Titel: | Die gebräuchlichen Automobilsysteme. |
Autor: | H. Bachner |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 165 |
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Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
Von Professor H. Bachner in Stuttgart.
(Fortsetzung des Berichtes S. 158 d. Bd.)
Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
VII. Gleichförmigkeit der Bewegung.
Man hört vielfach den Vorwurf, dass die Benzinwagen ihre Insassen durch Rütteln und Stossen belästigen. Diese Ansicht ist
in vielen Fällen sicherlich auf mangelhafte Beobachtung zurückzuführen, auf eine Verwechselung mit dem Lärm, den der Auspuff
verursacht, oder mit dem stossweisen Arbeiten des Motors, wenn er bei kürzerem Aufenthalt leer läuft. Wer in einem gut gebauten
und im stand gehaltenen Benzinwagen fährt, wird sich kaum über derartige unangenehme Eindrücke zu beklagen haben.
Doch treten allerdings beim Betriebe des Motors Erscheinungen auf, welche aus sich heraus Erschütterungen, insbesondere solche
von periodischer Wiederkehr, also Schwingungen oder Vibrationen erzeugen können von derselben Art, wie sie auch sonst für
Fahrzeuge, z.B. Lokomotiven und Dampfschiffe, nachzuweisen sind. Auch bei übrigens zweckentsprechender Bauart können diese
Vibrationen eine störende Stärke erlangen, wenn ihre Schwingungszahl bei einer bestimmten, der sogen. kritischen, Tourenzahl
des Motors mit der Eigenschwingungszahl des Fahrzeuges im ganzen oder grösserer Teile desselben in Einklang (zur Resonnanz)
kommt.
Diese Verhältnisse haben schon wiederholt eingehende Besprechung erfahren, sollen aber hier aus dem Grunde kurz erläutert
werden, weil eine Reihe von Konstruktionen in der Absicht entworfen wurde, derartige Vibrationen von vornherein unmöglich
zu machen. Stösse, welche durch fehlerhaften Spielraum an den bewegten Teilen, insbesondere am Kurbelzapfen und in den Kurbelwellenlagern
auftreten, oder durch das Einrücken von Kuppelungen, Zahnrädern u. dgl. veranlasst werden, kommen, als vermeidbar oder nur
vereinzelt auftretend, hier natürlich nicht in Betracht.
Wir gehen davon aus, dass der Wagen eine mehr oder weniger elastisch gelagerte, aus einer Anzahl von Teilen bestehende Masse
darstellt, auf welche Kräfte verschiedener Art einwirken. Hierfür gelten die folgenden Grundgesetze der Dynamik:
1. Jeder Kraftwirkung entspricht eine Rückwirkung von gleicher Grösse.
2. Alle Kräfte, deren Richtung nicht durch den Schwerpunkt der Masse geht, suchen eine Drehung um diesen hervorzurufen.
3. Jede Verschiebung eines Massenteiles ist von einer entgegengesetzten Verschiebung der Hauptmasse begleitet in solchem Betrag,
dass der Bewegungszustand des Gesamtschwerpunkts dabei keine Aenderung erfährt.
Motoren mit rein rotierender Bewegung können im normalen Betrieb keine Schwingungen erzeugen; der einzige Einfluss ihres konstanten
Drehmoments ist eine konstante Rückwirkung, welche das ganze Fahrzeug um dieMotorachse entgegen ihrem Umlaufsinn ein wenig verdreht, bis durch die Reaktion der dadurch hervorgerufenen elastischen und
Schwerkräfte sich eine neue Gleichgewichtslage eingestellt hat.
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse beim Benzinmotor, dessen Arbeitsleistung nur durch Vermittelung eines Kurbelgetriebes
auf die Motor welle übertragen werden kann, so dass der Motor die diesem Mechanismus anhaftenden beiden Hauptmängel ohne weiteres
mit übernehmen muss, die Veränderlichkeit des Drehmomentes und den Einfluss der hin und her gehenden Massen.
