Titel: | Beitrag zur Bestimmung der Ortsveränderung von einem Knotenpunkte eines belasteten einfachen Fachwerkbalkens. |
Autor: | G. Ramisch |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 277 |
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Beitrag zur Bestimmung der Ortsveränderung von
einem Knotenpunkte eines belasteten einfachen FachwerkbalkensDieselbe geschieht bekanntlich ganz zeichnerisch
mittels des Williot'schen Verschiebungsplanes, ein
Verfahren, welches, wie auch das folgende, auf kinematischer Geometrie
beruht..
Von Prof. G. Ramisch,
Breslau.
Beitrag zur Bestimmung der Ortsveränderung von einem Knotenpunkte
u.s.w.
Der einfache Fachwerkbalken habe A als festes und
B als parallel zu \overline{mn}
bewegliches Auflager. Er möge irgendwie belastet sein und hierdurch im Stabe
\overline{JK} die Spannkraft S
hervorgerufen werden. Bezeichnet man mit E den
Elastizitätsmodul, mit F den Querschnitt, mit s die Länge, und mit Δs
die Längenveränderung des Stabes, so ist nach dem Hooke'schen Gesetze:
S=\frac{\Delta\,s}{s}\,\cdot\,F\,\cdot\,E.
Ist weiter noch k die Spannung oder Belastung für die
Flächeneinheit des Stabquerschnittes, so ist zunächst k=\frac{S}{F} und dann:
k=\frac{\Delta\,s}{s}\,\cdot\,E,
welche Formel nur innerhalb der Elastizitätsgrenze Gültigkeit
hat.
Ausser diesem Stabe besteht das Fachwerk noch aus zwei in sich un verschiebbaren
Scheiben AJC und CKB.
Infolge der Längen Veränderung von \overline{JK} bewegen sich
beide Scheiben und zwar ist erstere um A, und letztere
um den Schnittpunkt R von AC mit dem Lote von B auf mn momentan drehbar. Bezeichnen wir mit Δα und Δρ die unendlich
kleinen Drehwinkel um A bezw. R, so findet folgende Beziehung statt:
\overline{AC}\,\cdot\,\Delta\,\alpha=\overline{RC}\,\cdot\,\Delta\,\alpha.
Auch der hohle Winkel JCK ändert seine Grosse; ist nun
Δγ die Grössenveränderung, so ergibt sich:
Δγ = Δα +
Δρ,
so dass weiter entsteht:
\overline{AR}\,\cdot\,\Delta\,\alpha=\overline{AC}\,\cdot\,\Delta\,\gamma.
Wir nennen l und v die
Abstände der Punkte A bezw. C von \overline{BR} und setzen:
l – v = u,
so ist:
\overline{AR}\,:\,\overline{AC}=l\,:\,u,
und wir erhalten auch:
l . Δρ = u .
Δ.
Ist r der Abstand des Punktes C von \overline{JK}, so ist bekanntlich:
r . Δγ = Δs,
so dass wir zunächst
k=\frac{r}{s}\,\cdot\,\Delta\,\gamma\,\cdot\,E,
und dann:
\Delta\,\varrho=\frac{u}{l}\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . . 1)
erhalten.
Der Punkt G, welcher der Scheibe BCK angehört, dreht sich um R und legt
senkrecht zu \overline{RG} den Weg
\overline{RG}\,\cdot\,\Delta\,\rho zurück.
Textabbildung Bd. 316, S. 277
Man zerlege diesen Weg in zwei Komponenten, von denen die eine parallel zu
\overline{mn} und die andere senkrecht dazu liegt; sind b und k0 die Abstände des Punktes R von dieser und jener Komponente und sind Δσ bezw. Δτ deren Grossen,
so lässt sich leicht ableiten, dass:
Δσ = b . Δρ
und
Δτ = k0 . Δρ
sind. Mit Rücksicht auf die Gleichung 1 entsteht hieraus:
\Delta\,\sigma=b\,\cdot\,\frac{u}{l}\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . . 2)
und
\Delta\,\tau=k^{\circ}\,\cdot\,\frac{u}{l}\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . . 3)
Man ziehe durch A zu \overline{BR}
die Parallele und ziehe weiter zwischen diesen Parallelen die beliebige Gerade
\overline{a_0\,b_0} senkrecht dazu; auf
\overline{R\,b_0} mache man
\overline{b_0\,M} gleich b
und verbinde M mit a0. Hierauf lege man durch G und C zu
\overline{RB} die Parallelen, die
\overline{a_0\,M} in c und g0 und
\overline{a_0\,b_0} in d und g' treffen und setze
\overline{g_0\,g'}=t und
\overline{c\,d}=y.
