Titel: | Spaltung der Trommel einer Drachenwinde. |
Autor: | P. Perlewitz |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 152 |
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Spaltung der Trommel einer
Drachenwinde.
Von Dr. P. Perlewitz,
Hamburg, Deutsche Seewarte.
Spaltung der Trommel einer Drachenwinde.
In Grossborstel bei Hamburg ist im Sommer 1903 von der Deutschen Seewarte eine
Zweigstation errichtet worden, auf der meteorologische Beobachtungen aus den höheren
Luftschichten fast täglich mit Hilfe von Drachen gewonnen werden. Die dafür
verwendeten Kastendrachen sind bedeutend grösser als die gewöhnlichen Kinderdrachen.
Die ursprünglichen Hargrave-Drachen bestehen aus zwei
Zellen, die mit leichtem Baumwollstoff etwa wie eine Kiste, von der Boden und Decke
fehlen, bespannt sind und die durch lange Holzstäbe so verbunden sind, dass die
Zellen übereinander zu stehen kommen und zwischen sich einen gleich grossen
unbespannten Raum lassen. Die Drachen der Deutschen Seewarte, die auf der Station
auch gebaut werden, haben statt des rechteckigen einen rhombischen Querschnitt und
besitzen ausserdem noch zwei zurückklappbare Flügel. In solch einen Drachen von 5–6
qm wirksamer Winddruckfläche wird, bevor er vom Winde emporgetragen wird, ein
leichtes Registrierinstrument hineingebunden, das die meteorologischen Elemente:
Temperatur, Luftdruck, Feuchtigkeit und Windgeschwindigkeit fortlaufend auf einer,
langsam durch ein Uhrwerk gedrehten Trommel aufzeichnet.
Das Auflassen des Drachens geschieht nicht an Schnur, sondern an dünnem gezogenen
Gusstahldraht. Dieser ist bei gleicher Festigkeit mit Hanfschnur nicht nur erheblich
leichter als diese, sondern auch bedeutend dünner, leistet infolgedessen dem Winde
nicht so viel Widerstand und wird daher nicht so stark herabgedrückt.
Der Durchhang, die Abweichung der Halteleine von der graden Linie, ist bei Schnur so
gross, dass man damit niemals grosse Höhen erreichen kann, selbst wenn man immer
neue Hilfsdrachen an kurzen Nebenleinen zum Tragen der Hauptschnur, von der der
erste Drachen ja nur eine begrenzte Menge heben kann, an ihr anbringt. Dann muss
aber die Schnur auch wieder um so kräftiger, und also dicker sein, und hätte erst
recht grossen Durchhang, der ihren Abgangswinkel sehr bald wagerecht machen
würde.
Durch Anwendung von Stahldraht gelingt es indessen leicht, Drachen bis 5000 m hoch in
die Luft zu bringen. Auch hier ist der Durchhang des Drahtes und der Druck des
Windes auf ihn das einzige Hindernis, dass man nicht 10–15000 m Höhe erreicht, denn
der Wind ist in dieser Höhe meist noch kräftig genug.
Bei einem der Drachenaufstiege waren nun 8730 m Draht ausgelassen, an ihm in
Abständen von etwa 1400 m sechs Drachen befestigt und 4550 m Höhe mit dem obersten
Instrumentdrachen erreicht. Das Einholen des Drachens geschieht stets mit einem
Motor, da der Zug mehrerer Drachen, besonders bei kräftigem Winde, 80 bis 90 kg
beträgt. Nicht selten ereignet es sich dann, dass der Zug bis zur Bruchfestigkeit
des Drahtes steigt und die Drachen davonfliegen; in der Regel reisst der Draht schon
weit eher, da sich in dem langen bereits benutzten Draht doch immer schwächere oder
durch scharfe Biegungen geschwächte Stellen finden. Die Zugfestigkeit des gezogenen
Gusstahldrahts ist 250 kg/qmm, so dass die Festigkeit der von uns benutzten
Drahtstärken
von
0,7
mm
Durchmesser
95
kg
„
0,8
„
„
120
„
„
0,9
„
„
155
„
beträgt.
Während das Abwickeln des Drahtes von der Trommel der Zug der Drachen selbst besorgt,
wird zum Einholen ein einpferdiger Spiritusmotor benutzt, der etwa 360 Umdrehungen
i. d. Minute macht. Durch zwei Dreistufenscheiben mit Riemenübertragung vom Motor
zur Winde und Antrieb der Windentrommel durch Reibungsräder können die drei
Einholgeschwindigkeiten für den Draht von 0,7, 1,6 und 3,2 m i. d. Sek. erreicht
werden.
Textabbildung Bd. 321, S. 152
Fig. 1.
