Titel: | Die Drahtseilbahnen. |
Autor: | Stephan |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 706 |
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Die Drahtseilbahnen.
Von Regierungsbaumeister Stephan.
(Fortsetzung von S. 698 d. Bd.)
Die Drahtseilbahnen.
Die zur Förderung benutzten Wagen setzen sich zusammen aus dem Laufwerk, dem
Gehänge mit dem Wagenkasten oder dergl. zur Aufnahme des Transportgutesund dem
Kupplungsapparat, der die feste Verbindung mit dem Zugseil bewirkt.
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Fig. 45. Laufwerk mit Kupplungsapparat „Ideal“.
Das Laufwerk besteht nach der von Pohlig zuerst eingeführten und
jetzt von allen Firmen angenommenen Konstruktion im wesentlichen aus zwei
Tiegelgusstahlrädern mit tiefen Laufrillen, die sich lose auf ihren aus
Phosphorbronze hergestellten Achsen drehen. Die Achsen sind im Innern hohl und
enthalten das zur Schmierung erforderliche konsistente Fett, das neuerdings
vorteilhaft mit Flockengraphit gemischt wird. Für lange Bahnstrekken, wie die oben
erwähnte 10 km lange Bahn auf Java, verwendet Pohlig
Laufräder mit Kugel- oder Rollenlagerung, die nur etwa den halben Zugwiderstand
bieten wie die gewöhnlichen Laufwerke.
Textabbildung Bd. 319, S. 707
Fig. 46. Kupplungsapparat mit zwei beweglichen Klemmbacken.
An dem Träger der Achsen, der jetzt fast allgemein aus flachen Stahlblechschilden
besteht, hängt an einem Mittelbolzen das Wagengehänge aus Schmiedeeisen, dessen
Formgebung sich nach dem jeweiligen Verwendungszweck richtet.Eine Anzahl Wagentypen ist abgebildet Z. d. V.
d. I. 1902, S. 1528 und 1772. Der Inhalt des Wagenkastens wird so
gewählt, dass bei normalen Fördermengen von 40–60 t/St. die Wagen sich in Abständen von
35–25 Sekunden folgen. Ferner ist dabei zu berücksichtigen, dass der Wageninhalt
mindestens so gross sein soll, dass einerseits die Arbeitskraft der Wagenschieber in
den Stationen annähernd ausgenutzt wird – dem entspricht etwa eine Nutzlast von 300
kg – und dass andererseits der Wageninhalt nicht zu schwer wird, damit die Tragseile
nicht zu stark genommen werden müssen.
Die Kupplungsapparate sind aus anderen Veröffentlichungen bekannt,Stahl und Eisen 1891, Heft 3, wo eine
Uebersicht über die älteren Apparate gegeben wird, Z. d. V. d. I. 1889, S.
744, die ältere Bleichertsche Exzenterkupplung,
Z. d. V. d. I. 1902, S. 1527, der Obach-Pohligsche Apparat, Z. d. V. d. I. 1902, S. 1770, die neue Bleichertsche „Automat“-Kupplung, D. p.
J. 1904, 319, S. 186, „Moderne Lade- und
Transport-Einrichtungen“. so dass hier nur einige allgemeine
Bemerkungen zu machen sind. Der alte Bleichertsche
Exzenter-Klemmapparat hatte u.a. den Fehler, dass das Seil nur an einer Stelle
angegriffen wurde, was bei dem Ottoschen Apparat und
dem Obachschen vermieden wird. Letzterer wird jetzt von
den meisten Drahtseilbahnfirmen mit geringen Abänderungen benutzt. Er hat den
Nachteil, dass er das Seil stets mit dem gleichen Druck erfasst, wie gross oder
klein auch die Last ist, und dass er ferner von Zeit zu Zeit dem sich ändernden
Seildurchmesser (vergl. Fig. 7 S. 468) entsprechend
eingestellt werden muss. Dem gegenüber bringt der Bleichertsche „Automat“ eine Verbesserung, indem der Greiferdruck
proportional dem angehängten Gewicht ist und ausserdem keinerlei Nachstellung
erforderlich wird. In ähnlicher Weise wie der Bleichertsche Apparat wirkt der „Ideal“ genannte vonCeretti & Tanfani
(Fig. 45), bei dem die bewegliche Klemmbacke
durch ein Zwischenstück mit schräg liegenden Leisten gegen die feste gedrückt wird.
Eine andere vom Verfasser angegebene Ausführung ist die in Fig. 46 im Prinzip gezeigte, bei der die Keil- und Hebelwirkung
gleichzeitig in Anwendung kommt. Sie hat den Vorzug, dass bei ebenso kompendiöser
Form ein wesentlich grösserer Druck auf das Zugseil ausgeübt werden kann als bei den
vorhergehenden, was auf stark geneigten Strecken von hohem Wert ist, weil nur die
senkrecht zur Laufbahn stehende Seitenkraft des Wagengewichtes die Klemmbacken
beeinflusst; ferner braucht die Seilführung nicht so peinlich genau dem Apparat
angepasst zu werden, da die Klemmbacken, die sich beide öffnen, entsprechend weiter
auseinandergehen.