Textabbildung Bd. 315, S. 165
Fig. 67
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Fig. 68
Dass starke Schwankungen in der Grösse des Drehmomentes auftreten müssen, erhellt schon daraus, dass in den beiden Totlagen
die Kurbelkraft gleich Null ist; es wird also während einer Arbeitsperiode, das sind beim Viertaktmotor zwei Umdrehungen,
das Drehmoment viermal den Wert Null besitzen. Hierzu kommt aber noch die in dieser Hinsicht besonders unangenehme Eigenschaft
dieses Motors, dass er nur auf einen von vier Hüben Arbeit leistet, so dass ein nutzbares Drehmoment während der übrigen Zeit
überhaupt nicht vorhanden sein kann. Fig. 67 zeigt, wie ungünstig beim Eincylinderviertaktmotor das Verhältnis zwischen dem grössten Drehmoment a und dem mittleren Moment b einer Arbeitsperiode ausfällt, nämlich a = 10 b, im Gegensatz zu dem Diagramm Fig. 68, das diese Verhältnisse für die gleiche mittlere Leistung bei einer doppelt wirkenden Eincylinderdampfmaschine darstellt
mit
a = 2,5 b. (Als Abscissen sind die Kurbelwege, als Ordinaten die jeweiligen Drehmomente eingetragen.)
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Fig. 69.Motor von Henriod.
Der Einfluss dieser Schwankungen äussert sich nach zwei Richtungen: sie bedingen einen steten Wechsel in der Fahrgeschwindigkeit
und in der Grösse der oben bereits erwähnten Rückwirkung auf das Wagengestell. Letztere ist für einen gegebenen Motor ihrem
Verlauf nach ebenfalls fest bestimmt; sie versetzt den Wagen in Schwingungen um die Motorachse mit um so rascherer Aufeinanderfolge,
je grösser die Umdrehungszahl und die Anzahl der Cylinder ist.
Textabbildung Bd. 315, S. 166
Fig. 70
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Fig. 71.Motor Espérance, System Hautier.
Die regelmässigen Schwankungen in der Fahrgeschwindigkeit hängen ausserdem noch von der Grösse und Geschwindigkeit der stetig
bewegten Massen ab: je schwerer Schwungrad und Wagen, je grösser die Geschwindigkeit ist, um so weniger werden periodische
Aenderungen der Fahrgeschwindigkeit fühlbar werden; dagegen ist insbesondere beim langsamen Erklettern einer stärkeren Steigung
die Gefahr vorhanden, dass dem Benzinautomobil trotz genügender Grösse des mittleren Drehmoments die Kräfte ausgehen, wenn
das Arbeitsvermögen der bewegten Massen nicht bis zum nächsten Explosionsstoss ausreicht. Jedenfalls aber entspricht den Anforderungen
an Gleichförmigkeit des Ganges am wenigsten der Eincylindermotor.
Zwei auf dieselbe Welle arbeitende Cylinder ergeben unter allen Umständen ein besseres Resultat, und zwar das Maximum der
dabei zu erzielenden Gleichförmigkeit, wenn der Arbeitshub des einen gerade in die Mitte zwischen zwei Arbeitshübe des zweiten
fällt, d.h. in dessen Saugperiode. Dies lässt sich bei nebeneinander liegenden Cylindern durch gleiche Kurbelstellung, bei
einander gegenüber liegenden durch Versetzung der Kurbeln um 180° erreichen. Für den ersten Fall bietet der ältere Daimler-Motor
(Fig. 2) (1900 315 17) ein Beispiel, für den zweiten der Motor von Henriod (Fig. 69).
Drei nebeneinander liegende Cylinder sollten, wenn nur die Gleichförmigkeit in Betracht käme, die Kurbelanordnung Fig. 70 erhalten; für vier Cylinder sei das Beispiel des Motors Espérance, System Hautier (Fig. 71), angeführt: in diesem Falle müssen die Explosionen in der Reihenfolge I III II IV oder I IV II III eingeleitet werden. Um wie viel durch vier Cylinder die Gleichförmigkeit des Ganges verbessert werden kann, geht aus dem
Diagramm Fig. 72 hervor; das Verhältnis zwischen grösstem und mittlerem Drehmoment hat sich mit a = 1,75 b ausserordentlich verbessert, und wenn dasselbe auch nicht direkt ein Mass für die Vergrösserung des Gleichförmigkeitsgrades
abgibt, so weist es doch im Vergleich zu Fig. 67 zweifellos auf eine solche hin.
