Titel: | Die neue Turbinenanlage in Bellegarde. |
Autor: | Wilh. Müller |
Fundstelle: | Band 314, Jahrgang 1899, S. 50 |
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Die neue Turbinenanlage in
Bellegarde.
Von Wilh. Müller in
Cannstatt.
Die neue Turbinenanlage in Bellegarde.
Die Wasserwerksgesellschaft in Bellegarde (Departement de l'Ain) The Land and Water Power Co., Ltd., London, hatte bei
Erweiterung ihrer Kraftstation, hauptsächlich zu Stromabgabe für elektro-chemische
Industrie, in erster Linie örtlichen Verhältnissen und vorhandenen Einrichtungen
Rechnung zu tragen.
Textabbildung Bd. 314, S. 50
Turbinenanlage in Bellegarde.
Die Abmessungen des bestehenden Tunnelkanals für das Aufschlagwasser genügten; im
ganzen genommen handelte es sich bei dem Entwurf um folgende zwei wesentliche
Lösungen:
1. Sicherung voller Ausnutzung der Niederwassermenge der Rhone mittels eines
quer durch den Strom gelegten Fangdammes.
2. Bedachtnahme auf beschränkten Raum zwischen den bestehenden Werken und dem Felsen,
falls die Anlage im alten Flussbett der Valserine errichtet werden sollte. Bezüglich
Turbinen und Elektrogeneratoren zweckmässigste und wirtschaftlich günstigste Systeme
unter möglichst sparsamer Ausnutzung des verfügbaren Raumes und Berücksichtigung der
bereits bestehenden Bauten vorzusehen.
Die Dammanlage gab zu verschiedenen unter sich stark
abweichenden Vorschlägen Veranlassung, die der Begutachtung von Sachverständigen unterbreitet
wurden. Die Leitung der Gesellschaft, von Seiten der Maschinenwerkstätten in Vevey gebührendermassen unterstützt, beschloss,
die in Fig. 1
bis 3 dargestellte Anordnung auszuführen. Der
Zulaufkanal nimmt seinen Anfang an der Stelle, wo die Rhone, zwischen zwei
Felsenwände eingezwängt, sich ein schmales Bett ausgewaschen hat, in welchem der
Niederwasserspiegel bis auf eine Tiefe von etwa 12 m hinabsinkt.
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Fig. 3.Turbinenanlage in Bellegarde.
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Fig. 4.Stauwehr (Ansicht).
An dieser bei Niederwasser freien Stelle wurde der erste, d.h. obere Teil des
Wehrdammes – Oberkante in gleicher Höhe mit dem Strassenvisier – kreisbogenförmig
gebildet zwischen die Felsenwände angelegt, um dem Druck besser zu widerstehen. In
dem nach Art eines Brückenbogens ausgeführten Mauerwerk (Fig. 4 bis 6) sind Schlitze zum
Durchstecken von drei ⌶-Trägern frei gelassen, deren untere Enden sich auf den
felsigen Grund des Flussbettes stützen. Diese Eisenbarren hatten den Zweck, den an
dieser Stelle des Bauwerkes in reichlicher Menge versenkten grossen Felsblöcken und
Cement als Stütze zu dienen und den unteren Teil des Wehrdammes bilden zu helfen,
dessen Aufmauerung die Heftigkeit des Stromes nicht gestatte. Man ging dabei von dem
Gedanken aus, dass die vom Wasser mitgeführten festen Körper die zwischen den
künstlich geschichteten grossen Steinblöcken und Felsstücken frei gebliebenen
kleineren Oeffnungen nach und nach derart verstopfen, dass dadurch ein sich langsam
vollziehender genügender Abschluss erreicht wird, um der Forderung, das Kleinwasser
vollständig abzufangen, zu entsprechen.
Ausser dem Wehrdamm wurde die Wasserfassung noch durch eine mächtige beim
Tunneleingang aufgestellte Ablassfalle für Geschiebe vervollständigt, deren
Wirksamkeit mit Bezug auf letzteres eine überaus kräftige ist.
Alle diese Arbeiten wurden durch die Bauunternehmer Turquois
und Bergeron in Bellegarde während des Winters 1897 bis 1898 ausgeführt.
