Titel: | Die Neuanlage des Königlichen Materialprüfungsamtes in Gross-Lichterfelde West. |
Autor: | K. Memmler |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 471 |
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Die Neuanlage des Königlichen
Materialprüfungsamtes in Gross-Lichterfelde West.
Nach der „Denkschrift“Denkschrift zur Eröffnung von A.
Martens und M. Guth,
Berlin. J. Springer
1904. bearbeitet von K. Memmler, ständiger
Mitarbeiter des Kgl. Materialprüfungsamtes.
Die Neuanlage des Königlichen Materialprüfungsamtes in
Gross-Lichterfelde West.
In den letzten Monaten sind unweit der Station Gross-Lichterfelde W. auf Gebiet
der Domäne Dahlem, an der Berlin-Potsdamer Chaussee umfangreiche, stattliche
Neubauten ihrer Vollendung entgegen gegangen, die bestimmt sind, die Pflegstätte
eines der jüngsten Zweige moderner technischer Wissenschaften, des
Materialprüfungswesens, zu werden, das in den beiden letzten Jahrzehnten gewaltigen
Aufschwung genommen und dessen Bedeutung an allen Stellen, die Materialien irgend
welcher Art erzeugen, verarbeiten oder verbrauchen, nach und nach die gebührende
Anerkennung gefunden hat. Die wachsende Erkenntnis der hervorragenden Wichtigkeit
einer wissenschaftlich begründeten und sachgemäss ausgeführten Materialprüfung und
die damit Hand in Hand gehende, gesteigerte Inanspruchnahme der öffentlichen
Prüfungsanstalten, sowie deren Folgeerscheinungen, Vermehrung der Einrichtungen,
Vergrösserung des Personals und des Betriebes machten es seit Jahren schon der
preussischen Staatsregierung zur Pflicht, den unzulänglichen und unwürdigen
räumlichen Verhältnissen, die in der bisherigen mechanisch-technischen
Versuchsanstalt in Charlottenburg eine freie Entfaltung der Kräfte hinderte, durch
entsprechende Maassnahmen ein Ende zu bereiten. Diesem Bedürfnis ist durch
Errichtung der räumlich ausreichenden und mit modernen Hilfsmitteln ausgestatteten
Neuanlagen Rechnung getragen werden. Zur Eröffnung des Betriebes in den neuen Räumen
ist im Verlage von Julius Springer, Berlin, eine
Denkschrift erschienen, die im Auftrage des preussischen Staatsministeriums vom
derzeitigen Direktor derAnstalt, Geh. Regierungsrat Prof. A. Martens, und dem bauleitenden Königl.
Landbauinspektor Guth verfasst wurde. Bei der
beschränkten Auflage der Denkschrift wird nur ein kleiner Teil der Interessenten
Gelegenheit haben, dies Werk im Original lesen zu können es mögen daher an dieser
Stelle, soweit es der Rahmen der Zeitschrift zulässt, die allgemein interessierenden
Teile in grossen Zügen wiedergegeben werden. –
Der erste Teil der Denkschrift behandelt die geschichtliche Entwicklung der Anstalt.
Ihre Anfänge fallen in das Jahr 1870, wo von Staats wegen die Weiterführung der Wöhler sehen Dauerversuche mit Konstruktionsmaterialien
an der damaligen Gewerbeakademie angeordnet und Prof. Spangenberg unter Ueberweisung der Versuchsmaschinen der Kgl.
Eisenbahn-Reparatur-Werkstatt in Frankfurt a. 0. übertragen wurde. Die erste
wesentliche Erweiterung erfuhr die Anstalt durch die Aufstellung einer
Materialprüfungsmaschine nach Werder im Jahre 1878.
Zusammen mit der Anfang der siebenziger Jahre ebenfalls an der Gewerbeakademie
gegründeten Prüfungsstation für Baumaterialien unter
Leitung von Dr. E. P. Böhme und der 1877 an der
Bergakademie entstandenen chemisch-technischen
Versuchsanstalt unter Prof. Dr. Finkener wurde
die mechanische technische Anstalt einer königlichen Aufsichtskommission
unterstellt, die aus Vertretern der beteiligten Ministerien gebildet war. Nach dem
Tode Spangenberg's übernahm 1884 der Ingenieur A. Martens die Leitung der mechanisch-technischen
Versuchsanstalt. Bis dahin hatten die Arbeiten dieser Anstalt vornehmlich der
Prüfung der Metalle und anderer im Maschinenbau- und Bauingenieurwesen verwendeter
Materialien gegolten. Bald traten neue Arbeitsgebiete von solchem Umfange hinzu,
sodass die Abzweigung besonderer Abteilungen nötig wurde. So wurden für die Sondergebiete der
Papierprüfung im Jahre 1884 und der Oelprüfung im Jahre 1888 Abteilungen errichtet.
