Titel: | Vergleich zwischen einer elektrischen Lokomotive und einer Dampflokomotive. |
Autor: | Br. Böhm-Raffay |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 613 |
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Vergleich zwischen einer elektrischen Lokomotive
und einer Dampflokomotive.
Vergleich zwischen einer elektrischen Lokomotive und einer
Dampflokomotive.
Die Frage der Verwendung der Elektrizität als Betriebskraft auf den Linien der
grossen Eisenbahnen hat heutzutage eine derartige Bedeutung und Wichtigkeit erlangt,
dass die Erörterung derselben in den weitesten Kreisen das grösste Interesse
erregt.
Vor wenigen Jahren noch sah man in der elektrischen Zugförderung lediglich eine
Annehmlichkeit nicht nur für die Reisenden, sondern auch für die Bahnbediensteten
und die Anwohner der Bahn wegen des Wegfalles der raucherzeugenden Dampflokomotive.
Auch glaubte man eine bedeutend grössere Geschwindigkeit erreichen zu können. Heute
aber sind es nicht diese Vorzüge allein, sondern auch technische und wirtschaftliche
Vorteile des elektrischen Betriebes, welche gegenüber den ersteren hauptsächlich in
den Vordergrund treten und diese Frage zu einer der zeitgemässesten und brennendsten
Tagesfragen gestalten.
So lange man nur den Gleichstrom als elektrische Betriebskraft kannte oder richtiger
gesagt, so lange man nur den Gleichstromserienmotor als brauchbaren Antriebsmotor
kannte, fielen die Vergleiche der elektrischen Zugförderung gegenüber- jener mit
Dampf kraft nicht immer zu Gunsten der ersteren aus. Heute jedoch, wo wir in dem
Dreiphasenmotor eine Antriebsmaschine besitzen, die den strengsten an eine
Lokomotive zu stellenden Anforderungen in hohem Grade entspricht und derselbe die
Anwendung sehr hoher Spannungen gestattet, wird ein Vergleich zwischen einer
elektrischen Lokomotive und einer Dampflokomotive sich in ganz entscheidender und
unzweifelhafter Weise ausführen lassen.
Im nachstehenden soll nun dieser Vergleich unter Benutzung der Ausführungen von Eugen Cserhati und von v.
Kando in L'Éclairage Electrique durchgeführt
werden.
Betreffs der Zweckdienlichkeit eines derartigen Vergleiches muss daran erinnert
werden, dass die Einführung des elektrischen Betriebes auf bestehenden Vollbahnen
sich naturgemäss nur ganz allmählich vollziehen lässt, indem man nicht sofort das
gesamte rollende Material in kürzester Zeit in Motorwagen umbauen wird, sondern –
der gebieterischen Notwendigkeit Folge leistend und um mit dem elektrischen Betrieb
überhaupt den Anfang machen zu können – damit beginnen wird, die Dampflokomotiven
nach und nach durch elektrische Lokomotiven zu ersetzen.
Andererseits sind die wirtschaftlichen Vorteile des elektrischen Betriebes gegenüber
dem Dampfbetriebe auf Vollbahnen in dem Falle, wenn die elektrische Energie durch
Wasserkraft gewonnen werden kann, derart einleuchtend, dass wir uns bei dem
Vergleiche nur auf den Fall beschränken wollen, dass die elektrische Energie für den
Betrieb der elektrischen Lokomotive durch Dampfmaschinen in einem oder mehreren an
der Bahnlinie gelegenen Elektrizitätswerken erzeugt werde. Von diesen
Elektrizitätswerken nun werde der hochgespannte (etwa 3000 Volt) Dreiphasenstrom
durch Oberleitungen oder durch dritte Schienen den Motoren der elektrischen
Lokomotive zugeführt, wobei die Fahrschienen als dritte Leitung dienen.
1. Dampf- und Kohlenverbrauch. Der Dampfverbrauch
einer gewöhnlichen Dampflokomotive beträgt für 1 PS/Std., gemessen am Umfange des
Triebrades bei einem Füllungsgrade des Dampfcylinders von 0,1 bis 0,7 etwa 9 bis
18,2 kg. Die Compoundlokomotiven neuester Bauart arbeiten wohl vorteilhafter und die
Viercylinder-Compoundlokomotive der Nord français
verbraucht nur 8 kg Dampf für eine geleistete Pferdekraftstunde.
Unsere grossen feststehenden Compounddampfmaschinen, die mit Kondensation und
überhitztem Dampf arbeiten, verbrauchen von einer Leistungsfähigkeit von 2000 PS an
nur 5,5 kg trockenen Dampf für eine geleistete Pferdekraftstunde. Berücksichtigt man
nun die bei der elektrischen Zugförderung unvermeidlichen Energieverluste: in den
Generatoren, den Leitungen, den Transformatoren und endlich in den Motoren, so
können wir mit einem Wirkungsgrad von 60 bis 70 % rechnen, so dass für eine am
Triebradumfange der elektrischen Lokomotive geleistete Pferdekraftstunde sich ein
Verbrauch von 5,5: 0,6 bis 5,5:0,7, das ist 8 bis 9 kg trockenen Dampf im
Elektrizitätswerke ergibt. Es ist dies wohl nahezu dieselbe Ziffer, die wir vorhin
für die Dampflokomotive angeführt haben, aber diese Ziffer gilt ausschliesslich für
Lokomotiven bester und neuester Bauart, wie sie für die Beförderung von Express- und
Schnellzügen in Verwendung stehen. Die Lokomotiven für geringere Geschwindigkeiten,
Personenzug- und Güterzuglokomotiven verbrauchen infolge des grösseren
Füllungsgrades ihrer Cylinder um die Hälfte mehr Dampf.
Dagegen verbraucht die elektrische Lokomotive stets die gleiche spezifische Menge
Energie, wie gross auch ihre Geschwindigkeit sei, d.h. die elektrische Lokomotive
eines Güterzuges arbeitet ebenso wirtschaftlich und vorteilhaft als jene eines
Expresszuges.
Aber selbst angenommen, dass der Dampf verbrauch einer gewöhnlichen
Personenzuglokomotive und einer elektrischen Lokomotive für eine geleistete
Pferdekraftstunde derselbe sei, so ist doch der Verbrauch an Kohle bei der letzteren
bedeutend geringer als bei der ersteren.
