Titel: | Dampfturbinen als Lokomotiv-Antrieb. |
Autor: | Hans A. Martens |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 455 |
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Dampfturbinen als Lokomotiv-Antrieb.
Dampfturbinen als Lokomotiv-Antrieb.
In der Fach- und Tagespresse sind des öfteren Vermutungen ausgesprochen, dass
die Dampfturbinen, nachdem sie als Grosskraftmaschinen so schnellen Eingang in den
Kraftwerken aller Art gefunden haben, nun wohl auch in absehbarer Zeit sich das Feld
im Lokomotivbau als Antriebsmaschinen erringen würden. Die Tatsache, dass deutsche
Kriegsschiffe an Stelle der Kolbendampfmaschinen mit Dampfturbinen ausgerüstet
worden sind und bei den Abnahmeprobefahrten günstige Ergebnisse gezeigt haben, hat
die Frage noch besonders in den Vordergrund gerückt. Es darf daher von Interesse
sein, die Möglichkeit der Verwendung von Dampfturbinen als Lokomotivantrieb kurz zu
besprechen.
Der innere Beweggrund, dass sich die Aufmerksamkeit auf die Dampfturbinen
gelenkt hat, muss mehr in ihrem dynamischen Verhalten während des Laufes als in der
wirtschaftlichen Energieausnützung des Dampfes, die bei den Grosskraftmaschinen der
der Kolbendampfmaschinen nicht nachsteht, gesucht werden. Die Dampfturbine hat
während des Laufes keine nennenswerten freien Massenkräfte, was in dem geringen
Grundgemäuer der ortsfesten Turbinen zum Ausdruck kommt. Sie erscheint also wie
geschaffen zum Lokomotivantrieb, dessen jetzige Gestalt in den hin- und hergehenden
Massen des Kurbeltriebes die für die Sicherheit des Ganges und für die Schonung des
Gleises gleich schädlichen sogenannten störenden Bewegungen erzeugt. Sie auf ein
erträgliches Kleinstmass zu verringern, ist seit langem das Streben der
Konstrukteure und hat zu dem paarweis gegenläufigen Triebwerk mit vier Zylindern
geführt. Wie bedeutsam die Aufgabe der Beseitigung der störenden Bewegungen im
Triebwerk ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Gilt doch in den Kreisen der
Elektrotechniker die Eigenschaft, dass der Elektromotor nur kreisende Bewegung hat,
als einer der schlagendsten Beweisgründe für die Ueberlegenheit desselben über die
Kolbendampfmaschine und erhoffte man von ihm, dass er das Gleis so gut wie gar nicht
beanspruchen würde, eine Hoffnung, die allerdings nicht berücksichtigte, dass
nunmehr das unabgefederte Gewicht der Achsen durch die Belastung des Ankers und das
teilweise Gehäusegewicht vermehrt wurde. Vergisst man nicht, dass die allgemeine
Einführung des elektrischen Betriebes auf einem ausgedehnten Bahnnetz mit
Fernzugbetrieb noch in weiter Zukunft steht, so erkennt man das Interesse umso
berechtigter, das sich einer den Dampf benützenden Antriebsmaschine mit ähnlichen
dynamischen Eigenschaften, wie sie der Elektromotor zeigt, zuwendet.
Die Forderungen, die an einen die jetzige Lokomotiv-Triebmaschine ersetzenden Antrieb
zu stellen sind, lassen sich in folgende Punkte zusammenfassen:
1. Gleiche oder grössere Wirtschaftlichkeit bei grossem Wechsel
der Belastung;
2. gleich gute Beweglichkeit in den
Geschwindigkeitsabstufungen, insbesondere leichtes Umsteuern für Vor- und
Rückwärtsgang;
3. geringe Raumbeanspruchung;
4. ruhiger Gang mit wenig freien Massenkräften.
