Titel: | Allgemeines.Biologische Metallographie. |
Autor: | Rr. |
Fundstelle: | Band 310, Jahrgang 1898, S. 157 |
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Allgemeines.Biologische
Metallographie.
Mit Abbildungen.
Biologische Metallographie.
Das Leben eines Metalles oder einer Legirung besteht in den Aenderungen, welche
dieselben während ihrer Fabrikation oder ihrer Verwendung erleiden. Temperatur und
Druck sind die Factoren, welche diese Aenderungen, ähnlich wie bei den Lebewesen,
hervorrufen, und da diese Aenderungen sich in endlichen Zeiträumen abspielen, so
muss auch die Zeit mit in Rechnung gezogen werden. Die Aenderungen, welche die
Structur eines Metalles und ganz allgemein seine Eigenschaften erleiden, wenn die
Temperatur mit einer gegebenen Geschwindigkeit sich ändert, sind zweierlei Natur.
Man unterscheidet die continuirlichen und die kritischen Aenderungen. Die kritischen
Aenderungen sind diejenigen, welche schroffe Aenderungen in den Beziehungen von
Eigenschaften und Temperatur anzeigen. Man weiss überdies, dass diese kritischen
Aenderungen eine plötzliche Aenderung der Energie bedingen, für die sie gleichzeitig
Anzeichen und Ursache sind.
Jedes Metall besitzt mindestens zwei kritische Punkte, den Schmelzpunkt und den
Verdampfungspunkt. Andere Körper, und zwar weit mehr als man gewöhnlich glaubt,
besitzen noch andere kritische Punkte, welche man als die Punkte der allotropischen
oder isomeren Veränderungen bezeichnet, je nachdem es sich um einfache oder
zusammengesetzte Körper handelt.
Wenn man reines geschmolzenes Eisen erstarren lässt und die jeweiligen
Temperaturen als Function der Zeit aufzeichnet, so wird die Curve drei
Unterbrechungen oder wenigstens drei Verzögerungen in dem Fortschreiten des
Erkaltens anzeigen; der erste Punkt liegt bei 1530° und entspricht der Erstarrung,
der zweite Punkt bei 860° und der dritte zwischen 750 und 700° liegende Punkt
entsprechen zwei allotropischen Zuständen; Fig. 1
zeigt den Verlauf der Curve.
Textabbildung Bd. 310, S. 157
Fig. 1. Abkühlung des Eisens.
Wenn man Gemenge mehrerer Bestandtheile in Betracht zieht, so zeigen diese Mischungen
ebenso viele Erstarrungspunkte als sie Bestandtheile besitzen. Ein Spiegeleisen mit
20 Proc. Mangangehalt hat zwei Erstarrungspunkte, den ersten bei 1085 °, den zweiten
bei 1050° (Fig. 2).
Textabbildung Bd. 310, S. 157
Fig. 2. Abkühlung des Spiegeleisens mit 20% Mg.
Trägt man von einer Legirung auf die Abscisse die Gewichtsprocente eines der Metalle
auf und als Ordinate die Temperaturen, bei welchen im Verlauf des Erkaltens vom
flüssigen Zustand an Wärme frei wird, so erhält man durch Verbinden der
entsprechenden Punkte die Schmelzcurven. Die Schmelzcurve für die Legirung des
Silbers mit dem Kupfer besteht aus zwei geneigten Aesten, die von den Schmelzpunkten
des Kupfers und Silbers ausgehen und sich bei der Temperatur von 770° schneiden
(Fig. 3). Ein dritter wagerechter Ast geht durch
diesen Schnittpunkt hindurch. Dies lehrt, dass das Kupfer und Silber weder eine
bestimmte Legirung, noch ein isomorphes Gemenge bilden. Wenn die gegenwärtig gültige
Theorie der Lösungen, wie sie besonders von Le
Chatelier aufgestellt worden, richtig ist, so entspricht der eine Ast der Curve dem
Erstarrungsbeginn des Silbers und der wagerechte Ast der gleichzeitigen Erstarrung
beider Metalle; je nach der Zusammensetzung der Legirung beginnt das im Ueberschuss
vorhandene Metall bei einer bestimmten Temperatur sich aus der Lösung auszuscheiden
und fährt fort, bis der flüssig gebliebene Theil noch 72 Proc. Silber und 28 Proc.
