Titel: | Variable Uebersetzungen für Fahrräder in hygienischer und technischer Beleuchtung. |
Autor: | A. Hoelken, Paul Richter |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 122 |
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Variable Uebersetzungen für Fahrräder in hygienischer und technischer Beleuchtung.
Von Ingenier A. Hoelken in Charlottenburg und Dr. Paul Richter in Berlin.
Variable Uebersetzungen für Fahrräder in hygienischer und technischer Beleuchtung.
Unter den Erfindungen unseres „im Zeichen des Verkehrs“ stehenden Zeitalters nehmen diejenigen keinen untergeordneten Rang ein, welche sich auf Verbesserungen an den Mitteln zur
schnellen Fortbewegung von einem Platz zum anderen beziehen, und unter den letzteren ist es das Fahrrad, welches sich im letzten Jahrzehnt – seit Erfindung der Pneumatikreifen – eine vorher ungeahnte Verbreitung geschaffen hat, indem kein Transportmittel so zur bequemen und unabhängigen schnellen Fortbewegung des Einzelnen bei nicht zu grossen Strecken geeignet ist, wie dies.
Neuerdings entsteht ihm durch den Automobilismus allerdings eine nicht unbedeutende Konkurrenz, durch welche es jedoch in
seiner Laufbahn nicht gehemmt wird. Sieht man doch z.B. in England das Fahrrad mit dem Autocar schon in friedlicher Gemeinschaft
den Zwecken grösserer Klubs dienen, indem bei längeren Touren die nötigen Geräte, eventuell auch Reserveteile, kleine Zelte
zum Schutz gegen plötzlichen unliebsamen Witterungswechsel u.s.w. den Klubmitgliedern auf Automobilen nachgefahren werden.
Die schnelle Einführung der letzteren ist auf den hohen Stand der Technik der Fahrradbranche zurückzuführen, denn die technische Durchbildung der Automobilen war ein Leichtes nach Erfindung von zweckentsprechenden
Kleinmotoren, als die dem Verschleiss entsprechend stets nachstellbaren Kugellager und die Luftdruckreifen u.s.w. jahrelang
am gewöhnlichen Fahrrad erprobt waren.
Von welcher Wichtigkeit das Fahrrad in den letzten Jahrzehnten geworden ist, geht schon daraus hervor, welche Stelle dasselbe
beim Militär, bei Postämtern und sonstigen Behörden, sowie an den Patentämtern in Washington, London und Berlin spielt.
Es ist klar, dass hierbei auch manche „Verbesserung“ patentiert und auf den Markt gebracht wurde, welche in Wirklichkeit nur eine Verschlechterung war, Gewichts- und Reibungserhöhung im Gefolge hatte. Es sei nur erinnert an den nach dem Erfinder benannten Boudard-Gear,
welcher verschiedene grosse Durchmesser der Kettenräder am Hinterrad und auf der Kurbelachse beim Niederrad und Vermeidung
des Kettenzuges direkt auf die Kurbelachse dadurch umgehen wollte, dass er die Kraft von derselben durch ein Zahnrad mit Innenzahnung
und ein mit diesem zahnendes Stirnrad erst auf eine Zwischenwelle übertrug, und von
dieser durch Kette auf das hintere Laufrad; ebenso wurde die Nutzlosigkeit der bekannten Simpson-Hebelkette bereits in Nr.
19 des Deutschen Radfahrer-Bundes vom Jahre 1896 eingehend erörtert.
Eine nicht unbedeutende Rolle hingegen spielen seit dem Uebergang vom Hochrad zum heutigen Sicherheitsfahrrad und seit allmählicher
allgemeiner Einführung des Pneumatikreifens Versuche zur Umgehung des Kettenantriebes zur Kraftübertragung von der Kurbelwelle auf das hintereLaufrad, ebenso wie solche zur Ermöglichung einer Auswechselung des Uebersetzungsverhältnisses zwischen der antreibenden Kurbelachse und dem angetriebenen Hinterrade. Oft auch waren beide Prinzipien in einer Konstruktion
vereinigt, und es entstanden dann zuweilen die absonderlichsten Mechanismen zur Bereicherung der kinematischen Wissenschaft,
nicht aber zur Erfüllung obiger Aufgaben für die Praxis, denn die Fabrikanten hatten alle Ursache, derartigen Konstruktionen
jede Daseinsberechtigung zu verweigern. Und selbst auf dem Papier glichen mehrere dieser Versuche mehr einem Motorfahrrad
als einem Sicherheitszweirad.