Bei dem erwähnten Drachenaufstiege zogen die sechs Drachen vor dem Einholen 65 kg,
während desselben 75 kg. Unter diesem Zuge wurde der Draht auf die Trommel
gewickelt, auf der sich noch darunter 1,8 km Draht befand, der bei einem früheren
Aufstieg unter etwa 50 kg Spannung aufgewickelt war. Während des Aufholens nahm nach
jedesmaliger Landung eines Hilfsdrachens der Zug ab. Der 1. km wurde unter 75 kg,
dann 2 km unter 70 kg, 1 km unter 60 kg, 1 km unter 40 und 2,6 km unter 30 bis 15 kg
aufgewickelt. Am folgenden Tage wurden, ehe der Aufstieg begann, noch 2 km 0,7 mm
dicker Draht neu hinzugewickelt und während des Aufstiegs dann 8100 m Draht
ausgelassen, so dass sich noch ein Rest von 4,4 km Draht auf der Winde befanden, von
denen, wie gesagt, die untersten 1,8 km unter 50 kg, die übrigen 2,6 km unter 75–70
kg Spannung um die Trommel lagen. An diesem Tage war der oberste Drachen, der sich,
wie auch die zwei nächsten Hilfsdrachen, in den Wolken schwer mit Eis überzogen
hatte, nur 3110 m hoch; der Zug der sieben Drachen war dagegen grösser als am
Vortage. Unter 80–85 kg Spannung wurde langsam aufgeholt. Erst nach und nach nahm
der Zug ab und war nach 3 km auf 55 kg zurückgegangen, so dass mit der mittleren
Geschwindigkeit weiter eingeholt werden konnte. Nach 5 km gibt es plötzlich einen
furchtbaren Knall, die Trommel bleibt stehen, sie ist bei a (Fig. 1) in zwei Teile zerspalten, die
mit solcher Kraft auseinander gesprengt wurden, dass das auf derselben Achse neben der
Trommel befindliche Friktionsrad zerschlagen, von der Trommel selbst ein Stück am
Rande abgeschlagen und der Holzbock, in dem die Trommel läuft, etwa 3 cm weit
auseinandergetrieben wurde. Die gusseiserne Trommel hatte folgende Form;
Die Gesamtspannung des zur Zeit der Katastrophe auf der Trommel befindlichen Drahtes
setzte sich aus folgenden Grössen zusammen:
1800
m
bei
50
kg
Spannung
aufgewickelt
2600
„
„
75
„
„
„
1000
„
„
85
„
„
„
1000
„
„
80
„
„
„
1000
„
„
70
„
„
„
2000
„
„
50
„
„
„
–––––
–––
zusammen
9400
„
„
66
„
„
„
Es befanden sich also im ganzen 9,4 km Draht unter der mittleren Spannung von 66 kg
auf der Trommel. Sie entsprechen 7000 Windungen auf ihr. Es fragt sich nun, welche
Kräfte auf die Trommel selbst ausgeübt werden und in welcher Richtung sie
wirken.
Durch eine einmalige Umwicklung der Trommel mit einem Draht von 66 kg Spannung wird
in Richtung eines beliebigen Durchmessers 2 . 66 = 132 kg Druck ausgeübt; denn
nehmen wir statt des Kreisquerschnittes der Trommel der Einfachheit halber ein n-Eck und als einfachstes ein Quadrat an, so sieht man,
dass parallel zu den Quadratseiten 2 . 66 kg Spannung ausgeübt werden. Dies gilt für
beliebige Richtung und wir erhalten bei 7000 Umdrehungen 924–000 kg Druck auf die
Trommel in jeder beliebigen Richtung. Durch diesen Druck ist die Trommel aber
keineswegs zersprengt. Die Kraft, die die Zertrümmerung hervorgerufen hat, ist nicht
zur Achse der Trommel hin, sondern ihr parallel gerichtet. Stellen wir uns vor, dass
sich der Draht spulenförmig auf die Trommel aufwickelt. Während die unterste Lage
nur in Richtung senkrecht zur Trommelachse Kräfte ausübt, wirkt die zweite Lage
schon ganz anders und ebenso die weiteren, sei es regelmässig, sei es unregelmässig,
aufgewickelten Lagen. Die zur Trommelachse senkrechte Kraft bleibt die gleiche, dazu
aber kommt nun, dass sich von der zweiten Lage an der Draht in die Rillen legt, die
von den darunter liegenden Drähten gebildet sind. Er wird sich in die Rillen
einzuzwängen und die Drähte auseinanderzukeilen suchen.
