Titel: | Die Schnellbahnwagen der Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen in Berlin. |
Autor: | M. Buhle, W. Pfitzner |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 449 |
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Die Schnellbahnwagen der Studiengesellschaft für
elektrische Schnellbahnen in Berlin.
Von Professor M. Buhle und Dipl.-Ing. W.
Pfitzner,
Dresden.
Die Schnellbahnwagen der Studiengesellschaft für elektrische
Schnellbahnen in Berlin.
Bekanntlich hat sich die „Studiengesellschaft für
elektrische Schnellbahnen“ am 10. Oktober 1899 zu dem Zweck
gebildetNäheres über diese
Gründung, die beteiligten Firmen, die Leiter der Gesellschaft und der
Versuche (Lochner, Denninghoff usw.) s. Deutsche Bauzeitung 1899, S. 523; im übrigen
vergl. auch daselbst 1901, S. 263 und folgende („Elektrische
Schnellbahnen zur Verbindung grosser Städte“ von W. Kübler und G.
Schimpff).D. p. J. 1901, 316,
626 und folgende; 1904, 319, 123 und folgende, S.
241 und folgende und Richter
„Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart“ 1901 316, 325 und folgende.Z. d. V. d. I. 1901, S. 1261, 1369 und 1691;
1902. S. 900; 1903, S. 690 und 1539; 1904, S. 810 und S. 949 und folgende
(von Borries); ferner: 1902, S. 486 (Behrsche Schnellbahn; 1902. S. 67 (Richter:
„Die auf Dampfbahnen erzielten höchsten Geschwindigkeiten).Zentralblatt der Bauverwaltung 1899–1904
(besonders hingewiesen werde auf 1903, S. 497, 531, 535, 543. 575, 599 und
612).Glasers Annalen 1901, I, S. 159 und 237, sowie
II, S. 129; 1902. I, S. 86 und folgende (Wittfeld
„Ueber-Schnellbahnen und elektrische Zugförderung auf Hauptbahnen);
1902, I, Seite 106 („Dampflokomotive und Schnellverkehr“); 1902, I,
S. 191 und 209 (Lochner,
„Die Versuchsfahrten der Studiengesellschaft für elektrische
Schnellbahnen, September bis November 1901“ [Vortrag im Verein für
Eisenbahnkunde 8. IV 1901]); 1903, I, S. 93 und folgende; 1904, I, S. 37 und
135.Elektrotechnische Zeitschrift 1899–1904
(Studiengesellschaft).Zeitschrift des Vereines deutscher
Eisenbahn-Verwaltungen 1899–1904.Organ 1901–1904 (besonders hingewiesen sei auf
Schnellverkehr und Schwebebahn“ von Dolezalek, 1901, 5. Heft.)Elektrische Bahnen 1904, Heft 8, S. 125 und des
Verfassers Tafel VII (eine weitere Tafel ist im Druck).Zeitschr. des Oesterr. Ing.- und Arch.-Vereines
1902, Nr. 7 (Stockert
„Ueber den Eisenbahn-Schnellverkehr).„Bericht über die Versuchsfahrten auf der
Militär-Eisenbahn den Monaten September bis November 1903.
(Als Manuskript druckt bei S. Hermann-Berlin).Denkschrift: „Zum 25. Gedenktag der ersten elektrischen Bahn“ von Siemens & Halske A.-G.La Trazione A Vapore von Pietro Oppizzi.
Mailand, 1904., über den elektrischen Betrieb von Vollbahnen
Erfahrungen zu schaffen, so u.a. auch über die Konstruktion der Fahrzeuge, die
Beanspruchung des Oberbaues, die Grenzen der technischen und der wirtschaftlichen
Möglichkeit des elektrischen Betriebes, Kraftverbrauch usw.
Die Studien hatten zunächst einen ganz allgemeinen Charakter und bezogen sich nicht
auf den Ausbau einer bestimmten Strecke. Die Versuche sind dann 1901 und 1903 auf
der von der Verwaltung der Kgl. Militär-Eisenbahn
bereitwilligst zur Verfügung gestellten Strecke Berlin-Zossen (s. Fig. 9 der Fortsetzung)
vorgenommen worden, und die letzten Versuche der Studiengesellschaft haben einen besonderen Wert noch dadurch erhalten,
dass die preussische Staatseisenbahn-Verwaltung auf
derselben Strecke mitDampf-Lokomotiven
Schnellfahr-Versuche ausgeführt hat, so dass die Leistungen und Kosten beider
Betriebsarten unmittelbar mit einander verglichen werden können.