Von kettenlosen Maschinen haben sich – neben den vom derzeitigen Kängeruh abgeleiteten Rädern mit Vorderradantrieb
(front-drivers) und neuerdings auftauchender Stirnradübertragung von der Kurbelachse auf das Hinterrad – besonders
solche Konstruktionen einigen Eingang in die Praxis verschafft, welche die Bewegung bezw. Kraft von der Kurbelachse auf das
Hinterrad durch eine auf Kugellagern drehbare Rohrwelle und zwei Paar Kegelräder übertragen. Nachdem zuerst auf dem Kontinent
durch die Metropole (Marie und Co., Paris) das bekannte nach obigem Prinzip gebaute Acaténe-
(kettenlose) Fahrrad (vgl. D. p. J. 1896 301 198 Fig. 50) in grösserem Masse auf den Markt gebracht worden war, nahmen leitende amerikanische Firmen ebenfalls kettenlose
Räder auf. Doch trotz der grossen Reklame, welche z.B. die Pope Mfg. Co., Fabrikantin der Columbiaräder, mit ihrem kettenlosen Antrieb
(vgl. D. p. J. 1898 308 233 Fig. 28) gemacht, gelang es ihnen nicht, jenseits des Ozeans die Kettenräder auch nur annähernd zu verdrängen; in der
That wiegen auch die Nachteile des kettenlosen Antriebes – von dem nicht unbedeutenden Mehrpreis abgesehen – die damit verbundenen
Vorteile auf. Ist eine Kette nach mehrjährigem Fahren ausgezogen und daher unbrauchbar geworden, so dass sie nicht mehr genau
in die Zähne der zugehörigen Kettenräder passt, so wird sie durch eine neue ersetzt; bei weitem kostspieliger und umständlicher,
zuweilen unmöglich, ist ein Ersatz der vier mathematisch genau geschnittenen Kegelräder, welche infolge des ständigen Arbeitens,
und weil stets nur an einer Stelle die Kraft übertragen wird, einem starken Verschleiss unterworfen sind. Von dem grösseren
Gewicht des kettenlosen Antriebs abgesehen, ist auch die Reibung keine geringere, sondern eher eine höhere, wie durch eingehende
Versuche des Professors Carpenter von der Cornell-Universität (N. Y.) mit beiden Arten von Rädern erwiesen wurdeFahrrad-Export vom 20. Juli 1898..
„Aus denselben geht hervor, dass was Reibungswiderstände anbelangt, das Kettenfahrrad dem kettenlosen Fahrrad entschieden überlegen ist. Die übertragene Arbeit betrug bei einem Kettenfahrrad im höchsten Falle 97 %, bei einem kettenlosen
Fahrrad hingegen nur 94 %. Allerdings wurde gefunden, dass eine schmutzige Kette
10 bis 15 % mehr Reibungsarbeit erfordert, als eine reine, doch scheint es hierbei wesentlich auf die Konstruktion
der Kette selbst anzukommen, da bei einem anderen den Versuchen unterzogenen Fahrrade die Kette im schmutzigen Zustande gerade so gut arbeitete, wie im reinen. Während in keinem Falle ein gutes kettenloses Fahrrad einem guten Kettenfahrrad überlegen befunden
wurde, zeigte es sich, dass ein Durchschnittsfahrrad mit Kette weit besser sei, als ein Durchschnittsfahrrad ohne Kette. Bei
einem guten kettenlosen Fahrrad ergab es sich, dass bei einer Geschwindigkeit von 24 km die für eine Umdrehung erforderliche
Arbeit 1,5 bis 2,7 mkg betrug, während sich dieselbe bei einem Kettenfahrrad gleicher Qualität nur auf 0,8 bis 1 mkg pro Umdrehung
bezifferte. Diese Versuche, sowie die eines anderen Professors, welche von den ersteren vollkommen unabhängig waren, ergeben,
dass das Kettenfahrrad dem kettenlosen Fahrrad überlegen ist“S. a. D. p. J. 1899 311
172..