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Fig. 72
Uebrigens spielt der Gleichförmigkeitsgrad bei Motorfahrzeugen keineswegs eine so grosse Rolle, wie bei stationären Motoren
für empfindliche Betriebe, und selbst der Eincylindermotor erscheint, weil er ja unter allen Umständen durch eine stetig bewegte
Masse von hinreichender Grösse, nämlich die des Fahrzeuges selbst, reguliert wird, in dieser Hinsicht als durchaus brauchbar.
Von wesentlich anderer Natur zeigt sich der Einfluss der hin und her gehenden Massen des Kurbeigetriebs, nämlich der Masse
des Kolbens und teilweise auch der Schubstange. Dieselben müssen zu Beginn eines jeden Hubes beschleunigt, gegen Ende des
Hubes wieder verzögert werden, weil ja die Kolbengeschwindigkeit in jeder Totlage zu Null wird; hierzu ist während der Beschleunigungsperiode
ein Aufwand von Arbeit erforderlich, welcher aber am Ende der Verzögerungsperiode wieder vollständig zurückerstattet ist.
Arbeit wird also nicht verzehrt, wohl aber erscheint die wirksame Kurbelkraft zu Beginn des Hubes um den Betrag dieses Beschleunigungsdruckes
vermindert, gegen Ende vergrössert, was darauf hinwirkt, die Arbeits- und Kompressionskurve mehr in die Länge zu ziehen und
den Unterschied zwischen grösstem und mittlerem Drehmoment zu verringern. Dieser günstige Einfluss der schwingenden Massen
ist in den Fig. 67, 68 und 72 durch einen Vergleich mit der strichpunktierten Kurve, welche den Verlauf des Drehmoments ohne Berücksichtigung des Massendruckes
darstellt, deutlich zu erkennen.
Als eine recht unerwünschte Beigabe erscheint die Massenwirkung dagegen, wenn man im Sinne der Sätze 1 und 3 unserer Einleitung
ihre Rückwirkung ins Auge fasst, zunächst mit Bezug auf den Eincylindermotor. Jedem Hingang des Kolbens entspricht, ebenso
wie jedem Rückgang, eine entgegengesetzt gerichtete Bewegung des Wagens, allerdings in einem um so mehr verringerten Mass,
je grösser die Masse des Wagens ist. Auf diese Weise entstehen periodische Schwingungen des Wagens gleichlaufend mit der Cylinderachse,
also je nach der Anordnung in horizontalem oder vertikalem Sinn.
Beim Eincylindermotor können diese Massenwirkungen nie völlig beseitigt werden. Das einzige Mittel, wenigstens teilweise Abhilfe
zu schaffen, besteht in der Anbringung eines mit der Kurbel rotierenden, ihr in Bezug auf das Wellenmittel gegenüberliegenden
Ausgleichgewichtes, z.B. g beim Motor Cyclone (Fig. 73), welches ja auch bei den Lokomotiven weitgehende Anwendung gefunden hat. Seine Wirkungsweise ist die folgende (Fig. 74): Die Kolbenmasse k erzeugt bei ihrem Hingang in der Masse des Wagens das Bestreben, sich entgegengesetzt zu bewegen, wobei letztere die Kurbelwelle
in der Richtung des Pfeiles I mitnehmen würde. Gleichzeitig schwingt aber die Ausgleichmasse g, die ja ebenso wie der Kolben einen bewegten Teil der Gesamtmasse darstellt, nach rückwärts mit dem Erfolg, dass die Welle
nun dem Pfeil II folgen müsste. Offenbar wird sie infolgedessen in Ruhe bleiben und damit die Wagenmasse selbst, wenn die durch die gleichzeitige
Bewegung von k und g hervorgerufenen Reaktionen von gleicher Grösse sind. Da die parallel zur Kolbenschwingung gerichtete Komponente v der Kurbelgeschwindigkeit in jedem Moment
(nahezu) der Kolbengeschwindigkeit gleich ist, so müsste g gleich k sein.
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Fig. 73.Motor Cyclone.
