Titel: | Spannungen in prismatischen Röhren und Gefässen mit vierseitigem Querschnitt. |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 449 |
Download: | XML |
Spannungen in prismatischen Röhren und Gefässen
mit vierseitigem Querschnitt.
Spannungen in prismatischen Röhren und Gefässen mit vierseitigem
Querschnitt.
Röhren und Gefässen, die einem inneren Ueberdruck ausgesetzt sind, wird man in
der Regel, wenn es angängig ist, eine zylindrische Form geben, die ja nächst den aus
praktischen Gründen selten anzuwendenden Kugel-, Kegel- oder dergleichen Gestalten
die vollkommenste Form für diesen Fall ist, d.h. diejenige, welche unter sonst
gleichen Umständen die geringsten Spannungen ergibt, bezw. die geringste Wandstärke
erfordert. In manchen Fällen kommen jedoch auch andere Formen zur Verwendung, z.B.
die im Folgenden behandelte prismatische Form mit vierseitigem Querschnitt. Wenn bei
derartigen Röhren und Gefässen kein besonderer äusserer Zwang vorliegt, namentlich
auch die infolge von Temperaturänderungen eintretenden Dehnungen und Verkürzungen
nicht gehindert werden, so werden die Spannungen in den Querschnittsflächen immer so
gering sein im Vergleich mit den Spannungen in den Längsschnitten, dass sie gegen
diese vernachlässigt werden können. Es sollen daher auch nur diese Spannungen in den Längsschnitten untersucht werden, und
zwar soll die Untersuchung ferner noch beschränkt werden auf die – im allgemeinen am
stärksten beanspruchten – Teile, welche genügend weit von den Enden oder von
verstärkenden Flanschen und dergl. entfernt sind, um von den Abschlüssen,
Befestigungen, Verstärkungen usw. nicht beeinflusst zu werden. Da bei solchen
Querschnitten, wenn sie mit scharfen Ecken ausgeführt werden, die Spannungen in den
Längsschnitten in der Regel an den Kanten am bedeutendsten sind, so soll die
Untersuchung noch besonders darauf gerichtet sein, festzustellen, wie die
Inanspruchnahme durch Abrundung der Kanten vermindert
werden kann.
Textabbildung Bd. 320, S. 449
Es werde aus dem Rohr oder Gefäss durch zwei zur Mittellinie senkrechte Ebenen, die
den Abstand 1 haben, ein rahmenförmiges Ringstück
herausgeschnitten gedacht (Fig. 1). Die Seiten des
Querschnitts seien 2 m und 2
n und die vier Ecken seien nach gleichen Radien r abgerundet, alle Masse bis zur Mitte der Wandung gemessen. Die Wanddicke
sei überall gleich gross. Da der Querschnitt symmetrisch ist in bezug auf seine
beiden zueinander senkrechten Mittellinien, so genügt die Untersuchung eines
Viertel-Ringstückes. In den einzelnen Querschnitten eines solchen Ringstückes (d. i. also in
Längsschnitten des Rohres) werden sowohl Normalspannungen wie Schubspannungen
auftreten, und zwar rühren die ersteren zum Teil von einem Zug in der Längsrichtung
der Ringseiten, zum grösseren Teil aber von einer Biegung her.
Für einen beliebigen Querschnitt X,
Fig. 1, in
der Entfernung x von der Mitte einer ergibt sich die
Schubkraft aus den Gleichgewichtsbedingungen für das zur Mittelebene II symmetrische Stück XX1, Fig. 1 oben, und der
Zug in der Längsrichtung der aus den Gleichgewichtsbedingungen für das zur
Mittelebene II II symmetrische Stück XX2, Fig. 1 links.
Bezeichnet p den inneren Ueberdruck für die
Flächeneinheit, so muss, wie nach Vorstehendem aus Fig. 1 ohne weiteres zu
erkennen ist, im Querschnitt X die Schubkraft = px und die Zugkraft = pm
oder genauer = p (b + r0) sein, wenn m – r = b gesetzt und
unter r0 der Radius der
inneren Begrenzung der Abrundung verstanden wird (vergl. auch Fig. 3 und 4).
