Titel: Ueber die Beanspruchung von Schleifsteinen durch die Zentrifugalkraft.
Autor: W. Schüle
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 37
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Ueber die Beanspruchung von Schleifsteinen durch die Zentrifugalkraft. Von W. Schüle, Breslau. Ueber die Beanspruchung von Schleifsteinen durch die Zentrifugalkraft.
[Textabbildung Bd. 315, S. 37]
Fig. 1
Die Aufgabe der Spannungsberechnung von rotierenden Cylindern und Hohlcylindern, die aus einem Material bestehen, dessen Elastizität annähernd dem Proportionalitätsgesetze folgt, ist mehrfach gelöst worden. Die Elastizität des Sandsteins weicht jedoch so beträchtlich von diesem Gesetze ab, dass es nötig erscheint zu untersuchen, von welcher Bedeutung das wirkliche elastische Verhalten des Sandsteins für die Grösse und Verteilung der Spannungen ist. Dem Verfasser hat sich hierfür folgender Näherungsweg ergeben. Aus der Spannungsberechnung auf Grund konstanten Dehnungskoeffizienten lässt sich entnehmen, dass die im Cylinder in tangentialer Richtung wirkenden Spannungen am Umfang am kleinsten, in der Bohrung bezw. bei vollem Cylinder im Mittelpunkt am grössten sind. Die kleinste Spannung ist jedoch nicht kleiner als ein Drittel der grössten und die Grenzwerte der Spannungen liegen um so näher, je grösser die Bohrung ist. Die grösste Radialspannung ist beträchtlich kleiner als die kleinste Tangentialspannung. Ist nun nach Fig. 1 OKz die wirkliche Spannungsdehnungslinie des Schleifsteinmaterials, BKz=σ1max die grösste, AM=σ1min die kleinste Tangentialspannung,ferner NC=σ2max die grösste Radialspannung, so folgt die Elastizität des Steines innerhalb der Spannungsgrenzen σ1 max und σ2 min dem Bogen MKz, innerhalb o und σ2 max dem Bogen ON. Für diese Bögen können annähernd die Sehnen MKz und ON gesetzt werden. Es folgen somit die Tangentialspannungen näherungsweise dem Gesetze σ1 = α1 + β1 ε1, die Radialspannungen dem Gesetze σ2=ϵ2α2. Hierin sind α1, β1, α2 Konstanten, die aus der wirklichen Spannungsdehnungslinie zu entnehmen sind. Ist nun v die Verlängerung, die ein beliebiger Radius r durch die Zentrifugalkräfte erfährt, so ist die Dehnung in radialer Richtung ϵ2=dvdr; ferner hat die Verlängerung der Kreisfaser vom Radius r den Betrag 2 πv, also die Dehnung in tangentialer Richtung den Wert ϵ1=2πv2πr=vr Es ist somit: σ1=α1+β1vr             I) α2=1α2.dvdr            II) Als Gleichgewichtsbedingung eines Ringelementes mit dem Zentriwinkel und der radialen Länge dr ergibt sich weiter einfach dσ2dr+σ2σ1r+ω2γg.r=o          III) ω=πn30 ist hierin die Winkelgeschwindigkeit, γ das spezifische Gewicht des Steines. Durch Differentiation von II folgt dσ2dr=1α2d2vdr2. Mit diesem Wert und mit Gleichung II ergibt III die Differentialgleichung d2vdr2+1rdvdrα2β1vr2α1α2r+α2.ω2γg.r=o        IV) Die Integralgleichung von IV ergibt sich durch die Substitution v=A1.rm1+A2.rm2+A3.rm3+ ... und mit ω2γg=k zu v=α1α21α2β1.rα2k9α2β1.r2+A1rα2β1A2rα2β1       V) Hieraus folgt nun durch Differentiation und Division mit α2 α2=α11α2β13k9α2β1.r2+A1β1α2rα2β11A2β1α2.rα2β11     VI) und aus I α1=α11α2β1α2β1k9α2β1r2+A1β1rα2β11+A2β1rα2β11     VII) Die Konstanten A1 und A2 bestimmen sich aus den Bedingungen, dass mit r = r1, σ2 = o und mit r = r2, σ2 = o ist, also mittels der Gleichungen o=α11α2β13k9α2β1r12+A1β1α2r1α2β11A2β1α2.r1 o=α11α2β13k9α2β1r22+A1β1α2r2α2β11A2β1α2.r2 Die Spannungen σ1 und σ2, die man so aus den Formeln VI und VII für bestimmte Verhältnisse errechnen kann, werden als Näherungswerte zu betrachten sein, wenn sie innerhalb der für die Elastizitätskoeffizienten α1, α2, β1 gezogenen Grenzen liegen. Als Elastizitätsgesetz sei den nun folgenden Beispielen ein Versuch von C. v. Bach aus der Zeitschr. des Vereins deutscher Ingenieure 1899 S. 1402 zu Grunde gelegt. Fig. 1 zeigt die Elastizitätskurve; die eingeschriebenen Dehnungen (Gesamtlängenänderungen bei 35 