Jeder Maschinentechniker weiss sehr gut, dass der Wirkungsgrad eines Lokomotivkessels
um vieles geringer ist, als der eines Stabilkessels. Während 1 kg Kohle im
Lokomotivkessel, je nachdem die Lokomotive für kleinere oder grössere
Geschwindigkeiten bestimmt ist, 5,46 bis 6,81 kg, also im Mittel 6,13 kg Dampf
erzeugt, wird mit derselben Menge Kohle in einem Stabilkessel guter Bauart und bei
gewöhnlicher regelrechter Feuerung 7,65 bis 7,95, im Mittel 7,8 kg Dampf, bei
verstärkter Feuerung 6,88 bis 7,95, im Mittel 7,42 kg Dampf erzeugtDiese Thatsache erklärt sich sofort, wenn man
die Verhältnisse; unter denen die Verbrennung der Kohle in den beiden Fällen
stattfindet, untersucht. Bei den Stabilkesseln verbrennt man gewöhnlich auf
1 qm Rostfläche 50 und höchstens 100 kg Kohle in der Stunde. Bei der
Lokomotive steigt diese Menge aber auf 350 und 500 kg. Es ist nun klar, dass
die Verbrennung einer solchen Menge Kohle eine derartig starke Luftzufuhr
erfordert, dass die Verbrennungsgase mit sehr hoher Temperatur entweichen müssen,
infolgedessen der Wirkungsgrad beträchthlich herabgedrückt wird. – Nach den
Angaben des Taschenbuches Die Hütte beträgt der
Wirkungsgrad des besten Lokomotivkessels 60 %, jener eines Stabilkessels 78
%. Der Unterschied von 18 % ist gross genug, um bei den gegenwärtigen hohen
Kohlenpreisen in Berücksichtigung gezogen zu werden. Andererseits kann unter
den Stabilkesseln Kohle minderer Gattung, Braunkohle, Torf u.s.w. verfeuert
werden, während für die Dampflokomotive nur Kohle bester Sorte verwendet
werden kann. Es ergibt sich hieraus eine neue Quelle der
Ersparnis..
Der Unterschied beträgt somit zu Gunsten der elektrischen Lokomotive 21 bis 17
%, d.h. die elektrische Lokomotive für einen Schnellzug braucht nur 79 bis 83 % von
der Menge Kohle, welche eine Schnellzugdampflokomotive zur Beförderung eines Zuges
von demselben Gewichte verbrauchen würde. Der Vergleich wird für die elektrische
Zugförderung noch vorteilhafter, wenn man Güterzuglokomotiven in Betracht zieht.
Abgesehen von der besseren Ausnutzung der Kohle unter dem Stabilkessel, haben wir zu
Gunsten der elektrischen Lokomotive einen um 25 bis 30 % geringeren Dampf
verbrauch.
Ein ganz beträchtlicher Vorzug der elektrischen Zugförderung liegt ferner in dem
Umstände, dass das Anheizen des Kessels entfällt. Ein Stabilkessel kann in der That
mehrere Monate ohne Unterbrechung unter Feuer sein, während die Dampflokomotive fast
jedesmal, wenn sie in Dienst genommen werden soll, angeheizt werden muss. Auch die
Dampfhaltungskosten der gewöhnlichen Lokomotive bei einer kürzeren Unterbrechung des
Fahrdienstes, die mitunter recht beträchtlich sein können, entfallen bei der
elektrischen Lokomotive vollständig, denn. diese verbraucht nur dann elektrischen
Strom, wenn sie arbeitet, und die Kosten der Haltung der Dampfspannung im
Elektrizitätswerke sind unbedeutend, da die Wärmeverluste bei den Stabilkesseln ganz
ausserordentlich klein sind gegenüber jenen bei dem gegen Ausstrahlung schlecht
geschützten Lokomotivkessel.
Es besteht aber noch ein fernerer, ganz beträchtlicher Unterschied in den beiden
Arten der Zugförderung, nämlich, was die Veränderlichkeit des Wirkungsgrades mit der
Belastung anbelangt.
Der Wirkungsgrad einer Dampflokomotive ist am grössten, wenn sie mit einem mittleren
Füllungsgrad und mit nicht verstärktem Feuer arbeitet. Aber sobald die
Geschwindigkeit eine gewisse Grenze überschreitet, ist man genötigt, das Feuer zu
verstärken, um die erforderliche Dampf menge erzeugen zu können. Alsdann sinkt aber
der Wirkungsgrad des Kessels. Andererseits muss, wenn man die Zuglast erhöht und
eine gewisse Geschwindigkeit beibehalten will, die Dampffüllung vermehrt werden,
wodurch wieder der Wirkungsgrad der Dampfmaschine vermindert wird. Man ersieht
daraus leicht, dass die Dampflokomotive ganz ausserordentlich selten mit vereintem
grössten Wirkungsgrade arbeiten kann; bald arbeitet die Dampfmaschine, bald der
Dampfkessel unter ungünstigen Bedingungen.
Für die elektrische Lokomotive gestalten sich diese Verhältnisse viel befriedigender.
Freilich muss man hier den zusammengesetzten Wirkungsgrad, der sich aus dem Produkte
der Wirkungsgrade der einzelnen Teile, als Dampfmaschine, Generator, primäre und
sekundäre Leitungen, Transformatoren und Motoren ergibt, in Betracht ziehen. Die
nachstehende Tabelle zeigt die Abhängigkeit des Wirkungsgrades dieser Teile von der
Belastung.
Belastung
25 %
50 %
75 %
100 %
Dampfmaschine
80,0
88,35
89,00
89,5
Dynamo
81,0
89,00
91,75
93,0
Transformator
90,0
94,60
95,80
96,5
PrimärleitungIn
dem eingangs erwähnten Artikel ist der Wirkungsgrad der Leitungen
mit abnehmender Belastung auch abnehmend angeführt und es stellen
sich demnach die Gesamtwirkungsgrade bei den verschiedenen
Belastungen auf 51,4, 65,6, 70,0 und 73,0. Das ist aber nicht
richtig; der Wirkungsgrad der Leitungen nimmt mit abnehmender
Belastung zu und erreicht bei der Belastung = Null den Wert 100 %.
Freilich wird dann keine Arbeit geleistet; aber es liegt in dem
Werte 100 % nichts Absonderliches. Sinkt die Belastung auf die
Hälfte, d.h. sinkt die Stromstärke bei konstant erhaltener Spannung
im Elektrizitätswerke auf die Hälfte, so beträgt der Verlust in der
Leitung nur ein Viertel des Verlustes bei Vollbelastung. Während
also die Belastung sinkt, nimmt der Verlust in der Leitung im
quadratischen Verhältnisse ab, demnach muss der Wirkungsgrad der
Leitung mit abnehmender Belastung zunehmen.
98,7
97,50
96,30
95,0
SekundärleitungIn dem eingangs erwähnten Artikel ist der Wirkungsgrad der
Leitungen mit abnehmender Belastung auch abnehmend angeführt und es
stellen sich demnach die Gesamtwirkungsgrade bei den verschiedenen
Belastungen auf 51,4, 65,6, 70,0 und 73,0. Das ist aber nicht
richtig; der Wirkungsgrad der Leitungen nimmt mit abnehmender
Belastung zu und erreicht bei der Belastung = Null den Wert 100 %.