Es ist dann:
t=\frac{a\,\cdot\,b}{l}
und
y=\frac{u\,\cdot\,t}{a}.
Aus diesen Gleichungen ergibt sich: y=\frac{u\,\cdot\,b}{l} und daher entsteht auch aus der
Gleichung 2
\Delta\,\sigma=y\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . 4)
Die Senkrechte von G auf
\overline{BR} möge diese Linie in N1 treffen; da
\overline{RN_1}=k^{\circ} ist, so ergibt sich auch:
\Delta\,\tau=(\overline{R\,B}-\overline{N_1\,B})\,\cdot\,\frac{u}{l}\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}
aus der Gleichung 3.
Man ziehe \overline{AN_1} und \overline{AB_1},
und nenne die Schnittpunkte dieser Linien mit \overline{Cc} bezw.
h und f, so ist:
\overline{R\,B}\,\cdot\,\frac{u}{l}=\overline{C\,f}
und
\overline{N_1\,B}\,\cdot\,\frac{u}{l}=\overline{f\,h}.
Es entsteht demnach weiter:
\Delta\,\tau=(\overline{C\,f}-\overline{f\,h})\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}.
Hierin setze man:
\overline{C\,f}-\overline{f\,h}=\overline{C\,h}=\eta,
so erhält man endlich:
\Delta\,\tau=\eta\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . 5)
Man entferne den Stab \overline{J_1\,J_2}, so erhält man zwei
Scheiben, nämlich AJ2G und BJ1G. Bildet man für
jeden Stab der ersteren Scheibe Δσ und Δτ, welche infolge der Längen Veränderung des Stabes
entsteht, so erhält man ähnliche Gleichungen dafür, wie sie in den Gleichungen 4 und
5 gegeben sind. Anders werden jedoch die Gleichungen dafür aussehen, wenn es sich um
einen Stab der anderen Scheibe BJ1G handelt, wie wir es
in dem weiteren entwickeln werden.
Es zeigt sich nun, dass für alle Gurtstäbe sämtliche Δσ
und Δτ dieselbe Richtung haben, nämlich erstere von oben nach unten und
letztere von links nach rechts. Doch verschieden ergeben sich diese Richtungen für die
Wandglieder, denn sie stimmen teils mit den Richtungen der Gurtstäbe überein, teils
nicht. In der Praxis ist es aber üblich, wegen des geringen Einflusses alle Δa und Δτ, die von den
Wandgliedern erzeugt werden, zu vernachlässigen; wir wollen es deswegen hier auch
thun. Man kann jetzt alle Δσ und Δτ, die von den Gurtstäben herrühren, addieren, und
setzt man ΣΔσ = σ und ΣΔτ
= τ, so hat man:
\sigma=\Sigma\,y\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . 6)
und
\tau=\Sigma\,\eta\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . 7)
Hierbei ist zu bemerken, dass die Strecke y stets
zwischen \overline{a_0\,M} und
\overline{a_0\,b_0} liegt; doch ist
\overline{g_0\,g'}=t die äusserste rechte Strecke. Die
Strecke η erstreckt sich von irgend einem Knotenpunkte
des Fachwerks bis zur Linie \overline{A\,N_1}; die äusserste
rechte Strecke geht durch G und ist
\overline{G\,h_0}. Doch kann man
\overline{g_0\,g'} und \overline{G\,h_0}
auch zur Scheibe BJ1G gehörig ansehen, weil ja G
gemeinschaftlicher Punkt leider Scheiben ist.
Nunmehr möge der Stab \overline{J_1\,K_1} elastisch sein.
