Titel: | Federkolben und Schleifkolben für Dampfmaschinen. |
Autor: | Haedicke |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 325 |
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Federkolben und Schleifkolben für
Dampfmaschinen.
Federkolben und Schleifkolben für Dampfmaschinen.
Auf der letzten Düsseldorfer Ausstellung befand sich, von Wenigen beachtet und
nirgends besprochen, eine Spindel zum Ausschleifen von
Dampfzylindern, welche, zwischen die Spitzen einer
kräftigen Drehbank gesetzt, zum Tragen eines schnellaufenden Schleifsteines dient,
während der Zylinder, der auf den Support gespannt wird, sich langsam verschiebt.
Auch ein auf diese Weise innen geschliffener Zylinder, von 265 mm Weite, stand zur
Besichtigung. Beides war von der Firma Schilling &
Krämer in Suhl
gefertigt.
Der der Schleifspindel zugrunde liegende Gedanke ist unseres Wissens zuerst von Reuleaux ausgesprochen worden und findet seinen
kürzesten Ausdruck in dem Wort: Reibungsloser Kolben. Reuleaux erinnerte – es war auf dem Polytechnikum zu Zürich Mitte der
sechziger Jahre – daran, dass sich die Kolbenfedern manchmal vollständig festsetzen
und nunmehr ohne Federkraft, also auch ohne Druck und daher reibungslos ihren Zweck
erfüllen. Und um dem Kolben die in dem vorliegenden Fall zunächst aufgebürdete
Arbeit zu ersparen, den Zylinder innen glatt auszuschleifen, wurde die betreffende
Spindel konstruiert. Natürlich gehört dazu auch ein geschliffener Kolben, also ein
Kolben ohne Ringe.
Einen solchen Kolben von 260 mm Länge hat nun jüngst die Maschinenbau-Aktiengesellschaft vormals Gebr. Klein in Dahlbruch gefertigt und demselben zu vergleichenden
Versuchen einen sehr sorgfältig gearbeiteten Kolben mit drei Spannringen
hinzugefügt. Da der Zylinder lang genug ist, um beide Kolben gleichzeitig aufnehmen
zu können (s. Fig. 1), so war die beste Gelegenheit
geboten, einen vergleichenden Versuch anzustellen, der in den Kgl. Lehrwerkstätten zu Siegen stattfand. Zunächst wurden die Dichtungsverhältnisse einigermassen
festgestellt. Es zeigte sich, dass beide Kolben im gewöhnlichen Sinne luftdicht
waren. Wurde der Spannkolben – wie wir der Kürze halber den mit den Spannringen
versehenen Kolben nennen wollen – bewegt, so bewegte sich der Schleifkolben mit,
entweder durch Luftverdünnung oder durch Luftverdichtung, und von einem Durchgang der Luft
konnte nichts bemerkt werden.
Sehr unterschiedlich aber zeigten sich die Reibungsverhältnisse. Mit Hilfe einer
Federwage wurde durch wiederholte Beobachtung bei sorgfältig gereinigten und nicht
geölten Flächen für den Spannkolben eine Reibung von 30 kg und für den Schleifkolben
eine solche von 7½ kg festgestellt. Das würde bei einem Hub von 0,5 m und 180
Umdrehungen der Maschinenwelle 1,2 Pferdestärken – für eine 10pferdige Maschine –
also 12 v. H. betragen. Der Schleifkolben dagegen beanspruchte zum Verschieben 7,5
kg, also nur ¼.
Textabbildung Bd. 320, S. 326
Die beiden Kolben wurden nunmehr festgehalten und, von der Mitte aus, dem Dampfdruck
ausgesetzt. Beim Anwärmen mit 2½ Atm. gab der Schleifkolben wesentlich mehr Wasser
ab, als der Spannkolben, nämlich 1,3 l in fünf Minuten gegen 0,5 l. Dieses
Verhältnis kehrte sich aber um, nachdem das Anwärmen sich vollzogen hatte, wohl aus
dem Grunde, weil der Schleifkolben durch die Ausdehnung relativ grösser geworden
war, als der Zylinder.
