Titel: | Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der Weltausstellung in St. Louis 1904. |
Autor: | M. Buhle, W. Pfitzner |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 789 |
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Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der
Weltausstellung in St. Louis 1904.
Von Professor M. Buhle und Dipl.-Ing. W.
Pfitzner,
Dresden.
(Fortsetzung von S. 776 d. Bd.)
Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der Weltausstellung in St.
Louis 1904.
C. Elektrische Fahrzeuge.
Die Ausstellung der elektrischen Betriebsmittel war zum grösseren Teil in dem
Elektrizitätsgebäude, zum kleineren Teil in dem Maschinengebäude und in dem
Transportgebäude untergebracht (vergl. Fig. 12 und
15 auf S. 241 bezw. 244 d. Bd.). Die grössere
Ausstellung (Fig. 118) enthielt in erster Linie
elektrische Lokomotiven und Wagenuntergestelle.
Textabbildung Bd. 320, S. 789
Fig. 118. Innenansicht des Elektrizitätsgebäudes.
1. Elektrische Lokomotiven.
Die Westinghouse Electric &
Manufacturing Co., Pittsburg, Pa.,
hatte eine für die Norfolk
Coal & Coke Co., West Virginia,
gebaute Grubenlokomotive zur Schau gestellt. Die Spur betrug 1,2 m, und zwei 500
voltige Serienmotoren vermochten je 42 PS zu entwickeln. Das ungewöhnlich grosse
Gewicht von 14 t ist bei dieser Maschine erforderlich für den ausserhalb der
Kohlengruben zu leistenden schweren Dienst auf meist schlecht unterhaltenem
Oberbau. – Eine zweite für die Berwind-White Coal Mining
Co. in Windler, Pa., gelieferte Maschine zeigte ein wesentlich
kleineres Gewicht von nur 9 t.
Gemeinsam von den Baldwin- und
Westinghouse-Gesellschaften war eine schmalspurige (24'' = 609 mm)
Verschiebe-Lokomotive mit Scheren-Stromabnehmer (Fig.
118) ausgestellt; bei 9 t Gewicht besass diese Maschine zwei je 30
pferdige Motoren, die für 220 Volt gebaut waren. Im übrigen bot keine dieser
Lokomotiven etwas besonders Bemerkenswertes.
2. Elektrische Wagen.Hingewiesen
sei an dieser Stelle auf das treffliche, überaus lesenswerte Buch
von Regierungsbaumeister Gustav
Schimpff, Altona a. E. Die Strassenbahnen in den
Vereinigten Staaten von Amerika, Julius
Springer, Berlin, 1904.
Sehr reichhaltig und lehrreich war hingegen die Ausstellung der elektrischen
Wagen, von denen insbesondere die Erzeugnisse der
J. G. Brill Co., Philadelphia,
an dieser Stelle näher erörtert werden mögen.
Textabbildung Bd. 320, S. 789
Fig. 119. Vierachsiger Strassenbahnwagen der J. G. Brill Co.,
Philadelphia.
Die Anforderungen an die hier in Betracht kommenden Betriebsmittel sind in jeder
Hinsicht sehr vielseitig. Zu den erst durch die Elektrizität möglich gewordenen
Strassenbahnbegriffen „schnell“,
„oft“ und „billig“ haben
sich bald die Ergänzungen „sauber“,
„hell“ und „bequem“ gesellt.
Die Wagenkasten sollen im Winter wie im Sommer
einen angenehmen Aufenthalt gewähren; dabei darf aber keinesfalls etwa viel
Schuppenraum beansprucht werden. Das gab schon früh den Anlass zur Entwicklung
der sogenannten Duplex-WagenVergl. Buhle,
Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der Industrie- und
Gewerbe-Ausstellung zu Düsseldorf, 1902. (Julius
Springer, Berlin, 1903) S. 41 u. f. oder „Convertible Cars“ bezw. „Semi-Convertible Cars“. Die Bedingungen für
schnelles Aus-
und Einsteigen im Stadtverkehr sowie das Bedürfnis
für hohe und höchste Geschwindigkeit im Vorort- und
Nachbarortverkehr gab die Grundlagen für die
Form und Bauart der Unter- bezw. Drehgestelle, und
so finden wir nach vielen Richtungen grosse Mannigfaltigkeit in jeder
Beziehung.
