Titel: | Schnellfahrende Automobile. |
Autor: | Hans A. Martens |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 441 |
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Schnellfahrende Automobile.
Von Hans A. Martens,
Regierungsbaumeister.
Schnellfahrende Automobile.
Die jüngsten Automobilwettfahrten mit ihren schrecklichen Unglücksfällen fordern
mehr denn je die öffentliche Meinung auf, zu dem Betrieb der Automobile Stellung zu
nehmen. Es mag deshalb an dieser Stelle erlaubt sein, in sachlich-technischer
Hinsicht die Frage kurz zu beleuchten, ob überhaupt so hohe Fahrgeschwindigkeiten,
wie die unlängst erreichten, von praktischer Bedeutung sind und ob der Bau
schnellfahrender Kraftfahrzeuge für öffentliche Verkehrswege das Ziel des modernen
Selbstfahrerbaues darzustellen hat.
Unser Zeitalter, im Zeichen des Verkehrs stehend, verlangt nach Schnelligkeit der
Beförderung von Personen und Gütern unter gleichzeitiger Bedingung höchster
Betriebssicherheit und Verbilligung der Beförderungskosten. Die Industrie arbeitet
mit fieberhafter Tätigkeit daran, für unsere grösste Verkehrseinrichtung, die
Eisenbahnen, immer leistungsfähigere Lokomotiven zu bauen, um den erhöhten
Anforderungen des Verkehrs gerecht werden zu können. Der Elektromotor tritt mit der
Dampfmaschine in Wettbewerb, deren Kraft fast bei höheren Geschwindigkeiten zu
versagen scheint. Preisausschreiben fördern die Bestrebungen zur Erhöhung der
Fahrgeschwindigkeit, eine Studiengesellschaft studiert unter Aufwand grosser Kosten
die Grundlagen des Schnellbetriebs an Hand von Versuchen, zu denen die
Militärverwaltung eine Strecke zur Verfügung stellt und die deutsche Technik ist
stolz, so bahnbrechend auf dem Gebiete des Schnellbahnbetriebs gewesen zu sein, dass
sie als erste bei den Versuchen Fahrgeschwindigkeiten von über 160 km in der Stunde,
das sind 44 m in der Sekunde, erreichte. Bedenkt man nun. dass der ganze
Eisenbahnbetrieb ein fortgesetzter Kampf mit der Gefahr ist, dass auch Unfälle auf
ihnen immer vorkommen werden, so legt man sich unwillkürlich die Frage vor, warum
denn den Bestrebungen nach erhöhter Geschwindigkeit im Kraftwagenbetrieb gegenüber
eine so ablehnende Haltung eingenommen wird.
Diese berechtigte Stimmung von Publikum und Behörden gegen die Selbstfahrer liegt in
dem. Unterschiede des: Betriebes dieser und der Eisenbahnen begründet. Die
Eisenbahnfahrzeuge laufen in zwangsläufiger Bahn, in der sie durch den Kraftschluss
zwischen Schiene und dem mit Spurkränz versehenen Rad gehalten werden. Ueberall, wo
die Bahnen mit Öffentlichen Verkehrswegen in Berührung kommen, ist für ihre
Absperrung, die eine ständige oder zeitweilige ist, gesorgt. Und längst ist den
Eisenbahntechnikern klar, dass mit einer wesentlichen Erhöhung der jetzigen
Schnellzugsgeschwindigkeit ein für den andern Verkehr gänzlich abgesperrter
Bahnkörper erbaut werden muss, wie denn auch der bekannte Schnellbahnentwurf
Berlin-Hamburg einen solchen in erhöhter Lage vorsieht. Auch die Hoch- und
Untergrundbahnen legen ein beredtes Zeugnis ab für die Anschauung, dass eine
grössere als die im Strassenverkehr übliche Geschwindigkeit nur auf den anderem
Verkehr gänzlich unzugänglichen Bahnkörpern innegehalten werden kann und zulässig
ist; es ist nicht allein die Rücksicht auf die Strassen Verkehrsentlastung, die
diese Bahnen aus dem Strassenniveau herausgerückt hat. Zudem ist die Bahnstrecke in
der Regel frei, sodass die Fahrt unbehindertstattfinden kann. Eisenbahnen aber,
die unbewachte Wegeübergänge kreuzen oder gar eine öffentliche Strasse benützen,
dürfen bei uns in Deutschland nur mit festgesetzter verminderter Geschwindigkeit
fahren.
