Titel: | Ueber Dampfkessel und Dampfkesselfeuerungen. |
Fundstelle: | Band 306, Jahrgang 1897, S. 148 |
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Ueber Dampfkessel und Dampfkesselfeuerungen.
Ueber Dampfkessel und Dampfkesselfeuerungen.
A. Wahl des Kesselsystems.
Die Frage über die Wahl des Kesselsystems kommt unter den Fachleuten noch immer nicht zur Ruhe, geschweige zur Erledigung.
Es scheint
sogar, als ob der Kampf zwischen Grosswasserrohrkesseln und engröhrigen Kesseln neuerdings an Heftigkeit gewinnen
wollte. Zwar wird
eine endgültige Entscheidung zur Zeit nicht zu erwarten sein, aber immerhin lohnt es sich, die Frage im Auge zu behalten
und die
Gründe für und gegen die streitenden Systeme zu erwägen. Die Zeitschrift des Vereins zur Ueberwachung von
Dampfkesseln äussert sich in folgender Weise zu der Frage „über die Vortheile und Nachtheile der
engröhrigen (Siederohr-) Kessel“:
Von dem Oberingenieur einer grossen süddeutschen Maschinenfabrik geht uns eine Auslassung zu Gunsten der Wasserrohrkessel
zu, welche
wir hier veröffentlichen wollen, wenn wir auch mit dem Verfasser nicht immer gleicher Meinung sind. Von verschiedenen
Fachleuten, wie
Vinçotte, Brüssel, Schneider, Berlin, Cario, Magdeburg, sowie von Hering, Augsburg, ist die Behauptung aufgestellt worden, dass die
sogen. Wasserrohrkessel (die engröhrigen Siederohrkessel) einen erheblich grösseren Beitrag zu den Dampfkesselexplosionen
stellen, als
ihrer Anzahl entspräche, und dass namentlich die Heizer besonders bei diesen Kesseln gefährdet seien.
Da diese Röhrenkessel eine beachtenswerthe Bedeutung gewonnen haben, so erachtet es der Verfasser für wünschenswerth, diese
Ansichten
näher zu klären. Er sagt:
„Die bei vielen Industriellen verbreitete Ansicht, dass die sogen. Wasserrohrkessel inexplosibel bezieh. vollkommen ungefährlich
seien, wird, wie uns Hering mittheilt, neuerdings widerlegt durch das vom kaiserl. statistischen Amt
herausgegebene Verzeichniss der Dampfkesselexplosionen während des Jahres 1894. Nach der angezogenen amtlichen Zusammenstellung
sind im Deutschen Reiche während des verflossenen Jahres 35 Kessel explodirt und dabei 12 Personen getödtet, 9 schwer
und 13
Personen leicht verwundet worden. Von diesen Explosionen treffen 12 oder genau 36 Proc. auf die sogen. 'Wasserrohrkessel',
was als
eine sehr hohe Zahl zu bezeichnen ist, wenn man berücksichtigt, dass in Deutschland die Anzahl der im Betriebe stehenden
Wasserrohrkessel verschwindend klein ist. Dass aber auch die bei den Wasserrohrkesseln auftretenden Explosionen
durchaus nicht
unschuldiger Natur sind, beweist der Umstand, dass bei den 12 Wasserrohrkesselexplosionen 4 Personen getödtet, 4
schwer und 2
leicht verwundet worden sind.“ Soweit die Mittheilung Hering's. In derselben ist lediglich die
Angabe der 35 Explosionsfälle, wobei 12 auf die engröhrigen Siederohrkessel, die sogen. Wasserrohrkessel, treffen,
und die Zahl der
dabei vorgekommenen Todesfälle und Verwundungen nach dem Bericht des kaiserl. statistischen Amts zuverlässig. Gleich
hier mag bemerkt
werden, dass im amtlichen Bericht ein Rauchrohrkessel unter Nr. 21 von 92 qm Heizfläche wohl irrthümlich zu den Wasserrohrkesseln
gerechnet ist, es vermindert sich daher die Zahl der explodirten engröhrigen Siederohrkessel um 1, also auf 11, wogegen
zu den 23 den
verschiedenen Systemen angehörigen Kessel 1 hinzukommt. Seitdem der Alban-Kessel – die Urform des Wasserkammerkessels – die
heutige Form mit prismatischen Kammern als Ein- oder Zweikammerkessel angenommen, hat der Wasserrohrkessel als Röhrenkessel
in
besonderem Sinne an Bedeutung gewonnen, und das Misstrauen, mit dem seiner Zeit dieses Kesselsystem aufgenommen ward,