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Fig. 120. Querschnitt eines halb zu öffnenden „Brill“-Wagens
(Semi-convertible Car).
Während bei den zuerst gebauten „Convertible Cars“ (d.h. ganz zu öffnenden
Wagen) sowohl die Schiebefenster als die darunter befindlichen Wandfüllungen in
äusserst geschickt angeordnete Dachtaschen (s. unten) geschoben werden können,
werden bei den (jüngeren) „Semi-Couvertible Cars“ (Fig. 119) nur die Schiebefenster gehoben (Fig. 120). Seit ihrer Einführung im Jahre 1899
haben sich diese Brill-Wagen in hohem Masse die
Gunst des Publikums erworben, insbesondere auch, weil die Anordnung der Sitze
wie bei den älteren Verwandlungswagen auf Querbänken (Fig. 121) beibehalten werden konnte. – Der in Fig. 119 veranschaulichte Wagen besitzt eine
innere Kastenlänge von 9350 mm, während seine grösste Länge einschliesslich der
Plattformen rund 12700 mm beträgt.
Das Gewicht eines gewöhnlichen Schiebefensters beträgt nur etwa 7 kg, das
einer verschiebbaren Wandfüllung rund 9 kg. In wenigen Minuten ist daher ohne
grosse Anstrengung die Verwandlung aus dem geschlossenen Wagen (Fig. 122) in einen Sommerwagen (Fig. 123) gegebenenfalls durch das Wagenpersonal
allein durchgeführt. Der Sommerzustand gestattet selbstverständlich den
schnellsten Verkehr zwischen Strasse und Wagen; daher die sehr bezeichnende
Benennung „City Car“ für diese Form.
Aus den Fig. 124–128 dürfte der Vorgang selbst ohne Erläuterung verständlich sein;
besonders hingewiesen sei nur darauf, dass die Fenster (b) (Fig. 125 und 126) zweiteilig sind, und dass die Wandfüllung
(a) aus zwei dünnen Stahlblechen mit dazwischen
gelegter, ebenfalls biegsamer Holzfüllung besteht.
Ganz offene und besonders lange (sogenannte „Narragansett“-) Wagen (Fig. 129) sind in den letzten Jahren geschaffen
worden für den Verkehr zwischen den nicht unmittelbar an der Küste und doch
nicht allzufern davon gelegenen Hauptstädten des Landes und den Seebädern bezw.
für den Sonntagsverkehr nach beliebten Ausflugsorten in der Nähe grosser
Städte.
Der Boden dieser wegen der hohen Fährgeschwindigkeit mit grossen Rädern (838 mm
Durchmesser) und meist vier Motoren ausgestatteten „Exkursions“-Wagen
liegt etwa 927 mm über S. 0. Die hohen Tritte der früher gebräuchlichen Wagen
(Fig.
130) haben sich als unbequem und auch als gefährlich erwiesen, und
darum führten sich diese mehrstufigen Wagen (Fig.
129 und 131) (man beachte
die durch Verwendung eines Z-Eisens bemerkenswerte
Bauart) schnell ein. Die Stufenhöhen betragen bei ihnen 406, 330 und 191 mm, und
tatsächlich hat sich infolge dieser Verbesserung die Zahl der früher durch die
hohen Tritte herbeigeführten Unfälle wesentlich vermindert.
Was nun die eigentlichen Drehgestelle anlangt, so
seien aus der grossen Zahl der ausgestellt gewesenen Konstruktionen nur drei von
Brill herrührende Bauarten erwähnt.
Textabbildung Bd. 320, S. 790
Fig. 121. Inneres eines ganz zu öffnenden „Brill“-Wagens
(Convertible Car).
