Titel: | Die Schnellbahnwagen der Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen in Berlin. |
Autor: | M. Buhle, W. Pfitzner |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 481 |
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Die Schnellbahnwagen der Studiengesellschaft für
elektrische Schnellbahnen in Berlin.
Von Professor M. Buhle und Dipl.-Ing. W.
Pfitzner,
Dresden.
(Fortsetzung und Schluss von S. 452 d.
Bd.)
Die Schnellbahnwagen der Studiengesellschaft für elektrische
Schnellbahnen in Berlin.
Der zum grossen Teil von dem Chef-Konstrukteur der A. E. G., Direktor O. Lasche, entworfene „A“- Wagen der Allgemeinen
Elektrizitäts-Gesellschaft war bereits in D. p. J. 1901, 316, 626 u. f. beschrieben, doch sei darüber unter
Hinweis auf Fig.
7 und 8 folgendes ergänzend mitgeteilt bezw. in diesem Zusammenhang kurz
wiederholtUeber die neuesten
Abänderungen und Verbesserungen, welche für die Versuche im Jahre 1903
vorgenommen waren vergl. E. T. Z., 1903, S. 939 u. f. sowie Z. d. V. d. I.
1903, S. 1793 u. f.
Textabbildung Bd. 319, S. 481
Schnellbahnwagen „A“ der Studiengesellschaft (Allgemeine
Elektrizitäts-Gesellschaft).
Nach Maassgabe der durch die elektrische Einrichtung gegebenen Unterlagen (die
Bedingungen waren dieselben wie die für den „S“-Wagen angegebenen) wurde der Wagen mit Ausstattung als I. Klasse für
die Aufnahme von 50 Personen gleichfalls von der Firma van
der Zypen & Charlier, Köln-Deutz, gebaut.
Unter Berücksichtigung der für den Maschinenraum und den Führerstand erforderlichen
Längenergaben sich als Gesamtaussenmaass des Wagenkastens 21 m und als Maass
zwischen den Pufferendflächen 22,1 m. Die volle Breite des Wagens beträgt 2800 mm.
Der Wagenkasten bleibt in allen seinen Teilen noch innerhalb des Normalprofiles,
doch ist insbesondere sein mittlerer Teil mit den weiten Luftigen bis nahe an das
Normalprofil herangerückt. Die Fenster des Wagens sind geschlossen angenommen. Die
Luft wird durch die Seitenfenster der sehr hohen Laterne erneuert. An beiden Enden
des Wagens sind zu beiden Seiten Wagentüren zum Ein- und Aussteigen angeordnet.
Der Führer ist gegen die Fahrgäste durch eine breite, von unten bis oben
hinaufgeführte Wand abgeschlossen, die ihm zugleich als feste Rückenlehne dient.
Durch den Maschinenraum wird der Wagen für die Fahrgäste in zwei Teile geteilt, doch
kann dem Publikum der Durchgang von einem Wagenteil zum andern auch während der
Fahrt gestattet werden, da diejenigen Teile, welche vom Zwischengang aus leicht
berührt werden können, nicht stromführend bezw. entsprechend isoliert sind.
Die Stromabnehmer auf dem Dache des Wagens sind mit zwei hinter einander geschalteten
vollwertigen Isolierungen versehen, von denen jede einzeln auf eine Spannung von
20000 Volt geprüft ist. Der Strom wird von den drei Arbeitsdrähten durch je zwei
parallel geschaltete Stromabnehmer abgenommen. Der obere Teil derselben trägt
mittels schmaler Blattfedern eine Anzahl von leichten Metallstäben. Die Masse des
einzelnen Stabes soll hierdurch so verringert werden, dass er stets sicher am
Fahrdraht anliegt. Später hat man noch wie auch beim „S“-WagenSiehe E. T.
Z. 1903, S. 1085. Windflügel zur besseren Erfüllung dieser für
einen sicheren Betrieb unerlässlichen Bedingung (selbsttätige Ausgleichung des auf
die Bügel und deren Tragarme treffenden Luftdruckes) zu Hilfe genommen. Der Kopf des
Stromabnehmers, welcher den Bügel trägt, ist aus Aluminiumblech getrieben und durch
Auslegerarme mit dem senkrechten Fuss verbunden, welcher durch Kugellager in den auf
dem Wagen sitzenden Gehäusen gelagert ist. Durch Federn, deren Spannung mittels
Knaggen einstellbar ist, wird der Stromabnehmer gegen den Fahrdraht angelegt und
angespannt. Bereits vom Kopfe des Auslegers aus wird der Strom in isoliert verlegten
Leitungen weitergeleitet, zunächst nach dem Fusse des Stromabnehmers geführt und von
hier aus durch einen weit und luftig verlegten Schleifkontakt nach den festliegenden
Kabelleitungen auf dem Wagendach übertragen.