Aehnlich geht u.a. die Meinung des unter dem Pseudonym „Practicus“ bekannten Mitarbeiters des Radmarkt in seinem Artikel Kette oder KettenlosBielefeld, 13. August 1898. dahin, dass die Winkelzahnradübertragung nur bei vollkommen fest gelagerten Achsen zweckmässig zu verwenden sei, also an
Werkzeugmaschinen u.s.w., jedoch nicht beim Fahrrad mit seinem durch fortwährendes Stossen u.s.w. stets in seiner Lage veränderten
Rahmenbau. „Der vorgenannte kettenlose Antrieb ist demnach von vornherein zu verwerfen, denn jede seitliche Bewegung der Achse wird ein
Würgen in den Wellenlagerungen und Klemmen in den Zähnen zur Folge haben müssen; dies ist aber ein so grober, augenfälliger
Fehler, dass man gar nicht versteht, weshalb er der Beobachtung der Herren Theoretiker bis jetzt entgehen konnte.“
Mag dem nun sein wie ihm wolle, jedenfalls geht aus Obigem hervor, dass der Frage
„Kette oder kettenlos“ nicht einmal eine solche Bedeutung beizumessen ist, als z.B. der Wahl der Reifen o. dgl., wie auch Prof. Carpenter selbst mit Bezug auf seine Versuche sagt in einem Schreiben vom
14. März 1898, welches in der bekannten Vorlesung von Prof. Sharp im Institut für Fahrradingenieure zu Birmingham kürzlich angezogen wurde.
Weit wichtiger für die Fahrradindustrie scheinen diejenigen Versuche, welche auf die Ermöglichung einer Veränderung des Uebersetzungsverhältnisses zwischen der treibenden Kurbelachse und dem getriebenen hinteren Laufrade während der Fahrt hinarbeiten. Ueber die bisherigen
Vorschläge und warum von denselben noch kein System sich grösseren Eingang in die Praxis verschaffen konnte, möge an späterer
Stelle erörtert werden; zunächst soll an Hand der Urteile von Autoritäten dargelegt werden, welchen
Einfluss das Radfahren und speziell das Berg- und Gegenwind fahren mit gewöhnlichen Rädern, d.h. mit normaler Uebersetzung von 60 bis 70 Zoll, auf Lunge und Herz haben.
Schon 1888 wies Georg Kolb in einer Arbeit, betitelt
„Beiträge zur Physiologie manimaler Muskelarbeit, besonders des modernen Sport“, darauf hin, dass beim Radfahren eine aussergewöhnliche Inanspruchnahme und Belastung des Blutkreislaufes stattfindet, so
dass es durch die Erhöhung des Blutdruckes bei Ueberanstrengung zu Zerreissungen des Herzens kommen kann. Im August 1894 hielt George Herschell, Arzt am National Hospital für Herzkranke in London, auf dem II. internationalen Kongress für Hygiene in Budapest einen Vortrag
über Radfahren als Ursache von Herzerkrankungen. Derselbe, welcher selbst Radfahrer ist, sagt, dass „Radfahren vernünftig betrieben eine der gesündesten Vergnügungen ist, die aber übertrieben oder unter ungeeigneten Bedingungen sehr gefährlich werden kann“. Besonders wies er auf die Schädlichkeit des Bergfahrern und Gegenwindfahrens hin. Andererseits verordnet er bei schon ausgebildeten Herzkrankheiten das Radfahren mit niedrigen Uebersetzungen auf kurze Strecken und glatten Bahnen als Mittel zur Kräftigung des Herzens.
Aus diesem ist nun ersichtlich, dass nur durch Vermeidung einer Steigerung der Muskelarbeit während des Berg- oder Gegenwindfahrens die genannten gesundheitsschädlichen Gefahren behoben
werden können, und dies ist nur dadurch möglich, dass der Fahrer auch beim Fahren mit erhöhtem Widerstand nur die gleiche Muskelkraft auf die Pedale bezw. die Tretkurbelachse ausübt, wie beim Fahren mit weniger Widerstand (also auf ebener Strasse
und eventuell bei Rückenwind). Auf den ersten Augenblick scheint das ein Widerspruch, etwas Unmögliches zu sein. Und doch
lässt sich die gestellte Aufgabe, bei grösserem Widerstand mit demselben Kraftaufwand auf die Tretkurbeln zu fahren wie bei geringerem Widerstand, in leichtester Weise erreichen durch Verringerung des Uebersetzungsverhältnisses von den Tretkurbeln bezw. der mit diesen verbundenen Kurbelachse zum angetriebenen hinteren Laufrad.