Ungefähr im Jahre 1890 machte sich bei den Strassenbahngesellschaften durch das
erhöhte Bedürfnis nach Verkehrsmitteln dieser Art der Wunsch nach langen Wagen
geltend, und dieser Umstand zeitigte eine besondere Form von Drehgestellen, das
sogen. „Maximum Traction Truck“,
(Fig. 132). Im Stadtverkehr liegt, wie bereits erwähnt, das Haupterfordernis in der
Möglichkeit schnellen Aus- und Einsteigens zur Abkürzung der zahlreichen
Aufenthalte. Hinzu kommen die Bedingungen: schnell halten (über Bremsen s.
unten) und geschwind wieder anfahren zu können. Aus dem zuletzt genannten Grunde
hat man die Drehgestelle so gebaut, dass das Wagengewicht zu etwa 75 v. H. auf
die von den Motoren angetriebenen und deshalb mit grossen Rädern versehenen
Achsen kommt. Dadurch wird ein genügend grosses Reibungsgewicht erzielt und
zugleich wird die Zugänglichkeit zu den Motoren gesichert; die grossen Räder
sitzen nämlich aussen, und der Eingang ist nach der Wagenmitte verlegt (Fig. 133). Die kleinen Räder (pony-wheels)
erhalten nur so viel Last, dass sie die Führung auf den Schienen sicher
bewirken.
Für die Vorortwagen, von denen man bis zu 50 km
stündliche Höchstgeschwindigkeit verlangt, werden die Drehgestelle nach Fig. 134 ausgeführt. Durch die Verbindung von
Schrauben- und Blattfedern wird eine sehr einfache Konstruktion erzielt, die
jedoch trotz der dreifachen Abfederung des Wagenkastens für
Geschwindigkeiten, wie sie für den NachbarortverkehrDer
Beginn für die Entwicklung des „elektrischen“
Nachbarortverkehrs liegt etwa in der Mitte der neunziger
Jahre. verwendet werden (maximal 110 km/St.), nicht
ausreicht.
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Fig. 122. „Convertible“ in geschlossenem Zustand.
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Fig. 123. „Convertible“ in geöffnetem Zustand.
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Fig. 124. Führung für die Zapfen der Schiebefenster.
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Fig. 125. Wandfüllung (a) und Fenster (b) im geschlossenen Wagen.
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Fig. 126. Wandfüllung (a) und Fenster (b) im geöffneten Wagen.
Bei diesen etwa 23 t schweren Schnellbahnwagen setzen sich nach Fig. 135 zwei ungewöhnlich kräftige, aus je einem
Stück hergestellte Stahlgussrahmen federnd auf die Achsbüchsen, und daran hängen
sich wiederum federnd drei aus Blattfederpaaren hergestellte Wiegefedern, die in
ähnlicher Weise die Wagenkasten tragen, wie es bei unseren
Vollbahn-Drehgestellwagen geschieht.
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Fig. 127 (s. Fig. 125).
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Fig. 128 (s. Fig. 126).
Obgleich nun die Einzelteile oder Einzelerzeugnisse
der für die Eisenbahn liefernden Werke eigentlich dem nächsten Abschnitt (D) vorbehalten sind, so sei doch schon hier im
unmittelbaren Anschluss an die elektrischen Strassenbahnwagen ein
Betriebsmittel-Element behandelt, das für den Strassenbahnbetrieb eine ganz
besondere Bedeutung besitzt: das sind die Bremsen, und von ihnen sei aus den zahlreichen ausgestellt gewesenen
Systemen, hier näher beschrieben nur die elektromagnetische Westinghouse-Newell-Bremse. Dieselbe besteht, wie
aus Fig. 136 ersichtlich ist, aus einem
hufeisenförmigen Magneten, welcher durch denjenigen Strom erregt wird, den die
während des Bremsvorganges als Stromerzeuger arbeitenden Strassenbahnmotoren
liefern. Dieser Hufeisenmagnet besitzt eine für das beabsichtigte Gleiten auf
den Schienen geeignete Form; er ist aus weichem Stahl gefertigt, um die
notwendigerweise auftretende Abnutzung statt auf die Schienen auf den
auswechselbaren unteren Teil des Magnetschuhes zu verlegen. Der Bremsschuh ist
mittels Federn am Untergestell derart befestigt, dass er im unerregten Zustand
über den Schienen schwebt; er steht durch eine geeignete Hebelübersetzung mit
zwei Radbremsklötzen in Verbindung.