Textabbildung Bd. 319, S. 482
Fig. 9.
Vom Innern des Wagens aus wird der Stromabnehmer gegen den Fahrdraht gelegt und von
ihm abgenommen, so dass also vor dem Besteigen des Daches auch die Stromabnehmer
stromlos gemacht werden können.
Der Wagenführer hat zur Ausführung aller Maassnahmen nur ein Handrad zu betätigen;
durch Drehen nach rechts erfolgt das Anfahren und ein schnelleres Fahren, nach links
langsameres Fahren, Haltstellung und sanftes bezw. energisches Bremsen. Zur linken
Hand hat der Führer den Handgriff für die Betätigung der Druckluftbremse, zur
rechten Hand ist noch ein Handrad für die Handbremse beim Rangierdienst angeordnet.
Für die Versuchsfahrten ist eine Zahl von Messvorrichtungen vorgesehen wie
Schreibwerkzeuge zur Messung der Beschleunigung und der Fahrgeschwindigkeit, zur
Messung des Luftwiderstandes bei Gegenwind und Seitenwind sowie Mess- und
Registrierinstrumente für den Stromverbrauch. Auf die zum Teil recht bemerkenswerten
Einzelheiten, wie z.B. auch auf den Flüssigkeitsanlasser, kann hier leider nicht eingegangen werden.
Die Fahrleitungen sind im allgemeinen in derselben Weise seitlich vom Bahnkörper
aufgestellt wie bei der bereits oben erwähnten, von Siemens & Halske erbauten Versuchsbahn in
Gross-LichterfeldeE. T. Z. 1900, S.
453 u. f.. Die Mitte der rund 35 m von einander aufgestellten
hölzernen Leitungsmaste hat einen Abstand von rund 2,25 m von der Gleismitte (auf
der in der Richtung nach Zossen rechts gelegenen Seite), und die drei Fahrleitungen
sind je 1 m von einander entfernt. Die unterste Fahrleitung liegt mit dem
Aufhängepunkt 5,5 m über S. O. Die ganze Leitungsstrecke ist in Unterabteilungen von
je 1 km Länge eingeteilt, deren jede in der Mitte eine Nachspannvorrichtung erhält
und an jedem Ende an besonders kräftigen Masten isoliert abgespannt wird. Der
Nullpunkt des Systems ist an Erde gelegt, d.h. mit Erde und den Schienen verbunden.
Die erforderlichen Schutzvorrichtungen gegen Blitzschlag sind vorgesehen, und es ist
dafür gesorgt, dass beim Reissen eines Drahtes derselbe stromlos wird bevor er die
Erde berührt.
Textabbildung Bd. 319, S. 482
Die Fahrleitungen sind doppelt gegen Erde isoliert derart, dass jede Isolation allein
die volle im Betriebe vorkommende Höchstspannung von 12000 VolterträgtIm Jahre 1903 wurde die Leitungsspannung bis
am 14000 Volt gesteigert.. Die drei Fahrleitungen, deren
wagerechter Abstand von Mitte Gleis 1450 mm beträgt, haben einen Querschnitt von je
100 qmm; das Material ist Hartkupferprofildraht mit einer Bruchfestigkeit von 38 kg/qmm und einer
Leistungsfähigkeit von wenigstens 97 v. H. der des chemisch reinen Kupfers.
An die Fahrleitungen sind in der Nähe von Marienfelde die rund 13 km langen
Speiseleitungen angeschlossen (Fig. 9).
Vom Elektrizitätswerk Oberschöneweide der
Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft sind drei Hochspannungsleitungen und eine
Nulleitung teilweise als blanke Leitungen auf Porzellanisolatoren an Holzmasten
befestigt, teilweise als Kabel verlegt, wo dies nicht anders möglich war. Diese
haben 70 qmm Querschnitt, jene nur 50 qmm. Unter den blanken Leitungen sind, wo
nötig, Schutznetze angebracht. Zur Verbindung der Speiseleitung mit der Fahrleitung
dient eine ausfahrbare Sicherung der A. E. G. und ein Freileitungsausschalter der
Siemens & Halske
A.-G. am Bahnübergange bei Marienfelde, unter welchem die Speiseleitung als Kabel
hindurchgeführt ist.Später wurden an
dieser Stelle oberirdische blanke Leitungen eingefügt. Von da
zweigt auch die Fahrleitung nach dem in der Nähe gelegenen Wagenschuppen ab.
Als Fahrstrecke diente wie bereits erwähnt, die in der Fig.