Beschäftigen wir uns nun zunächst mit der Grösse dieses Kraftaufwandes, so ist es zunächst erforderlich, die Grösse des Reibungskoeffizienten festzustellen, und weist unsere
Fachlitteratur zwei grössere Abhandlungen auf, welche sich mit dieser Aufgabe beschäftigen, die eine von k. k. Prof. Franz Ritter v. Rziha in Wien in der Zeitschrift des österreichischen Ingenieur- und ArchitektenvereinsWien, 2. und 9. November 1894 (Nr. 44 und 45)., die andere von Stabsarzt Dr. Sehrwald (Freiburg), in Archiv für Hygiene. In der ersteren, betitelt „Versuche über die Arbeitsleistung beim Radfahren“, heisst es: „Alle technischen und physiologischen Fragen, welche aus dem Sporte des Radfahrens gezogen werden können, verlangen die Lösung
des Problems des Fahrwiderstandes. In dieser Hinsicht lässt sich zunächst folgende Kalkulation feststellen. Die Erfahrung lehrt, dass ein Radfahrer, welcher
tagtäglich reisen müsste, jeden Tag, ohne seiner Gesundheit zu schaden und ohne eine grössere als die normale Anstrengung
auszuüben, wie früher bemerkt, 90 bis
100, im Mittel 95 km auf gut erhaltener Strasse fahren kann. Dabei braucht er 3 bis 4, im Mittel 3½ Minute per Kilometer;
er fährt also mit 4,76 m Sekundengeschwindigkeit. Nach neueren Zusammenstellungen (Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1894 S. 642) beträgt das Normalmass des mechanischen Aequivalents der täglich zulässigen Ermüdung eines arbeitenden Menschen
127500 mkg. Demnach beträgt die mechanische Arbeit pro laufenden Meter Strassenlänge 1,342 mkg.
Nach Quételet beträgt das mittlere Nacktgewicht eines Mannes zwischen 20 und 40 Jahren 61,9 kg. Die leichten Kleider und die leichte Bepackung
können zu 3,6 kg angesetzt werden. Das mittlere Gewicht eines Hochrades für Strassentouren beträgt 21 kg, jenes eines Rovers 19 kg; das mittlere Fahrrad wiegt demnach 20 kg, also die ganze Last
Q = 85,5 kg.
Daraus berechnet sich für ziemlich ebene Strassen der Koeffizient des Gesamtwiderstandes =\frac{1,342}{85,5}=0,0157.
Wird dieser Widerstandskoeffizient durch die Einfluss nehmende Fahrgeschwindigkeit v ausgedrückt, so ist
\rho=\frac{0,0157}{4,76}=0,0033\,.\,\frakfamily{r}.
Wird das mittlere fortgeschaffte Gewicht q (Fahrer und Maschine) = q + q1 = 85,5 kg angesetzt, so ergeben sich bei ρ = 0,0033 . v Widerstandskoeffizient und bei Windstille und ebener Strasse für verschiedene Fahrgeschwindigkeiten die folgenden sekundlichen Arbeitsgrössen:
Fahrgeschwindig-keit in m pro Sek.
Geleistete Arbeitin mkg pro Sek.
Fahrgeschwindig-keit in m pro Sek.
Geleistete Arbeitin mkg pro Sek.
1
0,28
8
18,05
2
1,12
9
22,84
3
2,54
10
28,22
4
4,51
11
34,12
5
7,05
12
40,61
6
10,15
13
47,66
7
13,82
14
55,27
Die Zusammenstellung führt zu folgenden Betrachtungen:
1. Weil die Normalleistung eines Arbeiters pro Sekunde 6,3 mkg (Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1894 S.