ist nach und
nach verschwunden. Bei dem Bestreben, hohe Dampfspannung und hohe Kolbengeschwindigkeit in der Dampfmaschine zu verwenden,
hat der
Wasserrohrkessel feste Stellung im grossen Wettbewerb eingenommen, welche durch die Eigenschaft dieses Systems, grosse
Heizflächen auf
kleinen Grundflächen unterzubringen, namentlich für den Bau grosser, elektrischer Centralen, wo der Bauplatz theuer,
besonders wichtig
ist; so ist die Zahl der Wasserrohrkessel eine stattliche geworden. Welche hervorragende Rolle der Wasserrohrkessel
in Amerika spielt,
möge daraus erhellen, dass in den Vereinigten Staaten von der Heine Safety Boiler Co. in St. Louis allein
an grösseren Kesseln 1000 Stück für zusammen 200000 qm Heizfläche bis Mai 1894 aufgestellt sind, nicht gerechnet
die mindestens ebenso
zahlreichen anderen Wasserrohrkesselsystemen angehörenden Anlagen. Wie gesagt, auch in Deutschland hat sich das gegen
den
Wasserrohrkessel bestandene Vorurtheil gelegt, und namentlich bedienen sich die hervorragendsten Firmen der
Elektricitätsgesellschaften desselben, wovon die Kesselanlagen der elektrischen Strassenbahnen in Nürnberg, Breslau
u.s.w. ein
Beispiel geben. Wenn die dem Bericht des kaiserl. statistischen Amts hinzugefügten Bemerkungen Hering's
von dem hohen Procentsatz sprechen, der den Wasserrohrkessel an den vorgekommenen Explosionen trifft, trotzdem die
Anzahl der in
Deutschland in Betrieb stehenden Wasserrohrkessel eine verschwindend kleine sein soll, so ist dabei nicht berücksichtigt,
dass die 24
verschiedenen Systemen angehörenden explodirten Kessel zum Theil kleinere Heizflächen – insgesammt 1150 qm – aufweisen,
während die
von der Explosion betroffenen 11 Wasserrohrkessel zusammen 840 qm Heizfläche besitzen, wobei 31,4 Proc. der gesammten
35 Explosionen
auf die Wasserrohrkessel kommen; es stehen also 24 Kessel der verschiedenen Systeme mit zusammen 1150 qm Heizfläche
und 68,6 Proc.
Explosionsfällen 11 Wasserrohrkesseln mit zusammen 840 qm Heizfläche und 31,4 Proc. Explosionsfällen gegenüber, wodurch
das
Verhältniss für den Wasserrohrkessel sich günstiger, namentlich bezüglich der Beschädigungen an Menschenleben, gestaltet.
Auf 1150 qm
Heizfläche der verschiedenen Kesselsysteme treffen nämlich: 8 Todesfälle, 5 Schwer- und 11 Leichtverwundete. Auf
840 qm der
Wasserrohrkessel dagegen: 4 Todesfälle, 4 Schwer- und 2 Leichtverwundete. Eine Analogie für 1150 qm Heizfläche würde
ergeben:
Wasserrohrkessel: 6 Todesfälle, 5 Schwer- und 6 Leichtverwundete; Kessel verschiedener Systeme: 8 Todesfälle, 5 Schwer-
und 11
Leichtverwundete. Es würden also die Beschädigungen I an Menschenleben eher zu Gunsten als zu Ungunsten des I Wasserrohrkessels
sprechen. Die Zahlen für die in Deutschland in Betrieb befindlichen Wasserrohrkessel stehen uns augenblicklich nicht
zur Verfügung;
verschwindend klein sind diese aber sicher nicht, wenn man erwägt, dass nach den nur flüchtig zusammengestellten
Ziffern aus den
Lieferungsverzeichnissen der hervorragendsten Firmen Deutschlands für die Herstellung des Wasserrohrkessels im Deutschen
Reiche allein
etwa 3000 Stück mit zusammen 300000 qm Heizfläche in Betrieb stehen
müssen. Kein unter gespanntem Dampf stehendes Gefäss ist inexplosibel, also auch der Wasserrohrkessel nicht; der
Ausdruck
„inexplosibler Kessel“ ist gebräuchlich für die sogen. Glieder- oder Sectionalkessel, eine Abart des Wasserrohrkessels,
welche den bekannten gesetzlichen Bestimmungen bezüglich des Aufstellungsortes der Dampfkessel (siehe § 14 der Bestimmungen
über die
Anlegung von Dampfkesseln vom 5. August 1890) nicht unterliegen, übrigens im amtlichen Verzeichniss des kaiserl.
