Titel: | Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in Lüttich 1905. |
Autor: | Fr. Freytag |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 767 |
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Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der
Weltausstellung in Lüttich 1905.
Von Fr. Freytag,
Chemnitz.
(Fortsetzung von S. 759 d. Bd.)
Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in
Lüttich 1905.
13. Maschinenfabrik und Mühlenbauanstalt, G. Luther,
A.-G. in Braunschweig.
Den ausgestellten 20 PS-Gasmotor, System Luther, zeigt
Fig. 64 in der äusseren Ansicht; die zugehörige
Kraftgasanlage für Anthrazitfeuerung ist in Fig. 65
dargestellt. Der mit dem Zylinder in einem Stück gegossene Gabelrahmen des Motors
ist mit breiter Auflagefläche ausgeführt, die sich bis nahezu an das Ende des
Zylinders erstreckt, so dass die auftretenden Kräfte in der zweckmässigsten Weise
auf das Fundament übertragen werden.
Textabbildung Bd. 320, S. 767
Fig. 64. Gasmotor von 20 PS der A.-G. Luther in Braunschweig.
Die Laufbüchse des Zylinders (Fig. 66) ist ein
einfaches, mit nur einem Flansch versehenes Rohr aus besonders hartem und dichtem
Eisen, das sich in der Längsrichtung frei ausdehnen kann und gegen den umliegenden
Kühlwassermantel durch einen Gummiring abgedichtet wird. Der sehr lang gehaltene
Arbeitskolben trägt an seinem hinteren Teile eine Anzahl federnder Ringe,
während der vordere Teil desselben zur Aufnahme der zur Zylinderachse normal
gerichteten Komponente der Kolbenkraft dient und damit den Kreuzkopf entbehrlich
macht.
Die verhältnismässig lange Kurbelstange aus Schmiedestahl hat an der Kolbenseite ein
Lager aus Phosphorbronze, an der Kurbelseite ein solches mit Weissmetallausguss. Die
ebenfalls aus geschmiedetem Stahl hergestellte Kurbelwelle ruht in zwei mit
Ringschmierung versehenen Hauptlagern des Rahmengestelles, sowie in einem
Aussenlager; erstere haben gusseiserne Schalen mit Weissmetallfutter.
Zum Ausgleich der hin- und hergehenden Massen dienen an den Kurbelarmen angebrachte
Gegengewichte.
Einlass- und Auslassventil (Fig. 66) sind leicht
zugänglich oben bezw. unten am Zylinderkopf angeordnet und von Kühlmänteln umgeben;
sie werden in bekannter Weise durch Hebel und Nockenscheiben von einer mittels Schraubenräder von
der Kurbelwelle aus angetriebenen Steuerwelle bewegt, die auch die am Zylinderkopf
angebrachte elektrische Zündvorrichtung betätigt.
Textabbildung Bd. 320, S. 768
Fig. 65. Kraftgasanlage zum 20 PS-Motor der A.-G. Luther in
Braunschweig.
Die Bildung der Ladung erfolgt vor dem Einlassventil derart, dass die Luft in feinen
Strahlen mit hoher Geschwindigkeit in den Gasstrom eindringt; zur Einstellung des
Mischungsverhältnisses dient eine im Luftzuführungsrohr befindliche einstellbare
Klappe, sowie ein Gashahn mit Skala.
Textabbildung Bd. 320, S. 768
Fig. 66. Längsschnitt des 20 PS-Gasmotors der A.-G. Luther in
Braunschweig.
Die Geschwindigkeitsregelung geschieht durch Füllungsänderung bei stets
gleichbleibender Zusammensetzung des Ladungsgemisches. Zu dem Zwecke verstellt ein
von der Steuerwelle mittels Schraubenräder angetriebener Feder-Regulator eine
zwischen Mischkammer und Einlassventil eingebaute Drosselklappe dem jeweiligen
Kraftbedarf des Motors entsprechend.
Eine besondere Sicherheitsvorrichtung verhütet das unbeabsichtigte Entzünden von
rückständigem Verbrennungsgemisch, sobald irgendwelche Teile am Zylinder oder
Ventilkopf losgenommen werden. Die Vorrichtung besteht aus einem am Gashahn
angebrachten Kontakt, der die Stromzuführung zum Zylinder bei geschlossenem Hahn
unterbricht. Eine zweite Sicherheitsvorrichtung bewirkt das selbsttätige Schliessen
der Luftklappe, sobald die Maschine aus irgend welchem Grunde in Stillstand kommt.
Dadurch wird der Austritt grösserer Gasmengen verhütet, falls übersehen wurde, den
Gashahn sofort nach erfolgtem Stillstand der Maschine zu schliessen.