Das erzielte Resultat hat die Erwartungen weit übertroffen, indem sich der
Wasserspiegel im Kanal bei Niederwasser thatsächlich um etwa 2 m gehoben und dadurch
eine Gefällsvermehrung sich eingestellt hat, die künftig bei voller Ausnutzung der
Niederwassermenge einer Kraft von etwa 8000 gleichkommt.
Was die Aufstellung der hydraulischen Motoren betrifft,
so wurden nach Mitteilungen, welche wir der Direktion der Werkstätten in Vevey verdanken, Projekte von zwei Firmen, die im
Turbinenbau bewährten Ruf geniessen, einverlangt und dabei Krafteinheiten von 1200
und eine mit günstigem Wirkungsgrad übereinstimmende Umgangszahl
vorgeschrieben.
Das Projekt von Cachin, Direktor der Werkstätten in Vevey, hat fünf Turbinen, System Francis, mit ausgewuchteter, leicht zu bewegender
Abschützung vorgesehen. Das Eigentümliche und Vorzügliche des Cachin'schen Entwurfs besteht in den Ablaufkanälen der
Turbinen, indem dieser Ingenieur den sinnreichen Gedanken hatte, sie einfach in den
Felsen zu hauen. Cachin brachte für jede Turbine den
Durchstich eines Ganges mitten durch den Fels in Vorschlag, welcher nicht die Gefahr
in sich schloss, die Sicherheit der oberen Kanalmauer in Frage zu stellen, im
Gegenteil verbleibt derselben dadurch eine ausserordentlich feste Grundlage. Bei dem
anderen Entwurf wäre dies nicht der Fall gewesen, indem dabei bis zu einer Tiefe von fast 7 m
unter die Sohle dieser Mauer hätte gegangen werden müssen, überdies wären die
Turbinen bei Hochwasser für Ausbesserungen auch nicht zugänglich gewesen.
Diese unstreitigen Vorzüge haben zu Gunsten des Projektes der Werkstätten von Vevey entschieden und wurde diese Firma auch mit
Ausführung der Turbinen beauftragt.
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Fig. 5.Grundriss.
Der Gesamtplan zeigt die Anordnung der älteren und diejenige der neuen Turbinen mit
ihren Dynamos, woraus auch bezüglich der Kostenersparnis durch Anordnung des
Durchstichs nach dem besprochenen Projekt alles weitere ersichtlich ist.
Jede Krafteinheit setzt sich aus nachstehender Gruppe zusammen:
a) Fig. 7 und
8.
Turbine zum Antrieb einer Generatordynamo nach folgenden Berechnungsgrundlagen:
Nutzgefälle 11 bis 13 m, Wassermenge 11000 bis 9300 l in der Sekunde, Leistung 1200
bei 75% Nutzeffekt. Umgangszahl durch die Erbauer der Dynamo, Brown Boveri und Co. in Baden (Schweiz), mit 114
Umdrehungen in der Minute vorgeschrieben.
b) Fig. 9. Turbine für die Erregerdynamo: Nutzgefälle
11 m, Wassermenge 400 l in der Sekunde, Leistung 40 , Wirkungsgrad 75%,
Umdrehungszahl 400 bis 450 in der Minute.
Beide Turbinen sind nach dem Ueberdrucksystem gebaut, haben stehende Wellen und über
Wasser liegende Zapfen. Diejenige für 1200 nach dem System Francis, mit äusserer radialer Beaufschlagung
konstruiert, fasst drei übereinander gesetzte Schaufelkränze in sich, hat
durchbohrte Stahlwelle und Oberwasserzapfen, System Fontaine, der auf einer Standsäule ruht. Kräftige Lager, deren eines auf
dem Deckel des Leitrades, das zweite auf dem Deckel der Wasserkammer sitzt, und
endlich ein drittes unter der Verkuppelung der Turbinenwelle mit der Achse der
Dynamo angebracht, sichern eine vollständige Mittelpunktslage.