Ganz anders liegen die Verhältnisse, unter denen der Automobil verkehr sich abspielt.
Mitten im Verkehr von Wagen und Fussgängern nehmen sie ihren durch keine Schiene
vorgeschriebenen Lauf, einzig und allein gelenkt durch die Intelligenz und
Geschicklichkeit des Führers. Dass unter diesen erschwerenden Fahrbedingungen eine
höhere Geschwindigkeit durchaus unzulässig ist, bedarf des Beweises nicht. Es geht
mithin der Automobilbau ganz falsche Bahnen, wenn er die Vervollkommnung; des
Automobils in der Erreichung ähnlicher Geschwindigkeiten sieht, wie sie die Personen
und Schnellzüge haben. Er muss sich deshalb ganz anderen Zielen zuwenden, die in der
Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Beförderung von Personen und Gütern liegen,
wobei eine massige Erhöhung der Geschwindigkeit, als sie zur Zeit mit den von
Pferden betriebenen Fuhrwerken erreicht wird, nicht ausgeschlossen erscheint. Diesen
Weg sind die Strassenbahnen ebenfalls nicht zu ihren Ungunsten gegangen: An Stelle
der tierischen ist die elektrische Kraft getreten und hat die Betriebskosten
wesentlich vermindert. Die Geschwindigkeit ist in den belebten Strassen eine nicht
höhere, als beim früheren Betrieb mit Pferden; aber der Fahrpreis ist erniedrigt
worden und der Verkehr und die Einnahmen sind trotzdem bedeutend gestiegen. Bei den
Strassenbahnen ist die Festsetzung und Ueberwachung der Geschwindigkeiten, die in
den Fahrplänen zum Ausdruck kommen, für die Aufsichtsbehörde ein Leichtes.
Schwieriger ist diese Aufgabe bei dem Automobil betrieb. Zunächst könnten die
Fabriken selbst dazu beitragen, indem sie für jedes für den öffentlichen Verkehr
bestimmte Fahrzeug die Maschine nur so stark bauen, dass eine Ueberschreitung der
durch Vereinbarung festgesetzten Höchstgeschwindigkeit auf keinen Fall möglich
ist.
Für die Festlegung der ermässigten Geschwindigkeiten in den Strassen können die
Erfahrungen der Strassenbahnen Anhalt geben. Es wird nicht ausbleiben, durch eine
einfache Vorrichtung dem Führer und auch den Aufsichtsorganen zwei oder drei
verschiedene Geschwindigkeitsstufen etwa durch sichtbare Farbschilder an der
Vorderwand des Fahrzeuges anzuzeigen.
Erst wenn das Automobil in angemessener Geschwindigkeit sachgemäss und verständig
geführt wird, wird das Vorurteil gegen dasselbe schwinden, der Bedarf und die
Nächtrage nach ihm als einem wirklichen Verkehrsmittel steigen und der Stadt- und
Landverkehr um ein bequemes und billiges Verkehrsmittel reicher sein. Dort aber, wo
sich der Bau einer Eisenbahn nicht verlohnt, die gegenwärtigen Transportmittel in
der Gestalt des schwerfälligen Omnibus und des Lastwagens aber längst nicht mehr
ausreichen, wird der Kraftwagen in voller Daseinsberechtigung zum Kulturträger
werden. Es kann deshalb im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der Kraftwagen,
einer bemerkenswerten Erscheinung im Verkehrswesen, ein verständiges Vorgehen im
Automobil-Bau und Betrieb nur wünschenswert erscheinen.