Titel: | Die Anwendung von Kraft- und Seileck auf die Berechnung der Beton- und Betoneisenkonstruktionen. |
Autor: | Paul Weiske |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 769 |
Download: | XML |
Die Anwendung von Kraft- und Seileck auf die
Berechnung der Beton- und Betoneisenkonstruktionen.
Von Paul Weiske, Diplom-Ingenieur und Kgl.
Oberlehrer in Cassel.
Die Anwendung von Kraft- und Seileck auf die Berechnung der Beton-
und Betoneisenkonstruktionen.
I.
Einleitung.
Im Anschluss an meinen Aufsatz:
„Beitrag zur Berechnung der Beton- und Betoneisen-Träger“ (s. D. p. J. 1902,
317, 725) bringe ich in folgendem die Anwendung von
Kraft- und Seileck auf die Berechnung der Beton- und Betoneisenkonstruktionen.
Zunächst möge auf folgende bekannte Sätze aus der graphischen Statik hingewiesen
sein:
1. Zeichnet man zu mehreren Parallelkräften mit beliebigem Pol Kraft- und Seileck, so
erhält man das statische Moment der Kräfte in bezug auf eine parallele Achse in der
Form:
ΣP . x = E . x0 = H . y.
Hierbei ist y der Abschnitt der Achse zwischen den
beiden äussersten Seilecksseiten (s. Fig. 1). In
bezug auf die Schwerpunktsachse des Kräftesystems muss R . x0 = 0 sein, d.h. die Resultierende der
Parallelkräfte, bezw. die Schwerpunktsache geht durch den Schnittpunkt der beiden
äussersten Seilecksseiten.
2. Das Trägheitsmoment der Parallelkräfte in bezug auf die Schwerpunktsachse erhält
die Form:
ΣP . x2 = J0.= 2H . F1/
Hierbei ist F1 die von
dem Seileck und den äussersten Seilecksseiten eingeschlossene Fläche. In bezug auf
die parallele Achse y-y
ist das Trägheitsmoment:
Textabbildung Bd. 318, S. 769
Fig. 1.
\begin{array}{rcl}J&=&J_0+R\cdot {x_0}^2\\ &=& J_0+R\cdot x_0\cdot x_0\\ &=&2\,H\cdot F_1+\frac{2}{2}\cdot H\cdot y\cdot
x_0\end{array}
Es ist aber \frac{y\cdot x_0}{2} der Inhalt F2 des von den äussersten Seilecksseiten und
dem Abschnitt y gebildeten Dreiecks.
Daher ist:
Jy = 2H(F1 + F2)
Diese Sätze werden bei der Berechnung der Beton- und Betoneisenkonstruktionen
Anwendung finden.
Textabbildung Bd. 318, S. 769
Fig. 2.
II.
Betonträger ohne Eiseneinlagen.
Nach meinem, oben angezogenen Aufsatz ist das Verhältnis
n=\frac{E_d}{E_z}
eingeführt, welches mit der Beanspruchung des Betonträgers
wächst. Hierbei sind Ed und Ez die für denselben Betonquerschnitt
konstant anzunehmenden Elastizitätsmodulen auf Druck und Zug.
Das Trägheitsmoment des Betonbalkens hat die Form:
Jn = J0 + Fz2 + (n
– 1) [Jd + Fd . zd2].
Hierbei ist: Jn
das Trägheitsmoment für einen bestimmten Wert von n.
J0 das Trägheitsmoment des Querschnittes in bezug auf seine
Schwerpunktsachse,
F der Querschnitt,
z der Abstand des Schwerpunktes von
der Nullinie,
Jd das Trägheitsmoment der Druckzone Fd in bezug auf die eigene
Schwerpunktsachse,
zd der Abstand des Schwerpunktes der Druckzone von der Nullinie.
Der Ausdruck Jn lässt sich mit Hilfe von Kraft und Seileck graphisch konstruieren (Fig. 2).
Man setzt die Flächenteile F1 .... bis Fn als Kräfte aneinander und zeichnet mit
Hilfe des Poles O im beliebigen Abstand H vom
Kräftezug, Kraft- und Seileck. Hierauf reiht man an den Kräftezug in entgegengesetzter Reihenfolge, die mit (n – 1) multiplizierten Kraftgrossen: (n – 1) Fn, (n – 1) Fn – 1 usw. an
und verzeichnet mit demselben Pol O ein zweites Kraft-
und Seileck im Anschluss an das erste.