Nach G. Schimpff („Elektrische Schnell- und
Vollbahnen mit hochgespanntem Drehstrom als Antrieb“ [Deutsche Bauzeitung
1902, Nr. 16 und folgende]) machte den ersten technisch durchdachten Versuch, die
Frage der schnellen Personenbeförderung mittelst elektrischer Energie zu lösen, die
Firma Ganz & Co.,
Budapest, indem sie im Jahre 1891 anlässlich der elektrotechnischen Ausstellung in
Frankfurt a. M. einen Entwurf für eine elektrische
Schnellbahn zwischen Wien und Budapest veröffentlichte, auf welcher die 260 km betragende Entfernung in
etwa 1 Stunde zurückgelegt werden sollte. Die folgende Zeit brachte den
beispiellosen Aufschwung der elektrischen Zugförderung auf den Strassenbahnen, und
die durch den Ausbau dieser Bahnnetze völlig beschäftigte Elektrotechnik fand keine
Zeit, sich mit Zukunftsproblemen auf dem Gebiete der Personenbeförderung zu
beschäftigenVergl. auch G. Schimpff,
„Die Strassenbahnen in den Vereinigten Staaten von Amerika“ (Julius Springer 1903).. So geriet
auch die Schnellbahnfrage in den Hintergrund. Der Gedanke an dieselbe tauchte wieder
auf, als infolge der günstigen Geschäftslage an der Jahrhundertwende in Deutschland
das Bedürfnis eines beschleunigten persönlichen Geschäftsverkehrs fühlbar wurde, als
das Ende der Umwandlungsperiode der Strassenbahnen abzusehen war, und als die
Ausgestaltung der Drehstrom-Kraftübertragung und des Drehstrom-Bahnmotors
vornehmlich durch die A. E. G., durch Brown, Boveri & Co.,
Ganz & Co. und vor allem auch durch Siemens & Halske
(Gross-Lichterfelder Versuche) praktisch unmittelbar verwertbare Ergebnisse
gezeitigt hatte.
Die erste Aufgabe der Studiengesellschaft war die Schaffung und Ausrüstung von Betriebsmitteln.
Für den Bau des von dem früheren Oberingenieur von Siemens Si
Halske A.-G., dem jetzigen Professor Dr. Ing. W.
Reichel, Charlottenburg, konstruierten „S“ Wagens (Fig. 1–3) war die Leistung mit
1000 PSNach den im
Eisenbahnbetriebe gesammelten Erfahrungen war von vornherein anzunehmen,
dass der vom Fahrzeug in voller Fahrt zu überwindende Luftwiderstand den
Hauptteil des gesamten Bewegungswiderstandes ausmachen würde. Die nur für
ganze Züge geltende Grove-Clark-Ueberschlagsformel für den Widerstand in kg für die Tonne
Zuggewicht (Beharrungszustand) W0 = 2,25 + 0,001 V2 ergab viel zu grosse Werte,
z.B. für V = 200 km/St. oder v = 55 m/sek. W0 =
2,25 + 0,001 . 2002 = 42,25 kg\mbox{bzw. }N=\frac{96\,t\,\cdot\,42,25\ kg\,\cdot\,55\ m}{75}\,\infty\,3000\mbox{ PS}Man rechnete darum den Reibungswiderstand Wr (reichlich)
zu 4,5 kg/t und nach sinnreichen praktischen Versuchen den Luftwiderstand
bei 200 km zu 90 kg für den qm Stirnfläche (10 qm); d.h.\begin{array}{rcl}N&=&(P_r+P_w)\,\cdot\,\frac{v}{75}=(G\,\cdot\,W_r+F \,\cdot\,p)\,\frac{v}{75}\\&=&(96\,\cdot\,4,5+10\,\cdot\,90)\,\cdot\,\frac{55}{75}=950\,\infty\,1000\mbox{
PS} \end{array}(Vergl. hierzu Z. d. V. d. I. 1904, S. 810 und folgende.
vorgeschrieben und zweitens das Höchstgewicht von 96 t. Offen gelassen war nur die
Beanspruchung der elektrischen Ausrüstung und die für dieselbe zulässige
Betriebsdauer. Es liess sich nun nicht von vornherein übersehen, bei welcher
Beanspruchung des Materials der elektrischen Ausrüstung die verlangte Leistung
erreichbar war; es erschien jedoch angesichts der Höhe der Leistung und unter
Berücksichtigung bisher ausgeführter elektrischer Ausrüstungen durchaus
empfehlenswert, diese so schwer zu machen, als im
Textabbildung Bd. 319, S. 450
Schnellbahnwagen von Siemens & Halske A.-G.