statistischen Amts
lediglich als „Engröhrige Siederohrkessel“ bezeichnet sind. Unsere Absicht kann es nicht sein, auf die Berechtigungsfrage des
in Rede stehenden Kesselsystems einzugehen. Vorstehende Darlegungen sollten lediglich bezwecken, die in der angezogenen
Mittheilung
Hering's enthaltenen Bemerkungen näher besprochen und zur Beruhigung der Freunde des
Wasserrohrkessels beigetragen zu haben.
Die Redaction der genannten Zeitschrift setzt noch hinzu, dass die Explosionen von engröhrigen Siederohrkesseln selten Schaden
an den
Gebäuden anrichten, in welchen sie aufgestellt sind.
Wir möchten übrigens darauf hinweisen, dass die Anwendung statistischer Angaben nicht ohne Bedenken ist und jedenfalls mit
grosser
Vorsicht vorgenommen werden muss. Wir erinnern nur an die Einsprüche, welche gegen die amtliche Erklärung des Wortes
„Kesselexplosion“ erhoben worden sind. So lange so wenig geklärte Ausdrücke in Gebrauch sind, wird man auf ernsthafte
Verwendung derartiger amtlicher Zahlen verzichten müssen.
Eine warme Verteidigung finden übrigens die Grosswasserkessel in einer Zuschrift von O. Knaudt an die
Redaction von Stahl und Eisen, die (unter Ablehnung der Verantwortlichkeit der Redaction) in der Nr. vom
15. September 1896 wiedergegeben ist. Eine Erwiderung von Dürr auf diese Aeusserung findet sich in
derselben Nummer. Wir werden, nach Lage der Sache, die weitere Lösung der Zukunft überlassen müssen.
B. Serpollet-Kessel.
Eine bedeutende Verbreitung haben die Serpollet-Kessel insbesondere bei Strassenbahnen gefunden.Vgl. 1895 297 * 106. * 126.
298 240. Wie aus Mémoires de la Société des Ingénieurs
civils, August 1895 (durch Organ für Eisenbahnwesen), zu ersehen ist, sind die ersten Versuche
mit einem Dampfkessel nach Serpollet im December 1893 auf einer Strecke des Pferdebahnnetzes „Paris
und Seine-Departement“ angestellt worden, wo sie zunächst jedoch wenig günstige Erfolge erzielten. Erst nach mannigfaltigen
Verbesserungen fanden die Kessel grössere Verbreitung. Ihre Hauptvorzüge sind Betriebssicherheit, sowie einfache
Handhabung und
leichte Anpassung an veränderliche Verkehrsverhältnisse, darauf beruhend, dass das Wasser stets nur in der zur augenblicklichen
Dampferzeugung nöthigen Menge eingespritzt wird und sich in den glühenden Röhren sofort in überhitzten Dampf verwandelt.
Der Kessel besteht aus zwei Gruppen Stahlröhren, deren erste unmittelbar über dem Roste wagerecht, die zweite dahinter lothrecht
gestellt ist. Mit Ausnahme der, der unmittelbaren Flamme ausgesetzten Reihe, deren Röhren ringförmigen Querschnitt
haben, und in
welche das Speisewasser eingespritzt wird, haben alle übrigen sichelförmigen Querschnitt. Letztere werden aus cylindrischen
Röhren in Gesenken in den sichelförmigen Querschnitt gepresst. Der mittlere Theil, sowie die beiden Endtheile einer
solchen Röhre
werden cylindrisch gelassen, jedoch gestreckt, so dass die beiden Schenkel leicht zusammengebogen werden können.