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Fig. 47. Universal-Kupplungsapparat mit oben liegendem Greifer.
Früher wurde die Seilkupplung stets in dem Wagengehänge angebracht, damit der Seilzug
unterhalb der Laufbahn angreife und die Stabilität des Wagens nicht störe. Erst mit
der „Automat“-Kupplung wagte man hiervon mit gutem Erfolge abzuweichen.
Ausser bei Bahnen mit sehr starken Steigungen und schroffen Gefällwechseln, wo man
infolge des nach unten wirkenden Zugseildruckes wohl immer einen unter dem Laufseil,
wenn auch nicht am Gehänge angebrachten Greifer verwenden wird, ist die Stabilität
des Wagens eine vollkommen ausreichende. Erst bei einem Zugseildruck von 100 kg
weicht ein mit dem Gehänge 120 kg schwerer Wagenkasten etwa 300 mm seitlich aus, was
meist dadurch ausgeglichen wird, dass man die Kasten einseitig verstärkt oder etwas
exzentrisch aufhängt. Besonders wertvoll ist der Umstand, dass in den Stationen das
Zugseil mit dem Antrieb, der Spannvorrichtung usw. ebenfalls oben liegt. Man hat
deshalb auch den Obachschen Universal-Kupplungsapparat
in das Laufwerk verlegt (Fig. 47) auch noch aus dem
Grunde, weil die oben liegenden Apparate ein Durchfahren von Kurven gestatten, ohne
dass der Wagen vom Zugseil abgekuppelt wird. Da bei der dargestellten Ausführung von
J. Pohlig und Th. Otto
& Comp. der Gehängebolzen gleichzeitig die Schraubspindel des Apparates
ist und die Greifbacken noch unterhalb der Spindel liegen, so kommt der
Angriffspunkt des Zugseiles der Lauffläche sehr nahe. Erwähnt sei noch, dass hierbei
die Laufseile innerhalb der Tragseilspur liegen, was insofern von Vorteil ist, als
die Wagenkästen durch das Zugseilgewicht nach aussen abgelenkt werden, also weniger
leicht gegen die Stützen schlagen können als bei der gewöhnlichen Anordnung mit
aussenliegendem Zugseil. Allerdings können mit diesem Apparat ebenso wie mit dem in
Fig. 45 dargestellten nur in demselben Sinne
gekrümmte Kurven selbsttätig durchfahren werden. Dagegen kann man, wenn die Klemmbacken sich
über dem Laufwerk befinden, wie etwa in Fig. 46 oder
bei der von Carstens & Fabian getroffenen Abänderung des Obachschen
Apparates, beliebige Bruchpunkte in der Trace haben, ohne dass an jenen Stellen wie
bei Fig. 48 eine Bedienung nötig wird.
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Fig. 48. Gewöhnliche Winkelstation.
Bei den üblichen Geschwindigkeiten von 1,5–3 m/Sek. genügt ein
Halbmesser der Kurve von 25–40 m für ein sicheres Durchfahren ohne störenden
Einfluss der Zentrifugalkraft. Das Zugseil wird dabei über eine Anzahl
Ablenkungsscheiben von 1,5–2 m Durchmesser geleitet, während die Tragseile wie bei
einer mittleren Spannvorrichtung unterbrochen werden (Fig.
49 u. 50). Zur Erreichung einer ganz
sicheren Führung habendie Wagen entweder am Gehänge oder am Laufwerk (Fig. 47) noch eine besondere Führungsrolle, die sich
gegen ein ⊏-Eisen legt. In einem Falle ist versucht worden, die Tragseile ohne
Unterbrechung vermittels gusseiserner, sorgfältig bearbeiteter Führungsschienen
durch die Station zu leiten, jedoch wirkt die Anordnung bei dem verhältnismässig
grossen Umfangswinkel als Bremse.
Textabbildung Bd. 319, S. 708
Fig. 49. Selbsttätig durchfahrene Kurvenstation.
Textabbildung Bd. 319, S. 708
Fig. 50. Selbsttätig durchfahrene Kurvenstation von J. Pohlig.
