Titel: | Das Automobilwesen auf der Weltausstellung in St. Louis 1904. |
Autor: | W. Pfitzner |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 137 |
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Das Automobilwesen auf der Weltausstellung in
St. Louis
1904.
Von Dipl.-Ing. W. Pfitzner, Assistent an der
Technischen Hochschule zu
Dresden.
(Fortsetzung von S. 120 d. Bd.)
Das Automobilwesen auf der Weltausstellung in St. Louis
1904.
Unter die Fahrzeuge mit liegenden Motoren gehört schliesslich noch der
bekannteste und berühmteste, der Vierzylinderwagen der Winton Motor Carriage Company,
Cleveland, Ohio. „Winton is King, Long live the King“
ist der Wahlspruch der Firma selbst.
Textabbildung Bd. 320, S. 136
Fig. 18. Vierzylinderwagen der Winton Motor Company.
Der Wagen hat mit Ausnahme der liegenden Anordnung des Motors alle Merkmale der
europäischen Bauart (s. Fig. 18), gewöhnliches
Zahnräderwechselgetriebe, Gelenkwellenantrieb der Differentialhinterachse, Kühler
vorn als Vorderfläche der Motorschutzhaube. Der liegende Motor ist etwas weiter nach
hinten gerückt, als man erwarten sollte, er befindet sich unter dem Fussboden des
Vordersitzes, ist aber noch ganz gut zugänglich. Die Reibungskupplung im Schwungrad
ist durch eine besondere Konstruktion des Wechselgetriebes ersetzt. Rahmen, Federn
und Lenkung sind durchaus europäisch, die äussere Form des Wagens weicht vom
deutsch-französischen Normalfahrzeug nicht ab.
Von Interesse sind einige Einzelheiten der maschinellen Ausrüstung. Der Motor, von
dem Fig. 19 und 20
zwei Querschnitte wiedergeben, besitzt liegende, in einer Achse angeordnete Ventile,
das Auslassventil, mit auffällig starkem Schaft, in gewöhnlicher Weise durch
Federdruck geschlossen, das Einlassventil mit Luftdruck gesteuert. Die
Auslassventilfedern sind (Fig. 19) nach unten mit
einer Aluminiumplatte abgeschlossen. Das Kurbelgehäuse ist wagerecht geteilt und mit
leicht zu öffnenden Deckplatten versehen, die Aufhängung der Maschine ist einerseits
am Kurbelgehäuse, andererseits am Zylinder bewirkt. Die Zündkerzen sind senkrecht
von oben in den Zylinder eingesetzt.
Die Luftdrucksteuerung der Einlassventile ersetzt erstens die sonst notwendigen
Ventilfedern, zweitens ist damit die Regulierung der Geschwindigkeit des Motors
verbunden. Die Saugventile besitzen am Ende der Spindel einen Kolben (Fig. 19), der sich in einem kleinen Zylinder in dem
Ventilgehäuse bewegt. Der Luftdruck in diesem Zylinder schliesst das Ventil, mit
einer Kraft entsprechend der Luftpressung, die von Hand reguliert werden kann. Bei
geringem Druck können sich die Ventile unter dem Einfluss der Saugwirkung des
grossen Kolbens weit öffnen, es wird eine grosse Menge brennbares Gemisch angesaugt
und die Maschine arbeitet mit grosser Leistung. Eine Erhöhung des Luftdruckes
gestattet nur eine geringe Oeffnung der Ventile und demnach nur langsamen Lauf des
Motors.
Textabbildung Bd. 320, S. 136
Fig. 19. Winton-Motor.
Der nötige Luftdruck wird von einer kleinen Pumpe erzeugt, die senkrecht stehend
ihren Platz am vorderen Ende der Steuerwelle gefunden hat (Fig. 20).
Die Luft wird aus dem Kurbelgehäuse angesaugt und in einen Windkessel gedrückt, von
dem aus eine Leitung nach den vier Einlassventilkammern und eine zweite Leitung nach
den Regulierhähnen, d. s. hier einfache Ausströmungsöffnungen, führt. Sowohl an der
Steuersäule als auch an einem Pedal sind diese vorgesehen, so dass also mit der Hand
und mit dem Fuss reguliert werden kann. Wenn der Motor schnell laufen soll, bleibt
einer dieser Regulierhähne ständig offen. Die Regulierung arbeitet gut und ist
leicht zu bedienen, nur ist die notwendige Luftpumpe keine angenehme Beigabe.
Textabbildung Bd. 320, S. 137
Fig. 20. Luftpumpe mit Winton-Motor.
Der vorhandene Luftdruck wird gleichzeitig noch zur Oelversorgung der Maschine
ausgenutzt, es musste dafür allerdings noch ein Reduzierventil vorgesehen werden,
das den in der Hauptleitung schwankenden Druck etwas gleichmässig gestaltet: die
Einstellung des Druckes für die Ventile ist leider gerade umgekehrt als sie für die
Oelförderung notwendig ist: bei hoher Umdrehungszahl des Motors, wobei viel Oel
gebraucht wird, ist der Luftdruck gering.
