Titel: | Die gebräuchlichen Automobilsysteme. |
Autor: | H. Bachner |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 159 |
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Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
Von Professor H. Bachner in Stuttgart.
(Fortsetzung des Berichtes S. 95 d. Bd.)
Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
VI. Uebersetzungsgetriebe.
Da die Regulierung der Fahrgeschwindigkeit in der Hegel eine veränderliche Uebersetzung erfordert, so erscheint diese als
eine Eigentümlichkeit der Benzinwagen und um so mehr zu einer Besprechung geeignet, als auch sie zu einer Quelle von Effektverlusten
werden kann, wennihre Anordnung ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Seite des Motorwagenbetriebs erfolgt; dies ist bei einer Beurteilung
dieser oben nur mit Rücksicht auf den Arbeitsvorgang im Motor als besonders günstig hingestellten Reguliermethode zu beachten.
Grössere Wagen erfordern, zumal wenn sie für den Stadtverkehr bestimmt sind, zur Erhöhung ihrer Beweglichkeit im Verkehrsgedränge eine Vorrichtung zum Rückwärtsfahren. Da
der Benzinmotor nicht umsteuerbar ist, wird die Reversiervorrichtung mit dem Uebersetzungsgetriebe vereinigt, jedoch unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass dabei die geringste Fahrgeschwindigkeit nicht nur ausreichend, sondern einzig brauchbar
ist.
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Fig. 51.Cylinderreibungskuppelung von Piat.
Als weiterer Bestandteil des Getriebes sind die Kuppelungseinrichtungen zu betrachten, die in den verschiedensten Formen und
Verbindungen teils als Anlasskuppelung beim Anhalten und Anfahren, teils als Schaltkuppelung bei jeder durch das Uebersetzungsgetriebe
bewerkstelligten Geschwindigkeitsänderung Benutzung finden; sie sollen zunächst besprochen werden.
Da unter allen Umständen beim Einrücken Stösse vermieden werden müssen, kommen in erster Linie nachgiebige, d.h. durch Reibung
wirkende Kuppelungen in Betracht, wie sich auch aus der folgenden Uebersicht ergibt.
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Fig. 52.Cylinderreibungskuppelung von Julien.
Die Daimler-Motorengesellschaft benutzt Kegelreibungskuppelungen; solche finden sich auch bei den Wagen der Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Berlin in eigenartiger Anordnung, über die in dem Instruktionsbuch die folgenden Details zu finden sind: Das SchwungradDer gleiche Gedanke ist in der Konstruktion der Société des Automobiles Réhda verkörpert (D. p. J. 1899 313 * 108). als unverschiebbarer Kuppelungsteil trägt zwei konzentrische Ringnuten von keilförmigem Querschnitt, in welche zwei entsprechend
geformte, mit Leder überzogene Ringe der beweglichen Kuppelungshälfte eingreifen können. Beim Einrücken kommt zuerst der innere
Ring zum Eingriff, dessen geringeres Reibungsmoment zur vollständigen Ueberwindung der Bewegungswiderstände nicht ausreicht,
so dass das Getriebe nur allmählich unter stetem Gleiten in Bewegung kommt; erst nachdem der durch vier Federn elastisch gelagerte
Ring soweit nachgegeben hat, dass auch der äussere Ring angreift, ist die Kuppelung hergestellt. Der Kuppelungsdruck wird
unabhängig vom Führer durch eine kräftige Spiralfeder aufrecht erhalten.
Andere Konstrukteure benutzen Cylinderreibungskuppelungen, so Piat (Fig. 51) und Julien (Fig. 52), wie sie auch sonst für Transmissionszwecke Verwendung finden. In Fig. 51 besteht der innere Kuppelungsteil aus zwei lederarmierten Ringhälften f, welche an den Armen i einseitig befestigt (angegossen) sind, während ihre freien Enden, durch die zweiteiligen Hebel e gehalten, um die auf i befestigten Zapfen g schwingen können. Zwischen den Hebeln e ist die kurze Traverse d gelagert, die gleichzeitig das Muttergewinde für die steilgängigen Schrauben c trägt. Werden die Schrauben durch Muff a und Hebel b gedreht, so verschieben sie die Enden der Ringhälften und rücken die Kuppelung ein oder aus, je nach der Bewegungsrichtung.