Doch ist damit eine eigentliche Lösung der Ausgleichfrage nicht gegeben, weil, wie man ohne weiteres sieht, nunmehr noch eine
Massenwirkung senkrecht zur Richtung der Kolbenschwingungen übrig bleibt, veranlasst durch die Geschwindigkeitskomponente
w, deren Verlauf mit der Aenderung von v der Grösse nach vollständig übereinstimmt. Man hätte also die Kolbenschwingung zwar (nahezu) vollkommen ausgeglichen, dafür
aber neue Schwingungen vom gleichen Betrag in den Kauf zu nehmen, welche nur eine andere Richtung besitzen, vertikal, wenn
der Cylinder horizontal liegt.
Da hiermit thatsächlich nichts gewonnen wäre, gleicht man in diesem einfachsten Falle nicht die volle Kolbenmasse aus, sondern
nur etwa die Hälfte davon mit dem Resultat, dass nur noch Schwingungen vom halben Betrag wahrnehmbar sind, aber nunmehr nach
beiden Richtungen oder vielmehr in stetigem Wechsel rund herum um die Kurbelwelle.
Textabbildung Bd. 315, S. 167
Fig. 74
Um vollkommenen Ausgleich zu erzielen, darf man also nicht die geradlinig bewegte mit einer rotierenden Masse zusammensetzen,
sondern muss zwei völlig gleichartige, aber in jedem Moment entgegengesetze Schwingungsvorgänge kombinieren, wie dies in den
folgenden Anordnungen durchgeführt ist. Diese Konstruktionen besitzen ausnahmslos mindestens zwei Kolben nebst zugehörigen
Kurbelgetrieben. Hierbei fordern die Bedingungen für vollkommenen Ausgleich, dass die beiden Kurbeln um 180° versetzt seien,
damit dem Hingang des einen der Rückgang des anderen entspreche. Hierbei kommt man bei nebeneinander liegenden Cylindern in
Widerstreit mit der oben aufgestellten Bedingung für geringste Ungleichförmigkeit, welche gleichgerichtete Kurbeln erfordert.
Es wird Sache des praktischen Versuchs sein, die Entscheidung darüber zu liefern, welche Anordnung als das geringere Uebel
zu bevorzugen ist.
Die bisherigen Erfahrungen scheinen für den Kurbelwinkel 180° zu sprechen. Wir finden denselben z.B. bei dem Phönix-Motor
der Wagen der Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Berlin (Fig. 7) (1900 315 18) mit parallel nebeneinander gelagerten Cylindern, wobei also nunmehrauf die eine Kurbeldrehung zwei Arbeitshübe, auf die nächstfolgende zwei Leerhübe entfallen.
Richtiger erscheint es, die beiden Cylinder einander gegenüber anzuordnen (vgl. die Bauart Henriod,
Fig. 69), weil dies sowohl der Bedingung für gleichförmigen Gang, wie auch für vollkommenen Massenausgleich am besten entspricht;
doch lässt sich nicht verkennen, dass dadurch der Raumbedarf des Motors zunimmt und damit gleichzeitig die Schwierigkeit des
zweckmässigen Einbaues.
Aus dieser Ueberlegung ist eine Reihe eigenartiger Konstruktionen entstanden, welche scheinbar auf den Eincylindermotor zurückgreifen,
in Wirklichkeit aber zwei in Tandembauart hintereinander gelegte Cylinder mit entgegengesetzt gerichteter Kolbenbewegung darstellen,
bei denen nur die beiden Explosionsräume miteinander verschmolzen wurden. Der Massenausgleich wird dabei thatsächlich erreicht,
dagegen ist der Ungleichförmigkeitsgrad gerade so ungünstig, wie beim Eincylindermotor; die Bauart bedingt notwendigerweise
einen Kurbelwinkel von 180°. Eine Verbesserung der Arbeitsleistung durch dieses System ist selbstverständlich undenkbar, denn
der zweifach wirkenden Kolbenkraft steht gegenüber, dass jeder Kolben nur das halbe Cylindervolumen auszunutzen vermag.
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Fig. 75.Motor Bauart Planteau.
