Titel: | Betrachtungen über Elektromotoren für Traktionszwecke. |
Autor: | Paul Berkitz |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 95 |
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Betrachtungen über Elektromotoren für
Traktionszwecke.
Von Dr. Paul Berkitz,
Charlottenburg.
Betrachtungen über Elektromotoren für Traktionszwecke.
Eine der wichtigsten Fragen, der leider beim Bau von Elektromotoren für
Traktionszwecke eine sekundäre Bedeutung geschenkt wird, ist die Beschleunigung beim Anfahren und Bremsen. Der grossten
zulässigen Beschleunigung ist natürlich eine Grenze gegeben; dieselbe hängt
wesentlich von der Bequemlichkeit der Passagiere ab, und mag anfangs 0,7 m pro
Sekunde betragen, während sie später allmählich steigt. Die Verzögerung beim
Anhalten kann etwas schneller erfolgen, da fast alle Passagiere gewöhnlich sitzen,
während sie beim Anfahren ihre Plätze noch nicht eingenommen haben. Beim Anfahren
findet ein beträchtlicher Energieverlust statt – sofern der Stromkreis konstante
Spannung besitzt – denn die Motoren geben keine elektromotorische Gegenkraft;
dieselbe nimmt bekanntlich zu, bis die Geschwindigkeit erreicht ist. Falls ein Motor
eine Wickelung besitzt, dass die elektromotorische Gegenkraft proportional der
Geschwindigkeit wächst, und wenn die Beschleunigung in bezug auf die Zeit
konstanteste, dann kann man beim Anfahren einen Wirkungsgrad von 50% erhalten.
Ordnet man zwei Motoren an, die parallel oder in Serie geschaltet werden können, so
wächst die Arbeitsleistung um etwa 16 v.H. und der Wirkungsgrad erreicht dann einen
Wert von 66⅔ v. H. Die übrigen 33 v. H. Energie werden in Wärme umgesetzt.
Eine sehr grosse Rolle spielt die Beschleunigung bei Trambahnen mit Vollbahn
Charakter, bei denen die Entfernung der Stationen ca. 750 bis 1000 m beträgt
(Berliner Hoch- und Untergrundbahn), und es ist sehr schwer zu sagen, welche
Beschleunigung die richtige ist. Eine Beschleunigung von 1 m pro Sekunde erfordert
z.B., dass ein im Wagen stehender Passagier annähernd um 6 v. H. geneigt stehen
müsste.
Ein plötzliches Anwachsen der gleichförmigen Geschwindigkeit würde daher einen
Passagier wahrscheinlich umwerfen, der gerade stand und keine Stütze hatte. Beginnt
dagegen die Beschleunigung allmählich, so sind Unannehmlichkeiten für die Passagiere
so gut wie ausgeschlossen. Ein allmähliches Anwachsen der Beschleunigung kann z.B.
für den Fall, dass Serienmotoren zur Anwendung gelangen, dadurch gesichert werden,
dass man nicht sofort auf den vollen Strom einschaltet, sondern letzteren in ein
oder zwei Sekunden auf seinen vollen Wert anwachsen lässt. Sobald das Publikum das
Bedürfnis erkannt hat, wird man bald dahin gelangen mit viel grosserer
Beschleunigung, als sic gegenwärtig üblich ist; anfahren zu können. Zum Anhalten
eines Wagens isteine Zeit von ungefähr einer halben Sekunde erforderlich, was
einer Beschleunigung von 7 m entspricht. Wenn die Züge sich auf einer halben
Entfernung beschleunigen und dann ebenso bis zur nächsten Station sich verzögern,
so ist die erforderliche Zeit umgekehrt proportional der
Quadratwurzel aus der gesamten Beschleunigung. Die Energie pro Passagier
ist direkt proportional der Beschleunigung und dem Quadrate der maximalen
Geschwindigkeit zwischen den Stationen. Aus diesen beiden Deduktionen kann man
leicht ersehen, ob und wie weit es sich verlohnt, die Beschleunigung zu erhöhen.