cm Messlänge) sind in 11200 cm ausgedrückt. Der Versuch erstreckt sich bis 16,60 kg/qcm, während die Zugfestigkeit etwa 23 kg/qcm betragen mag. Die zu der Spannung 20,75 gehörige Dehnung ermittelt sich aus der Elastizitätsbeziehung ε = ασm zu 14,61200 cm. 1. Beispiel. r1 = 10 cm; r2 = 24,8 cm. Spez. Gew. γ = 2,34; Tourenzahl n = 1400. Die Elastizitätskoeffizienten werden so gewählt, als ob σ1 zwischen den Grenzen 20,75 und 12,45 kg/qcm liegen würde und σ2 den Höchstwert 6,55 kg/qcm entsprechend der Dehnung 3,21200 erreichte. Dann ergibt sich α1 = 4,46 β1 = 46500 α2=187000 Hiermit berechnet sich für verschiedene Werte von r die Tabelle:
r = 10,0 13,7 15,55 17,4 19,25 21,1 24,8 σ1 = 23,7 18,3   15,85 14,2 12,9 α2 =   0,0     3,76   4,12     3,95   3,41     2,58   0,0
Aus den Formeln, die sich durch Anwendung des Proportionalitätsgesetzes ergeben und die nach der Zeitschr. des Vereins deutscher Ingenieure 1897 S. 861 lauten: σ1=18 ω2γg.{3.(r12+r22+r12r22r2)r2} σ2=38 ω2γg.{r12+r22r2r12r22r2} folgen für die gleichen Abstände die Werte
σ1 = 24,9 18,8 15,69 13,5 11,7 σ2=   0,0     3,83 4,20   4,01 3,42 2,53   0,0
In Fig. 2 sind die Spannungen aufgetragen. Es ist ersichtlich, dass der Unterschied zwischen beiden Rechnungsarten nicht bedeutend ist. 2. Beispiel.
r1 = 2,5; r2 = 25 cm γ = 2,34; n= 1100.
Mit α1 = 2,6, β1 = 52500, α2=1105000 ergibt sich die folgende Tabelle:
r = 2,5 3,6 5 6 10 20 25 σ1 = 14,2 11,07 9,70 8,68 7,44 6,12 5,55.
Aus den Proportionalitätsbeziehungen ergibt sich dagegen:
σ1 = 14,89 11,02 9,25 8,64 7,56 6,03 5,10.
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Fig. 2
In Fig. 3 sind wieder die Spannungen aufgetragen. Auch hier ist der Unterschied sehr gering. Es liegt dies eben an dem Umstand, dass die Tangentialspannungen, die ausschlaggebend sind, die Null nicht durchschreiten. Die Radialspannungen spielen eine untergeordnete Rolle. Auffallend ist das starke Abfallen der Spannungslinie in der Nähe der grössten Spannung, besonders bei dem Beispiel 2 mit kleiner Bohrung. Eine Verstärkung des Steines in dieser Gegend dürfte hinsichtlich der Vergrösserung der Festigkeit sehr wirksam sein.
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Fig. 3
Ueber den Verlauf der Spannungslinie cr1 kann man allgemein und unabhängig von dem Elastizitätsgesetz aussagen, dass die Fläche DEFG (Fig. 2) eine bestimmte Grösse haben muss. Es ist nämlich, wenn man den Stein in einer durch die Drehachse gehenden Ebene durchschnitten denkt, r1r2σ1dr=12C, worin C die Zentrifugalkraft der Steinhälfte ist. r1r2σ1dr ist aber eben die Fläche DEFG; denkt man sich nun eine mittlere konstante Spannung σm derart, dass die Spannungsfläche ein Rechteck wird, dessen Inhalt =C2 ist, so lässt sich aussprechen, dass, wie auch immer die wirkliche Spannungslinie verlaufen möge, doch auf derselben Punkte liegen müssen, deren Spannung gleich σm ist. Die letztere ermittelt sich aus der Zentrifugalkraft der Steinhälfte zu σm=13 ω2γg.r23r13r2r1 Man muss hieraus schliessen, dass die Tourenzahl, bei welcher der Bruch des Steines beginnen wird, jedenfalls kleiner ist, als die Tourenzahl, die sich aus der letzten Formel mit σm = Zugfestigkeit ergibt. Hiermit stehen allerdings Versuche1), die in letzter Zeit angestellt sind, in stärkstem Widerspruch. Ganz abgesehenvon dem Einfluss der Elastizität des Materials, stellen sich diese Versuche somit in Gegensatz zu der bisherigen Erfahrung, indem sie eine bedeutend grössere Zugfestigkeit des Sandsteinmaterials liefern, als dasselbe thatsächlich besitzt. Ehe man jedoch hieraus weitgehende Schlüsse ziehen kann, wie den, dass Sandstein gegenüber Zugspannungen, die durch Zentrifugalkräfte bewirkt sind, eine mehr als doppelt so grosse Zugfestigkeit habe, als gegen Zugbeanspruchung in der Festigkeitsmaschine2), müssten doch zuvor weitere in anderer Weise und mit anderen Materialien anzustellende Versuche abgewartet werden.