Da jeder Kolben Sein eigenes Kurbelgetriebe erfordert, so entstehen Schwierigkeiten, wenn man die Welle in Bezug auf den einen
von ihnen in herkömmlicher Weise anordnet, wie in Fig. 75, Bauart Planteau. Die unsymmetrische Lage der Welle zwingt dazu, entweder wie bei der später zu erwähnenden Bauart Gobron und Brillié zwei von einer Traverse ausgehende, den Cylinder zwischen sich fassende lange Schubstangen für den nach aussen liegenden
Kolben vorzusehen, oder nach Planteau (Fig. 75) für diesen Kolben eine jenseits der Welle unterzubringende Kreuzkopfführung anzuordnen, wobei die beiden Verbindungsstangen
zwischen Traverse und Kreuzkopf der Welle Platz lassen müssen, weshalb sie an dieser Stelle verbreitert und entsprechend ausgespart
sind. Um die Grösse der beiden bewegten Massen gleich zu halten, müsste der innere Kolben sehr massig hergestellt werden.
Die Konstruktion erscheint schon aus dem Grund nicht empfehlenswert, weil sie den wesentlich einfacheren Zweicylindersystemen
gegenüber offenbar keine Raumersparnis bringt.
Textabbildung Bd. 315, S. 167
Fig. 76.Motor von Koch.
Etwas günstiger, wenigstens vom letzterwähnten Standpunkt aus, baut sich der Motor von Koch (Fig. 76) mit symmetrisch zu beiden Kolben gelegter Welle, wobei allerdings die Zwischenschaltung zweier Balanciers notwendig wird, d.h. die Vermehrung der unbedingt nötigen vier Gelenke um weitere
sechs, was dem ruhigen Gang des Motors keineswegs zuträglich ist.
Textabbildung Bd. 315, S. 168
Fig. 77.Motor Bauart Roser-Mazurier.
Drei- und Viercylindermotoren lassen gleichfalls vollständigen Massenausgleich zu, wie aus den Fig. 77 und 71 hervorgeht. Die Bauart Roser-Mazurier
(Fig. 77) besitzt zwei gleichgerichtete und eine um 180° versetzte Kurbel; der an letzterer angreifende Kolben muss mit Rücksicht
auf die geforderte Massengleichheit das doppelte Gewicht eines der beiden anderen erhalten, weshalb er entsprechend grösseren
Durchmesser besitzt. Dass rücksichtlich der Gleichförmigkeit eine symmetrische Kurbelstellung günstiger wäre, geht aus Fig. 70 hervor.
Textabbildung Bd. 315, S. 168
Fig. 78.Dreikurbeliger Vierkolbenmotor, Bauart Gobron-Brillié.
Der im Vorangegangenen wiederholt benutzte Ausdruck „vollständiger Massenausgleich“, welcher nach dem bisherigen Stand unserer Betrachtung in einer Reihe von Fällen vorhanden zu sein scheint, verlangt aber
noch eine nachträgliche Untersuchung darüber, ob wirklich, wenn an zwei Kurbeln entgegengesetzt schwingende Massen angreifen,
diese sich unter allen Umständen vollkommen aufheben oder nicht. Dass in allen diesen Fällen geradlinige Schwingungen nicht
mehr eintreten werden, behält nach wie vor seine Richtigkeit, doch ist daraus noch keineswegs die Folgerung zu ziehen, dass
nun nicht die Wagenmasse um ihren Schwerpunkt pendelartige Bewegungen ausführen könnte. Dies wird bei zwei unter 180° versetzten
Kurbeln thatsächlich geschehen, wie die folgende Ueberlegung zeigt:
Denken wir uns beispielsweise Fig. 71Diese Figur bietet auch noch insofern Interesse, als sie ein zweites Beispiel für die Reguliermethode Fig. 50 (1900 315 * 99) darstellt. Das Volumen der Explosionskammer wird im vorliegenden Fall dadurch verändert, dass die in dem Kurbelkasten
verschiebbar (!) gelagerten Cylinder durch einen vom Führersitz bedienten Mechanismus den Kurbeln genähert werden können,
wodurch die Kolben näher an den Cylinderboden herantreten. als Längsschnitt eines horizontal eingebauten Motors, so wird beim Rückgang der Massen
I II die linke Wagenseite vorwärts schwingen, während die rechte unter dem Einfluss der hingehenden Massen III IV rückwärts schwingt. Beide Impulse addieren sich zu einer Pendelschwingung um den Schwerpunkt, welche bei horizontalem Motor
mit zwei Cylindern das sogen. „Schlingern“ des Fahrzeugs verursacht. Bei zwei unter
180° versetzten Kurbeln sind solche Schwingungen nicht zu vermeiden, weshalb die früher erwähnten Konstruktionen
Fig. 7, 69, 71, 76 thatsächlich vollkommenen Ausgleich nicht besitzen; die dreikurbeligen Anordnungen Fig. 75 und 77 dagegen lassen vollständiges Gleichgewicht erzielen. Dasselbe gilt von dem dreikurbeligen Vierkolbenmotor, Bauart Gobron-Brillié (Fig. 78)
(welche übrigens die störende Kreuzkopfführung Fig.