Die Abschätzung dieser Turbine besteht aus einem
ringförmigen Gitterschieber, der an der Eintrittsseite bewegt wird, da wo die
Leitschaufel eine der Einflussweite der Oeffnung entsprechende Verdickung aufweist,
für welche der bewegliche Ring das Oeffnen oder Schliessen entweder von Hand oder
unter Einwirkung des selbstthätigen Reglers bewerkstelligt. Die auf senkrechter
Welle aufgesetzte Hebel- und Schubstangenanordnung überträgt die Bewegungsrichtung
der Schütze auf den wegen leichter Einwirkung in unmittelbarer Nachbarschaft der
Dynamo aufgestellten Regler. Der Zapfen nach der von Fontaine herrührenden Anordnung erleidet folgenden Auflagedruck:
Gewicht des Laufrades und der Welle
10000
kg
Gewicht des sich drehenden Teils der Dynamo
20000
„
–––––––––
Zusammen
30000
kg
Da diese starke Belastung leicht eine Erhitzung des Zapfens und die Möglichkeit
längeren Stillstandes hervorrufen könnte, ist eine fast völlige Zapfenentlastung
versucht worden. Der Wasserdruck wirkt auf eine runde Scheibe, die hier das Prinzip
gleichmässiger Entlastung zur Ausführung bringt und zwar in eigenartiger Weise und
mit grosser Einfachheit der Mittel, da an Stelle einer besonders auf die Welle
aufgekeilten Druckscheibe solche in Gestalt eines den ganzen Umfang des Leitrades
überdeckenden Ringes an das Laufrad angegossen ist. Diese von Cachin angegebene, durch Schweizerisches Patent Nr.
14651 geschützte Einrichtung (Fig. 10) bewirkt seit
Ingangsetzung eine wirksame und dauernde Entlastung; die Zapfenkonstruktion wurde
derart ausgeführt, dass eine plötzlich eintretende Auswechselung der der Reibung
ausgesetzten Teile ohne weitläufige Arbeiten vor sich gehen kann.
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Fig. 6.Querschnitt.
Die 40pferdige, für die Erregerdynamo bestimmte Turbine
ist gleichfalls mit geschlossener Wasserkammer, jedoch nach dem System Jonval ohne Abschützung des Leitrades gleichfalls mit
senkrechter Welle ausgeführt.
Die Regelung erfolgt in Uebereinstimmung mit der grossen
Turbine durch eine am Anfang des Einfallrohres aufgesetzte Ventilhaube, der Ringzapfen am oberen Ende der Turbinenwelle ist
ebenfalls entlastet und zwecks leichter Ueberwachung durch das Bedienungspersonal
oberhalb der Dynamo aufgesetzt.
Die Beaufschlagung für jede Gruppe findet in den
bestehenden runden Kammern statt, an deren Eingang Rechen zum Aufhalten fester
Körper aufgestellt wurden. Starke Ringschützen sind bei der Einströmung in die
Turbinen vorgesehen; dieses Schützensystem bietet vermöge seiner Form den Vorteil,
bei jeder durch den Wasserdruck verursachten Belastung gleichgewichtig zu sein, ein
Gegengewicht hält der Last des beweglichen Ringes die Wage derart, dass die
Handhabung dieses Abschlussringes mittels des im Dynamosaal befindlichen Getriebes
ebenso leicht als rasch stattfinden kann.
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Francis-Turbine 1200 zum Antrieb einer Generatordynamo.
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Fig. 9.Jonval-Turbine 40 für die Erregerdynamo.
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Fig. 10.Zapfenentlastung, System Cachin.
Hier mag besonders bemerkt werden, dass nicht nur die Einströmung in die
Turbinen, sondern gleicherweise auch die Ausläufe mit ziehbaren Abschlüssen versehen
sind, um die Turbinen bei Hochwasser, falls der Eintritt ins Innere notwendig werden
sollte, völlig freilegen zu können. Aehnlich ist der Einlauf zu den Turbinen mit 40
durch eine Verschlussklappe abgeschützt; bei den Turbinen von 1200
schliessen starke Schützen den Eingang eines jeden der in den Fels getriebenen
Ablaufkanäle ab; grössere Mannlöcher erleichtern den Eingang in die Turbinengehäuse
und auch unter die grossen Turbinen (vgl. Gesamtplan Fig. 1 bis 3).
Selbstthätige Regelung. Der ungleiche Gang der
vorhandenen älteren Turbinen, aus einer Fehlerhaftigkeit ihrer Regler herrührend,
verursachte fortwährend Unannehmlichkeiten aller Art. Man gelangte deshalb zur
Ueberzeugung, dass die neuen Turbinen für jeden Gewerbebetrieb, der sich
möglicherweise darbieten könnte, geeignet sein müssten. Es war daher von höchster
Wichtigkeit, sie derart zu konstruieren, dass – unter Innehältung eines günstigen
Wirkungsgrades – dieselben eine dauernd sichere und genaue Regelung gestatteten.
