Titel: Kinetik und Kinetostatik des Schubkurbelgetriebes.
Autor: Hermann Meuth
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 517
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Kinetik und Kinetostatik des Schubkurbelgetriebes. Von Dr. ing. Hermann Meuth, Karlsruhe. (Fortsetzung von S. 505 d. Bd.) Kinetik und Kinetostatik des Schubkurbelgetriebes. B. Kinetostatischer Teil. Die Reaktionen des Kurbelgetriebes. Im folgenden soll untersucht werden, welche Drucke die das bewegte Getriebe stützenden Teile, die Lager und Führungen unter Einwirkung der äusseren und der aus der Bewegung entstehenden Kräfte erleiden. Das dabei eingeschlagene Verfahren kann auch ohne weiteres auf jede Stelle des Getriebes zur Bestimmung der dort herrschenden Spannungen angewendet werden. Führt man z.B. einen Schnitt durch die Lenkstange, so erhält man in den an der Schnittstelle ermittelten Reaktionen die dort auftretenden Spannungen. Mit Rücksicht auf die statische Beanspruchung der Triebwerksteile genügt die Ermittlung der Grenzwerte dieser Reaktionen und Spannungen. Ihre Schwankungen werden in der Festigkeitsberechnung durch einen dem Belastungsfall angemessenen grösseren Beanspruchungskoeffizienten berücksichtigt. Für die spezielle Untersuchung der dynamischen Vorgänge ist jedoch der Verlauf dieser Schwankungen während einer Umdrehung von Bedeutung. Dieser lässt sich in einfacher Weise unter Anwendung der Lagrangeschen Methode angeben. Man hat zu diesem Zwecke die Bewegungsfreiheit des Systems derart zu erweitern, dass man in der Richtung der gesuchten Reaktionen virtuelle Verschiebungen unter dem Einfluss der äusseren Kräfte eintreten lässt. Die Bedingung, dass in Wirklichkeit diese Bewegungen durch die Reaktionen verhindert werden, gibt die Grösse der Reaktionskräfte. Auf diese Verwendung der Lagrangeschen Methode zur Bestimmung der Reaktionen in Maschinenteilen hat besonders Hertz hingewiesen.35) Das Beispiel des einfachen Pendels (Fig. 4) soll das Verfahren näher erläutern: Hierbei hat die lebendige Kraft den einfachen Ausdruck L=12l2φ2M. Als äussere Kraft wirkt hier nur das Gewicht der Masse M, dessen Moment in bezug auf den Aufhängepunkt = – Mgl sin φ ist. Die Bewegungsgleichung lautet demnach, da Lφ=0 φ¨l2M=Mglsinφ; daraus φ¨=glsinφ. Will man nun die Spannung in der Pendelstange oder die Reaktion im Aufhängepunkt in der Stangenrichtung bestimmen, so lässt man die Stange ausser ihrer Drehbewegung um den Aufhängepunkt noch eine Verlängerung p in der Stangenrichtung ausführen und bestimmt für dieses so erweiterte System die lebendige Kraft. Die Geschwindigkeitskomponenten in den bezeichneten Achsrichtungen sind hierfür dxdt=(l+ρ)cosφφ˙+ρ˙sinφ und dydt=(l+ρ)sinφφ˙+φ˙cosφ folglich L=12M[(dxdt)2+(dydt)2]=12M[(l+ρ)2φ˙2+ρ˙2]
[Textabbildung Bd. 320, S. 517]
Fig. 4.
Die Koordinate, nach welcher die Differentiationen von L vorzunehmen sind, ist in vorliegendem Falle ρ. Als äussere Kräfte wirken jetzt die Reaktion R und die Gewichtskomponente in der Stangenrichtung; ihre Arbeit ist bei der Verschiebung δρ = (Mg cos φ + R) δρ. Die Bewegungsgleichung lautet daher ddt(Lρ˙)Lp=M[ρ¨(l+ρ)φ˙2]=Mgcosφ+R Wenn die Reaktion die Bewegung in der Stangenrichtung verhindert – das ist der Fall für eine unelastische Pendelstange – so ist φ¨ und ρ = o zu setzen. Damit erhält man R=[Ml(dφdt)2+Mgcosφ] d.h. die Reaktion im Aufhängepunkt in Richtung der Pendelstange ist gleich der Zentrifugalkraft des Pendelgewichts + Gewichtskomponente und ist diesen Kräften entgegengesetzt gerichtet, ein Resultat, das man in diesem einfachen Falle ohne weiteres hätte angeben können. Die Grösse der Geschwindigkeit dφdt ist der Bewegungsgleichung für das ursprüngliche System zu entnehmen.36) Es sollen nun im folgenden speziell die Reaktionen im Kurbellager und in der Kreuzkopfführung aufgesucht werden. a) Reaktionen im Kurbellager.