Kupfer enthält. In diesem Moment ist das Silber mit Kupfer und umgekehrt das Kupfer
mit Silber gesättigt und beide Metalle erstarren bei constanter Temperatur
gleichzeitig in Form eines mechanischen Gemenges. Es ist das die sogen. eutektische
Legirung, die einzige, deren Gussblöcke nicht saigern.
In den anderen Legirungen dieser Gruppe scheiden sich, je nachdem der Silbergehalt
grösser oder geringer als 72 Proc. ist, Silber- oder Kupferkrystalle aus, welche
sich vergrössern, bis der flüssig gebliebene Theil die verlangte Zusammensetzung
erreicht hat. Der eutektische Körper erstarrt sodann bei constanter Temperatur und
hüllt die Krystalle ein.
Textabbildung Bd. 310, S. 158
Fig. 3. Schmelzcurven von Legirungen aus Silber und Kupfer.
Trägt man vom Stahl als Abscissen die Gehalte an Kohlenstoff von 0 bis 1,6 Proc. auf
und als Ordinaten die Temperaturen, bei welchen die verschiedenen
Wärmeentwickelungen stattfinden, so erhält man eine Reihe von Curven, wie Fig. 4 zeigt. Die Aeste a3
b und a2
b stellen die allotropische Modifikation des Eisens
vor. Die zwei Aeste vereinigen sich zu einem einzigen be, wenn der Kohlenstoffgehalt ungefähr 0,2 Proc. überschreitet, und
dieser doppelte Ast schneidet im Punkt e einen anderen,
in entgegengesetzter Richtung geneigten. Schliesslich entspricht eine wagerechte
Curve a1
ea1, welche durch
erwähnten Schnittpunkt geht, den Punkt a der
Temperatur, jenseits welcher der Stahl härtbar ist. Der Durchgang durch den Punkt
a ist von einer zeitweiligen Ausdehnung des
Metalles, welche das regelmässige Schwinden desselben unterbricht, sowie von einer
zuweilen plötzlich auftretenden Wärmeentwickelung begleitet, welche selbst mit dem
Auge wahrnehmbar ist; diese Erscheinung bezeichnet man mit dem Namen Recalescenz.
Dem Schnittpunkt e der drei Aeste entspricht ein
Minimalkohlenstoffgehalt von 0,9 Proc. Man sieht, dass der allgemeine Charakter des
Diagramms genau dem Schmelzdiagramm der Silber- und Kupferlegirungen entspricht.
Andererseits haben die mikrographischen Untersuchungen dargethan, dass der Ast be einer Abscheidung von fast chemisch reinem
Eisen (Ferrit), der Ast ec einer solchen von Carbid
(Cementit) und der wagerechte Ast einer gleichzeitigen Ausscheidung beider
Bestandtheile (Fe3C) in Form abwechselnder Lamellen
entspricht (Perlit). Oberhalb der Curve bec stellt der
Stahl eine homogene Lösung von Carbid in einer allotropen Zustandsform des Eisens
vor; während dem langsamen Erkalten scheidet diese Lösung Eisen oder Carbid aus, je
nachdem sie mit dem einen oder anderen dieser Bestandtheile gesättigt ist.
Sie erreicht auf diese Weise eine stets constante bestimmte Zusammensetzung,
gleichviel, welches der Ausgangspunkt derselben ist, welcher Art die Zusammensetzung
der Legirung sei. Die Vorgänge spielen sich genau gleich ab, wie in flüssigen
Lösungen, und die allotrope Modifikation spielt hier dieselbe Rolle, wie dort der
Erstarrungspunkt. Die langsam abgekühlten Stahlsorten stellen daher entweder ein
Gemisch von Ferrit und Perlit, reinen Perlit oder ein Gemenge von Perlit oder
Cementit dar, je nachdem der Kohlenstoffgehalt geringer, beinahe gleich oder höher
ist als derjenige der eutektischen Legirung. So entsprechen denn diese Beobachtungen
genau den auftretenden Wärmeerscheinungen, und zwar so, dass die einen Resultate die
anderen hätten voraussehen lassen, wenn die Theorie über die Lösungen früher bekannt
gewesen wäre.