Bei kleineren Krümmungen – man geht bis zu 2 m Halbmesser – muss die Geschwindigkeit
der Wagen verringert werden, sie beträgt in solchen Fällen etwa 0,75–0,85 m/Sek. Durch die
Möglichkeit, so kleine Kurven zwangläufig zu durchfahren, erhalten die Seilbahnen,
die bisher meist zur direkten geraden Verbindung zweier, ziemlich weit von einander
entfernter oder durch die Terrainverhältnisse getrennter Punkte benutzt wurden,
Bedeutung als Mittel zur selbsttätigen Lagerung und Verteilung von Massengütern
sowie zur Wiederaufnahme von aufgestapelten Materialien, wobei noch der Vorteil
gewonnen wird, dass zur Heranschaffung oder Weiterbeförderung des Gutes keine
Umladung oder dergl. erforderlich wird. Fig. 51 gibt
eine Prinzipskizze einer derartigen Anlage: Das Material wird von einem mehr oder
weniger weit entfernten Punkte herangebracht und in einer gleichmässigen Schicht auf
dem Stapelplatz verteilt mit Hilfe der Laufbrücke, über welche die Seilbahnwagen
geführt werden,
deren Seilgreifer über dem Laufwerk liegen müssen. Durch verstellbare Anschläge kann
das Auskippen der Wagen an jeder Stelle der Laufbrücke erfolgen. Letztere erfährt
ihre seitliche Fortbewegung durch Vermittlung eines Wendegetriebes von der an ihrem
einen Ende gelagerten Umführungsseilscheibe. Als Laufbahnen werden in diesem Falle
meist Hängebahnschienen benutzt, da die Umführung der Tragseile grosse
Schwierigkeiten machen würde; ausserdem ist es auf diese Weise möglich, die Wagen
sehr dicht aufeinander folgen zu lassen und die einzelne Nutzlast bis auf etwa 1250
kg zu steigern.
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Fig. 51. Drahtseilbahnanlage für einen Stapelplatz mit Entladebrücke.
Die Spannkraft im Zugseil ermittelt sich aus den Gleichungen 25) bis 29) je nach der
Anordnung des Antriebes, nur hat der Widerstandsfaktor μ einen anderen Wert. Bezeichnet s den
Koeffizienten der rollenden Reibung, der hier zu 1 mm angenommen werden kann, μ1 den
Zapfenreibungs-Koeffizienten, der bei der üblichen Schmierung bei eingelaufenen
Wagen etwa μ1 = 0,015
ist und bei neuen Wagen den dreifachen Wert erreicht, so ist mit dem
Laufraddurchmesser D – 0,25 m Und dem Zapfendurchmesser
d1 ∾ 0,035 m: \mu=\frac{2\,s+\mu_1\,d_1}{D}\,\sim\,\frac{1}{100}
bei eingelaufenen Wagen und \mu\,\sim\,\frac{1}{70} bei neuen Wagen. Man rechnet der
Sicherheit halber und um Vereisung der Bahn u. dergl. zu berücksichtigen, stets mit
dem letzteren Faktor. Die Stärke des Zugseils ergibt sich dann unter Annahme einer
acht- bis zwölffachen, meist zehnfachen Sicherheit; doch verwendet man nur
ausnahmsweise Zugseile unter 12 mm Durchmesser.
Die zum Antrieb erforderliche Leistung ist wie in Gleichung 24 mit
\mu=\frac{1}{70}
N\,\sim\,\frac{Q\,L}{2700}\,\left[\frac{q}{Q}\,v\,\mbox{cos}\,\alpha+\frac{1}{7}\,\left(1+2\,\frac{p}{P}\right)\,\mbox{cos}\,\alpha\,\pm\,10\,\mbox{sin}\,\alpha\right]+0,5\mbox{
bis }5\,P\,f . . . . 32)
Der höhere Wert des Zuschlages gilt, wenn Uebertrieb- und Kurvenstationen vorhanden
sind.
Fällt N negativ aus, so muss der Leistungsüberschuss
durch eine Bremsvorrichtung vernichtet werden (vergl. Fig.
52, welche die Beladestation der Ottoschen
Bahn bei Römhild darstellt).
Textabbildung Bd. 319, S. 709
Fig. 52. Beladestation einer selbsttätigen Bahn.
Drahtseilbahnen deutschen und auch englischen Systems nach Roes Anordnung von über 20 t/St. Leistungsfähigkeit laufen je nach den
Einzelheiten von selbst, wenn das Verhältnis des Höhenunterschiedes zur Bahnlänge
\frac{1}{25} bis \frac{1}{20} ist. Bei nur geringem Leistungsüberschuss empfiehlt es
sich, einen kleinen Antriebsmotor vorzusehen, der zu Anfang, wo die Zugwiderstände
grösser sind, oder dann, wenn die Laufbahn durch Eis und Rauhreif grosse Widerstände
bietet, den Betrieb aufrecht erhält. Die Bremsvorrichtungen, fast stets auf der
Welle der Hauptseilscheibe sitzende Bandbremsen, müssen der Sicherheit halber
doppelt vorhanden sein. Die in Fig. 52 dargestellte
Beladestation besitzt drei Bremsen, eine dauernd angezogene Fahrbremse, eine
Regulierbremse, welche die Geschwindigkeit auf 1,5 m/Sek. erhält, und eine Not- bezw.
Reservebremse.
(Schluss folgt.)