Titel: Zur Theorie der Dampfdrosselung in den Einlasskanälen der Dampfmaschinen.
Autor: Adolf Langrod
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 751a
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Zur Theorie der Dampfdrosselung in den Einlasskanälen der Dampfmaschinen.1) Von Ing. Adolf Langrod, Wien. Zur Theorie der Dampfdrosselung in den Einlasskanälen der Dampfmaschinen. Um sich ein klares Bild über die verwickelten Vorgänge, die sich auf dem Wege des Dampfes vom Schieberkasten bis zum Dampfzylinder und in letzterem abspielen, zu verschaffen, betrachten wir folgenden einfachen Fall. Denken wir uns eine, links (Fig. 1) an ein grosses Dampfgefäss angeschlossene Laval-Düse, die rechts in einen Zylinder ausläuft (s. Fig. 1). Es werden bezeichnet:
die Querschnitte mit F, die Drücke mit p, die spez. Volumina mit v, die Geschwindigkeiten mit w.
Die Zeiger 0, 1 und 2 entsprechen beziehungsweise dem Gefässinnern, dem kleinsten Querschnitte und der zylindrischen Verlängerung der Düse.
[Textabbildung Bd. 320, S. 751]
Fig. 1.
Der aus dem Ausflussgefässe ausströmende Dampf wird als trocken gesättigt, seine Zustandsänderung in der Düse adiabatisch und die Zustandsgleichung in der von Zeuner angenäherten Form . . . pvk = konstant . . . angenommen. Der Druck im Ausflussgefässe soll während der Ausströmung unveränderlich bleiben. Sehen wir von Strömungswiderständen ab, so entsprechen infolge der Umkehrbarkeit des ganzen Prozesses, so lange die Ausflussgeschwindigkeit des Dampfes an der engsten Stelle kleiner als die Schallgeschwindigkeit ist, gleichen Querschnitten vor und nach der engsten Stelle gleiche Dampfzustände. Der Expansion des Dampfes bis zu der engsten Stelle folgt von da an eine Kompression auf den in der zylindrischen Düsenverlängerung herrschenden Druck. Der rechts von der engsten Stelle sich in der Düse abspielende Prozess ist eine Umkehrung des sich links abspielenden Prozesses. Die betrachtete Erscheinung ist ganz analog derjenigen eines Stromes tropfbarer Flüssigkeit in der oben angegebenen Düse und lässt sich gut durch die graphische Darstellung Fig. 2 überblicken.
[Textabbildung Bd. 320, S. 751]
Fig. 2.
Diese Darstellung, in welcher die Querschnitte als Abszissen und die Drücke als Ordinaten gewählt wurden, entspricht der adiabatischen Expansion des Dampfes für den betrachteten Fall. Die Gleichung dieser Adiabate lautet: (FF2)2=(p2p0)24(p2p0)k+1k(pp0)2k(pp0)k+1k . . . . 1) Der Dampfströmung vom Ausflussgefässe bis zur engsten Stelle entspricht der Kurventeil vom unendlich fernen Punkte a bis zum Punkte b; von da an kehrt sich der Prozess um und daher wird auch die Adiabate in Fig. 2 in entgegengesetzter Richtung durchlaufen, also von b bis c. Der Vorgang bei der Strömung einer tropfbaren Flüssigkeit ist ganz dem obigen ähnlich, nur sieht die (F p)-Kurve anders aus (s. Fig. 3) entsprechend der Gleichung (FF2)2=p0p2p0p. Diese Darstellung der Dampfströmung in der Laval-Düse, für den Fall, dass die Dampfgeschwindigkeit in dem kleinsten Düsenquerschnitte kleiner als die Schallgeschwindigkeit ist, stimmt mit der von Stodola2) gegebenen im Prinzip überein.
[Textabbildung Bd. 320, S. 752]
Fig. 3.
