Titel: | Der Einfluss wechselnden Feuchtigkeitsgehaltes auf die Festigkeitseigenschaften von Leder. |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 699 |
Download: | XML |
Der Einfluss wechselnden Feuchtigkeitsgehaltes
auf die Festigkeitseigenschaften von Leder.
Der Einfluss wechselnden Feuchtigkeitsgehaltes auf die
Festigkeitseigenschaften von Leder.
Gleich anderen hygroskopischen Stoffen ändert auch Leder seine
Festigkeitseigenschaften mit dem Feuchtigkeitsgehalt. Um dieser bekannten Erfahrung
bei der Prüfung Rechnung zu tragen, pflegt man vorzuschreiben, dass die
Versuchsstücke vor der Prüfung in einem Raum von bestimmter relativer
Luftfeuchtigkeit gelagert werden, damit ihr eigener Feuchtigkeitsgehalt der
Luftfeuchtigkeit sich zunächst anpasst. Naturgemäss sind hierzu auch für die Dauer
des Lagerns bestimmte Vorschriften zu geben. Um nun möglichst gleiche
Versuchsbedingungen für alle Proben zu erzielen, ist es zweckmässig, die Lagerdauer
so zu wählen, dass die Proben den höchsten Feuchtigkeitsgehalt annehmen, den sie
überhaupt bei der vorgeschriebenen relativen Luftfeuchtigkeit des Lagerraumes zu
erreichen vermögen. Man hat also bei Aufstellung von Prüfungsvorschriften auch den
Verlauf der Aufnahme von Feuchtigkeit aus der Luft oder deren Abgabe an dieselbe zu
beachten.
Textabbildung Bd. 319, S. 699
Fig. 1. Verlauf der Feuchtigkeitsaufnahme bei Aenderung der Luftfeuchtigkeit
von ∾ 52 auf 87 v. H.
Textabbildung Bd. 319, S. 699
Fig. 2. Verlauf der Feuchtigkeitsaufnahme bei Aenderung der Luftfeuchtigkeit
von ∾ 46 auf 65 v. H.
Textabbildung Bd. 319, S. 699
Fig. 3. Verlauf der Feuchtigkeitsaufnahme für Geschirrleder bei Aenderung der
Luftfeuchtigkeit von 60 auf 81 v. H.
Textabbildung Bd. 319, S. 699
Fig. 4. Verlauf der Feuchtigkeitsabnahme bei Aenderung der Luftfeuchtigkeit
von 82 auf 60 v. H.
Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der Bestimmung des Materialquerschnittes bei
Leder wird dessen Festigkeit nicht so sehr nach der Bruchspannung, d.h. nach der
Belastung der Querschnittseinheit beim Bruch, beurteilt, sondern nach der
Reisslänge, d.h. der Länge, die dem Probestreifen zu geben wäre, damit er, frei
hängend gedacht, unter seinem Eigengewicht am oberen Ende abreisst. Hierbei kommt
also nicht nur die Festigkeitallein, sondern auch das Gewicht der Längeneinheit
in Frage. Letzteres ändert sich nun zunächst wieder unmittelbar mit dem
Feuchtigkeitsgehalt des Leders, dann aber auch dadurch, dass der Feuchtigkeitsgehalt
die Länge der Probe beeinflusst.
Infolge des stetigen Witterungswechsels wird es, besonders bei Untersuchungen in der
Praxis nur selten möglich sein, die Proben vor der Prüfung während bestimmter Dauer
bei bestimmter relativer Luftfeuchtigkeit zu lagern. Um nun in solchen Fällen
trotzdem die erhaltenen Versuchsergebnisse richtig beurteilen und mit anderen in
Vergleich stellen zu können, wird man nach vorstehendem zu berücksichtigen
haben:
1. den Verlauf der Aufnahme oder Abgabe von Feuchtigkeit aus
der oder an die Luft,
2. den Einfluss veränderten Feuchtigkeitsgehaltes des Leders
auf die Länge der Proben und
3. den Einfluss veränderten Feuchtigkeitsgehaltes des Leders
auf seine Festigkeitseigenschaften (Zugfestigkeit, Reisslänge und
Dehnbarkeit.
Einen Beitrag zur Klärung dieser Fragen liefert die Untersuchung, welche Professor Rudeloff im Königlichen Materialprüfungsamt zu
Gross-LichterfeldeD. p. J. 1904, 319, S. 471. ausführte und über die er
in den „Mitteilungen“ des Amtes, 1904, S. 8–47, berichtet. Die Untersuchung
erstreckte sich auf Chromleder, gefettetes Leder, Treibriemenleder und
Geschirrleder. Bezüglich der Einzelheiten der Probenentnahme, der Versuchsausführung
und der ausführlich mitgeteilten Beobachtungswerte möge auf die Quelle verwiesen
sein; hier sollen nur die Endergebnisse besprochen werden.
Textabbildung Bd. 319, S. 700
Fig. 5. Verlauf der Feuchtigkeitsabnahme bei Aenderung der Luftfeuchtigkeit
von 82 auf 65 v. H.