Wesentlich verschieden wirkt die Kuppelung von Julien
(Fig. 52). Hier erfolgt das Einrücken der Kuppelung durch Freigabe des kräftigen Federringes g, der durch seine eigene Spannkraft das aufgenietete Lederband h gegen die Innenseite der Kuppelungshälfte c presst. Die Verbindung wird gelöst, wenn mittels Hebel und Kuppelungsmuff der Keil
p unter die Rolle n geschoben wird, denn Hebel l nähert dabei das freie Ende i dem festen Ende der Feder i1 und verkleinert den Federdurchmesser.
Diese Konstruktion besitzt der vorhergehenden gegenüber den Vorteil eines konstanten Kuppelungsdruckes, welcher von der zum
Einrücken erforderlichen Kraft unabhängig ist, und zeichnet sich ferner vor sämtlichen bisher erwähnten Anordnungen dadurch
aus, dass ein achsialer Lagerdruck nur im Moment des Ein- oder Ausrückens auftritt, sonst aber vermieden ist.
Andere Konstruktionen benutzen ein an der einen Kuppelungshälfte befestigtes, die andere umschlingendes Bremsband (Mégy), welches ähnlich wie bei einer sogen. Sicherheitskurbel wirkt, oder wie Dion in Fig. 53 eine Kombination zwischen Kuppelung und ausrückbarem Vorgelege. Hierbei wird, bevor die Zähne der Räder a und b zum Eingriff gelangen, zunächst die Reibungskuppelung zwischen dem Kautschukring c und dem Friktionscylinder d hergestellt, wodurch bei langsamer Schaltbewegung das Rad b bis nahe an seine normale Umdrehungszahl beschleunigt wird. Durch rasche Weiterbewegung sollen nunmehr a und
b fast stossfrei zum Eingriff gebracht werden können.
Letztere Anordnung erscheint deshalb mangelhaft, weil ihre Wirksamkeit zu sehr von der Geschicklichkeit des Führers abhängig
ist und überdies durch Abnutzung der reibenden Flächen rasch in Frage gestellt wird.
Schliesslich müssen auch Fest- und Losscheibe und Spannrolle bei Riemenantrieb zu den nachgiebigen Kuppelungen gerechnet werden
bezw. können an deren Stelle treten, wie später noch gezeigt wird.
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Fig. 53.Kombination zwischen Kuppelung und ausrückbarem Vorgelege von Dion.
Unter den nunmehr zu besprechenden eigentlichen Uebersetzungskonstruktionen erscheinen bei nur oberflächlicher Betrachtung
die Reibungsgetriebe besonders verlockend, da sie bei der bekannten Anordnung Fig.
54 eine vollkommen stetige Geschwindigkeitsänderung gestatten, gleichzeitig in der Mittellage den Stillstand und darüber hinaus
nach rückwärts die Bewegungsumkehr enthalten bei einfachster Konstruktion. Es wird dabei eine zur Vergrösserung der Reibung
mit Leder überzogene Friktionsrolle b durch die Hebel d gegen die vom Motor angetriebene Scheibe a angedrückt; bei entsprechendem Drehsinn wird die Pressung durch die Rückwirkung des Zahndruckes noch vergrössert. Die Verschiebung
von b erfolgt durch einen in die Muffe c greifenden Hebel.
Doch macht die ausserordentlich starke Abnutzung, verbunden mit einem entsprechenden Energieverlust, und die besonders in der Nähe der Mittellage vorhandene Unzuverlässigkeit
der Uebertragung die Reibungsgetriebe für den Automobilbetrieb thatsächlich unbrauchbar, was durch das rasche Wiederverschwinden
so mancher derartigen Konstruktion zur Genüge bewiesen ist. Nur für untergeordnete Zwecke, z.B. für die Bewegungsumkehr allein,
und dann stets in der Form von Stirnrädern finden die Reibungsräder noch bisweilen Verwendung.
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Fig. 54.Uebersetzungsgetriebe mittels Friktionsscheiben.