[Textabbildung Bd. 320, S. 518]
Fig. 5.
Zum Zwecke der Bestimmung dieser Reaktionen und zwar in den zwei Richtungen X und)'(Fig. 5) denken wir uns das Getriebe im Kurbellager nicht mehr fest gestützt, sondern von der Welle gelöst und die Kurbel in der Ebene frei beweglich. Unter dem Einfluss der äusseren Kraft P und der Gewichte der Triebwerksteile gelange das Wellenmittel aus der Lage O nach O' mit den Abständen a1 und a2 vom Wellenmittel O. Dadurch ist die Bewegungsfreiheit des Getriebes nach zwei Richtungen erweitert. Die Bewegungsgleichung dafür erfordert zunächst die Aufstellung des Ausdrucks für die lebendige Kraft des um zwei Freiheitsgrade erweiterten Systems. Wir betrachten wieder bloss die Lenkstange in der früher festgesetzten Belastungsweise, jedoch ist jetzt unter M1 lediglich die auf den Kurbelzapfen reduzierte Masse der Kurbel zu verstehen, da nach unserer Voraussetzung die übrigen rotierenden Teile von dem Getriebe abgetrennt angenommen werden. Die Koordinaten eines Lenkstangenpunktes im Abstande z vom Kurbelzapfen sind mit bezug auf das Koordinatensystem durch das ursprüngliche Wellenmittel: x = r cos φ + z cos η – a1 und y = r sin φ – z sin η – a2, somit die Geschwindigkeitskomponenten in den bezeichneten Richtungen dxdt=φ˙rsinφzsinη(dηdφφ˙+dηda2a˙2)a˙1 und dydt=φ˙rcosφzcosη(dηdφφ˙dηda2a˙2)a˙2. Hiermit ergibt sich die lebendige Kraft des erweiterten Systems zu Missing or unrecognized delimiter for \right +z2(dηdφφ˙+dηda2a2˙)2+2rφ˙(a˙1sinφa˙2cosφ) {2,rzφ˙cos(φ+η)2z(a˙1sinη +a˙2cosη)}(dηdφφ˙+dηda2a˙2). Man kann sich das Wellenmittel O in die neue Lage O' gebracht denken durch Horizontalverschiebung des ganzen Systems um die Strecke a1 und alsdann durch eine senkrechte Verschiebung a2. Bei der wagerechten Verschiebung a1 wird der Neigungswinkel der Lenkstange η nicht geändert, d.h. dηda1=0.. In den Ausdruck für den geometrischen Zusammenhang des Getriebes tritt in seiner erweiterten Form noch die Variable a2. Es ist r sin φ – a2 = l sin η; daraus durch Differentiation nach a2: dγ1da2=1lcosη oder mit der früheren Annäherung cos η = 1: dηda2=1l. Werden schon jetzt in den Ausdruck für die lebendige Kraft die Näherungswerte für dηdφ und cos (φ + η) eingeführt, welche dieselben sind, wie die auf S. 486 angegebenen,37) so wird Missing or unrecognized delimiter for \right Missing or unrecognized delimiter for \left Missing or unrecognized delimiter for \left +M2+bM32[r2φ˙2cos2φ2rφ˙a˙2cosφ+a2˙2] Entsprechend den drei Freiheitsgraden des erweiterten Systems ist die Aufstellung von drei Bewegungsgleichungen erforderlich: Die erste für die Drehung um den Winkel φ geht aus der Bearbeitung von Gleichung 2a) hervor, wenn dabei die virtuellen Verschiebungen a1 und a2 = o gesetzt werden. Die zweite und dritte beschreiben die virtuelle Bewegung des Wellenmittels in den Achsrichtungen; die sog. Koordinaten sind hier die Verschiebungen a1 und a2. Letztere Gleichungen lauten daher ddt(L2a1)La1=Qa1+R1 . . . II) und ddt(La2)La2=Qa2+R2 . . . . III) Auf