Dieser fortgesetzten Keil Wirkung des Drahtes ist wohl allein die Zertrümmerung
zuzuschreiben, die sonach unmittelbar als Spaltung angesehen werden muss. Solange
die Drähte der unteren Lage fest aneinander liegen, wird die Keilkraft nur gering
sein; liegen sie indessen fast um Drahtdicke voneinander entfernt, so kann, da ein
Ausweichen der Drähte selbst nur ausnahmsweise möglich ist und der Draht nur wenig
dehnbar ist, die auf die Trommel übertragene Seitenkraft ins Ungeheure wachsen. Der
Weg ist dann allerdings nur sehr klein, was aber für die Sprengung der Winde nicht
in Betracht kommt.
Die Seitenkraft eines Keils ist, wenn K die Triebkraft
und α der Keilwinkel ist,
S=\frac{K}{2\mbox{ tg }\frac{\alpha}{2}}.
Liegen die unteren Drähte dicht nebeneinander (Fig. 2), so ist α =
120°, also bei
K = 2 × 66 kg, S=\frac{66}{\mbox{tg }60^{\circ}}=38,1\mbox{ kg}.
Die Seitenkraft, mit der die Trommel in diesem Falle
auseinandergetrieben würde, wäre dann die Summe der Seitenkräfte aller 7000
Windungen, abzüglich der untersten Lage von etwa 200 Umdrehungen, also
∑S = 6800 . 38 = 258000 kg.
Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, dass die Drähte dicht nebeneinander liegen
und nach oben hin nicht dünner werden, so wird eine weit grössere Seitenkraft auf
die Trommel ausgeübt werden. An vielen Stellen wird allerdings auch gar keine
Seitenkraft ausgeübt werden, nämlich überall da, wo die Drähte schräg übereinander
laufer. Dies letztere hängt natürlich ganz von der Art des Aufwickelns ab.
Textabbildung Bd. 321, S. 153
Fig. 2.
Textabbildung Bd. 321, S. 153
Fig. 3.
Nehmen wir noch einen extremen Fall an: Der Abstand zwischen den Drähten der je
unteren Lage sei, wenn der Draht selbst 1,0 mm dick ist, n = 0,9 mm.
Dann ist (Fig. 3)
\cos\,\frac{\alpha}{2}=\frac{\frac{d}{2}+\frac{n\,d}{2}}{d}=1/2\,(1+n)
und
\frac{\alpha}{2}=18,2^{\circ}.
Ferner wird
S=\frac{K}{2\mbox{ tg }\frac{\alpha}{2}}=\frac{66}{\mbox{tg }18,2^{\circ}}=200\mbox{ kg},
und bei Annahme dieses Mittelwerts die Spaltkraft für die
Trommel
∑S = 6800 . 200 = 1360000 kg.
So gross kann die Wirkung nun nicht gewesen sein, aber wir
werden vermuten können, dass die auf die Trommel wirklich ausgeübte Kvaft zwischen
diesem und dem oberen Minimalwert gelegen hat.
Die Grösse der Bruchfläche der Trommel ist
F=2\,\pi\,\frac{191+171}{2}\,(191-171)\mbox{ qmm}=22745\mbox{ qmm}.
Nun ist die Zugfestigkeit von Gusseisen \frac{12\mbox{ kg}}{\mbox{qmm}}, also die
der Trommel an jener Stelle 12 . 22745 = 273000 kg. Diese Kraft muss durch die 6800
Drahtwindungen erreicht worden sein und führte eben zur Spaltung. Unsere erste
Annahme, die Windungen liegen stets dicht nebeneinander, ergibt eine geringere
Wirkung, 258000 kg, während die zweite sehr extreme Annahme 1360000 kg ergab, wobei
allerdings Verluste durch Reibung und das schräg übereinander Liegen des Drahtes an
vielen Stellen, wo, wie gesagt, keine Spaltwirkung ausgeübt wird, in beiden Fällen
nicht gerechnet ist. Nimmt man 5 v. H. Verlust durch Reibungen und 20 v. H. der
Drahtlänge ohne Keilwirkung an, so bekommt man im ersten Fall rund 200000 kg und im
zweiten 1000000 kg Spaltkraft, während in Wirklichkeit die Trommel bei rund 300000
kg geborsten ist.
Es sei noch hinzugefügt, dass durch häufiges Zwischenlegen von Pappe die Keilwirkung
auf die Trommel ganz erheblich verringert werden kann. Es geschieht dies auch jetzt an
unserer Winde bei starken Zügen im Draht. Aber auch ohne dies wird die in gleichen
Dimensionen, aber mit durchgehenden Speichen, hergestellte Gusstahltrommel auf der
Drachenstation der Deutschen Seewarte, die an Stelle der zersprungenen gusseisernen
Trommel getreten ist, den an sie gestellten Anforderungen genügen. Da Gusstahl
etwa die siebenfache Zugfestigkeit hat wie Gusseisen, so müssen wir die
Widerstandskraft dieser neuen Trommel gegen Spaltung mindestens zu 2000000 kg
annehmen.