Zur Ermittlung der Inanspruchnahme auf Biegung werde ein
Viertelring nun weiter durch Schnitte an den Stellen, wo die gradlinige Begrenzung
in die Abrundung übergeht, in drei Teile, zwei geradlinige Stücke AB und CD und den
Viertelkreisring BC zerlegt (Fig. 2, 3 und 4). Mit den
eingeschriebenen Bezeichnungen sind nach Obigem die Schubkräfte
in B = pa, in C = pb, in A und
D = o,
sowie die Zugkräfte
in A und B = p (b + r0), in C und D = p (a + r0).
Die Biegungsmomente, denen in den Endflächen ABCD die Bezeichnungen M1M2M3 und M4 gegeben sind, mögen überall nach aussen drehend
(einer Dehnung an der Innenfläche entsprechend) positiv gesetzt werden.
Für den Teil AB,
Fig. 2,
ergibt sich hiernach in einem beliebigen Querschnitte in der Entfernung x von A das
Biegungsmoment
M_x=M_2-p\,a\,(a-x)+p\,(a-x)\,\frac{1}{2}\,(a-x)
oder
M_x=M_2-\frac{1}{2}\,p\,(a^2-x^2) . . . . 1)
In gleicher Weise erhält man für einen beliebigen Querschnitt
des Stückes CD,
Fig. 4, in
der Entfernung z von D:
M_z=M_3-\frac{1}{2}\,p\,(b^2-z^2) . . . . 2)
Für einen Querschnitt des Stückes BC,
Fig. 3,
welcher unter dem Winkel φ gegen die Endfläche B geneigt ist, wird das Biegungsmoment
M\,\varphi=M_2+p\,a\,r\,\mbox{sin}\,\varphi-p\,(b+r_o)\,r\,(1-\mbox{cos}\,\varphi)+p\,2\,r_0\,\mbox{sin}\,\frac{\varphi}{2}\,r\,\mbox{sin}\,\frac{\varphi}{2}
oder, mit Rücksicht darauf, dass
2\,\mbox{sin}^2\,\frac{\varphi}{2}=1-\mbox{cos}\,\varphi,
Mφ = M2
+ par sin φ – pbr (1 – cos
φ) . 3)
Die Gleichgewichtsbedingungen für das Kreisringstück BC,
Fig. 3,
liefern noch eine Beziehung zwischen M2 und M3, nämlich
M_3=M_2+p\,a\,r-p\,(b+r_0)\,r+2\,p\,r_0\,\mbox{sin}\,\frac{\pi}{4}\,r\,\mbox{sin}\,\frac{\pi}{4}
oder, da 2\,\mbox{sin}^2\,\frac{\pi}{4}=1,
M3= M2– pr (b – a) . . . . 4)
Nach den Gleichungen 1 bis 4 würde für jeden Querschnitt des Ringes das
Biegungsmoment zu berechnen sein, wenn das Moment M2 bekannt wäre. Um dieses zu ermitteln, muss eine
Bedingung der Formänderung zu Hilfe genommen werden. Hierzu eignet sich am besten
die Bedingung, dass der Winkel, um welchen sich die ursprünglich zueinander
senkrechten Endflächen des Teiles BC durch die infolge
der Belastung eintretende Formänderung gegeneinander neigen, d. i. der Winkel ω,
Fig. 3,
gleich sein muss der Summe der beiden Winkel ω2 und ω3, um welche die Endflächen B und C der geradlinigen Teile sich durch die
Formänderung gegen die Mittelebenen A und D oder gegen ihre ursprüngliche Lage neigen, wie man
aus Fig. 3
erkennt. Nun ist für den Teil AB,
Fig. 2, ω2 zu bestimmen aus
\omega_2=-\frac{\alpha}{J}\,\int_o^a\,M_x\,d\,x,
wenn mit a der
Dehnungskoeffizient \left(=\frac{1}{\mbox{Elastizitätsmodul }}E\right) und mit J das
Trägheitsmoment des Querschnitts bezeichnet wird. Das Minuszeichen ergibt sich aus
der Wahl des positiven Sinnes der Momente und des Winkels ω2. Bei einer durchweg nach aussen
gerichteten Biegung würde der Endquerschnitt B nicht
wie angenommen, sondern entgegengesetzt geneigt sein.
