Titel: | Die Stickstoffgewinnung aus der Luft. |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 189 |
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Die Stickstoffgewinnung aus der Luft.Nach einem von Prof. Edström auf dem Elektriker-Kongress in St.
Louis gehaltenen Vortrage.
Die Stickstoffgewinnung aus der Luft.
Ein gegenwärtig für die Industrie und Landwirtschaft gleich wichtiges Mineral
ist der Chilisalpeter; er wird ausser zur Herstellung von Salpetersäure und anderen
chemischen Produkten auch als Düngmittel benutzt, um dem Boden neue Nährstoffe
zuzuführen. Die im nördlichen Chile aufgefundenen Salpeterfelder, deren Erde in
Lagern von ¼ bis 4 m Mächtigkeit 15 bis 65 v. H. salpetersaures Natron (NaNO3) enthält, sind
keineswegs unerschöpflich und man kann schon jetzt den Zeitpunkt vorausbestimmen, zu
welchem, falls neue Lager nicht aufgefunden werden, die dort lagernden Vorräte
aufgebraucht sind. Der Verbrauch an Chilisalpeter betrug im Jahre 1900 etwa 1¾
Millionen Tonnen und hat in den letzten 10 Jahren jährlich um etwa 50000 t
zugenommen. Nimmt man, was der Wirklichkeit ziemlich nahe kommen wird, den heutigen
Bestand der Salpeterfelder zu 100 Millionen Tonnen an, so würden die Felder unter
der Annahme eines in gleichem Masse steigenden Verbrauches im Jahre 1940 erschöpft
sein.
Da es bisher nicht gelungen ist, andere grosse Lagerstätten von Salpeter aufzufinden,
so hat man seit Jahren Versuche gemacht, einen Ersatz dafür zu finden. Eine sehr
billige und unerschöpfliche Quelle für die Gewinnung von Stickstoff ist nun unsere
atmosphärische Luft.D. p. J. 1903, 318, S. 262. Die ersten Versuche
dieser Art waren bakteriologischer Natur, führten aber zu keinem brauchbaren
Ergebnis. Später beschäftigte sich Siemens & Halske mit einem von Dr. Frank angegebenen Verfahren Calciumcyanid (CaCN2)
herzustellen, indem ein Stickstoffstrom über erhitztes Calciumkarbid geleitet wurde.
Der Stickstoff selbst wurde erhalten, indem man einen Luftstrom über rotglühendes
Kupfer leitete. Diese Methode zur Darstellung von Calciumzyanid, welches sich als
gutes Düngmittel erwies, wurde später auch noch weiter vereinfacht, konnte indessen
nicht so weit vervollkommnet werden, dass eine fabrikmässige, gewinnbringende
Herstellung in grösserem Umfange möglich war.
Die Schwierigkeit, Stickstoffverbindungen aus der Luft herzustellen, liegt darin,
dass sich der Stickstoff sehr indifferent gegen andere Stoffe verhält, und es daher
schwer ist, ihn chemisch zu binden. Seit 100 Jahren ist es bekannt, dass in der Luft
überspringende Funken eine Vereinigung zwischen dem Sauerstoff und dem Stickstoff
der Luft zustande bringen, woraus sich Salpetersäure ergibt. Die ersten Arbeiten auf
diesem Gebiete rühren von Priestley, Cavendish, Wills,
Flücker, Dewar und Lord Rayleigh her.