Freilich wird dann keine Arbeit geleistet; aber es liegt in dem
Werte 100 % nichts Absonderliches. Sinkt die Belastung auf die
Hälfte, d.h. sinkt die Stromstärke bei konstant erhaltener Spannung
im Elektrizitätswerke auf die Hälfte, so beträgt der Verlust in der
Leitung nur ein Viertel des Verlustes bei Vollbelastung. Während
also die Belastung sinkt, nimmt der Verlust in der Leitung im
quadratischen Verhältnisse ab, demnach muss der Wirkungsgrad der
Leitung mit abnehmender Belastung zunehmen.
98,7
97,50
96,30
95,0
Motoren
79,5
88,00
89,50
90,0
Zusammengesetzter Wirkungsgrad ohne
Dampfmaschine
56,5
70,00
72,80
73,0
Der Gesamtwirkungsgrad der Anlage ist daher selbst bei halber Belastung noch ein
sehr guter. Nun wird es aber nur selten vorkommen, dass das Elektrizitätswerk und
die elektrische Lokomotive gleichzeitig mit halber Belastung arbeiten, daher der
Gesamtwirkungsgrad sich stets höher als 70 % stellen wird. Der tägliche Dienst in
einem Elektrizitätswerke, das für ein ausgedehntes Bahnnetz elektrischen Strom
liefert, kann in der That entweder auf Grund einer feststehenden Fahrordnung oder
über rechtzeitige Weisungen der Hauptverkehrsstationen derart eingerichtet werden,
dass die Anzahl der im Dienste stehenden Kessel und Maschinen stets der zu
gewärtigenden Belastung der Linie, also dem Zugverkehr entspricht. Andererseits
können auch die Motoren der Lokomotive je nach der Zugbelastung und den Strecken
Verhältnissen entsprechend einzeln eingeschaltet oder ausgeschaltet werden. Beim
Anfahren wird man alle Motoren zugleich arbeiten lassen, sobald jedoch die bestimmte
Zuggeschwindigkeit erreicht ist, werden einige derselben abgeschaltet. Es arbeiten
dann die unter Strom befindlichen Motoren mit voller Belastung bei grösstem
Wirkungsgrad, während die Verluste, die der Leerlauf der anderen Motoren verursacht,
ganz zu vernachlässigen sind, da sie mit den Achsen unmittelbar ohne
Zahnradübersetzung verbunden sind.
2. Gewicht, Zugkraft und Reibungswiderstände.
Vergleichen wir nun das Gewicht einer Dampflokomotive mit dem einer elektrischen
Lokomotive von gleicher Leistungsfähigkeit.
Vor allem erfordert die elektrische Lokomotive keinen Tender, d.h. keinen Wasser- und
Kohlenbehälter; es ergibt sich aus diesem Umstände allein schon eine
Gewichtsverminderung von 20 bis 50 % und infolgedessen eine nicht unbedeutende
Verringerung der ZugförderungskostenAuf einer
bestimmten Linie von 360 km Länge wurden im Jahre 1898 zurückgelegt 4217000
Lokomotivkilometer. Die Zahl der Tenderkilometer ist natürlich dieselbe.
Nimmt man das Gewicht eines Tenders im Mittel mit 20,1 t an, so ergibt sich
für diese Strecke und dieses Jahr eine nutzlose Leistung von 84761700
Tonnenkilometer. Auf derselben Linie haben die Selbstkosten für 1
Tonnenkilometer 0,444 kr. betragen; es ergibt sich daher für die Beförderung
der Tender eine jährliche Ausgabe von 376339 fl., das sind ungefähr 9 % der
jährlichen Gesamtauslagen von 4191000 fl.Es ist wohl richtig, dass die Zugförderungskosten nicht im einfachen
Verhältnisse mit der beförderten Last stehen und es ist daher der
vorstehende Prozentsatz wohl etwas zu hoch gegriffen. Aber es lässt sich
dies von einem anderen Gesichtspunkte aus darstellen, indem man nämlich
sagt, man hätte anstatt des toten Gewichtes der Tender mehr als 84 Millionen
Tonnenkilometer Nutzlast befördern können, ohne dass sich die
Zugförderungskosten erhöht hätten..
Aber noch mehr. Die elektrische Lokomotive selbst ist viel leichter als die
Dampflokomotive. Die Leistungsfähigkeit der letzteren ist begrenzt durch die
Dampfmenge, die der Kessel in der Zeiteinheit zu erzeugen vermag. Eine Lokomotive
grosser Leistungsfähigkeit erfordert nun einen Kessel mit grossem Rost und grosser
Heizfläche, dessen Gewicht allein schon das erforderliche Adhäsionsgewicht weit
übersteigt, so dass kräftige Lokomotiven eigene Laufachsen erhalten müssen, die das
tote Gewicht der Maschine zu tragen haben.
Die elektrische Lokomotive hat dagegen nur die Motoren und die elektrische Ausrüstung
zu tragen, deren Gesamtgewicht, wenn es auch vielleicht manchesmal das unbedingt
erforderliche Adhäsionsgewicht überschreiten sollte, doch zu dem letzteren in einem
sehr viel günstigeren Verhältnisse steht.
Im allgemeinen beträgt das Gewicht für eine nutzbar abgegebene Pferdekraft bei
der Dampflokomotive 100 bis 110 kg, während dasselbe bei der elektrischen Lokomotive
nur 66 kg erreicht und bei Motorwagen sogar auf 33 kg sinkt. Es ist daher das tote
Gewicht bei der elektrischen Zugförderung um 40 bis 70 % geringer als wie bei der
Dampflokomotive.
Die elektrische Lokomotive besitzt einen weiteren grossen Vorzug vor der
Dampflokomotive in betreff des Adhäsionskoeffizienten. Während man im letzteren
Falle nur auf eine Zugkraft von höchstens 16 % des Nutzgewichtes rechnen kann, kann
man im ersteren Falle mit Sicherheit 25 bis 30 % in Rechnung stellen.
Die Erfahrung bestätigt diese Behauptung vollends. So hat z.B. die elektrische
Lokomotive der Linie Baltimore-Ohio in einem besonderen Falle eine Zugkraft von 30 t
(27210 kg) entwickelt; ihr eigenes Gewicht betrug 90 t (81630 kg). In einem anderen
Falle wurde in den Lieferungsbedingnissen für eine elektrische Lokomotive
vorgeschrieben, dass sie im stande sein soll, einen Zug von 90 t (ohne Lokomotive)
auf einer Steigung von 1 % und in einer Gegenkrümmung von 150 m anzufahren. Bei den
amtlichen Versuchen mit der fertigen Lokomotive ergab sich, dass die Lokomotive 13 t
wog und den Zug unter den vorangeführten Verhältnissen ohne Sand zu streuen kräftig
anfuhr und mit einer Geschwindigkeit von 6 bis 7 km in der Stunde weiter beförderte.