Nach vorliegenden Berichten wäre dies auch völlig gelungen. Die Gleichmässigkeit des
Ganges soll den strengsten Anforderungen entsprechen, was mit Bezug auf die älteren
mit einem Hilfsmotor verbundenen hydraulischen Regulatoren besonders erwähnt sein
mag, deren Mangelhaftigkeit klar zu Tage trat und zur Einschaltung von Schwungrädern
Veranlassung gab.
Selbst bei schroffem Kraftwechsel bis zu 400 , d.h. 30% der Gesamtleistung,
sollen die Schwankungen dank des ausgleichend wirkenden grossen Ankergewichts 1% der
mittleren Geschwindigkeit nicht überschreiten. Das dem tachygraphischen
Geschwindigkeitsmesser eines Kraftabnehmers entnommene Schaubild (Fig. 11) lässt die Geschwindigkeitsänderung bei den
neuen Turbinen erkennen.
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Fig. 11.Schaubild der Geschwindigkeitsänderung.
Unmittelbar nach Ingangsetzung der ersten Turbinen- und Dynamogruppe liess die
Gesellschaft The Land and Water Power Co., Ltd.
Abnahmeversuche ausführen, deren Resultate in nachfolgendem Bericht verzeichnet sind
und augenscheinlich das vollständige Gelingen dieser neuen Anlage nachweisen.
Abnahmeprotokoll über eine Turbine
und dreiphasige Wechselstrommaschine von 1200
unter 11 bis 13 m Gefälle.
Bei den Versuchen waren die Erbauer der Turbine, die Maschinenwerkstätten in Vevey, durch Pfulg,
die Lieferanten der Wechselstrommaschine, Brown, Boveri und
Co., Baden (Schweiz), durch Aichele, die
englische Gesellschaft durch Direktor Draper und den
Elektroingenieur Bovy vertreten.
Ueber die angestellten Versuche geben nachstehende Einzelheiten Aufschluss.
Umdrehungeni. d. Minute
Ampère derErreger-maschine
ErreichteAnzahl Volt
Ampère aufeiner Strom-leitung
Kilo-Watt
115
136
2400
155
–
114
94
2000
178
–
116
92
2000
230
–
115
110
2140
255
940
Unter letzterer Spannung wurde 4 Stunden ununterbrochen gearbeitet und festgestellt,
dass die Erwärmung der Maschine eine kaum bemerkbare war: 20° über die umgebende
Luft in den Platten. Die Hauptwickelung an der elektrischen Maschine erwies sich
kaum etwas wärmer als vor dem Versuch, nur eine der Phasen war lauwarm geworden.
Dieser Umstand, in Verbindung mit dem Einfluss der Verteilung der Widerstände, die
der Anker verursacht, lässt schliessen, dass die geleistete Arbeit um etwa 100
grösser war als die gemessene, nur eine der Leitungen trug ein Ampèremeter
und eben diese war etwas weniger stark geladen. Aus der Temperatur der
Wechselstrommaschine nach Vornahme des Versuchs kann man schätzen, dass das
garantierte Güteverhältnis erreicht ist und die Maschine vollkommen
zufriedenstellende Stromkraft erzeugt. Es wurde noch ein Versuch mit entlastetem
Anker gemacht und dabei 2000 Volt und 500 Ampère mit 180 Ampère am Erreger, somit
ein vorzügliches Resultat festgestellt. Die Turbine mit senkrechter Welle hat sich
nach dem Urteil dieser Sachverständigen vortrefflich bewährt und unter 13,90 m
Gefälle eine Kraft von 1400 bis 1500 entwickelt. Die hydraulische
Entlastung arbeite zuverlässig, Lager und Zapfen hätten sich gut gehalten, der
Geschwindigkeitsregler habe trotz raschen Kraftwechsels entsprechend gewirkt und die
ganze Einrichtung in keiner Weise irgend eine Erschütterung bemerken lassen.
Schliesslich wäre noch hervorzuheben, dass die neue Kraftanlage seit Ingangsetzung
ohne irgend welche Unterbrechung zur Zufriedenheit der Besitzer arbeitet.