Titel: | Der Arbeitswert der Heizgase und seine Ausnutzung. |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 197 |
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Der Arbeitswert der Heizgase und seine
Ausnutzung.
(Fortsetzung von S. 183 d. Bd.)
Der Arbeitswert der Heizgase und seine Ausnutzung.
Der Fluss der Arbeit durch die Wasserdampfmaschine.
In den letzten Jahren ist es, namentlich in englischen, gelegentlich aber auch in
deutschen Zeitschriften Sitte geworden, den sogenannten Wärmeplan einer Maschine zu
geben, welcher die Verteilung der aus dem Brennstoff entstehenden Wärmeenergie nach
Schornstein, Kondensator und Hauptwelle derart zur Darstellung bringt, als sei die
Wärmeenergie eine Flüssigkeit, welche in einem Fluss dahinfliesst, der sich zwar
teilen, von welchem aber wegen des Energieprinzipes nichts vertrocknen kann.
Diese Wärmepläne beruhen auf ganz falschen Grundlagen und geben deshalb auch
vollständig falsche Anschauungen. Da es der Zweck der Wärmekraftmaschinen ist,
Arbeit zu liefern, so ist es ja ganz überflüssig zu wissen, wohin die vom Rost
kommende Wärme fliesst; zu wissen gewünscht wird ausschliesslich, wo bleibt die
Arbeit.
Wir müssen also, wollen wir die in der Dampfmaschine eintretenden Verluste
anschaulich machen, den Arbeitswert des Brennstoffen als einen Fluss darstellen,
welcher von der Kohle auf dem Rost ausgehend durch die Maschine
hindurchfliesst. Wir erhalten dabei einen Fluss, welcher in voller Breite aus einem
Quellsee, der Kohle auf dem Rost, austritt, einzelne Zweige deltaartig aussendet,
wesentlich aber durch unterirdische Spalten und Klüfte grosse Mengen seines Wassers
für immer verliert, so dass an das Ziel, die Welle, nur geringe Bruchteile der aus
dem See stammenden Wassermengen ankommen.
Textabbildung Bd. 319, S. 197
Fig. 14.
Ich habe in Fig. 14 den Fluss der Arbeit dargestellt
für die erste Steinkohlensorte bei den Luftmengen 1, 1,3, 1,6, 2,0 und ohne
Einstrahlung, da diese ja auf die Arbeitsmenge keinen direkten Einfluss ausübt, wie
oben nachgewiesen, sondern nur indirekten dadurch, dass sie vollkommene Verbrennung
bei geringerem Luftüberschuss ermöglicht.
Wie man erkennt, unterscheiden sich diese vier Arbeitsflüsse von einander so wenig,
dass man die Unterschiede nur bei sehr grossem Maassstab deutlich machen kann.
Dagegen zeigen sie übereinstimmend, dass der erste grosse Verlust an Arbeit, die
erste unterirdische Spalte, der Rost ist; auf dem Rost findet ein ganz bedeutender
Verlust an Arbeitsfähigkeit statt. Da wir aber noch nicht imstande sind, die
chemische Energie der Kohlen anders als auf dem Umwege durch die Wärmeenergie in
Arbeit zu verwandeln, so müssen wir diesen Verlust in den Kauf nehmen. Ob man durch
andere Methoden der Verbrennung, z.B. bei konstantem Volumen, bei erhöhtem Druck
usw. diesen Verlust geringer machen kann, soll wie schon am Anfang bemerkt, einer
späteren Arbeit überlassen bleiben.
Gehen wir in der Richtung des Arbeitsflusses weiter, so sehen wir an der Kesselwand
sich einen schmalen Graben Arbeitswert nach dem Schornstein abzweigen; dieser Graben
ist in allen vier Zeichnungen zu breit gezeichnet. Dagegen treffen wir hier wieder
eine grosse unterirdische Schlucht, welche mehr als die Hälfte
desArbeitswertes, der an sie herankommt, verschluckt. Man erkennt hier deutlich
den ganz ungeheuren Einfluss des nicht zur Arbeitsleistung herangezogenen
Temperaturunterschiedes zwischen Heizgasen und Wasserdampf.
An der Turbine zweigt sich ein schmaler Graben nach dem Kondensator ab, während der
Hauptteil des heranfliessenden Arbeitswertes durch die Turbine hindurch an die Welle
gelangt.
Textabbildung Bd. 319, S. 197
Fig. 15.