Die Lokomotive hatte zwei Achsen, deren eine nur angetrieben wurde. Die Zeitdauer
der Beschleunigung ist wohl nicht angegeben, aber wenn man annimmt, dass dieselbe 2
Minuten betrug – was wohl reichlich bemessen ist –, so ergibt sich unter Benutzung
der bekannten Formel eine Zugkraft im Augenblicke des Anfahrens von 2615 kg. Nimmt
man ferner an, dass das Lokomotivgewicht auf die beiden Achsen gleichmässig verteilt
war, so erhält man einen Adhäsionskoeffizienten von 39 %.
Ein so hoher Adhäsionskoeffizient ist natürlich von allergrösster Wichtigkeit,
insbesondere für die Beförderung von schweren Güterzügen auf Linien mit starken
Steigungen, wo die erforderliche Zugkraft oft ganz beträchtlich werden kann. Nun,
eine elektrische Lokomotive erfordert selbst in solchen ungünstigen Verhältnissen
keine Erhöhung ihres Eigengewichtes.
Die Ursache dieser sonderbaren, wiederholt festgestellten Thatsache ist erstens in
dem Umstande gelegen, dass das am Umfange des Triebrades wirkende Drehmoment bei der
elektrischen Lokomotive während einer Umdrehung stets unverändert bleibt, während
dasselbe bei der Dampflokomotive sich mit der Stellung der Kurbel ändert, und zwar
steht der geringste Wert der während einer Umdrehung ausgeübten Zugkraft zum
grössten Werte im Verhältnisse von 1 : 2. Nun ist aber für das Anfahren der
geringste Wert der Zugkraft in Rechnung zu ziehen, während andererseits das
Adhäsionsgewicht so gross sein muss, dass bei dem Auftreten des grössten Wertes der
Zugkraft kein Schleifen der Räder stattfindet. Für gleiches Anfahrdrehmoment muss
demnach das Adhäsionsgewicht der Dampflokomotive um mindestens 50 % grösser als
jenes der elektrischen Lokomotive seinDieser
Vergleich fällt noch viel günstiger für die Elektrizität aus, wenn man
anstatt einer elektrischen Lokomotive einen Wagen mit eigenen Motoren in
Betracht zieht, denn in diesem Falle bildet die elektrische Ausrüstung nur
einen Teil der ehedem erforderlichen toten Last. So wiegt die elektrische
Ausrüstung eines Motorwagens der Valtellina-Linie bei einer
Leistungsfähigkeit von 600 PS nur 20 t..
Eine andere Ursache der Erhöhung des Zugkoeffizienten scheint in dem Stromübergang
von den Rädern zu den Schienen gelegen zu sein. Zur Bestätigung dieser Behauptung
mögen einige der auf der Linie Baltimore-Ohio erhaltenen Ergebnisse angeführt
werden. Nach Mitteilungen von N. H. Heft, Vorstand der
elektrischen Abteilung der New York, New Haven und Hartford
Railroad, am Internationalen Eisenbahnkongress in Paris 1900 hat die
elektrische Lokomotive auf dieser Linie, deren Gewicht 95 t1 t = 907,2 kg. beträgt, zu
wiederholten Malen eine Zugkraft von 27 t entwickelt. Einer Mitteilung im Street railway Journal zuFolge hat dieselbe
Lokomotive in unwiderlegbarer Weise ihre Ueberlegenheit gegen die Dampflokomotive in
folgender Art dargethan. Die elektrische Lokomotive zog auf der Steigung von 0,8 %
zwei Kohlenzüge, bestehend aus 44 beladenen Wagen von je 37 t, das sind somit 1636
t, mit drei nicht arbeitenden Dampflokomotiven zu je 70 t, das sind 210 t; hierzu
kommt noch das Eigengewicht der elektrischen Lokomotive mit 96 t, so dass sich eine
Gesamtlast von 1944 t ergibt. Nun ereignete es sich, dass der Zug auf der Steigung
zerriss. Nach der Wiedervereinigung der beiden Zugsteile brachte die elektrische
Lokomotive den 1944 t schweren Zug auf der Steigung von 0,8 % allein wieder in
Gang.
Der Zugkoeffizient auf dieser Linie beträgt nach früher ausgeführten Versuchen auf
der horizontalen Strecke 3 kg für 1 t. Der gesamte Zugwiderstand betrug daher in
diesem Falle (8 + 3) . 1944 : 1000 = 21,4 t. Nun ist es bekannt, dass zum Anfahren
gewöhnlich eine 2,25mal grössere Zugkraft als jene während der Fahrt ausgeübte
erforderlich ist. Wenn wir die Anlaufzugkraft nur l,5mal grösser nehmen, so ergibt
sich, dass die elektrische Lokomotive eine Zugkraft von mindestens 32,1 t entwickeln
musste. Diese Schlussfolgerung ist übrigens durch die ganz bedeutende Stromstärke
von 2200 Ampère, welche die vier Motoren der Lokomotive aufnahmen, erhärtet. Es muss
besonders betont werden, dass sich das Anfahren ohne das geringste Schleifen der
Räder vollzog, was ein Beweis dessen ist, dass, trotzdem die Lokomotive eine
Zugkraft gleich einem Drittel ihres Eigengewichtes entwickelte, die Grenze der
Adhäsion noch nicht erreicht war. Beim Anfahren ging von jedem der acht Räder ein
Strom von 270 Ampère in die Schienen über. Diese Stromstärke scheint zu genügen, um
jede Feuchtigkeit von den Schienen zu beseitigen und sie stets in trockenem Zustand
zu erhalten.
Auch die Reibungswiderstände sind bei der elektrischen Lokomotive ganz beträchtlich
geringer als bei der Dampflokomotive. Die vielen beweglichen Teile bei der letzteren
und ganz besonders die gekuppelten Achsen erhöhen die Reibungswiderstände auf das
Doppelte jener der Wagen. Bei der elektrischen Lokomotive treten nur
Reibungswiderstände in den beiden Lagern jeder Achse und in der elastischen
Kuppelung des Motorankers mit dem Rade auf, welch letztere Reibung aber
verschwindend klein ist.