Infolge einer Belastung werden sich die beiden Scheiben AJ1G1 und BK1C1 drehen, und zwar erstere um A und letztere um den Schnittpunkt R1 von
\overline{A\,C_1} mit dem Lote von B auf \overline{m\,n}. Sind Δα1 und Δρ1 die Drehungswinkel um A bezw. R1 so
findet folgende Beziehung statt:
\overline{A\,C_1}\,\cdot\,\Delta\,\alpha_1=\overline{R_1\,C_1}\,\Delta\,\varrho_1.
Zugleich findet eine Veränderung des hohlen Winkels J1C1K1 statt; nennen wir sie Δγ1 so ist:
Δγ1= Δα1+ Δρ1,
und aus den beiden Gleichungen entsteht:
\overline{A\,R_1}\,\cdot\,\Delta\,\alpha_1=\overline{C_1\,R_1}\,\cdot\,\Delta\,\gamma_1.
Ist noch v1 der Abstand
des Punktes C1
von \overline{BR_1}, so ist:
\overline{A\,R_1}\,:\,\overline{C_1\,R_1}=l\,:\,v_1,
so dass sich weiter ergibt:
l . Δα1 = v1
Δγ1.
Wir nennen die Spannung des Stabes \overline{J_1\,K_1}\,:\,k_1
ferner E den Elastizitätsmodul und s die Länge dieses Stabes. Hat derselbe von C1 die
Entfernung r, so findet man
k=\frac{r\,\cdot\,\Delta\,\gamma_1}{s}\,\cdot\,E,
und hieraus folgt:
\Delta\,\gamma_1=\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}.
Ferner muss sein:
\Delta\,\alpha_1=\frac{v_1}{l}\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}.
Man ziehe die Linie \overline{g_0\,b_0} und nenne deren
Schnittpunkt mit der Parallelen durch C1 zu \overline{RB}\,:\,c'
und den Schnittpunkt der letzteren mit
\overline{a_0\,b_0}\,:\,d'. Setzt man
\overline{c'\,d'}=y_1, so ist: y1
: v1
= t : b, also ist: y_1=\frac{v_1\,\cdot\,t}{b}. Da jedoch: t=\frac{a\,\cdot\,b}{l}
ist, so ergibt sich weiter:
y_1=\frac{v_1\,\cdot\,a}{l}.
Wir erhalten demnach auch:
\Delta\,\alpha_1=\frac{y_1}{a}\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}.
Der Punkt G muss sich nun senkrecht zu AG bewegen und der Weg ist:
\overline{A\,G}\,\cdot\,\Delta\,\alpha_1. Wir zerlegen ihn in
zwei Komponenten, von denen die eine parallel zu \overline{m\,n},
und die andere senkrecht dazu liegt. Bezeichnet man mit p den Abstand \overline{A\,N} des Punktes A von \overline{G\,N_1} so ist
erstere Komponente
Δσ1 =
p . Δα1,
und letztere
Δτ1 =
α . Δα1,
Wir erhalten daher mit Rücksicht auf die vorhergehende Gleichung:
\Delta\,\tau_1=y_1\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . 8a)
und
\Delta\,\sigma_1=p\,\cdot\,\frac{v_1}{l}\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . 8b)
und hierin ist: p\,\cdot\,\frac{v_1}{l} leicht geometrisch darstellbar. Man
nenne nämlich die Schnittpunkte von \overline{C_1\,c'} mit
\overline{B\,N} und \overline{A\,B} bezw.
s° und s' und setze
\overline{s^{\circ}\,s'}=\eta_1 so ist:
p\,\cdot\,\frac{v_1}{l}=\eta_1.
Daher ergibt sich:
\Delta\,\sigma_1=\eta_1\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r} . . . . 9)
Alle Δσ1 und Δτ1 welche von den
Gurtstäben der Scheibe BJ1G
hervorgerufen werden, kann man addieren, weil sie, wie die vorher gefundenen Δσ und Δτ dieselben
Richtungen von oben nach unten bezw. von links nach rechts haben, wobei
stillschweigend vorausgesetzt worden ist, dass der Träger von solchen Lasten
beansprucht wird, wie sie in der Praxis üblich sind.