Mit dem Wert von M1 aus
Gleichung 1) ergibt dies
\omega_2=-\frac{\alpha}{J}\,\int_o^a\,\left\{M_2-\frac{1}{2}\,p\,(a^2-x^2)\right\}\,d\,x
oder
\omega_2=\frac{\alpha\,a}{J}\,\left\{\frac{1}{3}\,p\,a^2-M_2\right\} . . . . . . 5)
Ebenso wird für den Teil CD,
Fig. 4,
\omega_3=\frac{\alpha\,b}{J}\,\left\{\frac{1}{3}\,p\,b^2-M_3\right\} . . . . . . 6)
Für das Mittelstück BC,
Fig. 3, ist
zu setzen
\omega=\frac{\alpha}{J}\,\int_{\varphi=0}^{\varphi=\frac{\pi}{2}}\,M\,\varphi\,d\,s,
unter ds ein Element der
Mittellinie BC verstanden, oder mit dem Wert von Mφ aus Gleichung 3) und mit ds = rdφ
\omega=\frac{\alpha\,r}{J}\,\int_o^{\frac{\pi}{2}}\,\left\{M_2+p\,a\,r\,\mbox{sin}\,\varphi-p\,b\,r\,(1-\mbox{cos}\,\varphi)\right\}\,d\,\varphi
d. i.
\omega=\frac{\alpha\,r}{J}\,\left\{\frac{\pi}{2}\,(M_2-p\,b\,r)+p\,r\,(a+b)\right\} . . . 7)
Setzt man nun in die oben genannte Bedingung ω = ω2 + ω3 die Ausdrücke für diese Winkel aus den Gleichungen
5), 6) und 7) ein, so erhält man
\frac{\alpha\,r}{J}\,\left\{\frac{\pi}{2}\,(M_2-p\,b\,r)+p\,r\,(a+b)\right\}=\frac{\alpha\,a}{J}\,\left\{\frac{1}{3}\,p\,a^2-M_2\right\}+\frac{\alpha\,b}{J}\,\left\{\frac{1}{3}\,p\,b^2-M_3\right\}.
Hieraus ergibt sich mit Rücksicht auf Gleichung 4) nach
einigen Umformungen
M_2=\frac{\frac{1}{3}\,(a^3+b^3)+b\,r\,(b-a)+r^2\,\left\{\left(\frac{\pi}{2}-1\right)\,b-a\right\}}{\frac{\pi}{2}\,r+a+b} 8)
Gleichung 8) genügt
nun in Verbindung mit den Gleichungen 1) bis 4) zur Berechnung des Biegungsmomentes
für jeden beliebigen Querschnitt des Ringes. Insbesondere ergeben sich für die
Endquerschnitte der drei Teile:
M3 aus Gleichung 4);
ferner M1 aus Gleichung
1) mit x = o:
M_1=M_2-\frac{1}{2}\,p\,a^2 . . . . . 9)
und M4 aus Gleichung 2) mit z = o:
M_4=M_3-\frac{1}{2}\,p\,b^2 . . . . . 10)
Für die beiden geradlinigen Teile sind die Momente M1 bis M4 in den Endflächen die relativ grössten (oder auch
kleinsten) Biegungsmomente. Für den krummen Teil BC
wird sich im allgemeinen in einem mittleren, unter einem bestimmten Winkel φx gegen die Endfläche
B geneigten Schnitt ein grösster Wert ergeben,
nämlich nach Gleichung 3) für den Wert von φ, für
welchen
a sin φ +
b cos φ
einen grössten Wert erhält. Er ergibt sich aus