Ihre Arbeiten haben ungemein fördernd auf die betreffenden Industrien gewirkt und
eine reiche wissenschaftliche Ausbeute im Laufe der Jahre gezeitigt. Die Beseitigung
der Misstände, die durch die Verwendung mangelhaften Papiers für Akten und Dokumente
besonders den Behörden erwuchsen, ist das Hauptverdienst der vom Vorsteher Prof. Herzberg geleiteten Abteilung für Papierprüfung, deren
erfolgreiche Tätigkeit in der Schaffung der „Vorschriften für Lieferung und
Prüfung von Papier zu amtlichen Zwecken“ gipfelte. Ihr ist es, wenn auch
nach harten Kämpfen gelungen, mit der Einführung der Wasserzeichen und
Papiernormalien eine allgemein nützliche Maassnahme zu treffen, da nunmehr jeder
Papierverbraucher in dem Wasserzeichen seines Papiers, das ihm die erzeugende Firma
und die Papierklasse angiebt, einen Wertmesser für die Eigenschaften desselben in
der Hand hat.
Auch die Abteilung für Oelprüfung ist unter der Leitung des Prof. Dr. Holde, zur Autorität in allen Fragen der Oelprüfung
geworden. Während diese Abteilungen noch heute den gleichen, ganz bestimmten,
Tätigkeitsgebieten, wie bei ihrer Gründung gegenüberstehen und sie daher der
Ausarbeitung und Befestigung der Prüfungsverfahren ihre ganze Kraft widmen konnten,
hat das Arbeitsgebiet der Stammabteilung, der Abteilung für Metallprüfung, im Laufe
der Jahre nicht unbedeutende Wandlung erfahren. Mit der wachsenden Bedeutung der
Materialprüfung im Eisenhütten- und Maschinenbaufache haben Erzeuger und Verbraucher
immer mehr sich eigene Einrichtungen zur Anstellung von Festigkeitsversuchen selbst
angeschafft. Die einfachen Festigkeitsprüfungen der Abteilung für Metallprüfung
mussten daher mehr und mehr solchen Arbeiten Platz machen, die besondere
Einrichtungen und Sachkenntnis erforderten. So ist diese Abteilung, geleitet vom
stellvertretenden Direktor der Anstalt, Prof. Rudeloff,
im Laufe der Jahre vor manche schwierige Aufgabe gestellt worden und ihr
Tätigkeitsgebiet ist ein ausserordentlich vielseitiges geworden. –
Dem Direktor der Anstalt Prof. Martens gebührt das
Verdienst, zuerst im Jahre 1878 in Deutschland einem neuen Zweige der
Materialprüfung, der mikroskopischen Untersuchung der Metalle, insbesondere an
Eisenschliffen, Eingang verschafft zu haben. Wenngleich die Entwicklung dieser neuen
Wissenschaft in Deutschland nur langsame Fortschritte machte und bei weitem nicht
mit dem Ausland Schritt hielt, wo besonders Osmond in
Paris auf diesem Gebiete epochemachende Arbeiten lieferte, so ist dennoch in den
letzten Jahren auch in Deutschland mehr und mehr Verständnis für die grosse
Bedeutung wach geworden, die die Metallographie für die Beurteilung der Materialien
in sich schliesst. Dieser Fortschritt ist zum grössten Teile dem Vertreter dieser
Wissenschaft an der Versuchsanstalt, Herrn Prof. Heyn
zu denken, der seit einigen Jahren mit grossem Erfolge die lehrreichen Ergebnisse
metallographischer Arbeiten der Versuchsanstalt in zahlreichen Veröffentlichungen
weiteren Kreisen zugänglich gemacht hat.
Die früher unter Prof. Böhme selbständige Königl.