Der Vergaser, ein mit Schwimmer versehener Einspritzvergaser, zeichnet sich durch
eine sehr reichlich bemessene Verdampfungsstrecke aus. Das Gemisch muss mehrere
Drahtgasekegel durchströmen, wobei es gründlich durcheinander gewirbelt und gemischt
wird.
Kühlung mit Zentrifugalpumpe und die Kerzenzündung weisen nichts besonderes auf.
Das Wechselgetriebe (Fig. 21) unterscheidet sich von
dem gewöhnlichen mit seitlich einschaltbaren Zahnrädern dadurch, dass alle Räder
ständig in Eingriff bleiben und erst durch einzelne kleine Reibungskupplungen zur
Kraftübertragung herangezogen werden. Für jede Uebersetzung ist eine
Reibungskupplung im Innern des einen Rades vorgesehen. Auf diese Weise ist es
möglich, die Reibungskupplung im Schwungrad wegzulassen. Das Einschalten der
einzelnen Geschwindigkeiten wird sehr sanft.
Textabbildung Bd. 320, S. 137
Fig. 21. Winton-Wechselgetriebe.
Die Anordnung ist auf die verbreitete Anwendung der Umlaufräderwerke für
Wechselgetriebe zurückzuführen, bei denen ja ebenfalls ein allmähliches Einschalten
stattfindet; ob sie zweckmässiger und billiger ist als die europäische Ausführung,
bleibt fraglich. Für die grösste Geschwindigkeit ist beim Wintongetriebe ebenfalls
direkter Eingriff vorgesehen, so dass also hierbei keine Arbeitsverluste
stattfinden. Je eins der zusammengehörigen Räder ist in Bronze ausgeführt.
Ausser diesem grossen Wagen von 24 PS baut die Winton
Company noch einen zweizylindrigen Wagen mit ebenfalls liegendem
zweizylindrigen Motor von etwa 20 PS, dessen Anordnung aber mehr dem Typus des Knox-
und Fordwagens ähnelt. In Amerika haben die Wintonwagen
einen sehr guten Ruf.
3. Wagen mit stehenden Benzin-Motoren.
Dass die stehende Bauart der Motoren auch in Amerika ihre Anhänger finden würde, war
bei den zahlreichen Vorzügen und Annehmlichkeiten dieser Konstruktion leicht
vorauszusagen. Es war interessant zu beobachten, wie fast jede Fabrik drüben mit dem
Ausprobieren eines Wagens dieser Art beschäftigt war und wie sie mit besonderem
Stolz immer auf diesen neuesten Fortschritt hinwies.
Textabbildung Bd. 320, S. 137
Fig. 22. Dreizylindermotor der St. Louis Carriage Company.
Wenngleich in St. Louis die allerneuesten und grössten Wagen dieser Art nicht zu
sehen waren, so bot doch das wenige immerhin einen Einblick in diese Richtung.
Kleine und grössere Fahrzeuge waren vorhanden; so brachte die Pope Manufacturing Company, Hartford Conn., eine sehr
schöne Nachbildung des kleinen Wagens von de Dion und
Bouton, der unter dem Namen „Populaire“
bekannt ist: vorn stehender Einzylindermotor, Cardanwelle bis zur Hinterachse, an
der das Wechselgetriebe mit dem Differentialgetriebe vereinigt ist.
Zweizylinderwagen dieser Art waren fast nicht zu sehen, dagegen bot ein Dreizylinder
auch noch insofern Interesse, als er eine konstruktive Vereinigung mit dem
Wechselgetriebe zeigte. Die St. Louis Motor Carriage
Company führte diesen Motor (Fig. 22) in
ihrem grösseren Tourenwagen vor. Er entwickelt eine Leistung von etwa 25 PS, die
drei Zylinder sind aus einem Stück gegossen mit gemeinsamem Wassermantel, der
beiderseits an den langen Flächen aus Blech hergestellt ist (in Fig. 22 sind diese Bleche weggelassen.) Das
Kurbelgehäuse erweitert sich am Schwungrad, ebenso das Gehäuse des (normalen)
Wechselgetriebes, und zwischen beiden ist eine rund um das Schwungrad laufende Wand
eingeklemmt, so dass vom Motor bis zum Getriebe ein durchgehendes Gehäuse entsteht.
Auf diese Weise wird aus der ganzen Maschinenanlage ein Block, der nur vorn am Motor
und hinten am Getriebe mit der in der Figur sichtbaren Querschiene befestigt wird.
Er bleibt infolgedessen frei von allen Verbiegungen, die der Rahmen erleidet. Alle
anderen Teile des Wagens sind normal.
