Titel: Untersuchung der Endversteifung einer Balkenbrücke.
Autor: G. Ramisch
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 682
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Untersuchung der Endversteifung einer Balkenbrücke. Von Prof. G. Ramisch in Breslau. Untersuchung der Endversteifung einer Balkenbrücke. I. In Fig. 1 stellt der Balken A1B1 von der Länge l mit den beiden Pfeilern AA1 und BB1 von gleicher Höhe h in starrer Verbindung, doch so, dass beide zum Balken senkrecht stehen. In A steht der linke Pfeiler mit dem Fundamente in gelenkartiger Verbindung und der Punkt B des rechten Pfeilers ruht auf einem zur horizontalen Geraden mn parallel beweglichen Auflager. Ferner steht der linke Pfeiler mit dem Stabe AN2 und der rechte Pfeiler mit dem Stabe BN1 in starrer Verbindung. Die Stäbe AN2 und BN1 werden wir später fortlassen, sie sind aber vorläufig für die Untersuchung notwendig; sie sollen starr sein, während wir den Balken und die Pfeiler als elastisch voraussetzen. Der Entwurf ist statisch bestimmt und wir wollen daraus ein dreifach statisch unbestimmtes System ableiten, welches die Eigenschaft besitzen soll, dass ausser dem Auflager A auch das Auflager B unbeweglich ist, ferner, dass diese Auflager entfernt werden und die Pfeiler in A und B eingespannt sind. Es soll nur der Balken A1B1 mit Kräften senkrecht dazu belastet sein, und es ist zunächst notwendig, drei statisch unbestimmte Kräfte anzubringen, welche den geforderten Bedingungen Genüge leisten. Die eine derselben nennen wir H und sie wirkt horizontal im Punkte B. Die zweite X1 genannt, wirkt senkrecht auf BN1 und die dritte, welche X2 heissen soll, wirkt senkrecht auf AN2. Irgend eine Belastung des Entwurfes veranlasst elastische Formveränderungen seiner Teile, wodurch bewirkt wird, dass die Punkte B, N1 und N2 sich bewegen. Die Bedingung können wir nun so aussprechen, dass die Kräfte H, X1 und X2 so berechnet werden sollen, dass die Bewegung der drei Punkte unmöglich ist. Es werden daher auch, wie wir sehen werden, die drei statisch unbestimmten Kräfte von der Belastung des Balkens A1 B1 abhängig sein. Es möge sich zunächst nur eine einzige Last P auf A1B1 befinden, welche von A1 und B1 die Abstände a bezw. b hat. Der Untersuchung legen wir das Hooke'sche Gesetz zu Grunde und q sei ein beliebiger Querschnitt von A1B1, dessen Abstände von A1 und B1, bezw. v2 und v1 sind. Der Querschnitt bei q möge sich infolge der Belastung um drehen. Legt dabei der Punkt B den unendlich kleinen Weg zurück, so ist: dσ = h . dγ Legt ferner N1 den unendlich kleinen Weg ' zurück, so ist, wenn wir N1B=x1 setzen: dσ=1x1lv2dγ und legt ferner N2 den unendlich kleinen Weg dσ'' zurück, so ist, wenn AN2 = x2 ist: dσ=1x2lv1dγ Der Querschnitt q1 des Pfeilers BB1 welcher von B den Abstand y1 hat, möge sich um dy1 drehen. Hierbei legt der Punkt B den unendlich kleinen Weg 1 zurück und es ist: 1 = y1 . 1 Der vom Punkte N1 zurückgelegte unendlich kleine Weg ist: 1' = 1 . x1 . 1, und der vom Punkte N2 zurückgelegte unendlich kleine Weg ist: 1'' = 0 Endlich möge sich der Querschnitt q2 des Pfeilers AA1, welcher von A den Abstand y2 hat, um den unendlich kleinen Winkel dy2 drehen. Hierbei legt der Punkt B den unendlich kleinen Weg 2 zurück und wir haben: 2= γ2 . 2 Der vom Punkte N1 zurückgelegte unendlich kleine Weg ist: 2' = 0 und der vom Punkte N2 zurückgelegte unendlich kleine Weg ist: 2'' = 1 . x2 . dy2 Die Auflagerdrücke von P in A1 und in B1 bewirken auch eine Längenveränderung der Pfeiler und damit eine Bewegung der Punkte N1 und N2. Da aber die von diesen Punkten zurückgelegten Wege ausserordentlich klein sind. so werden wir sie, wie es auch von anderen Schriftstellern üblich ist, vernachlässigen.
[Textabbildung Bd. 317, S. 682]
Fig. 1.