Wie gross die Reibungswiderstände einer Dampflokomotive mit Tender sind, lässt sich
am besten aus einer diesbezüglichen Veröffentlichung von Leitzmann entnehmen. Wie wir weiter oben angeführt haben, verbrauchte die
Viercylinderlokomotive der Nord français 8 kg Dampf für
1 PS/Std., gemessen am Triebrade. Wenn man jedoch die Dampfmenge bestimmt, die für
eine am Zughaken des Tenders gemessene Pferdekraftstunde erforderlich ist, so erhält
man 20 kg. Dieser bedeutende Unterschied in den beiden Ziffern lässt die Grösse der
Uebertragungs- und Reibungswiderstände klar erkennen.
Noch ein wichtiger Punkt wäre hervorzuheben. Die Zugkraft der Dampflokomotive hängt
bei gleichem Gewicht von der Fahrgeschwindigkeit ab. Es findet dieser Umstand seine
Erklärung darin, dass durch das rasche Entweichen des Dampfes ein kräftiger Luftzug
entsteht, der die Verbrennung einer beträchtlichen Menge Kohle auf einem
verhältnismässig kleinen Roste ermöglicht. Lokomotiven geringer Geschwindigkeit
werden daher nicht gleiche Mengen Kohlen wie Schnellzuglokomotiven verbrennen können
und bleibt daher ihre Leistungsfähigkeit zurück.
Bei der elektrischen Lokomotive nun ist die Zugkraft von der Geschwindigkeit
vollständig unabhängig. Bei jedweder Geschwindigkeit entwickelt der Motor eine
gegenelektromotorische Kraft von solcher Grösse, dass die den Wert der Zugkraft
bestimmende Stromstärke unverändert bleibt. Die elektrische Lokomotive ist daher
auch von diesem Gesichtspunkte aus viel vollkommener als die Dampflokomotive.
3. Unterhaltungskosten der Lokomotive.
a) Kessel. Der Kessel bildet den heiklichsten Teil einer
Dampflokomotive; er erfordert häufig Ausbesserungen. Die vielen aufeinander
folgenden starken Erhitzungen und Abkühlungen verursachen im Metall
Molekularbewegungen, welche rasche Zerstörung des Kessels bewirken. Die Hitze im
Feuerraum und in den Siederöhren ist ausserordentlich hoch, bei jedem Aufbringen von
Brennmaterial tritt kalte Luft in den Feuerraum, was natürlich sehr schädlich ist. –
Das Speisewasser enthält zumeist Unreinigkeiten, welche gleichfalls sehr viel zum
raschen Untauglichwerden des Kessels beitragen. Die Wasserreinigungsverfahren sind
schwierig und wenig verlässlich, so dass wenige Eisenbahngesellschaften davon
Verwendung machen.
Beim Stabilkessel liegen diese Verhältnisse viel günstiger, daher die Unterhaltung
desselben geringer ist. Der Stabilkessel ist während des grössten Teiles des Tages
im Betriebe und seine Abkühlung findet nach dem Abstellen infolge des die Wärme
schlecht leitenden Mauerwerkes nur sehr langsam statt. Das Speisewasser kann immer
einer Reinigung unterzogen werden, so dass aus diesem Umstande kein Kesselschaden zu
befürchten ist. Was die Einbringung des Brennmaterials anbelangt, so kann dieselbe
selbstthätig erfolgen, wodurch nicht nur an Brennmaterial gespart, sondern auch der
schädliche Eintritt von kalter Luft in den Feuerraum verhindert wird, infolgedessen
auch wieder eine Ersparnis in den Unterhaltungskosten sich ergibt.
b) Dampfmaschine. Die Maschine der Dampflokomotive ist
stets dem Staub, Regen und Schnee ausgesetzt, was die Abnutzung der bewegenden Teile
erhöht. Da die Auspuffleitung in die Rauchkammer ausmündet, ist es unmöglich zu
verhindern, dass nicht Verbrennungsrückstände in die Cylinder angesaugt werden,
welche natürlich eine rasche Abnutzung desselben bewirken.
Die Maschinen eines Elektrizitätswerkes befinden sich dagegen in weiten gut
erleuchteten, gut gelüfteten und äusserst rein gehaltenen Hallen, in denen weder
Staub noch Feuchtigkeit vorhanden ist. Eine Maschine, die sich unter so günstigen
Verhältnissen befindet, arbeitet natürlich viel längere Zeit, ohne Ausbesserungen zu
erfordern, als wie die Maschine einer Dampflokomotive. –
Was die Motoren der elektrischen Lokomotive anbelangt, so ist deren heutige Bauart
eine derartige, dass ihr empfindlichster Teil, die Armatur, staub- und wasserdicht
in ein metallisches Gehäuse eingeschlossen ist, so dass weder Oel, noch Wasser oder
Staub zu ihr gelangen können. Es sind nur zwei Lager, drei Schleifringe und die
Bürsten vorhanden, welch letztere allein einer Abnutzung unterliegen, die aber auch,
da sie gegen Staub geschützt sind, sich nur langsam vollzieht. Die Ausbesserung
eines elektrischen Motors erfordert übrigens nicht viel Zeit, da alle Teile
auswechselbar sind und ein schadhafter Teil rasch ersetzt werden kann.
Die Abnutzung der Kuppelung des Motors mit der Achse kann durch Härten der
beweglichen Teile, insbesondere des Drehzapfens und seiner Pfanne auf das geringste
Mass vermindert werden; übrigens ist ihre gegenseitige Bewegung nur gering.
Die Reifen der Triebräder einer Dampflokomotive nutzen sich infolge der wechselnden
Tangentialkraft ungleichmässig ab; sie werden unrund. Da diese Kraft bei der
elektrischen Lokomotive stets gleichmässig wirkt, ist die Abnutzung der Radreifen
nicht nur vollständig gleichmässig, sondern auch beträchtlich geringer.
Ausserdem unterliegen die Räder einer Dampflokomotive und ihres Tenders einer
bedeutenden Abnutzung durch die mechanische Bremsung, insbesondere auf Linien mit
grossen Neigungen. Bei der elektrischen Lokomotive kommt die mechanische Bremse nur
beim Anhalten in Verwendung, während die Verringerung der Geschwindigkeit bei der
Fahrt durch die elektrische Bremsung erfolgt; es ist daher die Abnutzung der Räder
im letzteren Falle eine beträchtlich geringere.