Zum Vergleich habe ich in Fig. 15 zwei Wärmepläne
gegeben, welche den in Fig. 14
b und c zur Darstellung
gebrachten Beispielen entsprechen. Der Vergleich von Arbeitsfluss und Wärmeplan
zeigt, dass in letzterem ein Verlust auf dem Rost nicht zur Darstellung gelangt, und
nach dem Energieprinzip auch nicht zur Darstellung gelangen kann, während der
Arbeitsflusslauf zeigt, dass auf dem Rost ein Drittel des Heizwertes seine
Verwandlungsfähigkeit in Arbeit eingebüsst hat. Schlimmer noch ist der Unterschied
beider Zeichnungsmethoden an der Kesselwand; während der Arbeitsflusslauf wiederum
einen grossen Verlust an Verwandlungsfähigkeit nachweist, bleibt im Wärmeplan die
Energiemenge natürlich wieder dieselbe. Es zweigt sich hier aber ein Zweig nach dem
Schornstein ab, welcher mehr als viermal so breit ist als der entsprechende im
Arbeitsflusslauf.
Am auffallendsten ist aber der Unterschied an der Turbine. Während der
Arbeitsflusslauf zeigt, dass der Turbine nur ein ganz schmaler Streifen
Arbeitsfähigkeit zugeführt wird, von welchem sie den grössten Teil der Welle
abliefert, liefert die Turbine, nach dem Wärmeplan zu urteilen, nur einen geringen
Bruchteil der ihr zufliessenden Energie an die Welle ab, während der grösste Teil an
ihr vorbei nach dem Kondensator abfliesst.
Unterscheiden sich schon die nach dem Schornstein fliessenden Abzweigungen in den
beiden Darstellungsarten, so ist der Unterschied in den nach dem Kondensator
fliessenden ganz ungeheuer. Im Arbeitsflusslauf hat sie z.B. bei φ = 1,6 die Breite 3,2, während sie im Wärmeplan bei
derselben Luftmenge die Breite 61,6 hat, wenn in beiden Fällen die Breite vor dem
Rost 100 beträgt.
Dass man durch derartige Darstellungen verführt wird, den Grund für die geringe
Ausbeute an Arbeit in Wasserdampfmaschinen im Kondensator zu suchen, ist sehr
naheliegend; trotzdem dadurch, wie der Arbeitsflusslauf zeigt, niemals mehr gewonnen
werden kann als die Differenz zwischen der Arbeit der Turbine und dem Arbeitswert des
Wasserdampfes.
Diesen Resultaten widersprechen scheinbar die an Abwärmekraftmaschinen gewonnenen
Resultate, da diese ja. nur die aus dem Zylinder der Wasserdampfmaschine kommende
Wärme ausnützen. Dieser Widerspruch ist aber nur scheinbar, denn wie man bei BehrendBehrend: Die Abwärmekraftmaschinen. Halle
1902. selbst findet, haben die Abwärmekraftmaschinen nur dort
Wert, wo die Wasserdampfmaschine schlecht arbeitet. Hier sind aber überall
theoretisch vollkommene Wasserdampfmaschinen vorausgesetzt, und ich halte es auch
für vorteilhafter, statt der Kombination einer schlechten Wasserdampfmaschine und
einer Abwärmekraftmaschine gleich eine gute Wasserdampfmaschine aufzustellen.
Der nach dem Kondensator fliessende Arbeitsverlust kann, wie die Rechnungen zeigen,
bis auf einen ganz kleinen Rest durch Wasserdampfmaschinen ausgenutzt werden,
deshalb solle man sich bemühen, die Wasserdampfmaschinen so zu bauen, dass sie den
Forderungen der Theorie möglichst gerecht werden. Man hat dann auf jeden Fall den
Vorteil der einfacheren Anlage. Es wird der Abwärmekraftmaschine von Behrendt ergehen wie der von Du
Trembley (D. p. J. 1854, 134, S. 161). Nachdem
sie einige Zeit hindurch eine bessere Ausnutzung der Brennstoffe gewährt hat, wird
man durch Verbesserung der Wasserdampfmaschinen dieselbe Ausnutzung zu erzielen
gelernt haben, und dann verschwindet sie wieder.