Prüfungsstation für Baumaterialien ist seit dem Jahre 1895 als Abteilung für
Baumaterialprüfung mit der mechanischtechnischen Versuchsanstalt vereinigt, und hat
unter ihrem Vorsteher Prof. Gary im eifrigen
Zusammenarbeiten mit den Interessentenkreisen und grossen Fachvereinen einen
erheblichen Aufschwung genommen; ihre Arbeiten sind auf breitere wissenschaftliche
Basis gestellt worden, und die ausserordentliche starke Inanspruchnahme gerade
dieser Abteilung durch Behörden und Private legt beredtes Zeugnis ihres Ansehens
ab.
Die chemisch-technische Anstalt, bisher mit der Bergakademie verbunden und seit
dem Tode Finkeners von Prof. Rothe geleitet, hat mit der Uebersiedelung nach Gross-Lichterfelde ihre
Selbständigkeit aufgegeben und ist als Abteilung für allgemeine Chemie mit Prof. Rothe als Vorsteher dem neuen Kgl. Materialprüfungsamt
angegliedert worden. Ihre bisherige Aufgabe, die chemische Untersuchung aller
Materialien der Technik, Heizwertbestimmungen, Wasseranalysen, Erz- und
Metalluntersuchungen, die amtliche Tintenprüfung, sowie die Behandlung von
Zollfragen werden ihr auch im neuen Betriebe erhalten bleiben. –
Durch den Zusammenschluss der mechanischen und chemischen Betriebe zu einem
gemeinsamen Institute ist der Materialprüfung zu freierer Entfaltung in
wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Interesse die Bahn geebnet worden. –
Der zweite Hauptabschnitt der Denkschrift gibt ausführlichen Bericht über die
Tätigkeit der Versuchsanstalten in den Jahren 1883 bis 1903. Es kann nicht Aufgabe
dieses Berichtes sein, die Einzelheiten dieses umfangreichen Abschnittes, wenn auch
nur im Auszuge, wiederzugeben; es erübrigt nur das Wichtigste heraus zu greifen,
wenngleich gerade dieser Teil der Denkschrift am besten geeignet ist, dem
Fernerstehenden ein Bild von der mannigfachen Tätigkeit und den vielseitigen
Aufgaben der Versuchsanstalt zu geben. Zunächst möge erwähnt werden, dass die
Anstalt, die einem hervorragenden Lehrinstitut angehörig, naturgemäss auch dem
Charakter dieses Institutes gerecht werden und selbst Lehrtätigkeit ausüben musste.
Der Direktor der Anstalt Prof. Martens, der
stellvertretende Direktor Prof. Rudeloff die
Abteilungsvorsteher Prof. Dr. Holde und Prof. Heyn haben seit Jahren an der Technischen Hochschule in
ihren Fachgebieten durch Abhaltung von Vorlesungen und praktischen Uebungen für die
Studierenden als Dozenten gewirkt.
Die Beschäftigung von jungen Leuten als freiwillige Hilfsarbeiter auch ausserhalb der
Uebungsstunden konnte in den letzten Jahren wegen des Raummangels nur in der
Abteilung für Papierprüfung gestattet werden. Eine grosse Zahl von jungen
Papiertechnikern aus der Praxis hat zu ihrer Ausbildung von dieser Einrichtung
Gebrauch gemacht.
Die Anstalt hat von jeher den Grundsatz befolgt, dass in Fragen des
Materialprüfungswesens, bei dem gewisse Uebereinstimmung in den angewendeten
Versuchsverfahren nicht entbehrt werden kann, mehr als auf irgend einem anderen
Gebiete gegenseitiger Gedankenaustausch der öffentlichen Prüfungsanstalten von hohem
wissenschaftlichen und wirtschaftlichem Werte ist. Von der Betätigung dieses
Grundsatzes zeugt das häufige Zusammenarbeiten mit hervorragenden Vertretern der
technischen Wissenschaft oder mit Schwesteranstalten und Fachvereinen.
Die Einrichtungen der Anstalt sind von Fachgenossen häufig besichtigt worden und
haben an vielen Stellen als Muster gedient. Aus der Anstalt hervorgegangene Apparate
sind in zahlreichen Ausführungen an Behörden und Private abgegeben worden. Der
öffentliche Charakter der Anstalt brachte es naturgemäss mit sich, dass sie oft als
Vermittlerin bei Interessenstreitigkeiten, als Gutachterin vor Gericht, sowie als
entscheidende Stelle angerufen wurde, wenn bei Materialabnahmen die Richtigkeit der
grundlegenden Abnahmeversuche seitens der Vertragsschliessenden angezweifelt
wurde.