Rahmen des Gesamtgewichtes des Wagens möglich war, um die
Leistung mit einiger Sicherheit erzielen zu können. Später konnte dann festgestellt
werden, welche Beanspruchung der Motoren und Apparate eintrat, ob dieselbe als
zulässig angesehen werden konnte, und welche Betriebsdauer sie erlaubte.
Diese Art des Vorgehens hatte sich nicht etwa beim ersten Anblick der Aufgabe sofort
aufgedrängt, sondern ist, wie die endgültige Ausführung, das Ergebnis einer Anzahl
vorangegangener, ziemlich umfangreicher Entwürfe und Berechnungen gewesen, bei denen
je nach Bedarf Aenderungen an der Grosse und Platzverteilung des mechanischen oder
elektrischen Teiles und dessen Leistung vorgenommen wurden.
Bei der Aufstellung und Verteilung der Gewichte ist naturgemäss besondere Rücksicht
darauf genommen worden, die Gewichte der elektrischen Ausrüstung auf dem Wagenkasten
möglichst günstig und so zu verteilen, dass der Kastenträger so leicht als möglich
werden konnte. Auf den mechanischen Teil entfallen rund 48 t (Wagenkasten,
Untergestell usw. 20,7 t + Drehgestelle, Radsätze, Bremsen usw. 27,3 t); das Gewicht
des elektrischen Teiles beläuft sich auf rund 42,5 t, und für 50 Personen
einschliesslich ein Führer und ein Schaffner (zu je 80 kg) beträgt die Nutzlast 4 t;
das Gesamtgewicht des Wagens berechnet sich also zu 48 + 42,5 + 4 = 94,5 t.
Der Wagenkasten bietet Platz für etwa 50 Reisende, welche auf Quersitzen in
einem mittleren Raum (Salon) und zwei an den Salon anstossenden Räumen verteilt
werden können. Es kommen auf den mittleren Raum von 7300 mm Länge 18 Sitzplätze,
während die anstossenden Abteile etwa 400 mm lang sind und je 12, zusammen 24
Quersitze enthalten. An die letzteren stossen die je drei Sitzplätze enthaltenden
Vorräume von 1850 mm Länge zum Einsteigen der Fahrgäste, und endlich befinden sich
an den beiden Stirnseiten des Wagens die Führerstände von etwa 1600 mm Länge. Der
Kasten enthält somit 48 Sitzplätze und hat 22 m Gesamtlänge.
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Fig. 4. Metall-Anlasser zum Schnellbahn wagen von Siemens & Halske.
Textabbildung Bd. 319, S. 451
Fig. 5. Aufhängung- der Arbeitsleitungen.
Er ist auf Längsträgern aufgebaut, die eine obere und untere Gurtung erhalten, um
grosse Tragfähigkeit bei verhältnismässig geringem Gewicht zu erzielen. Die
Gurtungen bestehenaus zusammengesetzten U- und Flacheisen und sind durch
kräftige, von Unterkante Fenster bis Unterkante Kasten reichende Blechträger
verbunden.
Im übrigen ist das Untergestell des Wagenkastens in der üblichen Weise mit Quer- und
Längsversteifungen versehen, deren Unterbringung jedoch zum Teil von dem günstigen
Einbau der elektrischen Ausrüstungsteile abhängig gemacht ist. An den Stirnschwellen
sind die für Normalien der Preussischen Staatsbahn vorgeschriebenen Zug- und
Stossvorrichtungen angebracht,
Die innere Ausstattung der einzelnen Abteile und des gesamten Wagenkastens ist die
eines Wagens III. Klasse der Preussischen Staatsbahn. Die Sitze sind einfache
Holzsitze auf Eisengestellen. Der ganze Wagen ähnelt in seiner äusseren Erscheinung
einem gewöhnlichen D-Zug-Wagen und ist nur zur besseren Ueberwindung des
Luftwiderstandes an den Stirnflächen mit AbschrägungenVergl. hierzu v.