Wenn man den Stahl, statt ihn ruhig abkühlen zu lassen, in einer kalten Flüssigkeit
härtet, so werden die Veränderungen, welche sich bei langsamem Erkalten eingestellt
hätten, wenigstens zum Theil unterdrückt, weil sie nicht die Zeit hatten, in den
kurzen Temperaturintervallen sich abzuspielen. Der Kohlenstoff behält zum Theil die
Eigenschaft des in hohen Temperaturen gelösten Kohlenstoffs. Man sagt, dass er sich
im Zustand der Härtungskohle befinde, und da ein gelöster Körper das Vorhandensein
eines Lösungsmittels voraussetzt, so ist es nothwendig, anzunehmen, dass das Eisen
ebenfalls zum Theil seine allotrope Form beibehält, obwohl diese Ansicht sehr
bekämpft wird.
Textabbildung Bd. 310, S. 158
Fig. 4.
Die erwähnten Erscheinungen machen sich in der Structur geltend. Wenn man das Härten
oberhalb der Curve bec in Eiswasser ausführt, so
verschwinden Ferrit, Perlit und Cementit. Zwei Fälle können vorkommen, je nachdem
der Gehalt an Kohlenstoff geringer oder höher als derjenige der eutektischen
Legirung ist. Härtet man einen Stahl von 0,45 Proc. Kohlenstoffgehalt bei einer
Temperatur von 1050°. Der Beginn des Härtens ist durch den Punkt m in Fig. 4 gegeben. Man
erhält voraussichtlicheinen homogenen Körper, welcher aus Nadeln gebildet ist, die in ein und
derselben Gruppe unter sich parallel sind, welche Gruppen sich aber häufig parallel
zu drei Hauptrichtungen schneiden. Es ist das der Martensit. Alle übrigen
Bedingungen als gleichbleibend vorausgesetzt, werden die Nadeln des Martensit immer
kleiner, je mehr man sich der eutektischen Legirung nähert; die Härte steigert sich
gleichzeitig, bis sie das Maximum erreicht hat. Jenseits dieser Grenze bleibt die
Masse nicht mehr homogen. Ein Stahl von 1,5 Proc. Kohlenstoff, der bei 1050° (Punkt
n der Fig. 4) in
Eiswasser gehärtet wird, scheidet sich in zwei Körper. Der eine (Austenit) besitzt
die ganz auffallende Eigenschaft, sich durch eine Nähnadel ritzen zu lassen. Die
Härte nimmt also mit dem Kohlenstoffgehalt ab, wenn dieser Gehalt eine bestimmte
Grenze überschreitet.
Wenn man mit dem Härten wartet, bis die Temperatur sich unter bec abgekühlt hat, dabei aber immer über a1
e bleibt, findet man natürlich in dem gehärteten Metall
diejenigen Körper, welche sich schon beim langsamen Erkalten vor dem Beginn des
Härtens ausgeschieden hatten. So zeigt ein Stahl von 0,3 Proc. Kohlenstoff, der bei
720° gehärtet wurde (Punkt o in Fig. 4), weissen Ferrit neben gestreiftem Martensit;
ein Stahl von 1,24 Proc. Kohlenstoff, der bei 735° gehärtet wurde (Punkt p in Fig. 4), wird
Cementit enthalten, der bei der angewandten Beleuchtungsart schwarz und gegenüber
dem umgebenden Martensit in Relief erscheint. Unterhalb der Curve a1
c hat sich die Gefügebildung bereits vollzogen; ein
Härten bei diesen Temperaturen vorgenommen, würde ohne Wirkung bleiben.
Bisher ist der Einfluss des Druckes unberücksichtigt geblieben; er tritt stets auf
beim Schmieden der Stücke oder während des Erkaltens derselben in Folge der
Contraction der äusseren Schichten, welche sich zuerst abkühlen. Eine der Wirkungen
des Druckes ist die, dass er die kritischen Punkte erhöht oder vermindert, je nach
dem Sinn der dabei auftretenden Volumenänderungen. Die Schmelzpunkte worden dabei
viel weniger beeinflusst als die Punkte der molekularen Veränderungen. Mallard und Le Chatelier
haben auf diese Weise die isomere Modification des Jodsilbers um mehr als 100°
erniedrigt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass beim Härten der durch die Contraction
sowie durch die Zustands- und Volumenänderungen hervorgerufene Druck eine grosse
Rolle spielt. (Baumaterialienkunde, 1897 S. 66.)
Rr.