Textabbildung Bd. 319, S. 700
Fig. 6. Verlauf der Feuchtigkeitsabnahme bei Aenderung- der Luftfeuchtigkeit
von 65 auf 50 v. H.
Textabbildung Bd. 319, S. 700
Fig. 7. Mittlerer Feuchtigkeitsgehalt des Leders bei wachsender
Luftfeuchtigkeit.
Die Veränderung des Gewichts, welches die Proben bei der zu Beginn der Untersuchung
gerade herrschenden relativen Luftfeuchtigkeit angenommen hatten, während des
Lagerns an der Luft von höherem oder geringerem Feuchtigkeitsgehalt zeigen die
Schaulinien (Fig. 1–6). Sie lassen übereinstimmend erkennen, dass alle untersuchten
Ledersorten besonders in der ersten Zeit des Lagerns sehr schnell Feuchtigkeit aus
der Luft aufnahmen (Fig. 1-3) oder an dieselbe abgaben (Fig. 4–6). Der Gleichgewichtszustand aber
wurde bei Feuchtigkeitsabgabe erst nach 100 bis 200
Stunden erreicht, je nach der Art des Leders und dem Unterschiede in den
Luftfeuchtigkeiten. Bei Feuchtigkeitsabgabe scheint der
Gleichgewichtszustand schneller einzutreten (vergl. Fig.
2 und 6).
Textabbildung Bd. 319, S. 700
Fig. 8. Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf die Reisslänge von
Chromleder.
Aus der Lage der Linie . –––– . zu den übrigen (Fig.
1 und 2) folgt ferner, dass das Chromleder
unter sonst gleichenBedingungen erheblich grössere Gewichtszunahme erfuhr, als
das geölte und das Treibriemenleder.
Bei letzterem und bei dem Geschirrleder (Fig. 3)
äusserte sich der Einfluss der Lederdicke in grösserer Gewichtszunahme und
langsamerer Sättigung des dickeren Leders dem dünneren gegenüber.
In Fig. 7 sind nun ferner die mittleren Feuchtigkeitsgehalte der drei Ledersorten, bezogen auf
das Gewicht nach Trocknung bei 100° C., geordnet nach wachsender Luftfeuchtigkeit
aufgetragen. Die Lage der drei Linien zu einander bestätigt, dass das Chromleder bei gleicher Luftfeuchtigkeit erheblich grösseren
Feuchtigkeitsgehalt besitzt, als das geölte und das Treibriemenleder, deren
Feuchtigkeitsgehalte nahezu vollkommen mit einander übereinstimmen.
Der Verlauf der Linien im einzelnen zeigt, dass der Feuchtigkeitsgehalt des bis zum
Feuchtigkeitsausgleich an der Luft gelagerten Leders bis zu etwa 60 v. H.
Luftfeuchtigkeit mit der letzteren proportional, bei grösserer Luftfeuchtigkeit aber
schneller zunahm als letztere. Besonders deutlich tritt diese Erscheinung am
Chromleder auf.
Textabbildung Bd. 319, S. 700
Fig. 9. Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf die Reisslänge von
Treibriemenleder.
In Uebereinstimmung hiermit ist die Beobachtung, dass die Länge der Proben beim
Anwachsen der Luftfeuchtigkeit auf 60 v. H. ebenfalls
mit der letzteren proportional zunahm, bei grösserer Luftfeuchtigkeit aber,
besonders beim Chromleder, in stärkerem Masse wuchs.
Der Feuchtigkeitsgehalt des Leders selbst bewirkte
besonders starke Längenzunahmen der Proben, wenn er von 10 auf 40 v. H. wuchs; bei
weiterem Ansteigen wurde sein Einfluss auf die Längenzunahme geringer. Letztere
betrug zwischen 10 und 30 v. H. Feuchtigkeitsgehalt beim Chromleder etwa 2,3 v. H., beim Riemenleder
0,8 v. H.
Die Zerreissversuche ergaben, dass die Dehnung für gleiche Zugspannungen beim
Chromleder mit geringerem Feuchtigkeitsgehalt grösser war als bei dem feuchteren
Leder. Aehnlich scheint das geölte Leder sich zu verhalten. Dagegen war der Einfluss
des Feuchtigkeitsgehaltes auf die Dehnbarkeit des Treibriemenleders bei den
einzelnen Proben verschieden.
Die Zugfestigkeit des Leders war um so grösser, je grösser
der relative Feuchtigkeitsgehalt der Luft gewesen war, bei dem die Proben
gelagert hatten.
Textabbildung Bd. 319, S. 701
Fig. 10. Einfluss des Feuchtigkeitsgehaltes beim Chromleder auf seine
Festigkeit.
Am grössten war die Festigkeitszunahme beim Chromleder. Sie betrug für die Zunahme
der Luftfeuchtigkeit um je 1 v. H. etwa 2 kg/qcm und insgesamt bei Steigerung der relativen
Luftfeuchtigkeit von 20 auf 95 v. H. etwa 100 v. H. der bei 20 v. H.