Die neue entstehende Seillinie wollen wir der Kürze halber die D-Linie nennen. Dieselbe schneidet die Verlängerung von
BC im Punkte E.
Wendet man die oben angegebenen Sätze aus der graphischen Statik auf die Figur 2 an, so ergeben sich folgende wichtigen
Schlüsse:
1) Der Schwerpunkt des Querschnittes liegt auf der Parallelen zu den Kräften durch
C.
2) Die Nullinie des Querschnittes ist eine Parallele durch E. Oberhalb dieser Parallelen liegt die Druckzone.
3) Das Trägheitsmoment des Querschnittes in bezug auf die Nullinie ist:
Jn = 2H (F1 + F2 + F3) = 2 H . F
und zwar ist:
2HF1 = J0
F . z2 = 2H . F2
(n – 1) [Jd + Fd . zd2] d . zd = 2H . F3
Das Trägheitsmoment in bezug auf die zur Schwerpunktsachse parallele Achse y-y ist:
Jy = Jn + 2H . F4
4. Das statische Moment des Betonquerschnittes in bezug auf dieselbe Achse ist:
S = H .
y1 + H .
y2 = H(y1 + y2) =
H . y.
Textabbildung Bd. 318, S. 770
Fig. 3.
Hierbei ist Hy1 das
statische Moment der Fläche F in bezug auf die y-y Achse, und Hy2 dasjenige der
Druckzone in bezug auf dieselbe Achse. Rückt die Achse über den Schwerpunkt nach
oben, so haben beide Beträge entgegengesetztes Vorzeichen.
In bezug auf die Nullinie sind beide Werte entgegengesetzt gleich, nämlich gleich H.
GE. Dieselben heben sich gegenseitig auf.
Es ist also
H . GE = F . z = (n
– 1) Sd
und
z=\frac{(n-1)\,S_d}{F}
wenn Sd das statische Moment der Druckzone in
bezug auf die Nullinie ist. Dieser Wert wurde früher durch Rechnung bestimmt.
5. Bei Steigerung der Beanspruchung wächst n. Infolge
dessen muss die D-Linie flacher werden, der
Schnittpunkt E rückt höher. Die Nullinie rückt bei
steigender Beanspruchung nach der Druckseite hin und die Druckzone verkleinert
sich.
Wenn auch die angewendete Darstellungsweise den Anteil der einzelnen Beträge am
Trägheitsmoment Jn klar erkennen lässt, so empfiehlt sich für die Praxis eine kleine
Aenderung des Verfahrens durch Verschiebung des Poles O
und Aenderung des Kräftezuges.
Man wählt als Ausgangspunkt zweier Kräftezüge den Punkt A und senkrecht darüber den Pol O im Abstand
H. (s. Fig. 3).
Von A aus trägt man auf der einen Seite die Kräfte F1, F2, F3 usw., und auf der
anderen Seite die Kräfte nFn, nFn-1, nFn-2, also mit dem
n fachen Werte an und verzeichnet mit Hilfe des
Poles O zwei Seilecke und zwei Kraftecke.
Hierdurch erhält man die D-Linie als
Seileck für die Druckzone und die Z-Linie als Seileck
für die Zugzone.
Beide Linien schneiden sich im Punkte E.
Man erkennt sofort folgendes:
1. Durch Punkt E geht die Nullinie des
Querschnittes.
2. Das Trägheitsmoment in bezug auf die Nullinie ist
Textabbildung Bd. 318, S. 770
Fig. 4.
F ist der Flächeninhalt der Figur BEC.
Ist der Betonquerschnitt rechteckig, so sind D-Linie und
Z-Linie Parabeln mit den Scheiteln in B und C und das
Trägheitsmoment bestimmt sich sehr einfach zu:
J_n=2\,H\cdot \left(\frac{1}{3}\cdot B\,F\cdot E\,F+\frac{1}{3}\cdot C\,F\cdot E\,F\right)=\frac{2}{3}\cdot H\cdot \overline{B\,C}\cdot
\overline{E\,F}.
Die Widerstandsmomente für die äussersten Fasern ergeben sich zu:
W_z=\frac{J}{B\,F}=\frac{2}{3}\cdot \frac{H\cdot \overline{B\,C}\cdot \overline{E\,F}}{\overline{B\,F}}\mbox{ Zug}
und W_d=\frac{2}{3\,n}=\frac{2}{3}\cdot \frac{H\cdot \overline{B\,C}\cdot \overline{E\,F}}{C\,F}\mbox{ Druck}
Beispiele:
1. Für ein Rechteck von 10 cm Höhe und 100 cm Breite sind Nullinie, Trägheitsmoment;
und die Widerstandsmomente zu bestimmen für die Zustände n = 2, 3 und 4. (Fig. 4).