Am zahlreichsten unter den stehenden waren die vierzylindrigen Motoren. Der
bereits in D. p. J. 1904, 319, S. 788, beschriebene luftgekühlte Motor der Franklin Manufacturing Company, Syracuse N.-Y., war der
interessanteste. Die Firma bringt zwei Grössen dieser Bauart in Handel, einen
kleineren von etwa 10 PS, einen grösseren von etwa 24 PS. Auf den einzelnen Zylinder
kommen demnach nur 2,5 bezw. 6 PS; für solche kleine Leistungen ist die Luftkühlung
eben noch ausführbar, bei dem kleineren Modell wie bei unseren Fahrradmotoren durch
den natürlichen Luftzug, bei der grösseren Maschine mit Unterstützung eines
Ventilators. Die Kühlrippen an den Zylindern sind sehr eng, bei dem grösseren Modell
bestehen sie aus Kupferblechen. Der Motor in dem kleineren Wagen steht übrigens quer
zur Längsachse des Fahrzeuges, so dass jeder Zylinder gleichmässig einen Teil der
frischen Luft unmittelbar erhält. Die Wagen waren verhältnismässig viel im Betrieb
zu sehen und sollen zur Zufriedenheit ihrer Besitzer laufen. Ein Fahrzeug, das die
vom Amerikanischen Automobilklub unternommene Fahrt von
New-York nach St. Louis ohne Störungen zurückgelegt hatte, war im
Originalstrassenschmutz ausgestellt.
Als das sauberste und am sorgfältigsten hergestellte Fahrzeug erschien auf der
Ausstellung der Vierzylinderwagen der Packard Motor Car
Company, Detroit Mich. Der Packardwagen (Fig.
23 und 24) gehört zu den teuersten
amerikanischen Automobilen; er ist mit allen Neuerungen ausgerüstet, besitzt
Röhrenkühler, Stahlblechrahmen mit vorderer Querfeder, also eine
„Dreipunkte-Aufhängung“, Cardanantrieb. Merkwürdig erscheint nur die
Vereinigung des Zahnräderwechselgetriebes mit der Differentialhinterachse, eine
Konstruktion, die ein sehr hohes ungefedertes Gewicht auf der Hinterachse zur Folge
hat. An Stelle der gewöhnlichen Konus-Reibungskupplung ist eine
Ausdehnungsbandkupplung im Schwungrad angebracht.
Textabbildung Bd. 320, S. 138
Fig. 23. Seitenansicht des Packardwagens.
Textabbildung Bd. 320, S. 138
Fig. 24. Grundriss des Packardwagens.
Der Motor, von dem Fig. 25 einen Querschnitt
darstellt, ist nur mit gesteuerten Ventilen versehen, die sämtlich auf einer liegen.
Je zwei Zylinder sind paarweise gegossen, Anordnung der Steuerräder und Nebenteile
ist nicht abweichend von der europäischen Bauart. Der Unterbrecher der verwendeten
Hochspannungskerzenzündung ist mit Hilfe einer durch Kegelräder angetriebenen
senkrechten Welle nach oben über den Motor gelegt, um ihn möglichst zugänglich zu
machen. Die Leistung der Maschine beträgt 22 PS bei 900 Umdrehungen i. d.
Minute.
Die getreueste Nachahmung der deutsch-französischen Vorbilder führte die Firma Smith & Mabley, New-York C., vor, ehedem Vertreterin der
Firma Panhard & Levassor und anderer europäischer
Fabriken, jetzt selbständige Erbauerin von Fahrzeugen, die den Namen des Daimlerfabrikates „Mercedes-Simplex“ zum Teil
tragen, sie sind Simplex-Automobile genannt worden. Die
Firma gibt unumwunden zu, dass ihr Wagen „die Vereinigung aller an den fremden
Wagen als zweckmässig erkannten Einzelheiten darstelle, und dass sie wie keine
andere Firma in der Lage gewesen wäre, alle Einrichtungen und Verbesserungen zu
studieren, da ihre Konstrukteure sich jahrelang mit den fremdländischen Wagen
eingehend beschäftigt hätten.“
Textabbildung Bd. 320, S. 139
Fig. 25. Packard-Motor.
Textabbildung Bd. 320, S. 139
Fig. 26. Smith & Mabley Simplex.
Das Fahrzeug Simplex (Fig. 26)
ist zum grössten Teil dem Daimlerwagen nachgebildet,
Rahmen, Räder, Getriebe, Steuersäule, Regulierungseinrichtung und Motor sind
deutsch; nicht nach Daimler ist die Reibungskupplung,
wahrscheinlich wegen Patentschwierigkeiten. Es ist die gewöhnliche Konuskupplung
angewendet. Hervorzuheben ist, dass der Smith & Mabley-Wagen bis jetzt der einzige drüben ist, in dem
Normalkugellager der Deutschen Waffen- und
Munitionsfabriken, Berlin, verwendet werden. Die Leistung des
vierzylindrigen, ganz nach Daimler ausgeführten Motors
beträgt 30 PS.
Mit den vorgeführten Wagen ist die Reihe der in Amerika gebauten Benzinwagen nicht
erschöpft. Es sind von mehreren Fabriken noch grössere und schnellere Fahrzeuge
gebaut worden, Achtzylindermotoren für Rennzwecke und dergl., von denen aber auf der
Ausstellung, wie erwähnt, nichts zu sehen war.
(Schluss folgt.)