung des
Stabendes B1 sprechen,
so versetzen wir uns in den Zapfen A hinein, dessen
Bewegung wir mitmachen, und die Bewegung des Stabendes, welche wir beobachten, ist
nur eine Relativbewegung. Dieser Relativbewegung des Stabendes entspricht eine
tatsächliche Bewegung des Punktes A, welche wir
folgendermassen feststellen.
Wir führen Punkt B'1 in
seine ursprüngliche Lage Br zurück, indem wir die Welle um den Punkt B
drehen; eine Drehung der Welle um ihre Achse finde
vorläufig statt; bei dieser Drehung um den Punkt B legt
der Punkt B'1 wiederum
einen praktisch als wagerechte Gerade aufzufassenden Bogen von der Länge Δ zurück, der Punkt A legt
den Weg \frac{\Delta}{2}, der Punkt C den Weg -\frac{\Delta}{2}
zurück. Hierbei gelangt A nach A' und C nach C'
und man erhält die in Fig. 6 ausgezogen gezeichnete
Lage. In Wirklichkeit ist nun aber auch eine Bewegung des Punktes C nach C' nicht denkbar,
da sich Kurbel C nicht von dem Anschlag entfernen wird.
Wir müssen auch diese Bewegung rückgängig machen und den Punkt C' in die Lage C
zurückführen. Dies geschieht durch Drehung der Welle um ihre Achse BB1, wobei die Punkte C und
A' beide den Weg +\frac{\Delta}{2} zurücklegen, C' gelangt zurück nach C,
A' gelangt nach A'': Bogen AA'' ist gleich Δ. Die
Kurbelwelle gelangt während des Deformationsvorgangs aus der Anfangslage CBAB1 in die
gestrichelte Endlage CBA''B1, Fig. 6. Es rückt also die auf den
Kurbelzapfen A einwirkende Stangenkraft S durch Tordierung dieses Zapfens in ihrer Richtung
vorwärts um den Betrag Δ, wobei sie eine
Deformationsarbeit S . A
leistet.
Damit ist einleuchtend gemacht, dass die Stangenkraft S
den Kurbelzapfen A der gekröpften Welle nicht nur zu
biegen, sondern auch zu verdrehen sucht, in derselben Weise, wie die Querschnitte
des einfachen Kranhakens durch das Belastungsgewicht nicht nur gezogen, sondern auch
auf Biegung beansprucht werden.
Ist eine gekröpfte Welle in der Weise angeordnet, dass jenseits des Lagers B1 im Abstand B1C1 = BC eine zweite Kurbel B1 sitzt, und werden bei C und C1
gleiche und gleichgerichtete Kräfte \frac{S}{2} abgenommen, so findet eine Tordierung
des Zapfens A nicht statt, wovon man sich durch eine einfache
Betrachtung überzeugen kann. Der Zapfen A wird dann nur
auf Biegung beansprucht, in ähnlicher Weise wie etwa der Querschnitt AA des Doppelhakens (Fig.
2) nur auf Zug beansprucht ist. Dasselbe gilt für eine Welle, bei welcher
die Kurbeln A und C
um 180° gegen einander versetzt sind, immer vorausgesetzt, dass die Kurbelradien
gleich sind, und dass CB = BA =
AB1; in beiden
Fällen wird die Lagerreaktion bei B1 null.