75 vermeidet), und wäre auch möglich bei einem Motor mit zwei genau gegenüberliegenden Cylindern, wenn die eine Schubstange
gegabelt und an zwei gleichgerichtete, die dritte zwischen sich fassende Kurbeln angeschlossen würde.
Textabbildung Bd. 315, S. 168
Fig. 79.Elan-Motor.
Ein prinzipieller Fehler dieser Dreikurbelmotoren darf aber nicht verschwiegen werden; dies ist die ungünstige Beanspruchung
des Kurbelstückes, welches zweifellos bedeutende elastische Durchbiegungen erfahren und zu Brüchen, jedenfalls zu Klemmungen
und erheblichen Reibungsverlusten Veranlassung werden muss. Man betrachte
Fig. 77 und insbesondere Fig. 78!
Textabbildung Bd. 315, S. 169
Fig. 80.Vollkommener Massenausgleich mittels zweier Kurbelwellen.
Auf ganz abweichendem Weg ist ein thatsächlich vollkommener Ausgleich durch die Zweicylinderkonstruktionen Fig. 79 und 80 erzielt worden, und zwar unter Hinzunahme einer zweiten Kurbelwelle mit entgegengesetztem Drehsinn und je einer Schwungmasse
auf jeder Welle. Die gleichlaufenden Kolben werden durch die Schwungmassen ausgeglichen, die dabei neu entstehenden Schwingungen
rechtwinklig zur Cylinderachse (vgl. das oben zu Fig. 74 Gesagte), werden nun ihrerseits durch die gegenläufigeAnordnung der beiden Massen unter sich gleichfalls vollkommen zum Ausgleich gebracht. Dabei müssen beim Elan-MotorVon der Société Anonyme d'Automobilisme et de Cyclisme verwendet (vgl. auch D. p. J. 1899 313 *
109). (Fig. 79) die beiden Wellen durch Zahnräder miteinander gekuppelt werden; das System Fig. 80 vermeidet dies, braucht aber dafür vier Schubstangen, die zweite Welle läuft leer.
Wir sind nicht unbedingt der Ansicht, dass nur das Einfache gut und erstrebenswert sei; doch zeigt die ganze Entwickelung
des Maschinenbaues, dass die einfachen Konstruktionen, wenn sie sonst zweckentsprechend sind, unter allen Umständen aus dem
Wettbewerb als Sieger hervorgehen. Dies gilt in hervorragendem Masse gerade für den Automobilbau, dessen künftiger erfolgreicher
Ausbau davon abhängen wird, ob Konstruktionen gelingen, welche unbedenklich auch Laienhänden anvertraut werden können. Die
Vielgliederigkeit des Benzinautomobils mit seinem gesamten Zubehör sollte nicht ohne dringenden Grund vermehrt werden, wie
dies bei den im VI. und VII. Kapitel besprochenen Konstruktionen so vielfach der Fall ist; lieber begnüge man sich mit nur
teilweisem Ausgleich bei kräftiger, einfacher Konstruktion, also mit einem einzigen oder zwei nebeneinander liegenden Cylindern.
Und jene Ueberlegung gilt nun ganz allgemein: Der rapide Aufschwung des Automobilwesens in gegenwärtiger Zeit führt und verführt
zum Ausprobieren neuer Gedanken, deren Zahl weit über das hier Gebrachte hinausgeht; aber die älteren Firmen, die dieses Stadium
bereits hinter sich haben, bei denen sich jetzt gerade das Resultat vieljähriger Versuche abklärt, beweisen durch die von
ihnen gewählte Bauart die Richtigkeit jener Mahnung, auf möglichste Einfachheit bedacht zu sein.
(Fortsetzung folgt.)