Aus dem Vorstehenden geht zur Genüge hervor, dass der Ersatz der Dampflokomotive
durch den elektrischen Betrieb auch den Vorteil mit sich bringt, dass die
Reparaturwerkstätten verringert werden können, dass auch in der Anzahl der
Lokomotiven eine Verminderung eintreten kann, und dass die Ausbesserungen weniger
häufig und rascher bewerkstelligt sein werden bei der elektrischen Lokomotive als
wie bei der Dampflokomotive.
c) Wagen. Da der Anlauf der Dreiphasenmotoren
langsam und sanft vor sich geht, auch der Gebrauch der mechanischen Bremsung weniger
häufig erfolgt, so wirkt die elektrische Zugförderung auch günstig auf die
Unterhaltung der Wagenkasten, d.h. auf die Unterhaltungskosten des gesamten
rollenden Materials. Auch wird für die innere Ausstattung und den Anstrich der Wagen
die Abwesenheit des Rauches nur vorteilhaft sein.
d) Ausrüstung. Die Anzahl der Triebachsen bei der
Dampflokomotive ist durch die Konstruktion derselben selbst beschränkt, während bei
der elektrischen Lokomotive es keinem Anstände unterliegt, an jeder Achse einen
Motor anzubringen. Es ist wohl richtig, dass man kürzlich auch Dampflokomotiven mit
zwei Drehgestellen von je zwei oder drei gekuppelten Achsen erbaut hat, deren jedes
seine besondere Dampfmaschine besitzt. Es ist dies wohl ein beträchtlicher
Fortschritt im Lokomotivbau, aber die Lösung ist schwerfällig und nicht besonders
glücklich wegen der durch das Vorhandensein zweier Maschinen erhöhten
Unterhaltungskosten und der schwierigen Anordnung der Dampfzufuhr- und
Auspuffleitungen. Eine elektrische Lokomotive kann dagegen sehr gut mit zwei
Drehgestellen von je zwei oder drei Achsen erbaut werden; es werden in diesem Falle
die Tragfedern länger und elastischer, als wenn jede Achse ihren Motor trägt.
Die Bewegung der hin und her gehenden Massen einer Dampflokomotive bringt diese
selbst in schädliche Bewegungen (Schlingern, Stampfen u.s.w.), welche bekanntlich
sehr nachteilige Wirkungen auf den Zustand des Geleises und auf das Oberbaumaterial
ausüben. – Die elektrische Lokomotive hat dagegen gar keine schädlichen Bewegungen,
da ihre Motoren nur Drehbewegungen vollführen.
In Summa, der Gang der elektrischen Lokomotive ist ruhig, ihr Gewicht ist gering,
ihre Tragfedern sind elastischer, so dass das Geleise und das Material durch sie
viel weniger beansprucht werden, als durch die Dampflokomotive. Endlich ist es nur
zu wohl bekannt, wie sehr die Unterhaltung des Geleises in Tunnels durch die
Rauchentwickelung der Dampflokomotive erschwert ist; man ist daher genötigt, in
langen Tunnels besondere Lüftungsvorrichtungen herzustellen. Bei der elektrischen
Zugförderung ist jede Lüftung unnötig.
4. Kosten der Bedienung. Die Handhabung der
Regulierapparate einer elektrischen Lokomotive oder eines Motorwagens ist
ausserordentlich einfach und erfordert keinen besonders gelernten Maschinisten. Ein
einziger Führer genügt für jeden Zug, während die Bedienung der Dampflokomotive
unbedingt zwei Personen erfordert.
Dagegen könnte man wohl einwenden, dass der Führer der elektrischen Lokomotive durch
irgend einen Unfall unfähig werden könne, den Fahrdienst ordnungsmässig zu versehen
und dann niemand da wäre, um ihn zu ersetzen. Aber es ist derart unwahrscheinlich,
dass ein Führer so plötzlich dienstunfähig werde, um nicht noch in der Lage sein zu
können, den Zug anzuhalten, dass es nicht gerechtfertigt wäre, den Führerposten
ständig doppelt zu besetzen. Uebrigens sind die Stationen mit besonderen
Stromunterbrechern ausgerüstet, um jeden Zug anhalten zu können. Andererseits kann
eine Verfügung und Einrichtung getroffen werden, durch welche dem Zugführer selbst
die Möglichkeit geboten ist, im Falle einer Gefahr den Zug anzuhalten.
Eine thatsächliche Ersparnis in den Personalkosten ist daher durchaus möglich.
5. Rückgewinnung der elektrischen Energie. Wie bekannt
ist, bleibt die Umdrehungszahl eines Dreiphasenmotors bei jeder Belastung nahezu
unverändert. Wenn nun durch irgend eine äussere Ursache diese Umdrehungszahl erhöht
wird, so wird der Motor selbstthätig Generator und entsendet Strom in das
Leitungsnetz. Diese Eigenschaft der Dreiphasenmotoren ist von grösster Wichtigkeit
für die elektrische Zugförderung auf grossen Linien.
Wenn nämlich ein Zug im Gefälle fährt und sich seine Geschwindigkeit infolge der auf
ihn wirkenden Schwerkraft ein bestimmtes Mass überschreitet, wird der Zug durch, die Motoren
der elektrischen Lokomotive selbstthätig gebremst. Aber die Energie der lebendigen
Kraft wird dabei nicht durch Schleifschuhe gewöhnlicher Bremsen in Wärme umgesetzt,
sondern sie wird in der Form elektrischer Ströme wiedergewonnen, die in die
Leitungen zurückgesendet und den in der Bergfahrt begriffenen Wagen zugeführt wird.
Auf diese Weise wird die beim Befahren der Steigung verausgabte elektrische Energie
zum grössten Teile bei der Thalfahrt wieder rückerhalten; der Verlust hängt nur vom
Wirkungsgrad der Motoren und der Leitung ab. Die Zugförderungskosten vermindern sich
daher auf grossen Linien durch diese Thatsache ganz beträchtlich und man braucht in
Anbetracht dessen bei der Projektierung neuer Bahnen aus Betriebsrücksichten sich
nicht zu scheuen, stärkere Steigungen in Anwendung zu bringen. Es ist daher auch das
Anlagekapital für eine elektrische Bahn geringer als wie für eine Dampfbahn.
Die Tandemschaltung zweier Induktionsmotoren gestattet, die Geschwindigkeit auf die
Hälfte zu vermindern, ohne dass der Wirkungsgrad der Motoren ein geringer wird. Man
kann daher ohne Widerstandsregulierung mit zwei verschiedenen Hauptgeschwindigkeiten
fahren. Wenn nun ein Zug mit voller Geschwindigkeit fährt und man schaltet die
Motoren in Tandem, so wird die dem Unterschiede der beiden Geschwindigkeiten
entsprechende lebendige Kraft des Zuges gleichfalls in Form elektrischer Energie
rückgewonnen, wobei die Geschwindigkeit ohne Anwendung mechanischer Bremsen sich auf
die Hälfte vermindert. Die auf diese Weise rückgewonnene elektrische Energie ist
theoretisch gleich drei Vierteilen der für die Beschleunigung des Zuges vom
Stillstande bis zur erreichten vollen Geschwindigkeit aufgewendeten Energie,
natürlich abgesehen von den Verlusten in den Motoren und in der Leitung.