Anders ist es mit dem grossen Verlust, welcher beim Durchgang durch die Kesselwand
stattfindet, der nur im Arbeitsflusslauf, nicht aber im Wärmeplan zur Darstellung
gelangt. Dieser Verlust an Arbeit, bei φ = 1,6 38 v. H.
vom Heizwert, also mehr als ein Drittel, kann durch Wasserdampfmaschinen nicht
verkleinert werden, weil man aus Rücksicht auf die Sicherheit des Betriebes den
Dampfdruck nicht mehr steigern darf und damit auch die Temperatur nicht mehr
steigern kann. Hier ist also der Punkt, wo die Verbesserungen der Dampfmaschine
einzusetzen haben, und die oben angegebene Regel: nicht zur Arbeitsleistung
herangezogene Temperaturunterschiede möglichst klein zu machen, zeigt uns, wie wir
vorzugehen haben; nämlich mit der Wasserdampfmaschine eine Dampfmaschine zu
vereinigen, die mit einer Flüssigkeit mit höherem Siedepunkt betrieben wird, so dass
der Temperaturunterschied zwischen Heizgase und Kesseltemperatur ein kleinerer
wird.
Die Mehrstoffdampfmaschinen.
Der Gedanke, nachdem bei den Temperaturen unterhalb der dem Wasserdampf zugänglichen
nicht mehr viel zu gewinnen war, nun zu den oberhalb gelegenen Temperaturen
vorzugehen, ist nicht schwierig zu fassen, und man hat ihn deshalb auch vielfach
auszuführen gesucht. Der einfachste Weg ist der der Ueberhitzung des
Wasserdampfes.
Wie eine einfache Zeichnung des Temperatur-Entropie-Diagrammes des überhitzten
Dampfes zeigt, kann dadurch nur sehr wenig gewonnen werden, selbst wenn man bis zu
Temperaturen vorgeht, welche noch soeben von Ueberhitzern aus bestem Material
vertragen werden können: Es ist die der Ueberhitzungswärme entsprechende Fläche des
Diagrammes viel zu schmal neben der Fläche der Verdampfungswärme.
In der Praxis erzielt man durch Ueberhitzung meistens eine viel grössere
Verbesserung, als man aus dem Diagramm entnehmen kann; das ist ein Beweis, dass
durch Ueberhitzung Vorteile erreicht werden, welche in der einfachen Theorie der
verlustlosen Dampfmaschine gar nicht berücksichtigt werden. Es ist
hinreichendbekannt, dass durch die Ueberhitzung die Eintrittskondensation
verringert, wenn nicht vollständig vermieden wird, und die so erzielte Verbesserung
der indizierten Wirkung bedingt die vermehrte Leistung der Wasserdampfmaschine.
Würde man ohne Ueberhitzung denselben indizierten Wirkungsgrad erzielen können, so
würde die Ueberhitzung unter Umständen sogar schädlich sein.
Auch der Gedanke, mit den gesättigten Dämpfen einer Flüssigkeit von höherem
Siedepunkt als Wasser die hohen Temperaturen auszunutzen, ist mehrfach geäussert
worden; hat man doch sogar Quecksilber vorgeschlagen. Alle diese Vorschläge waren
aber ohne thermodynamische Untersuchungen der betreffenden Flüssigkeiten gemacht.
Erst in meiner Theorie derMehrstoffdampfmaschinenSchreber. Die
Theorie der Mehrstoffdampfmaschinen, Leipzig 1903. habe ich
gezeigt, welche thermodynamischen Eigenschaften man von einer Flüssigkeit verlangen
muss, damit sie eine gute Ausnutzung der Wärmeenergie gewährleistet. Unter
Berücksichtigung der übrigen physikalischen und chemischen Eigenschaften hat sich
als brauchbarste herausgestellt das Anilin.Gegen
die Verwendung von Anilin im Dampfmaschinenbetriebe sind von hochgeschätzter
Seite Bedenken erhoben wegen der Giftigkeit desselben. Aber was ist nicht
giftig? Wenn man die Temperenzler oder gar die Abstinenzler fragt, dann ist
Alkohol eins der schlimmsten und gefährlichsten Gifte; und wem hat nicht
einmal ein Glas Wein oder Bier gut geschmeckt, ohne dass er daran zugrunde
gegangen ist? Solange man innerhalb massiger Grenzen bleibt, ist weder
Alkohol noch Anilin gefährlich, obgleich beide giftig sind.Im achten
Bande von Heyls Handbuch der Gewerbehygiene
schreibt Goldschmidt im Abschnitt über die