9 dargestellte eingleisige Strecke der Militärbahn bei Berlin. Sie hat
eine Länge von etwa 23 km, gemessen vom Beginn der Fahrt bei Marienfelde bis zum Ende der Fahrt bei Zossen. Der kleinste Krümmungshalbmesser beträgt 1000 m, und es kommen
Steigungen vor bis 1 : 184, (Fig. 10 bis 13).
Bei den Versuchsfahrten im Jahre 1901 erreichte der „S“-Wagen eine Geschwindigkeit von 160 km/St. (Zentralblatt der Bauverwaltung
1901, S. 569); jedoch zeigten nicht unbeträchtliche Ausbiegungen der 34,4 kg/lfd m wiegenden
Schienen, dass das Gleis für höhere Fahrgeschwindigkeiten als etwa 130 km/St. nicht
genügend widerstandsfähig war. Die Versuche konnten erst Mitte September 1903
fortgesetzt werden, nachdem der Minister der öffentlichen Arbeiten das erforderliche
Oberbaumaterial kostenlos zur Verfügung gestellt und die Eisenbahn-Brigade das neue
Gleis verlegt hatten.
Textabbildung Bd. 319, S. 483
Fig. 14. Verstärktor Oberbau.
Die aus Fig. 14E. T. Z. 1903, S.
1087. ersichtliche Anordnung des jetzigen Oberbaues ist insofern
eigenartig, als neben den Fahrschienen Zwangsschienen unter Freilassung einer
Spurille von 50 mm verlaufen; es sollen dadurch vor allem Entgleisungen unmöglich
gemacht werden; zugleich aber wird auch das ganze Gleis nicht unwesentlich
verstärkt. Die aus gebrauchten Schienen (Profil No. 6) hergestellte Zwangsschiene
ruht in nahezu wagerechter Lage auf gusseisernen, mit den Holzschwellen
verschraubten Stühlen. Die 41 kg schweren, 12 m langen Fahrschienen (Profil No. 8b
der preussischen Normalien) sind auf je 18 kiefernen Schwellen mit
HartholzdübelnGlasers Annalen 1903, II, S. 187 u.
f. durch Hakenplatten festigt. Die früher verwendete Kiesbettung
wurde durch Basaltschotter ersetzt. Das Gewicht des gesamten neuen Oberbaues beträgt
300 kg für das laufende Meter Gleis.
Am 2. Oktober 1903 erreichte der „S“-Wagen unter
Ehrung seines Konstrukteurs Dr. Ing. Walter Reichel
eine Geschwindigkeit von 201 km/St., am 23. Oktober sogar206,7 km/St., während
der „A“-Wagen unter Führung des Ingenieurs Otto von der A. E. G. am 28. Oktober die
Höchstgeschwindigkeit von 210,2 km/St. (58,4 m/sek.!) erzielte. Der völlig belanglose Unterschied
ist darauf zurückzuführen, dass an dem letztgenannten Tage die Periodenzahl des
gelieferten Drehstromes etwas höher war als bei den früheren Versuchen. Fig. 15 zeigt den „S“-Wagen bei einer Fahrgeschwindigkeit von 185 km/St.
Textabbildung Bd. 319, S. 483
Fig. 15. Wagen „S“ bei 185 km/St.
Obgleich nun nach Ansicht der maassgebenden Persönlichkeiten (v. Borries, Lochner, Zimmermann u.a.) die Geschwindigkeit ohne Gefährdung
der Betriebssicherheit weiter bis auf etwa 230 km/st, zu steigern gewesen wäre,
wurden bisher keine Versuche mehr hinsichtlich der erreichbaren
Höchstgeschwindigkeit angestellt; vielmehr liess jetzt, nach einigen
Schleppversuchen der Studiengesellschaft mit einem angehängten Schlafwagen,Bis 160 km lief der Wagen ruhig, während er
bei 180 km Geschwindigkeit stark zu schlingern begann. wie
eingangs erwähnt, die preussische Staatsbahn-Verwaltung
alte und neue Lokomotiven einen aus drei bezw. sechs neuen D-Zug-Wagen bestehenden Zug auf derselben Strecke bewegen und erreichte
dabeiAngaben des
Regierungsbaumeisters Dinglinger von der
Königl. Eisenbahn-Direktion Berlin.
mitsechsWag.
mitdrei Wagen
mit einer ⅖-gek. Schnellzug-Lokomotive (Bauart Grafenstaden
111
123 km/St.