Viel benutzt sind dagegen die Riementriebe, welche sich bei sachgemässer Behandlung durchaus bewähren und infolge ihres verhältnismässig
geringen Effekt Verlustes, der Einfachheit ihrer Anordnung, und nicht zum wenigsten des geräuschlosen Ganges zu noch grösserer
Verbreitung eignen, als sie thatsächlich besitzen, zumal sie gleichzeitig, wie schon erwähnt, eine besondere Kuppelung überflüssig
machen.
Dabei sind gewöhnlich nur die Hauptübersetzungen durch den Riementrieb gebildet, dessen Arbeitseigenschaften bekanntlich eine
grosse Umfangsgeschwindigkeit bedingen. Für die grosse Uebersetzung ins Langsame (Bergfahrtübersetzung) und den Rücklauf benutzt
man zumeist Zahnräder, für die Uebertragung von der Differentialwelle nach den Triebrädern sind in der Regel Ketten in Verwendung.
Hier sind vor allem die Konstruktionen Benz'schen Systems zu nennen, welche das Gemeinsame besitzen, dass durch je einen Riemen ein grösseres Fest- und Losscheibenpaar
von einer kleineren, ein kleineres Paar von einer grösseren Scheibe auf der Kurbelwelle angetrieben werden kann, entsprechend
zwei verschiedenen Uebersetzungen. Durch gleichzeitige Regulierung mit der Drosselklappe kann damit schon eine für normale
Verhältnisse genügende Veränderung der Fahrgeschwindigkeit erzielt werden, nämlich nach Angabe von Benz und Co. in den Grenzen von 12 bis 30 km in der Stunde.
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Fig. 55.Kombiniertes Reibungs- und Zahnrädervorgelege von Rochet-Schneider.
Die Compagnie Anglo-Française (Bauart Benz-Roger) nimmt hierzu zwei offene Riemen und benutzt einen dritten gekreuzten für den Rücklauf. Benz und Co. dagegen nehmen zwei gekreuzte Riemen, welche grössere Sicherheit gegen das Gleiten bieten, und fügen für Bergfahrt und Rücklauf
noch je eine Zahnradübersetzung für langsamsten Gang hinzu.
Auch Rochet-Schneider benutzen zwei gekreuzte Riemen, für die Bewegungsumkehr dagegen ein eigenartig durchgebildetes kombiniertes Reibungs- und
Zahnrädervorgelege (Fig. 55 und 56). In Fig. 55 ist m und p das der kleinerenGeschwindigkeit entsprechende Scheibenpaar, i die Vorgelegewelle, hinter der Festscheibe p liegt die Losscheibe p1. In geringer Entfernung vor diesen beiden ruhen zwei lederarmierte Friktionsrollen g und g1, drehbar um die feste Achse a (Fig. 56), aber nicht unabhängig voneinander. Zur Erreichung des Rücklaufs bringt man den Riemen auf die Losscheibe p1 und drückt sodann mittels des Hebels l die beiden Rollen gegen p und p1 an. Dabei wird g1 von p1 in Bewegung gesetzt und treibt seinerseits durch das Zwischenrad r die Rolle g an, die sich aber nun viel langsamer und in entgegengesetzter Richtung dreht (vgl. den späteren Absatz über die Planetengetriebe).
Von g wird endlich die Bewegung nach der Festscheibe p übertragen.
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Fig. 56.Kombiniertes Reibungs- und Zahnrädervorgelege von Rochet-Schneider.
Mehr originell als empfehlenswert erscheint die Anordnung von Lepape, welcher mit einem einzigen Riemen auszukommen sucht und vierfache Stufenscheiben a und b
(Fig. 57) zur Anwendung bringt. Um die Verschiebung des Riemens zu ermöglichen, sind die einzelnen Stufen durch Kegelflächen verbunden,
und es wird der Riemen an beiden Auflaufstellen durch die Gabeln c und d gefasst und bewegt. Die eigentümliche Lagerung und Verbindung der um die festen Punkte ef und gh schwingenden Hebel vermittelt diese gleichzeitige Bewegung und bewirkt, dass sich dabei die Entfernung der Riemenleiter von
den einzelnen Stufen nicht wesentlich ändert. Eine weitere Eigentümlichkeit der vorliegenden Konstruktion besteht darin, dass
das eine Triebrad von dem Kettenrad i aus, das andere durch ein Reibrad k angetrieben werden soll, mit dem Zweck, das Differentialgetriebe zu sparen und dessen Funktion durch das Gleiten von k zu ersetzen. Die Schwäche der Anordnung liegt in der sehr ungünstigen Beanspruchung des Riemens.