Die ersten praktischen Ergebnisse der Stickstoffherstellung aus der Luft in grösserem
Masstabe erzielte 1902 die Atmospheric Products Co. in
Niagara Falls, nach dem von Bradley und Lovejoy angegebenen Verfahren. Dies Verfahren besteht
darin, dass zwei konzentrische Zylinder mit zahlreichen gegenüberstehenden
Platinspitzen gegeneinander gedreht werden, welche an eine Gleichstromleitung von
8000 bis 10000 Volt Spannung angeschlossen sind. Die zwischen den Spitzen gebildeten
Lichtbogen reissen bei der fortschreitenden Drehung der Zylinder ab, worauf sich
wieder neue Lichtbogen bilden. Da der Widerstand der Lichtbogen naturgemäss
wechselt, so wird eine Drosselspule mit in den Stromkreis eingeschaltet, um den
Strom zu regulieren. Der zwischen den Zylindern hindurch streichende Luftstrom wird
durch Berührung mit den Lichtbogen in seiner Zusammensetzung verändert, derart, dass
sich Stickstoff und Sauerstoff verbinden. Die Hauptforderung des Systems liegt
darin, dass die einzelnen Lichtbogen eine möglichst grosse Länge und einen möglichst
geringen Querschnitt besitzen, damit möglichst viel Luft mit den Lichtbogen in
Berührung kommt, d.h. dass die durch den Apparat fliessende Energie möglichst stark
unterteilt wird. Dies bestimmt aber den Wirkungsgrad des Systems, da die in den
Lichtbogen aufgezehrte Energie ihrem Volumen proportional ist. Die weitgehende
Unterteilung des Lichtbogens bezw. der Energie bietet praktische Schwierigkeiten und
setzt gleichzeitig den Wirkungsgrad bedeutend herab. Der Wirkungsgrad bezw. die
Ausbeute des Systems beträgt 1000 kg 70 prozentiger Salpetersäure (HNO3) f. 1 Kilowattjahr. Dies entspricht 700 kg 100
prozentiger Salpetersäure. Es ist nicht zu verwundern, dass unter diesen ungünstigen
Verhältnissen eine weitere Entwicklung des Verfahrens nicht stattgefunden hat. Eine
andere von Kowalski und Moscicki angegebene Methode besteht darin, einen Luftstrom dem Einfluss
eines Wechselstromlichtbogens von 50000 Volt und einer Frequenz von mehreren tausend
Perioden in der Sekunde auszusetzen. Die Ausbeute soll hierbei 1 kg Salpetersäure f.
15 KW-Stunden oder 580 kg Säure f. d. Kilowattjahr betragen. Auch dies Verfahren hat
den Nachteil, dass die Apparate zu kompliziert werden und dass es zu viel Energie
erfordert.
Textabbildung Bd. 320, S. 189
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 320, S. 189
Fig. 2.
Eine neue und scheinbar weit mehr versprechende Methode ist kürzlich von Birkeland und Eyde
erfunden worden. Sie gehen- von der bekannten Erscheinung aus, dass ein Strom bezw.
der den Strom führende Lichtbogen durch ein starkes magnetisches Feld abgelenkt wird
und zwar rechtwinklig zum Verlauf der Kraftlinien. Eine der vorgeschlagenen
Anordnungen ist in Fig. 1 dargestellt: der Abstand
der Elektroden ist ein solcher, dass die Maschine einen Lichtbogen bilden und
unterhalten kann. Wird der Bogen einem senkrecht zu den Elektroden gerichteten:
kontinuierlichen Magnetfeld ausgesetzt, so wird er in der skizzierten Richtung
abgelenkt, wenn die Stromrichtung einen gewissen Sinn hat und konstant ist. Durch
einen in den Stromkreis eingeschalteten Widerstand fällt bei Auftreten des
Lichtbogens die Spannung an den Elektroden stark ab, der Bogen wird länger und
länger und gestattet durch Abnahme der Stromstärke ein erneutes Ansteigen der
Spannung, so dass ein neuer kürzerer Lichtbogen von geringerem Widerstand auftritt,
der den ersten zum Verlöschen bringt. Die Bewegung des Lichtbogens ist eine so
schnelle, dass etwa hundert Lichtbogen in einer Sekunde entstehen und so dem Auge
als eine Lichtbogenfläche erscheinen. Ist das ablenkende Feld ein Wechselstromfeld,
so breitet sich diese Fläche nach beiden Seiten aus wie in Fig. 2 dargestellt und besitzt die Form eines vollen Kreises. Diese
Anordnung wird in dem von Birkeland und Eyde konstruierten Ofen benutzt. Fig. 3 zeigt einen Vertikalschnitt des Ofens. NS sind die Blasmagnete, in deren Mitte sich die
Elektroden befinden. Die Luft wird durch Kanäle AA in
die zentrale Kammer mit den Elektroden eingesaugt und verlässt sie nach Berührung
mit dem Lichtbogen bei C. Der Hauptvorzug dieser
Methode gegen die älteren liegt vor allem darin, dass der Lichtbogen eine grössere
Energiemenge in sich vereinigt; dieser Umstand ermöglicht eine rationellere
Ausnutzung der Energie und zwar steigt der Wirkungsgrad, wie Versuche ergeben haben,
in gleichem Masse wie die im Lichtbogen frei werdende Energie. Ein derartiger,
bereits längere Zeit im Betriebe befindlicher Ofen ist so eingerichtet, dass der
zwischen zwei einzelnen Elektroden gebildete Lichtbogen 75 bis 200 KW verzehrt.