Zur Zylinderschmierung dient eine kleine, von der Maschine angetriebene Pumpe mit
Schauglas; Kurbel- und Kolbenzapfen erhalten Abstreichschmierung.
Die zum Motor gehörige Kraftgasanlage (Fig. 65)
besteht aus dem Generator, einer Wasservorlage, dem Scrubber und dem Reiniger. Der
Generator bildet einen ausgemauerten zylindrischen Schachtofen, dessen gleichzeitig
als Verdampferschale dienender Deckel in der Mitte die mit Doppelverschluss
versehene Fallrohrvorrichtung für das Brennmaterial trägt. Der durch die abziehenden
Generatorgase geheizte Verdampfer steht einerseits mit der atmosphärischen Luft,
anderseits mit dem unter dem Rost befindlichen, luftdicht abgeschlossenen Raume in
Verbindung; die Temperatur des in ihm befindlichen Wassers lässt sich mittels
Regulierschiebers auf konstanter, der jeweiligen Belastung des Motors entsprechenden
Höhe halten.
Textabbildung Bd. 320, S. 769
Fig. 67. Tandem-Gasmaschine von 1200 PS der Société Cockerill in
Seraing.
Fig. 65 zeigt die Anlage mit und ohne
Sägemehlreiniger. Der Gaskessel dient zur Milderung der beim plötzlichen
Ansaugen des Motors auftretenden Stösse in der Gasleitung.
14. Société John Cockerill in Seraing.
Die grösste von der Firma ausgestellte Gasmaschine ist eine liegende 1200 PSe entwickelnde, im Viertakt arbeitende
doppeltwirkende Tandemmaschine für Hochofengas. Sie hat zwei Zylinder von je 1000 mm
Durchmesser; der Kolbenhub beträgt 1100 mm, die Umdrehungszahl 100 in der
Minute.
Fig. 67 zeigt die äussere Ansicht bezw. einen
Längsschnitt dieser Maschine mit zwei durchgehenden kastenförmigen Balken; sie soll
nach Schluss der Ausstellung zum Walzwerkbetriebe in den Werken von Cockerill dienen.
Eine andere ausgestellte liegende 500 pferdige Zwillings-Gasmaschine von je 600 mm
Zylinderdurchmesser, 800 mm Hub und 135 minutlichen Umdrehungen für Koksofengas ist
auf der Ausstellung als Lichtmaschine in Betrieb und wird hier mit Leuchtgas
gespeist.
Die Zylinder beider Maschinen sowie die Deckel sind aus Gusseisen gefertigt und
behufs Kühlung von Wassermänteln umgeben.
Die Kreuzkopfführung ist mit den zugehörigen Zylindern verschraubt. Die gusseisernen
Schalen der Kurbelwellenlager sind mit Weissmetall ausgegossen und nachstellbar. Bei
der 1200 PS-Maschine ist die Kurbelwelle noch in einem Aussenlager geführt.
Die aus Gusstahl hergestellten, hohlen Kolben tragen gusseiserne Dichtungsringe. Die
ebenfalls hohlen, gleichwie die Schubstangen aus Schmiedestahl gefertigten
Kolbenstangen haben Wasserkühlung, die sich bei der Tandemmaschine auch auf beide
Kolben erstreckt. Die gusseisernen Kreuzkopfschuhe sind mit Weissmetall
ausgefüttert.
Die Kurbelwellen bestehen aus mehreren miteinander verbundenen Teilen: den
eigentlichen Wellen, den Zapfen – beide aus Schmiedestahl – sowie aus den mit den
Gegengewichten aus je einem Stück gefertigten Kurbelarmen aus Gusstahl.
Ein elektrisch angetriebenes, in Nähe des Aussenlagers der Tandemmaschine
aufgestelltes Drehwerk wirkt auf den inneren Zahnkranz
des Schwungrades und bringt dieses bezw. die Maschine in die Anlasstellung. Der
Stromkreis für die Zündung kann, so lange das Drehwerk arbeitet, nicht geschlossen
werden.
Der Augenblick der Zündung lässt sich mittels Daumen der Steuerwelle für jede
beliebige Geschwindigkeit der Maschine einstellen. Ein Zentrifugalregulator wirkt
auf den Gaseinlass bei unveränderlicher Verdichtung der
in den Zylinder tretenden Ladung. Luft- und Gaseinlassventile sind, wie Fig. 68 erkennen lässt, oberhalb, die wassergekühlten
Auspuffventile unterhalb der Zylinderachse angeordnet.