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Fig. 57.Stufenscheibenvorgelege von Lepape.
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Fig. 58.Kettenrädervorgelege von Roots und Venables.
Auch bei den übrigen Riemenvorgelegesystemen wird natürlich der Riemen von Zeit zu Zeit ersetzt und öfter nachgespannt werden
müssen; doch kann dieser Umstand an sich nicht als besonderer Nachteil betrachtet werden. Ungeeignet kann der Riementrieb
dagegen in bestimmten Fällen deshalb erscheinen, weil er einen gewissen Mindestabstand zwischen Kurbel- und Vorgelegewelle
voraussetzt. Erscheint dies als Hindernis, so kann man die Riemen einfach durch Ketten ersetzen, wie bei der Anordnung von
Roots und Venables (Fig. 58), wobei an die Stelle der Losscheiben die Kegelreibungskuppelungen h getreten sind. Da sich aber solche Ketten für höhere Geschwindigkeit nicht recht eignen, haben sie für das Uebersetzungsgetriebe
keine Verbreitung gefunden, man zieht vielmehr die Zahnrädervorgelege vor.
In der Regel beschränkt man daher, wie bereits erwähnt, den Kettentrieb auf die Uebertragung zwischen der letzten Vorgelegewelle und den Triebrädern, und führt die Zwischenvorgelege,
wenn man den Riementrieb vermeiden oder wenigstens beschränken will, als Zahnrädergetriebe aus, welche dann aber stets eine
nachgiebige Kuppelung noch ausserdem bedingen.
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Fig. 59.Ein- und Ausschalten der verschiedenen Uebersetzungen (System Daimler) der Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Berlin.
1 Erste (kleinste) Geschwindigkeit;
2 Zweite Geschwindigkeit; 3 Dritte Geschwindigkeit; 4 Vierte (grösste) Geschwindigkeit; 5 Kegelräder für Vor- und
Rückwärtsgang; 6 Differentialgetriebe; 7 Verschiebung zum Zweck der Geschwindigkeitsänderung; 8 Verschiebung zur Lösung der
Kuppelung; 9 Pedalzugstange zur Kuppelungsauslösung;
10 Friktionskuppelung; 11 Zur Handbremse mit automatischer Ausrückung der Friktionskuppelung.
Das Ein- und Ausschalten der verschiedenen Uebersetzungen kann hier auf die mannigfaltigste Art und Weise vorgenommen werden,
wie aus den nachfolgenden Figuren zu ersehen ist. Durch einfache, wohldurchdachte Anordnung und soliden Aufbau zeichnet sich
das Daimler'sche System aus. Fig. 59 gibt den Längsschnitt durch den Getriebekasten eines Wagens der Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Berlin in Marienfelde, woraus man erkennt, dass sämtliche Vorgelege auf zwei parallelen Wellen vereinigt sind. Welle a liegt in der Verlängerung der Kurbelwelle und trägt links die oben erwähnte bewegliche Kuppelungshälfte, während das rechte
Ende in der Büchse c drehbar, aber gegen Längsverschiebung gesichert, gelagert ist. Auf dem vierkantigen Mittelstück gleitet die Büchse k, welche mittels Muffe l so verschoben und festgestellt werden kann, dass eines der vier Triebe mit dem zugehörenden Rad in Eingriff kommt. Hierdurch
sind vier Fahrgeschwindigkeiten gegeben. Der Rücklauf wird durch ein konisches Wendegetriebe ermöglicht, von dem in der Figur
nur das Mittelrad d auf der Welle h zu sehen ist; die beiden zugehörigen Kegelräder, von denen das eine oder andere mit d zum Eingriff gebracht werden kann, sitzen verschiebbar auf einer das Differentialgetriebe tragenden Büchse.