mit einer ⅖-gek. Schnellzug-Lokomotive (Bauart Hannover)
118
126,5 „
mit einer 2/4-gek. Heissdampf-Lokomotive (von
A. Borsig, Berlin)
128
136 „
mit einer 2/6-gek. Schnellbahn-Lokomotive (Henschel, Kassel)
128
137 „
Die ausführlichsten Daten über den Zusammenhang von Geschwindigkeit, Strom, Spannung
und Leistung, sowie über den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Luftdruck
findet man – bis hinauf zu 160 km, d.h. bis zu der praktisch wohl zunächst nicht zu
überschreitenden Geschwindigkeit, – ebenso über die Bremsversuche, Auslaufversuche
usw. in dem Vortrag des Geh. Baurates Lochner im Verein
für Eisenbahnkunde am 8. April 1902, (s. Glasers
Annalen 1902, I, S. 209 und folgende, sowie Tafel XV
und XVI). Was insonderheit die Bremsen anlangt, so haben sich die gewöhnlichen
Bremseinrichtungen für die grossen Fahrgeschwindigkeiten als nicht ausreichend
erwiesen.Vergl. auch
Regierungsbaumeister R. Skutsch (Aachener
Bezirks-Verein Deutscher Ingenieure No. 9 vom 1. Dezbr. 1903).
Auch bei den Versuchen der mit Dampflokomotiven gefahrenen Züge haben die Bremsen nicht zugereicht; so konnte beispielsweise nach Dinglinger der mit 137 km/St. fahrende Zug erst nach einer Minute
zum Halten gebracht werden, trotzdem Notbremsung angewandt war, und dabei war der
Zug vom Augenblick des Bremsens bis zum Halten noch über 1 km weit gelaufen. Wenn
man bedenkt, dass unsere Schnellzüge bei 90 km Fahrgeschwindigkeit in 30 Sekunden
auf eine Strecke von 400 m zum Halten gebracht werden können, dass hiernach unsere
sämtlichen Signale angelegt sind, so kommt man zu dem Schluss, dass auch andere
schneller wirkende Bremseinrichtungen bei Erhöhung unserer Fahrgeschwindigkeiten
angewendet werden müssen.
Bei der Fahrt auf offener Strecke ist auf gutem Oberbau immerhin eine Steigerung der
Fahrgeschwindigkeit auch mit unsern jetzigen Betriebsmitteln möglich; das haben die
Versuche auf der Militärbahn bewiesen. Dieselben sollten nur zeigen, wie hoch die
Fahrgeschwindigkeit auf günstiger Strecke bei Verwendung unserer im Betrieb
befindlichen Schnellzuglokomotiven mit Sicherheit gesteigert werden kann. Erst in
zweiter Linie muss geprüft werden, ob diese Geschwindigkeiten wirtschaftlich
vorteilhaft sind, und ob sich nicht durch konstruktive Aenderungen Verbesserungen in
dieser Beziehung erzielen lassen. Diese Fragen lassen sich erst nach späteren
Dauerversuchen beantworten; denn von einem wirklichen Beharrungszustand konnte auf
der 23 km langen Strecke von Marienfelde nach Zossen nicht die Rede sein.
Schliessen möchten wir diesen Abschnitt mit den jüngsten Ausführungen des
Zentralblattes der Bauverwaltung (des amtlichen Organes) vom 21. Mai 1904 (S.
268):
Als ein Verdienst der Studiengesellschaft für elektrische
Schnellbahnen darf es bezeichnet werden, dass sich die Ansichten darüber,
mit welcher Geschwindigkeit man ein gewöhnliches Eisenbahngleis befahren darf, in
unserer Zeit wesentlich geändert haben. Geschwindigkeiten von 130 bis 140 km in der
Stunde wurden bisher mindestens für sehr bedenklich, wenn nicht für gefährlich
gehalten. Die preussische Eisenbahnverwaltung hat sich bei der Fortsetzung der
Schnellfahrversuche mit Lokomotiven und Wagen durchaus nicht gescheut, die höchsten
Geschwindigkeiten anzuwenden, die die Lokomotiven überhaupt erzeugen konnten. Und ebenso ist jetzt die badische Verwaltung
vorgegangen. Bei den am 3. Mai 1904 in Anwesenheit verschiedener Gäste von anderen
Verwaltungen auf der Strecke Offenburg–Freiburg ausgeführten Fahrten (s. D. p. J. S.
465 d. Bd.) wurde einmal eine Geschwindigkeit von 136 km, das zweite Mal eine solche
von 140 km in der Stunde erreicht. Von irgendwelchen Sicherheitsbedenken hört man
nichts, sondern nur davon, dass heftiger Gegenwind die Erreichung noch höherer
Geschwindigkeiten verhindert habe. Die an sich geringen Zukunftsaussichten der
„einschienigen“ und ähnlicher gekünstelter, auf die Vermeidung
eingebildeter Gefahren abzielender Bahnanordnungen dürften hierdurch bedeutend
herabgedrückt werden.