1. Die Verhältnisse bei Kriegsschiffturbinen liegen ähnlich wie die der
Lokomotivturbinen. Man unterscheidet die sogenannte Marschgeschwindigkeit und die
forzierte Fahrt; bei beiden wird eine gleich gute Dampfausnutzung verlangt. Die Parsons-Turbine, die bisher hauptsächlich in Frage
kommt, zeigt ein Verhalten, nach dem bei gleichbleibender Leistung mit fallender
Umdrehungszahl der Dampfverbrauch für die Leistungseinheit beträchtlich steigt,
hingegen bei gleichzeitigem Fallen von Leistung und Umdrehungszahl nur eine
geringere Aenderung im Dampfverbrauch eintritt. Dieser letzte Fall trifft im
Schiffsbetrieb zu. Um noch günstiger zu arbeiten, schaltet man vor die Turbinen für
forzierte Fahrt eine sogenannte Marschturbine, deren Wirkung man sich so erklären
kann, dass eine Turbine, die in Hochdruck-, Mitteldruck- und Niederdruckturbine
unterteilt ist, bei forzierter Fahrt mit ausgeschalteter Hochdruckturbine fährt,
während die Mitteldruckturbine unmittelbar mit Frischdampf gespeist wird. Die
Belastungsverhältnisse der Lokomotive liegen ähnlich. Ob aber diese Anordnung der
Unterteilung möglich wäre, kann nur der Konstruktionsentwurf entscheiden, ob sie
angebracht und zweckmässig, der Versuch. Die Turbine verlangt zur guten
Dampfausnützung überhitzten Dampf und weitestgetriebene Dehnung. Da sie die
untersten Druckstufen des Dampfes gerade am besten ausnützt, ist zum
wirtschaftlichen Betrieb ein gutes Vakuum, d.h. der Betrieb als
Kondensationsmaschine, unerlässlich. An dieser Forderung wird die Verwendung der
bisher bekannten Turbinensysteme als Lokomotivantriebsmaschine zunächst
scheitern, da von vornherein mit einer bekannt unwirtschaftlichen Arbeitsweise
der Turbine gerechnet werden müsste, weil ein Kondensationsbetrieb auf der
Lokomotive sich nicht einrichten lässt.
2. Wie im Schiffsbetrieb hohe Anforderungen an die Manövrierfähigkeit der
Antriebsmaschinen gestellt werden, so werden Schnelligkeit im Umsteuern auf Vor- und
Rückwärtsgang und Feinheit der Geschwindigkeitsabstufungen und noch mehr Wechsel der
Leistungen von der Lokomotivmaschine verlangt. Bei den Schiffsmaschinen ist die
Aufgabe durch Verwendung mehrerer getrennter Vor- und Rückwärts-Turbinen
verhältnismässig einfach gelöst worden, allerdings auch nur ein Ersatz einer
Turbine, die mit gleich gutem Vor- und Rückwärtsgang als Parsons-Turbine bisher noch nicht gebaut worden ist. Die Elektra-Turbine
der Karlsruher Gesellschaft für elektrische Industrie
lässt sich durch Bedienung eines einfachen Wechselventils schnell umsteuern, welches
den Dampf einem doppelten Düsensystem mit den zugehörigen zwei Laufradkränzen für
Vor- und Rückwärtsgang des Laufrades zuführt. Ob die eine oder die andere Lösung der
Aufgabe für den Lokomotivantrieb in Frage kommt, kann wohl nur der Versuch
beantworten.
3. Für die Unterbringung der Turbine auf der Lokomotive, deren äusserer Aufbau einer
vollständigen Aenderung unterworfen werden müsste, spielt die Grössenabmessung der
Turbinen eine Rolle. Von den bekannten Systemen zeigen die einen zwar mässige
Abmessungen, aber hohe Umdrehungszahlen, welche die unangenehme Zugabe der
Räderübersetzung mit sich bringen, die anderen für den vorliegenden Zweck zu grosse
Abmessungen mit verhältnismässig mittleren Umdrehungszahlen. Ob es gelingen wird,
mehrere Turbinen zu verwenden und unterzubringen, ist ebenfalls Sache des Entwurfes.
Der Vorzug der Gewichtsersparnis gegenüber der Kolbendampfmaschine fällt zunächst
nicht so schwer ins Gewicht, da eine bestimmte Belastung der Treibachsen wegen der
erforderlichen Reibungskraft zwischen Rad und Schiene immer vorhanden sein und
nötigenfalls noch durch besondere Gewichte künstlich erzeugt werden müsste.
4. Das dynamische Verhalten der Turbine war zu Eingang des Aufsatzes eingehend als
Anstoss zur Beschäftigung mit der vorliegenden Frage gewürdigt werden, so dass an
dieser Stelle nichts weiter zu sagen übrig bleibt.
Das Ergebnis der Betrachtung führt dazu, dass mit den bisherigen Turbinensystemen ein
Lokomotiv-Antrieb wohl als ausgeschlossen zu betrachten ist und dass die Frage ein
noch scheinbar wenig bebautes Feld der Technik darstellt, falls man nach der fast
gänzlich schweigsamen Fachliteratur darüber urteilen darf. Es ist indes ebensowenig
glaubhaft, dass sich die Turbinentechnik nicht mit diesem Gegenstand beschäftigen
sollte und so darf man wohl das Schweigen der Literatur über ihn als die „Ruhe
vor dem Sturm“ betrachten, der einmal gewiss gänzlich Neues und Unerwartetes
mit sich führen wird.
Hans A.
Martens.