Vor jeder Aenderung der Uebersetzung muss die Kuppelung ausgerückt werden. Dies geschieht vom Führersitz aus durch Anziehen
des Hebels f, der dabei die Büchse c und die Welle a mit ihrer Kuppelungshälfte ein wenig nach rechts verschiebt. Beim Nachlassen von f erfolgt das Einrücken selbstthätig durch Spiralfeder e.
Diese KonstruktionDieselbe Anordnung für nur zwei Geschwindigkeiten findet sich D. p. J. 1899 313 * 108. besitzt den Vorzug, dass nur das gerade arbeitende Zahnräderpaar in Eingriff steht, die übrigen laufen vollkommen leer mit,
ohne irgendwie die Reibungsverluste des Getriebes zu vermehren. Dagegen liegt ein prinzipieller Nachteil darin, dass Zahnräder
von verschiedener Umfangsgeschwindigkeit zum Eingriff gebracht werden müssen, unter Umständen mehrere nacheinander; hierbei
sind auch bei ausgerückter Kuppelung Stösse in den Zähnen nicht zu vermeiden.
Es gibt nur ein Mittel, diesen Uebelstand zu heben: man muss eben sämtliche Räderpaare in Eingriff lassen, auch wenn sie leerlaufen;
hiermit aber stellt sich nun einprinzipieller Nachteil dieser, d.h. aller noch anzuführenden Konstruktionen ein, der ständige Verlust durch Zahn- und Zapfenreibung
mitgeschleppter Getriebeteile, der bei nachlässiger Wartung ganz bedeutende Grösse erreichen kann.
Das Eigentümliche der hierher gehörenden Anordnungen besteht darin, dass sie im Gegensatz zu Fig. 59 für jedes Vorgelege eine besondere Kuppelung besitzen, deren eine Hälfte auf der Welle festgekeilt ist, während die andere,
um die Welle drehbar, das Zahntrieb trägt.
Bei dem Uebersetzungsgetriebe von Julien (Fig. 60) haben Cylinderreibungskuppelungen nach Art der Fig. 52 Anwendung gefunden. Drei von ihnen bedienen die Vorgelege für den Vorwärtsgang, das vierte den Rücklauf, und sie besitzen
paarweise je eine gemeinsame Kuppelungsmuffe. Welle c wird von der Motorwelle a aus durch das Zwischenrad b ständig mitgenommen und mit ihr die inneren Kuppelungshälften; Rad d gibt die grösste, der mit dem Differentialgehäuse verschraubte Zahnkranz f die geringste Geschwindigkeit, der Rücklauf wird durch ein in g eingreifendes Zwischenrädchen h bewirkt. Sobald aber eine beliebige Uebersetzung eingerückt wird, kommen sämtliche Räder und mit ihnen die zugehörigen Kuppelungshälften
in Bewegung, und zwar letztere mit einer in Bezug auf Welle a abweichenden Tourenzahl, die Kuppelung des Rücklaufs, welche sich umgekehrt wie ihre Lagerbüchse dreht, sogar mit verdoppelter
Relativgeschwindigkeit, also verdoppeltem Reibungsverlust.
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Fig. 60.Uebersetzungsgetriebe von Julien.
Aehnlich verhält sich die Anordnung von Léo (Fig. 61). Hier sitzen die Kuppelungen auf der Differentialbüchse fi, welche die geteilte Kettenradwelle in der bekannten Weise mitnimmt; die Räder g, j und l sitzen lose auf dieser Büchse, können aber mit ihr verbunden werden, wenn durch entsprechende Bewegung des Schiebers o die betreffende Kuppelung eingerückt wird. Für den Rücklauf ist das Kettenräderpaar lm vorgesehen, welches den Drehsinn von b ungeändert auf a überträgt, während die Zahnräder ihn umkehren. Der Antrieb erfolgt durch das mit der Riemenscheibe P fest verbundene Trieb e, wodurch, wie man sieht, die vier Räderpaare ständig in Bewegung erhalten werden.