Diese Eigenschaft der Induktionsmotoren erweist sich als ganz besonders vorteilhaft
auf Stadtbahnen mit vielen Haltestellen und starkem VerkehrDie Tandemschaltung der Induktionsmotoren
entspricht der Serienschaltung bei den Gleichstrommotoren und werden
hierdurch dieselben Vorteile wie bei dem bekannten Serien-Parallelsystem
erreicht. Bei der Tandemschaltung ist nur ein Motor an die Leitung
angeschlossen; der induzirende Teil des zweiten Motors erhält Strom aus dem
induzierten Teil des ersten Motors; der induzierte Teil des zweiten Motors
ist kurz geschlossen. Durch die gemeinschaftliche Belastung sind die Achsen
der beiden Motoren mechanisch gekuppelt..
6. Vorteile der elektrischen Zugförderung vom Standpunkte des
Verkehrs. Diese Vorteile sind die nachstehenden:
a) Die Sicherheit der Reisenden ist eine unvergleichlich höhere, denn die Züge können
weder in die Stationen einfahren, noch sie verlassen, bevor nicht der betreffende
Geleiseabschnitt in den elektrischen Stromkreis eingeschaltet ist. Diese
Einschaltung erfolgt durch den diensthabenden Verkehrsbeamten selbst, daher ein
Uebersehen oder eine Nachlässigkeit des Führers nicht die Ursache eines Unfalles
sein kann.
b) Die geringeren Zugförderungs- und Unterhaltungskosten bieten die Möglichkeit, die
Zahl und die Geschwindigkeit der Züge je nach der Stärke des Verkehrs entsprechend
zu erhöhen. Die Fahrzeit wird dadurch, dass eine Maschinenbedienung (Wasser- und
Kohlenaufnahme) entfällt, noch ausserdem bedeutend verkürzt.
c) Die Erhöhung der Geschwindigkeit einer Dampflokomotive lässt sich nur durch
Vergrösserung des Kessels, also durch Vermehrung des Eigengewichtes erzielen, was
zur weiteren Folge hat, dass eine Geleiseverstärkung erforderlich wird.
Der Anzahl der Triebachsen ist bei der elektrischen Lokomotive keine so enge Grenze
gezogen, wie bei der Dampflokomotive. Es lässt sich daher bei ersterer eine
Vergrösserung der Geschwindigkeit ohne Vermehrung der Achsenbelastung erzielen,
infolgedessen auch eine Veränderung der bestehenden Geleise nicht erforderlich
ist.
d) Die so wichtige Frage der Zugbeleuchtung ist mit einem Schlage gelöst, sobald man
die Elektrizität als Triebkraft verwendet. Die Beleuchtung des Zuges könnte durch
zwei besondere Stromkreise erfolgen. Der eine wäre an denLinienstrom (unter
entsprechender Spannungserniedrigung) angeschlossen und würde derselbe die
Beleuchtung besorgen, so lange die Lokomotive unter Spannung sich befindet. Der
zweite Stromkreis, der die Signallampen enthält, würde durch eine kleine
Akkumulatorenbatterie mit Strom versorgt werden.
Da die durch häufiges Anfahren der Züge hervorgerufenen Belastungsschwankungen in der
Generatorstation die Beleuchtung der Stationen ungünstig beeinflussen könnten, wird
es sich empfehlen, in den Stationen kleine Umformerstationen mit einer
Pufferbatterie zu errichten, welche den für die Stationsbeleuchtung erforderlichen
Gleichstrom zu liefern hätten.
Mit dem Linienstrome könnten die Ladekrane, Aufzüge, Drehscheiben, Schiebebühnen und
allenfalls auch auf der Strecke Werkzeugmaschinen zur Unterhaltung des Geleises
betrieben werden.
e) Es gibt sicherlich keinen Reisenden, der es nicht empfunden hätte, wie unangenehm
der Rauch, Kohlenstaub u.s.w. der Dampflokomotive ist, wenn man der Hitze wegen
veranlasst ist, die Wagenfenster zu öffnen. Alsbald sind Sitzbänke und Kleider mit
Asche und unverbrannten Kohlenteilchen bedeckt, Gesicht und Hände werden
geschwärztSo z.B. bilden auf
der längs hohen Mauern und in Tunnels sich hinziehenden Wiener Stadtbahn die
Rauchbelästigung und der Aschenflug eine grosse Plage; es ist unbedingt
geboten, vor dem Niedersetzen den Sitzplatz zu reinigen oder sich ein Tuch
unterzulegen, wenn man nicht Gefahr laufen will, die Kleider zu
verderben.. Es ist dies für den Ingenieur vielleicht nur ein
Uebelstand von nebensächlicher Bedeutung, für die Reisenden ist er aber von
ausserordentlicher Wichtigkeit und es ist wohl zweifellos, dass man eine durch
Elektrizität betriebene, reinliche Linie, auf der man nicht durch Kohlenstaub und
qualmende Rauchwolken, die auch oft die schönsten Aussichten verdecken, belästigt
ist, vorziehen wird.
Endlich gibt es beim elektrischen Betrieb keinen Funkenflug; derselbe bildet
bekanntlich bei der Dampflokomotive eine nicht unbedeutende Gefahr und die
Eisenbahngesellschaften sind daher verpflichtet, einen ziemlich breiten Streifen
beiderseits ihrer Linie gegen Feuersgefahr zu schützen. Wenn die Bahn durch Wälder
führt, muss ein breiter Streifen Waldes abgeholzt werden. – Beim elektrischen
Betrieb entfällt der in vielen Beziehungen sowohl für die Eisenbahngesellschaften
als für die Anrainer so lästige sogen. „Feuerrayon“ und
„Bauverbotsrayon“. In Wäldern können die Bäume so nahe an die Bahn
reichen, als Sicherheits- und Fernsichtsverhältnisse es gestatten, was jedenfalls
eine Bahnfahrt auch sicherlich angenehmer macht. Es sind dies keineswegs gering zu
schätzende Vorteile des elektrischen Betriebes.