Das von P in q hervorgebrachte Biegungsmoment nennen wir M0. Es rufen dann sämtliche Kräfte in q das Biegungsmoment Ma=M0HhM1lv2M2lv1 hervor, wobei M1 = X1 . x1 . . . . . . . . . Ia und M2 = X2 . x2 . . . . . . . . . Ib sein soll. In q1 wird von P kein Biegungsmoment erzeugt, ferner bringt dort auch M2 kein Biegungsmoment hervor. Biegungsmomente bringen also nur H und M1 hervor und wir erhalten daher das Biegungsmoment Ma1 sämtlicher Kräfte: Ma1=Hy1+M1 . . . . . . . . II Ebenso bringt in q2 die Kraft P kein Biegungsmoment hervor, ferner auch nicht M1, sondern nur H und M2 erzeugen Biegungsmomente. Von sämtlichen Kräften wird also das Biegungsmoment Ma2=Hy2+M2 . . . . . . . . III erzeugt. Ist nun E der Elastizitätsmodul und J das Trägheitsmoment von irgend einem Querschnitt des Balkens A1 B1, so ist: Ma=EJdγdl wobei dl das Element der Strecke A1B1 ist. Wir nennen wiederum den Elastizitätsmodul beider Pfeiler E, dagegen das Trägheitsmoment irgend eines Querschnitts der Pfeiler J1, so ist: Ma1=EJ1dγ1dh und Ma2=EJ1dγ2dh wobei dh das Streckenelement jedes Pfeilers ist. Sowohl Balken als auch Pfeiler sollen übrigens überall denselben Querschnitt haben, aber unter einander haben sie verschiedene Querschnitte, weil sie ja verschiedene Trägheitsmomente haben. Die Untersuchung lässt sich für den anderen Fall, dass Trägheitsmomente der Querschnitte des Balkens oder der Pfeiler verschieden sind, auf ganz gleiche Weise führen. Wenn nun alle drei Querschnitte sich drehen, möge B den unendlich kleinen Weg d (σ) zurücklegen. Es ist dann: d (σ) = dσ – dσ2 d.h. Ed(0)=hJ(M0HhM1lv2M2lv1)dl y1J1(Hy1+M1)dhy2J1(Hy2+M2)dh Legt dabei Punkt N1 den unendlich kleinen Weg d (σ1) zurück, so ist: d (σ1) = dσ' – dσ2' – 2' oder auch: Ed(σ1)=x1v2lJ(M0HhM1lv2M2lv1)dlx1J1(Hy1+M1)dh Legt endlich Punkt N2 den unendlich kleinen Weg d (σ2) dabei zurück, so hat man: Ed(σ2)=1x2v1lJ(M0HhM1lv2M2lv1)dlx2J1(Hy1+M2)dh Diese drei Gleichungen müssen wir für alle Querschnitte des Balkens und der Pfeiler bilden und sämtliche d (σ), d (σ1) l und d (σ2) addieren; damit nun die drei Punkte B, N1 und N2 unbeweglich bleiben, müssen: ∫d (σ) = 0, ∫d (σ1) = 0 und ∫d (σ2) = 0 sein. Hierdurch entsteht erstens, wenn: ∫d (σ) = 0 ist: hJM0dl=Hh2lJ+M1hlJl22+M2hlJl22 +Hh33J1+M1h22J1+Hh33J1+M2h22J1 oder auch: M0dlJ=Hh(lJ+23hJ1)+M12(lJ+hJ1)+M22(lJ+hJ1) Wir setzen: JJ1h=h . . . . . IV so haben wir: M0dl=Hh(l+23h)+M12(l+h)+M22(l+h) . . . . . . V Zweitens, wenn ∫d (σ1) = 0 ist, ergiebt sich: 1lJM0v2dl=HhlJv2dl+M1l2Jv22dl +M2l2Jv1v2dl+HJ1y1dh+M1J1dy1 Hierin ist: v2dl=l22    v22dl=13l3 v1v2dl=v1(lv1)dl=l32l33=l36 y1dh=h22 und dy1=h
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Fig. 2.
Also hat man: 1lJM0v2dlHhl2J+M1l3J+M2l6J+Hh22J1+M1hJ1 oder: 1lJM0v2dl=Hh2(lJ+hJ1)+M1(l3J+hJ1)+M2l6J Man multipliziere die Gleichung mit J und berücksichtige Formel 1, so entsteht hieraus: 1lM0v2dl=Hh2(l+h)+M1(l3+h)+16M2l . . . . . . . . . VI. Auf gleiche Weise erhält man drittens, wenn ∫d (σ2) = 0 ist, die Gleichung: 1lM0r1dl=Hh2(l+h)+16M1l+M2(l3+h) . . . . . VII.