Zeuner2) nahm an, dass der Dampf in unserem Falle schon in dem kleinsten Düsenquerschnitte den äusseren Druck erreichen würde. Auf dieser Annahme basieren die in der ersten Anmerkung genannten Arbeiten von Gutermuth und Bloess. So nahe es auch scheinbar lag, aus dem Vergleiche der Dampfströmung mit der Strömung tropfbarer Flüssigkeiten Aufklärung über den behandelten Strömungsvorgang zu verschaffen, so haben uns diese doch erst die Versuche von Stodola3) und Büchner4) gebracht.5) Für die Geschwindigkeit an der engsten Stelle gilt folgende Gleichung: w12=2gkk1p0v0[1(p1p0)k1k] . . . 2) Diese Geschwindigkeit wird beim kritischen Druckverhältnisse (p1p0)=(2k+1)kk1 . . . . 3) zur Schallgeschwindigkeit w12=2gkk+1p0v0 . . . . 4) Die Geschwindigkeit in der zylindrischen Düsenverlängerung erhalten wir aus der Kontinuitätsgleichung F1w1v1=F2w2v2 und es ergibt sich, wenn wir das Querschnittsverhältnis F1F2=n setzen, w2=nv2v1w1 oder, da v2v1=(p1p2)1k ist, w2=n(p1p2)1kw1 . . . . . 5) Bezeichnen wir mit wd, pd und vd die Geschwindigkeit, den Druck und das spez. Volumen des Dampfes im Zylinder für den Fall, dass an der engsten Düsenstelle gerade die Schallgeschwindigkeit erreicht wurde, so ergibt sich aus den Gleichungen 3), 4) und 5) wd=n2gkk+1p0v0(pdp0)1k(k+12)1k1 . . . . 6) Das Druckverhältnis pdp0 bestimmt sich aus Gleichung 1), nachdem für (p1p0) das kritische Druckverhältnis aus Gleichung 3) eingesetzt wurde, n2=2k1(k+12)k1n1[(pdp0)2k(pdp0)k1k] . 7) Bezeichnen wir mit D das einen Düsenquerschnitt in der Zeiteinheit durchströmende Dampfgewicht, so ist D=F1w1v1. Da an der engsten Stelle der Düse keine höhere Geschwindigkeit als die Schallgeschwindigkeit herrschen kann, so erhalten wir für das maximale in der Zeiteinheit die Düse durchströmende Dampfgewicht, das wir mit Dd bezeichnen wollen, den Wert Dd=F1gk(2k1)k1k1p0v0 . . 8) Denken wir uns jetzt in dem zylindrischen Düsenteile einen beweglichen Kolben. An dem Strömungsprozesse wird sich dadurch so lange nichts ändern, als die Kolbengeschwindigkeit c gleich der Dampfgeschwindigkeit w2 ist. Wird die Kolbengeschwindigkeit c grösser als die aus Gleichung 6) bestimmte Dampfgeschwindigkeit wd, so kann der Dampf dem Kolben nicht folgen. Es tritt weniger Dampf in den Zylinder ein, als zur Erhaltung des Druckes pd notwendig wäre, und es findet daher eine Expansion des Dampfes statt. Denken wir uns unter der zylindrischen Düsenverlängerung den Dampfzylinder einer Dampfmaschine, unter der Laval-Düse selbst den Einlasskanal und unter dem Ausflussgefäss den Schieberkasten, so ergibt sich aus unserer Betrachtung, dass die Dampfdrosselung erst dann anfängt, wenn an der engsten Einlasstelle der Dampf die Schallgeschwindigkeit erreicht. In der Einströmkurve des Indikatordiagrammes können wir demnach zwei Teile unterscheiden:6) von der Totlage bis zum Drosselungsanfang und von da an bis zum Füllungsschluss. Den ersten Teil erhalten wir aus der Bedingung, dass die Kolbengeschwindigkeit c gleich der Dampfgeschwindigkeit w2 sein muss. Es gilt daher: c=2gkk1p0v0[1(p2p0)k1k] . . 9) Da die Kolbengeschwindigkeit für jede Maschine als Funktion des Kolbenweges bestimmbar ist, so lässt sich für jede Kolbenstellung das Druckverhältnis (p2p0) aus Gleichung 9) berechnen. Die so erhaltene Kurve wird so lange fortgesetzt, bis das Druckverhältnis p2p0=pdp0 nach Gleichung 7), bezw. die Kolbengeschwindigkeit c = wd nach Gleichung 6) für den Drosselungsanfang erreicht wird. Von da an beginnt der zweite Teil der Einströmungskurve, nämlich die Drosselungskurve. Der Anfangspunkt dieser Kurve wird am besten festgestellt, indem man in ein Geschwindigkeits–Weg–Diagramm, in welchem die Abszissen die Kolbenwege und die Ordinaten die Geschwindigkeiten darstellen, die Kurve für die Kolbengegeschwindigkeiten und jene für die Drosselungsgeschwindigkeiten wd (nach Gleichung 6) einzeichnet. Der Schnittpunkt beider Kurven gibt die Kolbenlage für den Drosselungsanfang an. Hierbei ist zu bemerken, dass das in Gleichung 6) auftretende und mit n bezeichnete Verhältnis der Kanaleröffnung zur Kolbenfläche für jede Steuerung als Funktion des Kolbenweges gegeben ist. Die