Bei 8 Atm. liess der Spannkolben 2,1 l in fünf Minuten durch, während der
Schleifkolben nur 1,4 l abgab. Nach dem Anwärmen liessen beide Kolben an einer
Stelle einen leichten Dampfstrahl durch, sonst eben nur Wasen, jedoch machte hier
der Spannkolben einen besseren Eindruck.
Nimmt man den Spalt beim Schleifkolben auf 1/100 mm an, so berechnet sich der Spaltquerschnitt
bei 80 cm Umfang zu 8 qmm. Und legt man dann die oben angegebene Menge von 1,4 l in
fünf Minuten durchgelassenen Wassers zugrunde, so erhält man eine
Durchgangsgeschwindigkeit von 575 mm.
Bei 180 Umdrehungen in der Minute kommen sechs Hube auf eine Sekunde. Mithin ist für
den Spaltdurchgang nur ⅙ Sekunde Zeit vorhanden, also ein Weg von 96 mm. Da der
Kolben 260 mm lang ist, so hat das Wasser unter den angegebenen Verhältnissen keine
Zeit, während des Hubwechsels durchzudringen. – Diese Berechnung gilt für Wasser und
den weiten Spalt beim Anwärmen. Während des Betriebes jedoch haben wir es mit dem
engeren Spalt zu tun, und bei Ueberhitzung mit Dampf. Bei Verwendung gesättigten
Wasserdampfes ist nur mit Kondenswasser zu rechnen, da die mittlere Kolbentemperatur
niedriger ist als die Temperatur des frischen Dampfes. Ferner lehrt die Beobachtung
des Versuchsgegenstandes, dass das Wasser in relativ reichlicherer Menge
durchzudringen vermag, als der Dampf.
Selbst unter den ungünstigsten Umständen, also beim Spielraum in nicht angewärmtem
Zustande – ein Fall, der in der Praxis nie eintreten kann – ist die Geschwindigkeit
des durchgetriebenen Kondenswassers ein nur geringer Bruchteil der
Kolbengeschwindigkeit, so dass von einem praktisch merkbaren Verlust durch
Kolbenundichtheit wohl keine Rede sein kann. Dagegen geht der Schleifkolben ganz
wesentlich leichter als der Spannkolben und muss daher auch eine ganz wesentlich
geringere Abnutzung zeigen.
Diese Abnutzung wird voraussichtlich mindestens für aufrecht stehende Maschinen
verschwindend sein, denn der Kolben ist im Sinne Reuleauxs reibungslos, hat aber vor dem alten reibungslosen Kolben den
grossen Vorzug, dass der Zylinder schön gleichmässig ausgeschliffen ist während
diese Arbeit von dem Kolben selbst bekanntlich stets recht ungleichmässig besorgt
wird.
Aber auch bei wagerechter Lage dürfte sich die Abnutzung auf ein ausserordentlich
geringes Mass stellen. Wie aus den oben angegebenen Massen zu ersehen, hat der
Schleifkolben eine grosse Länge und infolgedessen eine sehr grosse Auflagefläche.
Die Erfahrung aber zeigt, dass in der Praxis bei grossen Auflageflächen eine
Abnutzung überhaupt nicht beobachtet wird, namentlich, wenn die Flächen geschmiert
sind. Radinger spricht in solchen Fällen von einer
Oelatmosphäre, in welche die Reibungsfläche gehüllt ist. Es arbeitet nicht Metall
auf Metall, sondern Metall auf der Flüssigkeit. Da der Kolben nun abwechselnd mit
Dampf von höherer und niederer Temperatur in Berührung ist und sich solcher auch in
den Spalt drängt, so wird dieser sicher stets mit Kondenswasser erfüllt sein, was
für den vorliegenden Zweck sich als recht dienlich erweisen wird.
Hiernach dürfte der Schleifkolben mindestens für mittlere und kleinere
Kolbenmaschinen und wahrscheinlich auch für Lokomotiven warm empfohlen werden
können, namentlich da nach den obigen Zahlen eine Verlängerung; des Kolbens für
viele Fälle nicht einmal notwendig zu. sein scheint.
Haedicke,Siegen.