Hygiene der chemischen Grossbetriebe: „Anilin ist ein Blutgift, reizt und
lähmt gleichzeitig das Zentralnervensystem; das Blut wird unter seinem
Einfluss schokoladefarben und bei der spektroskopischen Untersuchung
findet man neben den beiden Streifen des Oxyhämoglobins auch den des
Methämoglobins . . . .“Methämoglobin ist nicht imstande,
Kohlensäure aus den Organen des Körpers aufzunehmen und in den Lungen zur
Ausscheidung zu bringen. Je grösser also der Gehalt der roten Blutkörperchen
an Methämoglobin ist, um so weniger sind diese imstande, ihre Funktion zu
erfüllen, um so schwerer sind die Vergiftungserscheinungen. Das
Methämoglobin hat aber die sehr vorteilhafte Eigenschaft, dass, wenn die
Ursache zu seiner Bildung aufgehört hat, es sich ganz von selbst, ohne dass
irgend welche Hilfsmittel, Medikamente nötig sind, zurückbildet, so dass
nach einiger Zeit die roten Blutkörperchen wieder ihre normale
Zusammensetzung haben.Weiter schreibt Goldschmidt:
„Die akute Vergiftung, wie sie beim plötzlichen Einatmen grosser Mengen von Anilindampf vorkommt,
äussert sich in leichten Fällen in Kopfschmerz, Erbrechen, Schwindel und
Cyanose; oft fehlen alle subjektiven Beschwerden und nur objektiv ist
die Blaufärbung der Lippen nachweisbar. In den schweren Fällen kommt es
zu Schläfrigkeit, Schwindel, Hinfälligkeit . . . . . .“In
Uebereinstimmung hiermit teilt mir die Badische
Anilin- und Soda-Fabrik brieflich mit: „Anilin wirkt sowohl
direkt auf die Haut gebracht, durch welche es in den Körper übergeht,
als auch in Dampfform eingeatmet giftig. Die Wirkung des Anilins äussert
sich je nach der Menge des aufgenommenen Stoffes entweder nur als
vorübergehendes Unwohlsein oder aber auch als schwere, mit
Bewusstlosigkeit verbundene Krankheitsform unter Blauwerden von Lippen,
Ohren. Beim Arbeiten mit Anilin ist daher grosse Vorsicht zu beachten
und jede direkte Berührung zu vermeiden; auch ist für gute Lüftung der
Räume, in welchen mit Anilin gearbeitet wird, zu sorgen. Um die mit
Anilin beschäftigten Personen Widerstands ähiger gegen dasselbe zu
machen, ist die Verabreichung von Milch an dieselben zu
empfehlen“.Aus beiden Quellen geht deutlich hervor, dass man
leicht imstande ist, gefährliche Anilinvergiftungen vollständig zu vermeiden
Mit flüssigem Anilin in direkte Berührung zu kommen, dafür liegt im
Dampfmaschinenbetriebe keine Veranlassung vor, da ja das Anilin einen
geschlossenen Kreisprozess durchmacht, also stets im Kessel bezw.
Kondensator verschlossen bleibt. Es wären also nur die Dämpfe zu fürchten,
welche durch Undichtheiten von Flanschen und namentlich Stopfbüchsen in die
Luft übergehen können. Nun wird man schon, um mit möglichst geringer
Amortisationsquote auszukommen, dafür sorgen, dass durch Undichtheiten
möglichst wenig verloren geht; also eine regelmässige Kontrolle der
Flanschen einrichten. Und ist es Josse
gelungen, für seine Schwefligsäuredampfmaschine, welche mit Drucken von 25 und mehr Atmosphären arbeitet, Stopfbüchsen
zu erhalten, welche die so gefährlichen SO2-Dämpfe festhalten, so wird man auch für die Anilindämpfe, die
höchstens bis 10 Atmosphären Druck haben, sicher schliessende Stopfbüchsen
bauen können.Wählt man also passende Arbeiter aus (der Einfluss des
Anilins ist wie der der meisten Blutgifte individuell sehr verschieden], die
sich in geeigneten Intervallen ablösen, um in der Zwischenzeit in
anilindampffreien Räumen zu arbeiten, bis sämtliches Methämoglobin sich
wieder zurückgebildet hat. beobachtet sie regelmässig auf Cyanose und gibt
ihnen blutbildende Nahrungsmittel, also namentlich Milch; und sorgt
schliesslich für gute Lüftung der Arbeitsräume, so sind Gefahren vollständig
ausgeschlossen.
(Schluss folgt.)