Luftfeuchtigkeit ermittelten Festigkeit. Bei den beiden anderen Ledersorten ist sie
erheblich geringer und zwar ist sie für das Treibriemenleder für den vorgenannten
Feuchtigkeitsunterschied (20–95 v. H.) nur auf 30 v. H. zu schätzen.
Den Einfluss wachsender Luftfeuchtigkeit auf die Reisslänge von zwei Sorten
Chromleder (A und B) und
von Treibriemenleder (E, F, G) zeigen Fig. 8 und 9.
Um den Einfluss der zufälligen Unterschiede in den Festigkeiten des Leders an
verschiedenen Stellen der Haut möglichst auszuschliessen und zugleich die
Veränderung der Festigkeit mit wachsendem Feuchtigkeitsgehalt des Leders selbst darzustellen, vergleicht Rudeloff die Ergebnisse immer für je zwei unmittelbar
nebeneinander entnommene und bei verschiedenen Feuchtigkeitsgehalten geprüfte
Streifen. Bei den vier Streifen-Paaren aus Chromlederwar immer eine Probe bei
57 v. H., die zweiten dagegen bei 95, 86, 65 und 23 v. H. Luftfeuchtigkeit geprüft.
Bei 57 v. H. Luftfeuchtigkeit betrug der Feuchtigkeitsgehalt des Leders 16,9–20,6 v.
H. im Mittel 19 v. H. des Trockengewichtes. Dieser Zustand ist als Ausgangspunkt der
Betrachtung gewählt, indem die bei anderen Feuchtigkeitsgehalten erzielten Werte für
die Festigkeit und Reisslänge auf die bei 19 v. H. bezogen sind. Die so erhaltenen
Verhältniszahlen sind in Fig. 10 zu Schaulinien
aufgetragen. Aus ihrem Verlauf folgt, dass die Festigkeit des Chromleders mit
wachsendem Feuchtigkeitsgehalt des Leders anfänglich zunahm und mit Ueberschreitung
eines gewissen Feuchtigkeitsgehaltes wieder abnahm. Die Höchstwerte wurden gefunden
für die Zugfestigkeit bei etwa 50 v. H. und für die Reisslänge, bezogen auf das
Feuchtgewicht des Leders, bei etwa 30 v. H. Feuchtigkeitsgehalt.
Bei dem geölten und Treibriemenleder trat der Einfluss seines Feuchtigkeitsgehaltes
weniger deutlich zutage. So liessen von sieben Probenpaaren nur fünf erkennen, dass
die Festigkeit mit wachsendem Feuchtigkeitsgehalt wuchs, während bei den beiden
anderen Paaren die feuchteren Proben die weniger festen waren.
Auf Grund der besprochenen Ergebnisse empfiehlt Rudeloff
bei Festigkeitsuntersuchungen folgende Punkte zu beachten.
„Da der Feuchtigkeitsgehalt des Leders sich mit wechselnder Luftfeuchtigkeit
schnell ändert und zugleich auch die Festigkeit, so
sollten Zerreissversuche mit Leder möglichst bei demselben
Feuchtigkeitsgehalt ausgeführt werden.
Wie durch Fig. 7 dargetan ist, nahmen die
verschiedenen Ledersorten beim Lagern in demselben Raum, d.h. bei gleicher
Luftfeuchtigkeit verschiedene Feuchtigkeitsgehalte an. Dieser Umstand macht es
undurchführbar, die Lederproben vor dem Versuch auf gleichen Feuchtigkeitsgehalt
zu bringen. Es empfiehlt sich daher, die Proben für die Festigkeitsversuche vor
der Prüfung bis zur Gewichtsgleichheit stets in einem Raum mit bestimmtem
Feuchtigkeitsgehalt zu lagern und dann nach dem Zerreissversuch den wirklichen
Feuchtigkeitsgehalt des Leders zu ermitteln und bei den Ergebnissen des
Zerreissversuches mit anzugeben.
Die normale Luftfeuchtigkeit des Versuchsraumes sollte man, anschliessend an den
bei Papierprüfungen bereits bestehenden Gebrauch, auch bei Lederprüfungen auf
65–70 v. H. festsetzen. Die Lagerdauer der Proben bis zur Prüfung in einem
solchen Raum wird dann im Hinblick auf Fig.
1–6 zweckmässig auf mindestens 8 Tage
bemessen. Man kann dann von den zeitraubenden, wiederholten Gewichtserhebungen
zur Feststellung der Gewichtsgleichheit absehen und hätte nur das nach 8 Tagen
Lagerzeit erreichte Gewicht festzustellen. Nach beendetem Zerreissversuch wäre
dann noch das Gewicht der bei 100° C. getrockneten Proben zu ermitteln und aus
dem Unterschiede zwischen beiden Gewichten der Feuchtigkeitsgehalt zu berechnen,
den die Probe bei dem Festigkeitsversuch hatte.
Die Reisslänge sollte stets auf das Gewicht der bei 100° C. getrockneten Probe
bezogen werden.“