Diese Konstruktion ist im Hinblick auf die benutzte Klauenkuppelung als ein entschiedener Rückschritt zu betrachten, denn
sie vereinigt die Nachteile der Fig. 60 mit denen der Fig.
59, ohne einen anderen Vorteil als den einer etwas billigeren Herstellung zu bieten. Hieran ändert auch die im vorliegenden Fall benutzte nachgiebige Kuppelung nicht
viel, welche darin besteht, dass der P antreibende Riemen durch Nachlassen einer Spannrolle bei jeder Uebersetzungsänderung ausser Wirksamkeit gesetzt werden kann.
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Fig. 61.Getriebe von Leo.
Besser wurden die Vorteile der Riemenkuppelung von Webb ausgenutzt (Fig. 62). Betrachtet man v als die gemeinsame eine Kuppelungshälfte, so stellen
g1, m1 und p1 die andere Hälfte dar, die mit den Trieben g, m und p in fester Verbindung stehen; ihre Wirkungsweise ist ohne weiteres einzusehen. f ist die Losscheibe für den Stillstand, während r durch das Zwischenrad s den Rücklauf bewirkt. Hier ist durch die unabhängige Ausschaltbarkeit von s der Reibungsverlust, der durch das fast nie benutzte Rücklaufvorgelege verursacht würde, vermieden, doch hat die auf den
ersten Blick bestechende Ineinanderschachtelung der Welle mit ihren Büchsen die unangenehme Folge, dass diese Teile sich der
Kontrolle entziehen und der Schmierung schwer zugänglich sind.
Textabbildung Bd. 315, S. 162
Fig. 62.Riemenkuppelung von Webb.
Fig. 63, Anordnung von Lang, besitzt dieselben Schwächen wie Fig.
61, zeichnet sich aber wenigstens durch sehr grosse Einfachheit aus. Die Einrückung der Vorgelege erfolgt durch eine Art innerer
Klauenkuppelung mittels des Querkeiles b, der durch Stange a in die Keilnuten der Räder eingeschoben werden kann. In die Naben eingedrehte Vertiefungen geben zwei Zwischenstellungen
(der in der Figur gezeichneten Stellung entsprechend), bei denen die Kettenradwelle keinen Antrieb erhält. Für ganz leichte
Fahrzeuge könnte diese Anordnung in Frage kommen; dass sie hierfür gedacht ist, beweist auch das Fehlen eines Rücklaufvorgeleges.
Ohne weiteres erhellt aus den bisherigen Betrachtungen die Ueberlegenheit der Riemenübersetzungen insofern, als sie eine wesentlich
einfachere Bauart ermöglichen; demgegenüber besitzen die Rädervorgelege den Vorteil geringeren Raumbedarfs. Ihr Nachteil eines
ziemlich lärmenden Ganges lässt sich durch geeignete Massnahmen beseitigen, indem man das Getriebe mit einem völlig geschlossenen
Gehäuse umgibt, welches mit einem ziemlich konsistenten, die Geräusche dämpfenden Schmiermittel gefüllt wird. Diese z.B. von
der Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Berlin benutzte Anordnung (vgl. Fig.
59, auch 61 und 62) gewährt zudem den grossen Vorteil, dass der Strassenstaub von diesen empfindlichen Teilen ferngehalten und
dadurch der Reibungsverlust und die Abnutzung verringert wird. Durch vorgesehene Oeffnungen bleiben die Räder trotzdem gut
zugänglich.
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Fig. 63.Getriebe von Lang.
Das Bestreben, möglichst an Raum zu sparen, manchmal wohl auch nur, eine eigene, interessante Konstruktion zu besitzen, hat
zur Anwendung sogen. Planetengetriebe geführt, deren Eigenart den normalen Zahnrädervorgelegen gegenüber darin besteht, dass
ihre Vorgelegewellen konzentrisch ineinander gesteckt sind. Hierdurch ist unter allen Umständen die Benutzung von Zwischenrädern
oder kleinen Zwischenvorgelegen für die Uebertragung bedingt; gleichzeitig sind mit diesen Getrieben stets Bremsen zu verbinden,
welche dazu bestimmt sind, gewisse Teile zeitweise an der Bewegung zu verhindern. Die etwas komplizierte Wirkungsweise geht
am besten aus der Besprechung der einzelnen Konstruktionen hervor.