7. Erhöhung der Geschwindigkeit der Züge. Wie schon
gesagt worden ist, kann die Geschwindigkeit der Züge bei elektrischem Betriebe
erhöht werden, ohne dass eine Verstärkung des Oberbaues erforderlich ist. Die
Geschwindigkeitserhöhung ist wohl unerlässlich, da sie in der Allgemeinheit als der
erste und wesentlichste Vorteil der elektrischen Zugförderung betrachtet wird;
immerhin aber sind derselben gewisse Grenzen gezogen, da die Zugwiderstände mit dem
Quadrate der Geschwindigkeit wachsen. Bei Ueberschreitung einer gewissen Grenze in
der Geschwindigkeit ergibt sich nämlich, dass das Bisschen Zeit, das damit gewonnen
wird, durch den für die Ueberwindung des durch den im Quadrat der Geschwindigkeit
zunehmenden Luftwiderstand vergrösserten Zugwiderstandes erforderlichen vermehrten
Energiebedarf viel zu teuer erkauft wird. Rechnet man dazu die vermehrten
Unterhaltungskosten für das Geleise und das rollende Material, so kommt man zu dem
Schlusse, dass die Forderung nach einer Erhöhung der Geschwindigkeit über 100 oder
höchstens 120 km in der Stunde nicht gerechtfertigt ist.
8. Die elektrische Zugförderung vom Standpunkte der
Strategie. Man hat gegen die vollständige Umwandelung des Dampfbetriebes in
den elektrischen Betrieb sehr oft eingewendet, dass, wenn im Falle eines Krieges
einige Leitungen abgerissen oder das Elektrizitätswerk zerstört werden würde, ein grosser
Bereich eines Eisenbahnnetzes vollständig brach gelegt sein würde.
Nun ist es aber keine so einfache Sache, Arbeitsleitungen, die sich unter einer
Spannung von 3000 Volt oder gar Speiseleitungen unter 20000 Volt Spannung zu
zerstören. Man muss dazu über besondere Werkzeuge, Leitern, Kautschukhandschuhe
u.s.w. verfügenWarum sollte sich
der Feind nicht mit diesen Gegenständen bereits vorgesehen haben? Uebrigens
dürfte sich die Zerstörung der Leitungen einfacher und gefahrloser durch
Zerschiessen bewerkstelligen lassen.; auch erfordert eine solche
Arbeit zum mindesten dieselben Vorbereitungen als wie zum Zerstören der Geleise.
Andererseits ist aber die Wiederherstellung einer Leitung rascher bewerkstelligt als
die eines Geleises.
Dann wird man aber auch die Elektrizitätswerke nicht an den Reichsgrenzen oder am
Ende der Eisenbahnlinie, sondern 60 bis 80 km im Inneren des Landes errichten. Wenn
sich eines dieser Werke in einer feindlichen Angriffen besonders ausgesetzten Lage
befinden sollte, kann man es ja mit Befestigungen versehen.
Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, dass die grossen wirtschaftlichen und
technischen Vorzüge des elektrischen Betriebes bald die Eisenbahnverwaltungen aller
Länder bestimmen werden, denselben allmählich auf ihren gesamten Linien einzuführen,
so dass in kurzem Angreifer und Verteidiger unter denselben Bedingungen kämpfen
werden. Und was übrigens den Betrieb einer Linie auf feindlichem Gebiete anbelangt,
so wird es immer möglich sein, denselben durch die auch in Friedenszeit in Dienst
und in Vorrat gehaltenen Dampflokomotiven zu bewerkstelligen.
9. Der Dienst im Elektrizitätswerke. Die
Leistungsfähigkeit eines Elektrizitätswerkes, das die elektrische Energie für ein
ausgedehntes Eisenbahnnetz mit starkem Verkehr zu liefern hat, dürfte 10000 bis
15000 PS zu betragen haben. Die Ueberwachung muss daher sowohl theoretisch
gebildeten, als praktisch wohl erfahrenen Ingenieuren übertragen werden.
Die Dampfkessel müssen bezüglich ihrer Bedienung unter beständiger Beaufsichtigung
stehen und müssen die Betriebsverhältnisse als: Heiztemperatur, Gehalt der
Verbrennungsgase, Luftzug u.s.w., durch die vollkommensten Instrumente und Apparate
festgestellt werden, um den höchsten Wirkungsgrad der Kesselanlage zu
erreichen.Auch das Speisewasser muss einer ständigen Untersuchung unterworfen
sein.
Desgleichen müssen die Dampfmaschinen häufigen Indikatorproben unterzogen werden, so
dass Fehler sofort entdeckt und beseitigt werden können.
Auf diese Weise wird der Wirkungsgrad des Elektrizitätswerkes ein hoher und der
Betrieb ein wirtschaftlicher sein.
Schlussfolgerungen. Die Vorteile der elektrischen
Zugförderung gegenüber dem Dampfbetrieb lassen sich nach dem Vorstehenden wie folgt
zusammenfassen:
Ersparnis an Dampf bis 50 %; Ersparnis an Kohle mindestens 25 %. Bedeutend geringeres
Gewicht der elektrischen Lokomotive. Günstigerer Adhäsionskoeffizient.
Rückgewinnung der elektrischen Energie bei der Thalfahrt. Geringere
Unterhaltungskosten des rollenden Materials, daher kleinerer Wagenpark. Einfachere
und kleinere Reparaturwerkstätten. Ersparnis in den Personalkosten.
Erhöhte Sicherheit des Betriebsdienstes. Durchführung eines starken Verkehrs mit
kleineren Zugseinheiten mit grösserer Geschwindigkeit. Beibehaltung der bestehenden
Geleise für Züge mit erhöhter Geschwindigkeit. Gute Beleuchtung der Wagen und
Stationen. Gänzliche Abwesenheit von Rauchbelästigung und Funkenflug. Möglichkeit
der Verwendung von Wasserkräften.
Diesen unwiderleglichen Vorteilen gegenüber steht die einzige, aber freilich
gewichtige Einwendung, dass die Einrichtung eines Bahnnetzes für den elektrischen
Betrieb ein bedeutendes Anlagekapital erfordert.
Dieser Umstand kann aber die allgemeine Einführung des elektrischen Betriebes weder
verhindern, noch aufhalten, denn es werden sich – wie es in Italien der Fall ist –
sicherlich auch an anderen Orten Gesellschaften bilden, die entweder ein ganzes
Bahnnetz unter festgesetzten Bedingungen selbst betreiben, oder welche nur die
elektrische Energie liefern, während die Bahneigentümer die elektrische Ausrüstung
der Linie herstellen und sich mit dem erforderlichen rollenden Materiale versorgen
werden.
Die Ueberlegenheit des elektrischen Betriebes gegen jede andere Betriebsart ist wohl
durch die elektrischen Strassenbahnen zur Genüge dargethan. Aber die Anwendung
dieser Betriebsart war bisher auf Vollbahnen nicht möglich, da es kein
entsprechendes System gab. Heute jedoch ist diese Frage gelöst; das System, studiert
bis in seine kleinsten Einzelnheiten, besteht nunmehr und hat sich bestens bewährt –
nichts mehr steht daher seiner allgemeinen Anwendung entgegen.
Br. Böhm-Raffay.