die rechten Seiten dieser Gleichungen tritt zunächst, da es sich um Verschiebungen in den Richtungen X und Y handelt, die Summe der Komponenten Qa1 und Qa2, welche die äusseren Kräfte in den beiden Achsrichtungen aufweisen. Das Vorzeichen dieser Kräfte erhält man am sichersten wieder unter Anwendung des Prinzips der virtuellen Arbeiten: Qa1δa1=ΣK1δx und Qa2δa2=ΣK2δy wenn K1 und K2 die Komponenten der äusseren Kräfte in den Achsen X und Y mit dem in Fig. 5 bezeichneten Richtungssinn bedeuten. Mit den Werten für x und y auf 518 ist 1. für den Schwerpunkt des Kurbelarmes δx = – δa1; δy = – δa2 K1 = o;       K2 = – Gk, 2. für den Schwerpunkt der Lenkstange dx = – da1; δy = – δa2 (1 – a); a=z0l K 1 =o;        K 2 = – M 3 g, 3. für den Kreuzkopf δx = – δa1; δy = o, K 1 = – P;   K 2 = – M 2 g. Somit ergibt sich Qa1=P; Qa2=Gk+M3g(1a). Eine Verlegung der Kräfte und Massen, wie sie bei der Betrachtung der reinen Bewegungsverhältnisse des Getriebes zulässig war, darf nach der Teilung des Systems zur Bestimmung der Spannungen in demselben nicht mehr stattfinden. Der Widerstand fällt heraus, wenn er an der) abgetrennten Welle, nicht aber wenn er an der verlängerten Kolbenstange angreift. Die Kolbenkraft wirkt am Kreuzkopf und die Gewichte der bewegten Teile greifen in deren Schwerpunkten an, wo ihre Massen hinsichtlich ihrer statischen Wirkung konzentriert werden dürfen. Zu diesen äusseren Kräften treten noch die stützenden Reaktionen im Kurbellager R1 und R2. Werden nun die partiellen Differentiationen von L nach a1 und a2 ausgeführt, so lauten die Bewegungsgleichungen (M1+M2+M3)[a1¨+rφ¨sinφ+rφ˙2cosφ] Missing or unrecognized delimiter for \right Missing or unrecognized delimiter for \left . . IIa) und (M1+M2+M3)[a2¨rφ¨cosφ+rφ˙2sinφ] Missing or unrecognized delimiter for \right rφ˙2(2sinφλsin2φ)a¨1λsinφ2a¨2 Missing or unrecognized delimiter for \left rφ˙2sinφ¨a2)=Qa2+R2 . . . . . IIIa) Da nun für das starr gelagerte Getriebe die Verschiebungen tatsächlich nicht zustande kommen, so erhält man mit a1, a2 und deren Ableitungen = o, die Grösse der Reaktionen R1=rφ¨[(M1+M2+M3)sinφ+(M2+aM3)λ2sin2φ] +[(M1+M2+M3)cosφ+(M2+aM3)λcos2φ] Qa1. Missing or unrecognized delimiter for \right Missing or unrecognized delimiter for \left Missing or unrecognized delimiter for \left. Qa2. Die Grössen der Geschwindigkeit und Beschleunigung φ˙ und φ¨ sind der Bewegungsgleichung des ursprünglichen Getriebes zu entnehmen. Alsdann können die Reaktionen des Lagers in den beiden Achsrichtungen für jede Stellung der Kurbel angegeben werden. Die Betrachtung der Ausdrücke der Reaktionen ergibt eine einfache mechanische Interpretation dieser Werte. Darnach rühren die Reaktionen her einmal unmittelbar von den äusseren Kräften Qa1 und Qa2 und dann von den Kräften, welche aus der von den äusseren Kräften verursachten Bewegung entstehen. Letztere erscheinen in der Form von tangentialen Trägheitskräften (Glieder mit φ¨) und von radialen oder Zentrifugalkräften (Glieder mit φ¨2. (Fortsetzung folgt.)