\frac{d}{d\,\varphi}\,(a\,\mbox{sin}\,\varphi+b\,\mbox{cos}\,\varphi)=0,
nämlich
\mbox{sin}\,\varphi_x=\frac{a}{\sqrt{a^2+b^2}} . . . . 11)
Um statt der Grössen a und b die halbe Breite n und halbe Höhe m des Rohrquerschnittes einzuführen, werde in obigen
Formeln a = n – r und b = m –
r gesetzt. Man erhält dann zunächst aus Gleichung 8):
M_2=\left\{\frac{\frac{1}{3}\,\left\{\left(\frac{m}{n}\right)^3+1\right\}-\left(\frac{m}{n}+1\right)\,\frac{r}{n}}{\frac{m}{n}+1-0,43\,\frac{r}{n}}\right
\ \ \ \ \ \left\frac{+\left(0,57\,\frac{m}{n}+1\right)\,\left(\frac{r}{n}\right)^2-0,24\,\left(\frac{r}{n}\right)^3}{\frac{m}{n}+1-0,43\,\frac{r}{n}}\right\}\,p\,n^2 . . . . 12)
Ferner nach Gleichung 4):
M_3=M_2-\left(\frac{m}{n}-1\right)\,\frac{r}{n}\,p\,n^2 . . . 13)
weiter nach Gleichung 9):
M_1=M_2-\frac{1}{2}\,\left(1-\frac{r}{n}\right)^2\,p\,n^2 . . . 14)
sowie nach Gleichung 10):
M_4=M_3-\frac{1}{2}\,\left(\frac{m}{n}-\frac{r}{n}\right)^2\,p\,n^2 . . . 15)
und endlich nach Gleichung 3)
M\,\varphi=M_2+\left\{\left(1-\frac{r}{n}\right)\,\mbox{sin}\,\varphi-\left(\frac{m}{n}-\frac{r}{n}\right)\,(1-\mbox{cos}\,\varphi)\right\}\,\frac{r}{n}\,p\,n^2 . . 16)
und zwar bekommt Mφ einen
grössten Wert Mφx nach
Gleichung 11) für
\mbox{sin}\,\varphi_x=\frac{1-\frac{r}{n}}{\sqrt{\left(1-\frac{r}{n}\right)^2+\left(\frac{m}{n}-\frac{r}{n}\right)^2}} . . 17)
Alle Momente sind hiernach ausgedrückt durch pn2, sowie durch die Verhältnisse \frac{m}{n} und
\frac{r}{n}.
Für den mehr oder weniger abgerundeten quadratischen
Rohrquerschnitt ergibt sich insbesondere mit \frac{m}{n}=1:
M_2=M_3=\frac{0,667-2\,\frac{r}{n}+1,57\,\left(\frac{r}{n}\right)^2-0,24\,\left(\frac{r}{n}\right)^3}{2-0,43\,\frac{r}{n}}\,p\,n^2 18)
M_1=M_4=M_2-\frac{1}{2}\,\left(1-\frac{r}{n}\right)^2\,p\,n^2 . . 19)
φx =
45° und M_{\varphi\,x}=M_2+0,414\,\left(1-\frac{r}{n}\right)\,\frac{r}{n}\,p\,n^2 20)
Für andere Seitenverhältnisse erhält man nach Gleichung 17) zunächst die folgenden
Werte von φx:
\frac{r}{n}
\frac{m}{n}=1,5
2
3
5
10
0,1
32° 50'
0,2
31° 40'
24° 0'
16° 0'
0,3
30° 20'
8° 30'
4° 10'
0,5
26° 30'
18° 30'
11° 20'
Bei einer Abrundung mit \frac{r}{n}=1 ist immer φx = o und es fallen
dann M1, M2 und Mφx zusammen.
(Schluss folgt.)