Die maximale Geschwindigkeit. Der Energieverlust ist
bekanntlich bei einer gegebenen Beschleunigung um so kleiner, je niedriger die
maximale Geschwindigkeit ist. Da der Energieverbrauch sich aber ändert, wie das
Quadrat der grossten Geschwindigkeit, so ist eine beträchtliche Ersparnis zu
erzielen, solange man nicht zur maximalen Geschwindigkeit übergeht. Wenn z.B. nur
für ¼ der Entfernung zwischen den Stationen Beschleunigung stattfindet, so macht es
bei einer Beschleunigung von 0,5 m f. d. Sekunde nur einen Unterschied von 4
Sekunden zwischen den Stationen, während der Energieaufwand nur halb so gross ist,
Bei einer Beschleunigung von 1 m f. d. Sekunde beträgt die Ersparnis 3 Sekunden.
Weiterhin ist die Frage in Erwägung zu ziehen, ob es ratsam ist, für ausgedehnte
Bahnlinien die Stationen an den Enden von Abhängen oder
Neigungen zu errichten, so dass die Züge beim Anfahren und Anhalten in ihrem vorher
genannten Bestreben unterstützt werden. Da die Stationen selbst aber eben sind, kann
die Beschleunigung resp. Verzögerung in den wichtigsten Zeitpunkten, d.h. in dem I
Augenblick des Haltens oder Anfahrens durch die Neigungen nicht beeinflusst
werden.
Zu Vergleichszwecken sei eine Beschleunigung von 0,7 m i. d. Sekunde angenommen.
Wendet man Serienmotoren an und schaltet sie zuerst hintereinander, dann aber
parallel, so lässt sich eine Geschwindigkeit bis zu 60 km i. d. Stunde erzielen. Bei
Serienmotoren ist aber die Beschleunigung eine fortlaufende und in weniger als 35
Sekunden wäre die halbe Wegstrecke zurückgelegt. Die Beschleunigung würde noch
weiter gehen, so dass bei einer graphischen Darstellung die zweite Hälfte der Kurve
nicht ganz eine Wiederholung der ersten sein würde. Hinsichtlich der Zeit würde das
Resultat ebenso brauchbar sein, als ob der Motor für die maximale Geschwindigkeit von 80 km
i. d. Stunde bestimmt gewesen wäre, es würde aber kleiner ausfallen und bei jedem
Anfahren in den Widerständen weniger Energie verlieren. 80 km i. d. Stunde ist die
maximale Geschwindigkeit, wenn der Zug bei einer Beschleunigung von 0,7 m bis zur
halben Entfernung von der nächsten Station sich beschleunigen würde.
Der Nebenschlussmotor zeigt dasselbe Verhalten wie der
Serienmotor, wenn der so reguliert wird, dass er während der Beschleunigungszeit
einen konstanten Ankerstrom hat. Der Kollektor arbeitet aber häufig stufenweise,
weshalb der Strom häufig variiert und zum Funken Veranlassung giebt. Dazu kommt
noch, dass die Feldbewickelung kleiner wird und die Magnete grösser werden müssen,
was bei Eisenbahnen, bei denen der Raum ziemlich beschränkt ist, sehr wichtig ist.
Der Nebenschlussmotor ist dem Serienmotor auch insofern nicht ebenbürtig, weil er
für die höchste Geschwindigkeit gewickelt werden muss;
wird nun diese Geschwindigkeit vor dem halben Wege zwischen zwei Stationen erreicht,
so wird der Wagen von diesem Punkt an bei konstanter Geschwindigkeit mit einem
reduzierten Strom weiterlaufen, was wiederum ein Funken am Kollektor veranlassen
kann. Beide Motorenarten können auch ferner so angeordnet werden, dass sie etwas
Energie durch elektrisches Bremsen zurückgewinnen, aber sie würden denselben Energie
Verlust zeigen, wie er während der Beschleunigung durch die Widerstände bedingt
ist.
Der Mehrphasenmotor ist in seinem Verhalten dem
Gleichstrom-Nebenschlussmotor sehr ähnlich. Ordnet man zwei Motoren an, so kann auch
nur einer die Netzspannung aufnehmen, während der andere für halbe Geschwindigkeit
in Verkettung geschaltet ist. Der erstere kann dann für hohe Spannungen gewickelt
werden, während der übrige Teil des Stromkreises die für die Handhabung geeignete
Spannungen hat. Diese Anordnung verhindert die Benutzung des zweiten Motors in
Parallelschaltung mit dem ersten über die halbe Geschwindigkeit hinaus. Das ist aber
kein so bedenklicher Nachteil, wie man anzunehmen geneigt ist. Wenn man es
ausrechnen würde, so wird die zwischen den Stationen erforderliche Zeit durch die
Trägheit als zweiten Motor über die halbe Geschwindigkeit hinaus nur sehr wenig
vergrössert. Der Hauptnachteil des Mehrphasenmotors ist, dass seine Geschwindigkeit
eine Grenze besitzt.