Wir setzen nun die Summen sämtlicher Δσ1 und Δτ1 bezw. σ1 und τ1 und erhalten:
\tau_1=\Sigma\,y_1\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}
und
\sigma_1=\Sigma\,\eta_1\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}.
Da sich aber einerseits σ und σ1 und andererseits τ und τ1 auch zusammenzählen lassen, so ergibt
sich, wenn man σ + σ1 =
X und τ + τ1 = Y setzt:
Y=\Sigma\,y\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}+\Sigma\,y_1\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}
und
X=\Sigma\,\eta\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}+\Sigma\,\eta_1\,\cdot\,\frac{k}{E}\,\cdot\,\frac{s}{r}.
Der vom Punkte G zurückgelegte Weg ist nun \sqrt{X^2+Y^2}
und nennt man ϕ den Winkel, welchen er mit X bildet, so berechnet sich endlich seine Richtung aus
der Gleichung
tg\,\varphi=\frac{Y}{X}.
Will man noch den Weg ermitteln, welcher durch eine Temperatur Veränderung von t1° mit t2° C. erzeugt
wird, so bedenke man zunächst, dass
\frac{k}{E}=\frac{\Delta\,s}{s}
ist.
Ist nun ε der Ausdehnungskoeffizient bei 1° C, so ist
bekanntlich
Δs = ε . s
(t2
– t1),
also ergibt sich ferner:
\frac{k}{E}=\varepsilon\,\cdot\,(t_2-t_1).
Es entsteht daher:
Y_t=\varepsilon\,\cdot\,(t_2-t_1)\,\left(\Sigma\,y\,\cdot\,\frac{s}{r}+\Sigma\,y_1\,\cdot\,\frac{s}{r}\right)
und
X_t=\varepsilon\,\cdot\,(t_2-t_1)\,\left(\Sigma\,\eta\,\cdot\,\frac{s}{r}+\Sigma\,\eta_1\,\cdot\,\frac{s}{r}\right).
Im übrigen ist die Entwickelung wie vorher. Stillschweigend ist angenommen worden,
dass alle Stäbe vorher und nachher von gleicher
Temperatur und gleichem Stoffe sind. Doch ist
auf das eine noch aufmerksam zu machen, dass jetzt in Xt und Yt die Summen algebraisch aufzufassen sind, während sie vorher absolut waren. Es werden z.B. durch eine Erwärmung
sämtliche Stäbe ausgedehnt. Durch die Ausdehnungen der Obergurtstäbe erhalten alle
Δσ, Δσ1, Δτ und Δτ1 eine andere
Richtung; es sind demnach die davon hervorgerufenen Summanden negativ zu nehmen.
Fällt G mit B zusammen, so
muss
\Sigma\,\frac{y\,\cdot\,s}{r}+\Sigma\,y_1\,\cdot\,\frac{s}{r}=0
sein. Ferner ist dafür
X_t=\frac{l}{sin^2\,\alpha}\,(t_2-t_1),
wenn der Winkel RBA mit α benannt wird. Wir erhalten daher mit Rücksicht auf
das Vorhergehende auch:
\Sigma\,\eta\,\cdot\,\frac{s}{r}+\Sigma\,\eta_1\,\cdot\,\frac{s}{r}=\frac{l}{sin^2\,\alpha}.
Doch müssen sich die Summanden auch auf die Wandglieder
erstrecken. Wir erhalten hiermit zwei Formeln rein geometrischer Form,
deren Richtigkeit auf anderen Wegen sich vielleicht nicht so einfach wird nachweisen
lassen.
Diese Untersuchung ist wichtig für Fachwerkträger, welche auf zwei feste und ein
bewegliches Auflager gestützt sind, zur Bestimmung der Auflagerdrücke und
Stabspannkräfte, die durch irgend welche Belastungen, eingeschlossen Eigengewicht,
erzeugt werden.
Man vergleiche die Aufsätze von Prof. Müller-Breslau in
der Statik der Baukonstruktionen, Bd. 2 S. 229 u. ff.,
und vom Verfasser in der Bauingenieur-Zeitung, Nr. 6 d.
J. S. 49 bis 51.