Drosselungskurve selbst wird auf folgende Weise bestimmt: Während der Drosselung strömt in den Dampfzylinder in der Zeiteinheit die mit Dd bezeichnete und aus Gleichung 8) bestimmbare Dampfmenge, daher in der Zeit dt die Menge dD=Dddt=F1gk(2k+1)k1k1p0v0dt. Wird der um die Länge des auf die Kolbenfläche reduzierten schädlichen Raumes vermehrte Kolbenweg mit s bezeichnet, so ist dt=dsc; daher dD=gk(2k+1)k+1k1p0v0F1cds. Nimmt s beim Drosselungsanfang den Wert sd an, so gibt der Ausdruck F2sd+vdsdaDdcds das Volumen des bei der Kolbenlage s im Dampfzylinder sich befindenden Dampfes für den Druck pd an. Das wirkliche Dampfvolumen ist aber für die Kolbenlage s: F . s. Nehmen wir die für die Expansion des Dampfes im Dampfzylinder durchwegs angewendete Zustandsgleichung p v = konstant an, so ergibt sich FsFsd+vdgk(2k+1)k+1k1p0v0sdsF1cds=pdp . 10) Da sowohl der Kanaleröffnungsquerschnitt F1, wie auch die Kolbengeschwindigkeit c als Funktionen des Kolbenweges gegeben sind, so lässt sich das Integral im Nenner der Gleichung 10) entweder analytisch oder für verschiedene Kolbenlagen graphisch durch Quadratur bestimmen. Die Gleichung 10) gibt uns die Drosselungskurve an. Unterziehen wir jetzt die erhaltenen Ergebnisse einer Besprechung und wenden wir uns zunächst dem ersten Teil der Einströmungskurve zu. Aus Gleichung 9) ergibt sich (p2p0)k1k=1c22gkk1p0v0 Da für den trocken-gesättigten Dampf pv1 . 0646 = 1 . 775 [p in kg/qcm und v in ccm] . 11) und k = 1 . 135 ist, so gilt (p2p0)0119=1c22,827,000p0006 [p in kg/qcm; c in m] . . 12) Das Druckverhältnis p2p0 hängt demnach nur wenig vom Drucke p0 im Schieberkasten ab. Setzen wir p0 = 10 kg/qcm, so ergibt sich (p2p0)0119=1000000031c2 [c in m] . 12*) Diese Gleichung lehrt uns, dass der Spannungsabfall, bei gebräuchlichen Kolbengeschwindigkeiten, während der Einströmung bis zum Drosselungsanfange ein ganz geringer ist und dass daher (p2p0)=1 und demnach auch (pdp0)=1 gesetzt werden kann. Aus Gleichung 6) ergibt sich nach Einsetzung der Werte für k, g und unter Berücksichtigung der Gleichung 11) und des Umstandes, dass (pdp0)=1 gesetzt werden kann, wd = 260 n p00 .03 . . . . 13) Die Drosselungsgeschwindigkeit ist demnach nur sehr wenig abhängig von dem Schieberkastendrucke p0. Setzen wir p0 = 10 kg/qcm, so lautet Gleichung 13): wd = 278 . 7 n [in m] . . . . 13*) Bezeichnen wir mit cm die mittlere Kolbengeschwindigkeit, mit m die Anzahl der Kurbelumdrehungen i. d. Minute, mit r den Kurbelradius und mit a den von der Kurbel von der Totlage aus beschriebenen Winkel; ferner sollen F1 max bezw. nmax die grösste Kanaleröffnung bezw. das grösste Querschnittsverhältnis n bedeuten. Gewöhnlich wird folgende Beziehung eingehalten: F1maxF2=nmax=c30. Daher ergibt sich aus Gleichung 13*) wdcm=929nnmax=929F1F1max . . 14) Da cπn30rsinα, und cm=rn15, so ist ccm=π2sinα. Dieses Verhältnis ccm wird für α = 90° ein Maximum und zwar (ccm)max=π2=157. Das Verhältnis wdcm kann nicht grösser als (ccm)max werden, deshalb muss nach Gleichung 14) F1F1max kleiner als 1929(ccm)max sein oder es muss sein. F1maxF1>59 Es folgt daraus, dass die Kanaleröffnung für den Anfang der Drosselung gewöhnlich kleiner als der sechste Teil der maximalen Kanaleröffnung ist. Aus Gleichung 10) folgt ferner, dass die Drosselungskurve oberhalb der vom Punkte mit den Koordinaten sd, p0 gezeichneten Hyperbel liegen wird. Diese Betrachtung zeigt uns, dass, infolge der Kolbengeschwindigkeit, vor der Drosselung kaum ein nennenswerter Druckabfall stattfindet. Dieser Druckabfall ist auch während der durch ungenügende Kanaleröffnung unmittelbar verursachten Drosselung kein bedeutender. Wenn uns die Praxis einen grösseren Druckabfall dennoch aufweist, und zwar während der ganzen Einströmzeit, so ist die Ursache noch in anderen Umständen zu suchen. Da wären vor allem die Veränderlichkeit des Druckes im Schieberkasten und die Strömungswiderstände zu nennen; auch sind die betrachteten Vorgänge durchaus keine feststehenden, als welche sie teilweise angenommen wurden. Alle diese Umstände, die voneinander abhängig sind, bedürfen noch eingehender, rechnerischer und experimenteller Verfolgung.