Es giebt noch einige andere Anordnungen bei konstanter Spannung, die der Erwähnung
wert sind, obgleich sie praktisch nicht zur Anwendung gelangen. Der Motor kann mit
konstanter Geschwindigkeit laufen, und man wendet zum Kuppeln eine Art magnetische
Kupplung an. Der Verlust ist in diesem Falle derselbe, wie bei den bereits
beschriebenen Systemen, um aber den Vorteil zu erlangen, der dem Schalten zweier
Motoren in Serie entspricht, muss man eine Kupplung derart konstruieren, dass ein
Kuppeln bei zwei verschiedenenGeschwindigkeitsübersetzungen möglich ist. Das
ist bei der Anwendung eines solchen Systems kein Vorteil im Vergleich mit dem
Gleichstrommotorensystem; aber wir werden so in die Lage versetzt, gewöhnliche
Wechselstrommotoren (Synchronmotoren) anzuwenden, die mit konstanter Geschwindigkeit
laufen. Natürlich geht die wirkliche Anforderung auf eine variable
Geschwindigkeitsübersetzung hinaus. Diese Aufgabe wurde schon früher gestellt und
sehr scharfsinnig in Verbindung mit Oelmotoren für Automobile gelöst. Eine variable
Geschwindigkeitsübersetzung mag im elektrischen Eisenbahnwesen von ungeheurer
Bedeutung sein; aber das Problem ist in diesem Falle noch schwieriger, da die zu
verteilenden Kräfte sehr gross sind, und sehr wenig verfügbarer Raum vorhanden ist.
Leonhard Mann macht folgenden Vorschlag: ein Motor,
der mit konstanter Geschwindigkeit läuft, treibt einen Generator mit variabler
Spannung, der seinerseits wiederum einen Motor speist, der mit variabler
Geschwindigkeit läuft. Diese Anordnung ist aber etwas umständlich und erfordert
anstatt einer Maschine drei, oder vielmehr auf jeder Lokomotive eine besondere
Doppelmaschine. Es kann wohl möglich sein, für jeden Zug einen Motorgenerator
anzuordnen; diese Anordnung hat aber fast alle Nachteile des Lokomotivsystems und
die Leistungsfähigkeit dürfte eine sehr geringe sein.
Der einphasige Wechselstrommotor ist gegenwärtig nicht zulässig, ausgenommen die
Motorentype der Synchronmotoren, die mit konstanter Geschwindigkeit laufen. Die
Anwendung konstanter Spannung dürfte daher keine gute Lösung des Problems einer
variablen Geschwindigkeitsübersetzung auf elektrischem Wege sein. Wir wollen daher
den konstanten Strom in unsere Betrachtung hineinziehen. Jetzt haben wir nur die
Motoren oder vielmehr die Zugausrüstung zu betrachten. Die Reihenmotoren würden dann
für die Umdrehungszahl gewickelt werden, die der Beschleunigung von 0,7 m i. d. Sek.
entspricht. Verluste durch äussere Widerstände sind nicht vorhanden und die
elektromotorische Gegenkraft nimmt mit der Geschwindigkeit zu, bis die Hälfte der
Bahnstrecke zwischen 2 Stationen erreicht ist. Der Zusammenhang kehrt sich dann um
und die Motoren werden zu Dynamos, die ihrerseits Vorderspannung in das Netz
schicken und mit derselben Beschleunigung wie vorher bremsen, nur dass sie jetzt
negativ ist, d.h. also eine Verzögerung. Da keine Verluste durch äussere Widerstände
vorhanden sind, und da diese für den Fall, wo wir zum Vergleich die Leistung
genommen haben, die bei der Beschleunigung verzehrt wird, sehr gross sind im
Verhältnis zur Leistung, die durch die Zugwiderstände verzehrt wird, giebt das
Serienmotoren-System einen grossen Prozentsatz der Leistung ins Netz zurück. Im
Vergleich zu dem System mit konstanter Spannung ist somit hier ein grosser Gewinn an
Energie vorhanden.