Das Getriebe von Ellis und Steward (Fig. 64) ist dazu bestimmt, aus der Bewegung der Antriebswelle A einen Vorwärtsgang mit grosser und einen Rücklauf mit geringer Geschwindigkeit abzuleiten. Die im festen Gehäuse C gelagerte Welle A trägt ausser dem aufgekeilten Trieb a die beiden Kuppelungshälften M und D, erstere nur drehbar, letztere drehbar und verschiebbar aufgesetzt. In der gezeichneten Stellung ist die Reibungskuppelung
in Thätigkeit; indem dadurch sowohl die Achsen als auch die Zähne der Zwischenräder b mit
M fest verbunden sind, können diese sich nicht bewegen und zwingen nun, wie eine Klauenkuppelung wirkend, das auf M aufgekeilte Kettentrieb m, die Bewegung von a mitzumachen. Dieser Zustand entspricht dem Vorwärtsgang.
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Fig. 64.Getriebe von Ellis und Steward.
Bremst man hingegen durch Linksdrehen des Hebels L die Scheibe D im Gehäuse C fest, so kommen die Räder b um ihre nun feststehenden Achsen in Bewegung und erteilen dem Zahnkranz M einen Drehungssinn, welcher dem von A entgegengerichtet ist
(vgl. den Querschnitt). Aus der Erwägung, dass alle vier Räder gleiche Teilkreisgeschwindigkeit besitzen und dass
die Durchmesser von a und b gleich sind, folgt, dass die Umdrehungszahl von M nur ein Drittel der von A beträgt.
Die Erfinder hatten übrigens die sonderbareRevue industrielle, 18. Februar 1899 S.
63. Idee, durch nur teilweise Bremsung oder Kuppelung jede beliebige Geschwindigkeit zwischen den besprochenen Grenzen herstellen
zu wollen. Dass aber auf diesem Wege ein Beharrungszustand erreichbar sei, ist schon mit Rücksicht auf die starke Abnutzung
vollkommen ausgeschlossen.
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Fig. 65.Getriebe von Prétot.
Eine grössere Anzahl von Abstufungen bietet das Getriebe des von Prétot konstruierten Motorvorspanns (avant-train automoteur), Fig. 65. Die Antriebswelle a trägt eine aufgekeilte Scheibe, in welcher zwei kleine Vorgelegewellen b gelagert sind, die ihrerseits durch die Kader d mit c und dem Kettentrieb, durch die abgestuften Triebe fhkm mit den zu den Bremsscheiben giln gehörenden Rädern in Eingriff stehen. Durch Festbremsen einer der Bremsscheiben wird nun die Bewegung von
a in bestimmtem Verhältnis und Drehsinn auf c übertragen.
Angenommen, es sei n festgehalten, so läuft Trieb m mit einer gewissen Umfangsgeschwindigkeit um das zugehörige, gleichfalls festgelegte Rad herum. Hierdurch erhält d dieselbe Umdrehungszahl, dem grösseren Durchmesser entsprechend aber gleichzeitig eine grössere Umfangsgeschwindigkeit, deren
Einfluss aus der folgenden Betrachtung hervorgeht: Auf die Bewegung von c ist es ohne Einfluss, ob b um a rotiert und n feststeht, oder ob b nur um seine Achse drehbar ist und n im umgekehrten Sinne mit der Tourenzahl von a bewegt wird. Denken wir uns das letztere ausgeführt, so wirkt b als doppeltes Vorgelege und die Umdrehungszahl von c ist im Verhältnis der gesamten Uebersetzung grösser als die von a. Da c und d gleiche Durchmesser besitzen und m ein Drittel des Durchmessers des zugehörigen Rades, so läuft im vorliegenden Fall c dreimal so rasch als a. Bei Bremsung von 1 sinkt das Verhältnis auf 2 : 1, bei c auf 1 : 1, d.h. c steht still. Trieb f ist umgekehrt etwas grösser als das Rad der Bremsscheibe g, man muss sich letztere also jetzt im selben Sinne wie a gedreht denken, und c rotiert nun mit geringer Geschwindigkeit dem früheren Drehsinn entgegengesetzt, gibt also den, Rücklauf.