Dieser Ofen wurde mit Wechselstrom von 5000 Volt und 50 Perioden gespeist. Ein
anderer im Bau befindlicher Ofen wird für
500 KW eingerichtet. Eine solche Leistung liess sich natürlich nicht einmal
angenähert bei den älteren Systemen umsetzen.
Textabbildung Bd. 320, S. 190
Fig. 3.
Trotz des starken Stromes ist der eingangs erwähnte Ofen mehrere hundert Stunden lang
im Betrieb gewesen, ohne dass sich unzulässige Erhitzungen oder Abnutzungen der dem
Lichtbogen ausgesetzten Elektroden gezeigt hätten. Die Elektroden werden aus Eisen
oder Kupfer hergestellt und haben solche Abmessungen, dass man durch Anbringung
einer Wasserkühlung die Temperaturerhöhung in verhältnismässig niedrigen Grenzen
halten kann. Der ganze Ofen ist ein kompakter Apparat, der sich ohne besondere
Geschicklichkeit bedienen lässt und zum Betriebe keine besonderen Maschinen
erfordert.
Die Ausbeute bei einer der ersten Typen eines solchen Ofens, die nur für 7 bis 1,0 KW
eingerichtet war, hat sich in 1½ jährigem Betriebe zu 400 kg Salpetersäure f. 1
Kilowattjahr ergeben. Die neueren grossen Oefen lieferten 900 kg Säure f. 1
Kilowattjahr. Die Energiemenge entspricht der im Lichtbogen selbst umgesetzten
Leistung. Die Ausbeute eines solchen Ofens hängt ab von dem Feuchtigkeitsgehalt der
eingeführten Luft, ihrer Temperatur, ihrem Sauerstoffgehalt ferner von der f. d.
Einheit der Leistung zugeführten Luftmenge, der Leistung, der Spannung und der
Frequenz des Stromes, von der Stärke des Blasfeldes und der Güte der Isolation im
Ofen. Die austretende Luft enthält 2 bis 3 v. H. Stickstoffoxyd (NO), welches in Stickstoffdioxyd (NO2) übergeführt werden muss. Dies erfolgt in grossen,
innen emaillierten Eisenblechkammern. Die Gase werden von hier durch einen aus Ton
hergestellten Exhaustor abgesaugt und dann durch scrubberartige Türme geführt, in
welchen sie mit fein verteiltem Wasser oder Sodalösung in Berührung kommen. Von
diesen nach dem Gegenstrom konstruierten Türmen sind vier vorhanden, von denen in
den ersten drei Wasser herabrieselt. Die letzten Reste des in der Luft enthaltenen
Stickstoffdioxyds werden in dem vierten Turm durch die Sodalösung absorbiert. Das
mit Salpeter angereicherte Wasser wird mehrere Male wieder herabrieseln gelassen,
bis eine gewisse Konzentration erreicht ist. Dann wird die Säure aus den letzten
Türmen in die ersten geleitet, wo eine weitere Anreicherung stattfindet. Die Säure
wird dann entweder durch ein rein chemisches Verfahren weiter konzentriert oder zu
Kalium- oder Natriumnitrat verarbeitet. Aus der ursprünglichen Sodalösung wird durch
die Aufnahme von Stickstoffdioxyd Natriumnitrat oder -Nitrit, welches später weiter
zu reinem Nitrat verarbeitet wird.
Die Erfolge des Verfahrens von Birkeland und Eyde berechtigen zu der Hoffnung, dass die auf diesem
Wege hergestellten Stickstoffverbindungen bald markt- und konkurrenzfähig sein
werden und es bietet sich dadurch ein neues Verwendungsgebiet von grossen
Wasserkräften, welche für die Fortleitung der elektrischen Energie bisweilen zu
ungünstig gelegen sind unter diesem Gesichtspunkte indessen Bedeutung erlangen. Ein
ähnliches Fiasko wie seinerzeit die Calciumcarbidwerke infolge der geringen
Nachfrage nach diesem Produkt erfuhren, ist bei der Stickstoffabrikation nicht zu
befürchten, da seine Verbindungen als Düngmittel in unbegrenzten Mengen gebraucht
werden, sobald der Preis weiter herabgesetzt werden kann als der des Chilisalpeters.
Es werden auf diese Weise auch zahlreiche bereits bestehende Elektrizitätswerke,
welche noch nicht voll oder nur zu kurzen Tageszeiten voll ausgenutzt werden, ihre
Rentabilität wesentlich verbessern können.