642) beträgt, so ist zu ersehen, dass Fahrgeschwindigkeiten von 1 bis 2 m eine kaum nennenswerte Anstrengung hervorrufen;
4 m Geschwindigkeit nutzen diese Normalleistung noch nicht aus, und 5 m Geschwindigkeit übersteigen dieselbe, die physiologisch
richtige Fahrgeschwindigkeit wird bei Q =
85,5 kg rechnungsgemäss
v=\sqrt{\frac{6,3}{0,0033\,.\,85,5}}=4,73\mbox{ m}
sein.
Diese Geschwindigkeit wird auch von den gewöhnlichen Fahrern in der Praxis wirklich ausgeübt, denn sie entspricht der üblichen Fahrzeit von 3½ Minuten pro Kilometer. Ebenso entspricht auch diese normale Geschwindigkeit
der Fahrdistanz von 90 bis 100 km, welche ein Velocipedist tagtäglich reisen kann. Denn bei dem mechanischen Aequivalente
der täglichen Ermüdung eines Arbeiters im Ausmasse von 300 Kalorien oder 127500 mkg, berechnet sich solche Normaldistanz auf
\frac{127500\,.\,4,73}{6,3\,.\,1000}=95,6\mbox{ km.}
2. Weiter bestätigt die Zusammenstellung die eingangs angeführte Erfahrung, dass ein
gewöhnlicher Strassenfahrer bei v = 5 m schon merklich und bei v = 8 m schon bedeutsam ermüdet; denn die Zusammenstellung zeigt, dass im letzteren Falle schon eine dreifache Normalleistung
in Anspruch genommen wird und von einem solchen Fahrer rechnungsgemäss nur
\frac{127500\,.\,8}{18,05\,.\,1000}=56,5\mbox{ km}
pro Tag zurückgelegt werden können.
3. Ferner zeigt die Zusammenstellung, dass Fahrgeschwindigkeiten über 8 m schon so grosse Anstrengungen hervorrufen, dass
selbst trainierte Strassenfahrer dieselben nur auf kurze Distanzen auszuüben vermögen. Die angeführten Beispiele haben auch
gezeigt, dass selbst Meisterfahrer mit leichten Vehikeln und geringen Körpergewichten bei grossen Touren von 24 bis 31 Stunden
nur mit 5½ bis 6 m auf Strassen rennen können.
Trotzdem mehrere obiger Daten, z.B. Normalleistung auf Landstrasse, Gewicht des Fahrrades, die aber auf das Resultat selbst
weniger Einfluss haben, inzwischen etwas veraltet sind, so bietet doch die obige Berechnung des Reibungskoeffizienten viel
Interesse, zumal der gefundene Wert, verglichen mit dem für andere dem Verkehr dienende Gegenstände (Eisenbahn, Strassenbahn,
Wagen u.s.w.) sehr annehmbar ist. Die für Bahnen gebräuchlichen Formeln enthalten zwar eine Konstante neben dem die Geschwindigkeit
bezeichnenden Multiplikator v, da sonst ja die Reibung z.B. bei Anlassen eines Eisenbahnzuges fast gleich Null sein würde; doch kommt diese Konstante beim
Fahrrad wegen des minimalen Eigengewichts kaum in
Betracht. Wesentlicher dürfte der Unterschied der Normalleistung des Menschen gegen die neueren Angaben des Ingenieurs Taschenbuch vom Akad. Verein „Hütte“ sein; im letzteren werden folgende Werte genannt: Mann, am Hebel 5,5, an der Handramme 6,3, am Göpel 7,2, an der Kurbel 8,
am Steigrad 9,6, am Steigrad und ohne Maschine 12 Sek./mkg. Letztere entsprechen bei einer wirklichen Arbeitszeit von 8 Stunden einer Tagesleistung von 345600 mkg (Stabsarzt Dr. Sehrwald gibt dieselbe sogar auf 420000 mkg an). Da die Kraftausnutzung beim Fahrrad zweifelsohne die günstigste ist, so können wir
jedenfalls a = 12 Sek./mkg als Normalleistung einsetzen, und berechnet sich dann die physiologisch richtige Fahrgeschwindigkeit
v=\sqrt{\frac{12}{0,0033\,.\,85,5}}=6,524\mbox{ m};
ferner die tägliche Normaldistanz (natürlich unter Voraussetzung einer allen Ansprüchen an ein gut laufendes modernes Fahrrad
genügenden Maschine und eines normalen kräftig gebauten Fahrers) auf
\frac{345600\,.\,6,524}{12\,.\,1000}=187,8\mbox{ km}
Dass diese Leistung wirklich erreicht bezw. überstiegen werden kann, bewies (von Rekordfahrten mit Schrittmachern etc. abgesehen)
u.a. Grüttner, Halensee, indem er seine 1792 oder 1796 km betragende Tour Rom-Berlin in 6 Tagen 4 Stunden 24 Minuten zurücklegte, was einer
Durchschnittstagesleistung von \frac{1794}{6\,1/2}=276\mbox{ km} bei ungünstigem Terrain entspricht
(während er es an einem Tage in etwa 24 Stunden bis auf
395 km gebracht hat). Diese Leistung wurde noch übertroffen durch seinen Bruder, welcher die 1400 km betragende Strecke
Mülhausen (Elsass)-Königsberg in 4 Tagen 8 Stunden zurücklegte, was wohl als die beste bisherige Leistung auf Landstrasse
ohne Schrittmacherapparat bezeichnet werden dürfte, und einer Tagesleistung von
\frac{1400}{4\,2/3}=300\mbox{ km} entspricht.