Ueber die Arbeiten der Versuchsanstalt, die von allgemeinem Interesse sind, ist seit
1883 in den „Mitteilungen aus den Königl. Technischen Versuchsanstalten zu
Berlin“, Verlag Jul. Springer berichtet worden. Diese Veröffentlichungen
geben ein ungefähres Bild von dem umfassenden Arbeitsgebiet der Anstalt; es mögen
daher die bedeutendsten unter ihnen nachstehend kurz genannt sein:
1. aus dem Arbeitsgebiet der Abteilung für Metall-Prüfung: Prüfung von
Eisenbahnmaterialien aller Art, die sich im Betriebe gut oder schlecht bewährt
haben; Prüfung von Schottermaterialien inbezug auf ihre Verwendbarkeit beim
Eisenbahnoberbau; Prüfung von Brücken- und Maschinenteilen, von Seilen und
Seilverbindungen durch Zug- und Dauerversuche mit Stosswirkungen, von Seildrähten
auf Rost- und Beizbrüchigkeit, von Dachpappen, Linoleum, Anstrichfarben;
Untersuchungen über den Einfluss voraufgegangener Formänderungen (Strecken und
Richten) auf die Festigkeit von Konstruktionseisen, Festigkeitsproben und
Gefügeuntersuchungen zur Feststellung der Ursache im Betriebe gebrochener Teile;
Versuche mit Baukonstruktionen, Treppen, Gelenkquadern, Mauerwerkskörpern;
Rostversuche mit Schweiss- und Flusseisenblechen; Prüfung von Hanfseilen,
Treibriemen, Riemen- und Seilscheiben auf Festigkeit; Bestimmung der
Widerstandsfähigkeit von Rohren, Flaschen und anderen Gefässen aus Metall, Holz,
Glas usw. als Gewehrläufe, Torpedokessel, Fässer, gegen inneren Druck; Festigkeit
von Stahlkugeln, Härtebestimmungen, Festigkeit der Metalle im erhitzten Zustande (–
20 bis 600°); umfangreiche Versuchsreihen mit Eisen-Nickel-Kohlenstofflegierungen
verschiedenster Zusammensetzung. Feststellung der Festigkeitseigenschaften von
Kupfer, Zink, Magnesium und Legierungen, ferner Untersuchungen des
Genauigkeitsgrades von Festigkeitsprobiermaschinen und Reibungsversuche mit
Schmierölen.
2. aus dem Arbeitsgebiet der Metallographischen Abteilung: Einfluss von
Wasserstoff auf glühendes Eisen und Kupfer, Gefügeveränderung als Einfluss der
Kaltbearbeitung, Gegenseitige Beziehungen zwischen Kupfer und Sauerstoff,
Vorbehandlung von Werkzeugstählen (Ermittlung der Abschrecktemperatur, der
Anlasswärme usw.), Einfluss der Ueberhitzung auf Flusseisen und Kupfer.
3. aus dem Gebiet der Baumaterialprüfung: Ausbildung und Neuregelung der Normen für
die Zementprüfung, Verhalten des Zementes im Meerwasser, Prüfung der Baustoffe
verschiedener Talsperren, Abnützungsversuche, Brandproben mit Baustoffen und ganzen
Konstruktionen.
4. aus dem Gebiete der Abteilung für Papierprüfung: Festlegung der Papiernormalien,
Stoffe- und Faserprüfungen (Schnürschuh-, Brotbeutel- und Zeltstoffe, im Auftrage
des Kriegsministeriums), Einfluss des Bedrückens auf die Festigkeitseigenschaften
von Papier, Prüfung in- und ausländischer Banknotenpapiere, Flachs-, Tuch- und
Löschpapierprüfungen, Untersuchungen von Farbbändern für Schreibmaschinen usw.
5. aus dem Arbeitsgebiete der Abteilung für Oelprüfung: Untersuchungen von
Mineralölen, Rübölen, Eisenbahnschmierölen, Heizdampfmaschinenölen, Mitarbeit an der
Festsetzung von Vorschriften für den Transport feuergefährlicher Flüssigkeiten auf
Dampfschiffen usw.
6. aus dem Arbeitsgebiet der chemisch-technischen Versuchs-Anstalt: Zahlreiche
chemische Prüfungen von Materialien aller Art.
(Fortsetzung folgt.)