Die Steuerklinke wird durch eine an der Ventilhaube gelagerte Daumenscheibe
ausgelöst, deren Schwingungen vom Regulator beeinflusst werden. Der Luftschieber ist
mit der Spindel des Einlassventils fest verbunden, während das doppelsitzige
Gasventil auf einer Hülse sitzt, deren darüber liegende Feder von der abwärts
gehenden Ventilspindel gespannt wird. Das Gasventil öffnet zeitlich nach dem
Einlassventil, sobald sein Hebel vom Regulator freigegeben wird, und zwar
entsprechend dem Hube des Luftschiebers („Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing.“
1905, S. 1420).
Für Antriebsmaschinen von Gebläsen usw. wendet die Société
Cockerill eine Regelung mit veränderlicher
Verdichtung an.
Fig. 69 zeigt eine solche Steuerung mit
kraftschlüssigem Antrieb der Ein- und Auslassorgane. Gasventil- Luftschieber und
Einlassventil öffnen hier gleichzeitig, wobei die Schliessbewegungen durch Luft- und
Oelpuffer gedämpft werden.
Zum Anlassen der Maschinen dient Pressluft, die in je einem besonderen Kompressor
erzeugt wird.
Die dritte von der Société Cockerill ausgestellte
stehende, doppeltwirkende Zwillingsgasmaschine von 150 PSe für Hochofengas arbeitet ebenfalls im Viertakt; sie hat Zylinder von je
325 mm Durchmesser für 350 mm Hub und läuft normal mit 280 minutlichen
Umdrehungen.
Textabbildung Bd. 320, S. 770
Fig. 68. Steuerung- der Tandem-Gasmaschine der Société Cockerill in Seraing
für unveränderliche Verdichtung.
Fig.
70–72 zeigen die von Cockerill ausgestellte Zwillings-Verbundmaschine,
Bauart François, mit Kondensation und mit
Dampfverteilung durch Kolbenschieber; sie entwickelt 300 PS mit 140 minutlichen
Umdrehungen.
Die Hauptabmessungen sind folgende:
Durchmesser
des
Hochdruckzylinders
375
mm
„
„
Niederdruckzylinders
650
„
Gemeinsamer Kolbenhub
750
„
Zur Verminderung der Eintrittskondensation ist Kolbenheizung vorgesehen, und zwar
stehen die zu dem Zwecke angeordneten Doppelkolben jedes Zylinders in beständiger
Verbindung mit dem Dampfmantel, derart, dass sowohl die Kolbenflächen, als auch
die Aussen- und Innenseite der in der Mitte geteilten Laufbüchse von Frischdampf
geheizt werden. Damit sollen, wie angestellte Versuche ergeben haben, äusserst
günstige Verbrauchszahlen erreicht worden sein.
Seitlich an jedem Zylinderende befindet sich ein Hauptschieber zur Regelung der Ein-
und Ausströmung des Dampfes, die abwechselnd durch je eine Oeffnung am unteren Teile
des Zylinders erfolgt, sowie ferner ein inmitten des ersteren gleitender
Expansionsschieber, der unter Mitwirkung des Regulators die Dampfzufuhr früher oder
später abschneidet (s. Fig. 72). Beide Schieber sind
als Kolbenschieber ausgebildet.
Textabbildung Bd. 320, S. 770
Fig. 69. Steuerung der Tandem-Gasmaschine der Société Cockerill in Seraing für
veränderliche Verdichtung.
Die von Cockerill vorgeführte Walzenzugmaschine – eine
Drillings-Tandemmaschine von 10000 PS – erregte wegen ihrer gewaltigen Abmessungen
allgemeines Aufsehen; sie wurde zeitweise durch einen Elektromotor in Bewegung
gesetzt.
Zur Umsteuerung usw. jeder Maschine dient eine Allansche
Kulissensteuerung, deren Einstellung durch eine besondere Hilfsmaschine erfolgt; die
zugehörigen Exzenter
Textabbildung Bd. 320, S. 771
Fig. 70 und 71. Zwillings-Verbundmaschine, Bauart François, der Société
Cockerill in Seraing.
sind auf einer durch Zahnräder mit der Hauptwelle verbundenen Steuerwelle
befestigt. Die Dampfverteilung der mit Frischdampf geheizten Hoch- und
Niederdruckzylinder von 900 bezw. 1350 mm Durchmesser wird durch Kolbenschieber
geregelt.
Textabbildung Bd. 320, S. 772
Fig. 72. Kolbenschieber zur Zwillings-Verbundmaschine, Bauart François, der
Société Cockerill in Seraing.
(Fortsetzung folgt.)