Die Schenkel erhalten
oben Gewinde, um die einzelnen Doppelrohre durch Krümmer zu verbinden. Letztere sind ausser Berührung mit den heissen
Gasen. Die Weite
des Dampf und Wasser enthaltenden Innenraumes dieser Rohrpaare ist sehr gering und wächst nach hinten von 1 bis auf
3 mm, wodurch dem
Zunehmen der Dampfmenge in den letzten Rohren Rechnung getragen wird. Gerade dieser Umstand und die Benutzung des
widerstandsfähigen
Querschnittes ist als wesentlich gegenüber früheren Ausführungen zu bezeichnen, bei denen zu Anfang eine Rohrweite
von 0,1 bis 0,2 mm
vorhanden war, welche wegen der grossen Reibungsverluste nur eine geringe Leistungsfähigkeit des Kessels zuliess.
Erfahrungsmässig
verstopfen sich die Röhren nie. Das Ganze ist zum Schutz gegen Wärme Verlust umkleidet. Der nöthige Zug wird durch
den Abdampf
erzeugt, der in die Luft ausströmt und die Fahrgäste möglichst wenig belästigt.
Die beiden Dampfcylinder liegen wagerecht und in Höhe der Achsmitte. Mittels Kurbel wird eine Vorgelegewelle angetrieben,
welche durch
Gall'sche Ketten auf eine oder beide Wagenachsen wirkt. Kessel und Triebwerk liegen meist an einem
Ende des zweiachsigen Wagens, doch befinden sie sich in einem Falle in einem vorderen Drehgestelle.
Die Speisung des Kessels geschieht, sobald zur Ingangsetzung der Maschine eine Handpumpe die erforderliche Wassermenge eingespritzt
hat, selbsthätig durch eine gekuppelte Pumpe.
Die Geschwindigkeitsänderungen erfolgen durch ein Reglerventil, welches die Dampfentwickelung hemmen kann, indem es das Speisewasser
nur theilweise zum Kessel lässt, dem anderen Theile jedoch gestattet, sofort wieder zum Saugbehälter der Pumpen zurückzufliessen.
Bei
vollständigem Abschlusse des Reglers erhält der Kessel die ganze Wassermenge, die Maschine arbeitet unter Hochdruck;
bei vollständiger
Oeffnung sinkt die Spannung sofort auf Null, der Wagen hält unter Zuhilfenahme der Bremse an.
Als einzige Sicherheitsvorrichtung ist ein Ventil vorhanden, das sich bei 20 at öffnet; jedoch beträgt der Druck bei Fahrt
auf
wagerechter Strecke nur 1,5 bis 2 at, auf starker Steigung 6 at und beim Anfahren 9 bis 10 at.
Der Verfasser beschreibt drei Bauarten der Serpollet-Kessel, von denen hier nur die Hauptabmessungen der gebräuchlichsten
ausgeführt
werden mögen:
Gesammtrohrlänge
25
m
Heizfläche
5,66
qm
Rostfläche
0,2835
qm
Cylinderbohrung
16
cm
Kolbenhub
15
cm
Durchmesser der Speisepumpe
5,0
cm
Hub der Speisepumpe
4,0
cm
Gewicht des leeren Wagens
8,5
t
„ „ beladenen Wagens (50 Personen)
12
t
Von diesen Wagen laufen neun auf der Linie Madeleine Gennevilliers. Das Gestell ist gebaut von Cail,
Maschinen und Zubehör von Garnier und der Wagenkasten von der Carrosserie
Industrielle.
Ausser den genannten Vortheilen der Betriebssicherheit und leichten Handhabung sind zu nennen einfache Unterhaltung und geringer
Verbrauch von Heizstoff, so dass sich nur 0,17 Fr./km für den Wagen
Betriebskosten für das Wagenkilometer ergeben, welche bei Verwendung eines angehängten Beiwagens nur um 50 Proc.
höher sind.
(Fortsetzung folgt.)