Zwei solcher Schienenschuhe bilden die normale Ausrüstung für einen zweiachsigen
Wagen; die Ausrüstung für einen vierachsigen Wagen entspricht dagegen zwei
Ausrüstungen für zweiachsige Wagen. Die Wirkungsweise der ganzen Vorrichtung ist
die folgende:
Textabbildung Bd. 320, S. 792
Fig. 129. Offener „Narraganselt“-Wagen der Brill Co.,
Philadelpia.
Durch die Betätigung der Fahrkurbel, welche der Wagenführer auf die Bremsstellung
bringt, wird der von den Motoren erzeugte Strom um den Eisenkern des
Bremsschuhes geleitet. Dieser wird dadurch erregt und durch die magnetische
Kraft an die Schienen gepresst. Durch die gleitende Reibung zwischen Schuh und
Schienen erfährt ersterer einen wagerechten, der Fahrtrichtung entgegengesetzten
Druck, welcher sich durch die erwähnte
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Fig. 130 und 131. Vergleich zwischen einem gewöhnlichen einstufigen und
einem zweistufigen (Brill-) Wagen.
Hebelvorrichtung auf die beiden Radbremsklötze überträgt,
so dass auch diese ihrerseits sich an die Radbandagen anlegen und gleichfalls
eine Bremswirkung hervorrufen.
Textabbildung Bd. 320, S. 793
Fig. 132. „Maximum-Traction“-Drehgestell von Brill.
Textabbildung Bd. 320, S. 793
Fig. 133. Wagen mit Maximum-Drehstellen für Stadtverkehr.
Textabbildung Bd. 320, S. 793
Fig. 134. Drehgestell für Vorortwagen mit 48 km/stündl.
Höchstgeschwindigkeit.
Es tritt also eine Bremswirkung auf:
1. infolge des Stromes, den die Motoren erzeugen, während
sie als Generatoren von der lebendigen Kraft des Wagens
angetrieben werden und einen entsprechenden Teil derselben verzehren. Diese
Wirkung ändert sich mit der Geschwindigkeit des Wagens und hängt von dem
Widerstände ab, welchen der Wagenführer jeweilig eingeschaltet hält;
2. infolge der gleitenden Reibung des Schienenschuhes gegen
die Schienen. Diese Wirkung hängt wesentlich ab von der Geschwindigkeit des
Wagens und nimmt) wegen des mit abnehmender Geschwindigkeit steigenden
Reibungskoeffizienten beträchtlich zu;
3. wird eine weitere Bremswirkung erreicht durch die an die
Räder gepressten Bremsklötze.
Textabbildung Bd. 320, S. 794
Fig. 135. Drehgestell für Wagen (Nachbarortverkehr) mit 110 km/stündl.
Höchstgeschwindigkeit.
Textabbildung Bd. 320, S. 794
Fig. 136. Elektromagnetische Westinghouse-Scheinenbremse (Patent F. C.
Newell).
Die Summe aller drei Bremswirkungen läuft darauf hinaus, dass eine mit
abnehmender Geschwindigkeit zunehmende Bremswirkung erreicht wird. Diese
Eigentümlichkeit besitzt den Vorzug, dass der Stoss, den die Fahrgäste bei
plötzlicher Betätigung der Bremse empfinden, wesentlich abgedämpft wird, indem
die Maximalverzögerung nicht sofort auftritt. Die Betätigung der
Bremsvorrichtung erfolgt also sanft und nahezu stossfrei.
Dabei erreicht die Neuwell-Bremse bei schlüpfrigen
Schienen leicht einen Bremsweg von etwa 13 m, bei trockenen Schienen 6 m und bei
sandigen Schienen 4 m.
Es muss noch als ein besonders glücklicher Gedanke betrachtet werden, dass mit
dieser Bremse zugleich eine elektrische Heizvorrichtung verbunden werden kann,
welche durch die Brems- und Anfahrtströme betrieben wird, infolgedessen
keinerlei besondere Energiekosten verursacht und so gleichfalls eine treffliche
Einrichtung vorstellt.
Auf weitere Einzelheiten innerhalb der elektrischen Verkehrsabteilung der
Ausstellung kann hier aus Mangel an Raum leider nicht eingegangen werden.
(Fortsetzung folgt.)