Dass man mit derartigen Getrieben die Raumersparnis sehr weit treiben kann, zeigt ein Vergleich beispielsweise mit Fig. 59 zur Genüge. Im vorliegenden Fall war man zu dieser Beschränkung dadurch gezwungen, dass der Motor samt allem Zubehör, das
Getriebe eingeschlossen, in dem als Kasten ausgebildeten vorderen Drehgestell selbst unterzubringen war. Ob diese Anordnung
an sich einen Fortschritt darstellt, wollen wir an dieser Stelle nicht entscheiden; soviel aber ist sicher, dass ganz erhebliche
Bedenken gegen diese Zusammenschachtelung erhoben werden können. Man überlege: irgend eine Uebersetzung, auch die kleinste,
bedingt, dass sämtliche, nämlich zehn,Zahneingriffe in Thätigkeit sein müssen; dazu kommt die Reibung zwischen den vielen ineinander gesteckten Büchsen, denn auch
die drei nicht festgelegten Bremsscheiben drehen sich mit für jede abweichender Tourenzahl. Es wird demnach ein relativ hoher
Reibungsverlust auftreten, noch vergrössert durch die infolge mangelhafter Zugänglichkeit der inneren Büchsen ungenügende
Schmierung. Schon aus diesem Grunde ist nicht zu erwarten, dass dieser Vorspann sich lebensfähig erweisen wird.
Deshalb findet man in den Fällen, wo von erprobten Automobilkonstruktionen das vorliegende Getriebesystem Anwendung gefunden
hat, wie bei den Benz-Wagen, dasselbe auf untergeordnete Verwendungsgebiete beschränkt, entweder nur für den Rücklauf, wie bei Rochet-Schneider (vgl. Fig.
56), oder auch noch für eine geringste Vorwärtsgeschwindigkeit angewandt
(Benz'sche Anordnung).
Mit der letztgenannten im Grundgedanken übereinstimmend ist die Anordnung von Lufbery (Fig. 66); sie weicht, von der Stufenscheibe abgesehen, noch darin ab, dass dort Bergfahrt- und Rücklaufgetriebe nebeneinander gesondert
aufgebaut sind, während hier Getriebe und Stufenscheibe vereinigt wurden. Konstruktion und Wirkungsweise sind die folgenden:
Auf der über die Differentialwelle D geschobenen Hohlwelle J ruht, durch Feder und Nut mit ihr verbunden, die lange Büchse G, welche auf zwei zu Lagern ausgebildeten Armen die Zwischenvorgelege EF trägt. Auf G drehbar ist der am linken Ende verzahnte Bremscylinder H so gelagert, dass er gleichzeitig mit
G und dem auf H aufgekeilten Kuppelungskegel M durch den Muff m verschoben werden kann; der Hohlkegel N steht ebenso wie J mit dem Differentialgehäuse in fester Verbindung.
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Fig. 66.Getriebe von Lufbery.
In der gezeichneten Stellung wird H mit J, also auch H mit G durch die Kuppelung direkt verbunden, EF kann sich nicht drehen, das ganze Getriebe erscheint als starre Verbindung zwischen Stufenscheibe C und Hohlwelle J. Bei dieser Schaltung kann die Bremse O im gewöhnlichen Sinne benutzt werden. Löst man die Kuppelung, ohne zu bremsen, so läuft das Getriebe leer um die Büchse G. Wird jetzt die Bremse angezogen, so rollt F, durch E angetrieben, um den festgelegten Zahnkranz des Bremscylinders H und nimmt dabei die Büchse G und die Welle J mit, aber, der Uebersetzung zwischen E und F entsprechend, nur mit der halben Tourenzahl der Stufenscheibe.
Bei weiterer Linksverschiebung gelangt E ganz ausser Eingriff, die Scheibe läuft leer um das Getriebe herum; bei der linken Endstellung schliesslich greift E in das Trieb A der Stufenscheibe und erzeugt den Rücklauf mit kleinster Geschwindigkeit.
(Fortsetzung folgt.)