Obige physiologisch richtige Fahrgeschwindigkeit v =
6,421 m kommt natürlich nur in Betracht bei einigermassen normalem Terrain und Windstille. Bei Bergfahrt kommt zu der Arbeit, welche den Luft- und Reibungswiderstand überwindet, noch
diejenige hinzu, welche nötig ist, um das Gewicht von Fahrer und Maschine um die Höhendifferenz zu heben.
Berechnet sich also für die Ebene die physiologisch richtige Fahrgeschwindigkeit v=\sqrt{\frac{a}{0,0033\,.\,Q}} und die Arbeit a = Q . 0,0033 v2, so berechnet sich die Arbeit bei Bergfahrt a = Q . 0,0033 v2 + Q . m . v, wobei
m das Steigerungsverhältnis darstellt. Aus dieser quadratischen Gleichung ergibt sich für Bergfahrt die physiologisch richtige
Fahrgeschwindigkeit
v=\sqrt{\frac{m^2}{4\,.\,0,0033^2}+\frac{a}{Q\,.\,0,0033}}-\frac{m}{2\,.\,0,0033}
Nehmen wir z.B. 3 % Steigung an (also m = 0,03), so ergibt sich nach Einsetzung der bezüglichen Werte die physiologische Fahrgeschwindigkeit v = 3,403 m. Bei der unter normalen Verhältnissen üblichen und dem menschlichen Organismus zuträglichsten Tretgeschwindigkeit
von 60 Kurbelumdrehungen pro Minute ergibt sich für v = 6,524 m auf normalem Terrain eine Radentwickelung von 6,524 m oder einer Uebersetzung von
81,7 Zoll (engl.). Für die Bergfahrt unter den obigen Verhältnissen (3 % Steigung) ergibt sich bei berechneter physiologischer
Fahrgeschwindigkeit v = 3,403 m und, der Steigung entsprechend, um etwa 20
% verringerter Tretgeschwindigkeit von 48 Kurbelumdrehungen pro Minute eine Radentwickelung von \frac{60}{48}\,.\,3,403=4,254\mbox{ m} oder 53,4 Zoll (engl.) Uebersetzung.
Diese Berechnung zeigt, dass bei Annahme einer Leistungsfähigkeit von a = 12 Sek./mkg
behufs thunlichster Ausnutzung der Muskelkraft sowohl in gebirgigem als in ebenem Terrain für die Fahrer, welche obige Durchschnittsarbeit zu leisten im stände sind, ein Fahrrad empfehlenswert ist, welches eine
Uebersetzung von 81,7 Zoll für normale Verhältnisse und von 53,4 Zoll für Steigungen, bezw. welches eine variable Uebersetzung besitzt, welche sich auf etwa ⅔ reduzieren lässt. Die Höhe der normalen Uebersetzung ist natürlich im wesentlichen von der persönlichen Kraft des Fahrers abhängig, d.h. von den Sekundenmeterkilogramm (a), welche er zu leisten im stände ist.
(Schluss folgt.)