Borries, Z. d. V. d. I. 1904, S. 810 und S. 949 u. f.
versehen, welche annähernd parabolisch verlaufen, und die Dachenden sind haubenartig
nach abwärts gezogen. Der Wagen kann seiner Einrichtung wegen mit seinem
Drehschemellager ohne besondere Abfederung auf den Drehgestellrahmen aufgelagert
werden. Die Abfederung desselben gegen die Achsbuchsen soll dann eine möglichst gute
sein und in doppelter Weise erfolgen. Die aus gängigen Profileisen hergestellten
Rahmen der DrehgestelleDie ersten
Drehgestelle sind für die Versuchsfahrten im Jahre 1903 ausgewechselt; statt
3,8 m beträgt der Radstand jetzt 5 m und die Drehzapfen sind wie bei
Lokomotiven verschiebbar gemacht (Rückstellfedern). Der früher auf dem
Mittelzapfen ruhende Wagenkasten ist später auf vier in der Nähe der
Längsträger angeordneten Pfannen gelagert. Vergl. auch Z. d. V. d. I. 1903,
S. 1793 und 1904, S. 952 und E. T. Z. 1903, S. 1086 u. f. stützen
sich nämlich zunächst auf Spiralfedern, die durch Schrauben eingestellt werden
können. Von diesen wird die Last auf lange Blattfedern übertragen, welche auf den
Achsbuchsen
aufsitzen. Von den drei Achsen kann die mittlere für die Auflagerung eines Motors
nicht benutzt werden, da der Raum über derselben für den Tragrahmen des Drehzapfens
und die Bremseinrichtung frei bleiben muss. Zur gleichmässigen Belastung aller
Achsen müssen deshalb die Federn für die Laufachsen stärker sein, als die für die
Motorachsen. Die Laufräder haben einen äusseren Bandagen-Durchmesser von 1250 mm
(d.h. bei einer Geschwindigkeit des Wagens von 200 km/St. oder \frac{200}{3,6} machen die Räder im
neuen Zustand 14,2 Umdrehungen in einer Sekunde oder rund 850 Umdrehungen in einer
Minute).
Textabbildung Bd. 319, S. 452
Fig. 6. Ansicht der Strecke bei den ersten Versuchsfahrten.
In Anbetracht dieser Umlaufszahlen sind die Motoren auf den Achsen gelagert. Jedes
Drehgestell besitzt zwei, der ganze Wagen also vier Motoren. Zur Erzielung eines
nicht zu langen Anfahrweges müssen die Motoren rund das Dreifache der Leistung im
Beharrungszustand, d. i. 3000 PS, hergeben können (also je 250 PS normal, 750 PS
maximal). Die Steigerung der Leistung geschieht gewöhnlich ohne weiteres durch
stärkere Belastung der Motoren.
Um eine dauernde Betriebssicherheit und Betriebsbereitschaft zu haben, sind
metallische Widerstände gewählt Dieselben sind mit Rücksicht auf gute Abkühlung in
flachen Kästen seitlich an den beiden Längswänden des Wagens zwischen den beiden
Einsteigetüren untergebracht (Fig. 4).
Die Stromabnehmer, welche möglichst funkenfrei laufen sollen, haben deshalb einen
grossen Abstand von einander erhalten. Da die Fahrleitungen seitlich neben dem
Gleise lotrecht übereinander angeordnet sind (Fig. 5
und 6), soschwingen die eigentlichen
Stromabnehmerbügel in wagerechten Ebenen und drehen sich um eine senkrechte Achse.
Der Stromabnehmerständer war also als eine senkrecht stehende Welle von genügender
Steifigkeit auszubilden, und seine Mittellinie musste in der Nähe der Mittellinie
der Drehgestelle liegen, so dass die seitlichen Ausschläge der Kontaktbügel nicht
gross sein können.
Diese Ständer sind nebst Antrieb im Führerstand und von diesem aus in beliebiger
Richtung drehbar eingebaut.
Von den Bügelgestellen wird der Strom durch Schleifringe und Bürstenständer
abgenommen; letztere sind durch Leitungen mit den Hochspannungsausschaltern
verbunden. Der obere Teil der Stromabnehmersäulen samt den Schleifringen ist
abnehmbarEs war
vorgeschrieben, dass der Wagen in das grösste Profil der Betriebsmittel der
preussischen Staatsbahnen hineinpasse., der untere bleibt fest im
Wagenkasten in einem Halslager und Fusslager drehbar zum Umlegen beim Wechsel der
Fahrtrichtung.
In dem Führerstand befindet sich an der Vorderwand des Wagens eine Brüstung mit
Tischplatte und den Hebeln der Anlasser für Vorwärts- und Rückwärtsfahrt usw.; an
den Tisch ist auch der Bremshahn der Westinghouse-Bremse handlich angesetzt, und
ebenso der Schalter für die Luftpumpe, sowie in der Nähe des Tisches die
erforderlichen Messvorrichtungen, Druckluftmesser, Strom-, Spannungs-,
Geschwindigkeitszeiger.
Die elektrische Beleuchtung erfolgt durch Akkumulatorenbatterie, die Notbeleuchtung
durch Stearinkerzen.
(Fortsetzung folgt.)