Nach der in Fig. 3 dargestellten Methode sind eine Z-Linie und 3 D-Linien
gezeichnet; mit einem Polabstand H = 1000 qcm. Es
ergibt sich für
n = 2
e_d=4,14,\ e_s=5,86,\ J=2\cdot 1000\cdot \frac{1}{3}\cdot 10\cdot 1,76=11655\mbox{ cm}^4.
W_z=\frac{J}{e_x}=\frac{11655}{5,86}=1989\mbox{ cm}^3 und W_d=\frac{J}{n\cdot e_d}-\frac{11655}{2\cdot 4,14}=1408\mbox{ cm}^3.
Da für n = 1, W_z=W_d=\frac{100\cdot 10^2}{6}=1666\mbox{ cm}^3 ist,
so ist \frac{W_z}{W}=\frac{1989}{1666}=1,19 und \frac{W_d}{W}=\frac{1408}{1666}=0,84.
n = 3, ed = 3,66, ez = 6,34. J=2\cdot 1000\cdot \frac{1}{3}\cdot 10\cdot 2,04=13586\mbox{ cm}^4.
W_z=\frac{13586}{6,34}=2143\mbox{ cm}^3 und W_d=\frac{13586}{3\cdot 3,66}=1237\mbox{ cm}^3.
Es ist also
\frac{W_z}{W}=\frac{2143}{1666}=1,29 und \frac{W_d}{W}=\frac{1937}{1666}=0,74.
n = 4, ed = 3,33, ez = 6,67. J=2\cdot 1000\cdot \frac{1}{3}\cdot 10\cdot 2,26=14985\mbox{ cm}^4.
W_z=\frac{14985}{6,67}=2248\mbox{ cm}^3 und W_d=\frac{14985}{4\cdot 3,33}=1124\mbox{ cm}^3
es ist also
\frac{W_z}{W}=\frac{2248}{1666}=1,34 und \frac{W_d}{W}=\frac{1124}{1666}=0,67.
Mit den durch Rechnung in D. p. J., 1902, 317, 725,
festgestellten zeigt sich eine sehr befriedigende Uebereinstimmung.
2. Für einen Plattenbalken mit den Abmessungen der Figur
5 werden Nullinie, Trägheitsmoment und die Widerstandsmomente gesucht für
den Zustand n = 3.
Aus Figur 5 ergibt sich ohne weiteres die
Konstruktion. Es ist wieder H = 1000 qcm gewählt.
Die D-Linie ist eine Parabel, die Z-Linie setzt sich aus
2 Parabelstücken zusammen, weil die Nullinie schon im Plattenteil liegt.
Der Beitrag der Druckzone zur J-Fläche ist nach der
Parabelformel berechnet, der Beitrag der Zugzone nach der Simpsonschen Regel.
F=\frac{h}{3}\,[y_0+4\,y_1+2\,y_2+4\,y_3+....+4\,y_{n-1}+J_n]
Textabbildung Bd. 318, S. 771
Fig. 5.
dieselbe lautet, für h=\frac{1}{2}\,H, also wenn die Höhe der Fläche
halbiert ist:
F=\frac{H}{6}\,[y_0+4\,y_m+y_1]
hierbei ist y0 Anfangs –, ym Mittel- und y1 Endordinate.
Hier ist y0 = 0,
folglich ist mit H = 32,5, ym = 2,85,
y1 = 11,75 die ganze J-Fläche:
F=\frac{1}{3}\cdot 7,5\cdot 11,75+\frac{32,5}{6}\,[4\cdot 2,85+11,75]=29375+125396=154,771\mbox{ cm}^2
und J = 2 H · F = 2 · 1000 · 154,771 = 309542 cm4.
Nunmehr ist:
W_z=\frac{J}{e_z}=\frac{J}{32,5}=\frac{309542}{32,5}\mbox{ cm}^3=9524\mbox{ cm}^3
und
W_d=\frac{J}{n\cdot e_d}=\frac{309542}{3\cdot 7,5}=\frac{309542}{22,5}=13757\mbox{ cm}^3.
(Schluss folgt.)