II. Wir gehen jetzt über zur Deutung des Ausdruckes σ M0 . dl in Formel 2. Hierzu zeichne man für P das Momentendreieck a0 b0 d in Fig. 1 mit dem beliebigen Polabstande h0. Ist z die Ordinate darin für den Querschnitt q, so ist: M0 = h0 . z, und z . dl der Inhalt des unendlich dünnen Streifen von der Breite dl und der Höhe z; nennen wir ihn df, so entsteht: ∫M0 . dl = h0 . ∫df und das Integral ist nichts anderes, als der Inhalt der Momentenfläche, welcher 12lt ist, wenn t die Ordinate unter P ist. Daher ist weiter: M0dl=12h0lt Es ist nun: h0t=Pabl wobei letzterer Ausdruck das Biegungsmoment für den Angriffspunkt D von P ist, und es ist endlich: M0dl=12Pab Man mache in Fig. 2 die horizontale Strecke AB=A1B1 und darauf AD=a, also ist DB=b. In A' errichte man ein Lot und mache darauf AF=φa, wobei φ eine beliebige Zahl ist und ziehe FB. Endlich errichte man in D' auf AB das Lot, welches BF in G trifft und setze: DG=η, so ist, weil Δ A' FB' ∾ D' GB' ist: φal=ηb d.h. abl=φη . . . . . . . VIII und nun entsteht: M0dl=12Pφηl Hierdurch nimmt Formel 2 die Gestalt an: 12Pφηl=Hh(l+23h)+M12(l+h)+M22(l+h) wofür wir künftig schreiben wollen: 12φPη=Hh(1+2h3l)+M12(1+hl)+M22(1+hl) . . . . . . . . IX Zeichnet man so η für viele Punkte D von AB auf und verbindet die so entstandenen Punkte G mit einander, so erhält man eine krumme Linie, nämlich die gemeine Parabel. Wir werden sie künftig die η-Linie nennen. Aus der letzten Gleichung erkennt man, dass sie die Einflusslinie für den Ausdruck auf der rechten Seite der Gleichung mit 12φ als Multiplikator ist. Der Multiplikator ist eine Zahl, worüber wir erst künftig verfügen können. – Wir gehen jetzt zur Deutung des Integrals ∫M0 . v2 . dl über. Es ist: M0 . dl = h 0 . df, also ∫M0 . v2 . df = h0 ∫v2 df. Dieses Integral ist nun nichts anderes, als das statische Moment des Dreiecks a0 b0 d in Fig. 1 in Bezug auf die Gerade AA1. Man verlängere b0 d bis zum Treffpunkte e mit AA1, so ist v2df=la0e2l3aa0e2a3 d.h. M0v2df=h0a0e6(l2a2) Da a0 kn' das Krafteck zum Momentendreieck a0 b0 d, also a0n=P darin ist, so hat man, da Δ a0 kn' ∾ Δ a0 M0 ist a0n:h0=a0e:a d.h. h0a0e=Pa und es ergiebt sich: M0v2dl=Pa6(l2a2) Also hat man: 16Pa(l2a2l2)=Hh2(1+hl)+M1(13+hl)+16M2 . . . . . . X aus Gleichung VI, indem man beide Seiten derselben vorher mit l dividiert hat. Auf ähnliche Weise erhält man aus Gleichung VII 16Pbl2b2l2=Hh2(1+hl)+16M1+M2(13+hl) . . . . . . . XI.
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Fig. 3.
Die Gleichungen VIII bis XI dienen zur Berechnung der drei statisch unbestimmten Grössen H, M1 und M2. Wie wir sehen, fallen X1, X2, x1, und x2 fort, wir können dann X1 = 0 und X2 = 0 setzen, mit Rücksicht auf die Gleichungen Ia und Ib müssen dann x1 = ∞ und x2 = ∞ sein. Es sind dann M1 und M2 die Momente von Kräftepaaren. Solche Kräftepaare werden in der Praxis nur von Stäben, welche auf Biegung beansprucht werden, aufgenommen, wobei sich die Schwerachse stets als neutrale Achse ergiebt. Da die Kräfte jedes Paares, in der Ebene, worin sie wirken, beliebig angenommen werden dürfen, so sollen sie senkrecht zu AA1 und BB1 gerichtet sein. Dadurch werden die Pfeiler AA1 und BB1 auf Biegung in Anspruch genommen und die Stäbe N2A und N1B sind nunmehr entbehrlich, (Schluss folgt.)