Titel: | Kriegswaffen auf der Ausstellung in Antwerpen und dazu Gehöriges. |
Fundstelle: | Band 294, Jahrgang 1894, S. 218 |
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Kriegswaffen auf der Ausstellung in
Antwerpen und dazu Gehöriges.
(Schluss des Berichtes S. 193 d. Bd.)
Mit Abbildungen.
Kriegswaffen auf der Ausstellung in Antwerpen und dazu
Gehöriges.
Das 6,5-mm-Daudeteau-Gewehr von 725 m
Anfangsgeschwindigkeit.
Von neuen Militärgewehren war auf der Antwerpener Ausstellung von der Société française des armes portatives das eben
genannte ausgestellt. Es ist dies eine Waffe, die jedenfalls Beachtung verdient. Ihr
Repetirmechanismus zeigt innige Verwandtschaft mit
dem des belgischen Mauser-Gewehres. Fünf Patronen werden aus einem oben in die Hülse
des geöffneten Verschlusses gesetzten Patronenhalter hinunter in ein tiefes, aus dem
Schafte herausragendes Magazin geschoben, auf dessen Boden eine nach oben drückende
Federvorrichtung liegt; sie sind hier über einander
gelagert. Der ursprüngliche belgische Patronenhalter scheint etwas zu leicht
construirt gewesen zu sein (beim spanischen Gewehr ist der Fehler abgestellt) und
deshalb bringt Daudeteau zwei andere Halter in
Vorschlag, einen, der dem des russischen Gewehres Fig. 1E (S. 194)
entspricht, und einen besonderen, dessen Beschreibung sich nicht lohnt, weil seine
Handhabung zu umständlich und sein Gewicht zu gross ist. Ueber dem Magazinkasten ist
oben rechts und links in der Verschlusshülse je eine Längsfeder mit Ansatz
angebracht; beide sollen mit Hilfe der Verschlussbewegung die Lage der obersten
Patrone so regeln, dass sie nicht eher vorgeschoben werden kann, bis der Lauf leer
ist. Als Verbesserung eines alten Repetirgewehres (mit Mannlicher-Mechanismus z.B.)
kann diese Einrichtung Werth haben, zur Einführung bei einem neuen Gewehre eignet
sie sich wohl weniger. Der ganze Repetirmechanismus Daudeteau's scheint durch den des spanischen Mauser-Gewehres überholt
worden zu sein.
Die sonstigen Verschlusseinrichtungen des Daudeteau-Gewehres entsprechen sehr dem des
französischen Gewehres; mit Rücksicht auf die im vorigen Hefte gegebenen Zeichnungen
heisst das: sie gleichen eher dem deutschen, als dem spanischen Repetirgewehr. Der
Verschluss ist klein, handlich, wahrscheinlich sehr haltbar und seine Construction
recht durchdacht. Als nebensächlich muss erwähnt werden, dass der Verschlusscylinder
in zwei Formen construirt ist: mit einem besonderen, festgeschraubten Kopf und mit
einem (nicht besonders eingesetzten) aus einem Stück; da in beiden Fällen der
Auszieher sich mit dem Verschlusse (also um den Patronenrand) bewegt, so ist der Unterschied
nicht sehr wesentlich. Der „dreieckige Ansatz mit der schiefen Fläche“ und
„der dazu gehörige Ausschnitt“ (coin d'arrêt und rampe héliçoïdale)
treten wie beim ersten Mauser-Systeme auf. Eigenthümlich sind die Abzugs- und
Auswerfevorrichtung; besonders hervorzuheben aber ist ein kleines Schienenstück
vorn auf dem Verschlusscylinder, welches mit einem Zwischenraum vor dem Fuss des
Knopfes steht. Die Vorderkante desselben lehnt sich beim Aufdrehen gegen eine
schräge Fläche hinten am Hülsenkopf, bewegt dadurch den Verschlusscylinder etwas
nach hinten und lockert die Patrone, sie versieht also auch die Thätigkeit, welche
beim deutschen Gewehr die vorderen Kanten der Klauen in
den schraubenartigen Ausschnitten der Hülse hatten. Das Zurückschieben während der
Drehung beginnt aber bei dem Daudeteau-Gewehr erst lange, nachdem das Aufdrehen
begonnen hat; die zur Rohrachse senkrechten Stützflächen der Klauen sind mithin sehr
breit und das Stützen ist sehr sicher. Ueberhaupt geht aus der in der Ausstellung
ausgelegten Beschreibung des Gewehres hervor, dass man auf Festigkeit und
Haltbarkeit des Verschlusses grossen Werth gelegt hat.
Fabrikation von Kriegswaffen.
Von den ausstellenden Firmen verdient eine namhaft
gemacht zu werden, weil sie in ganz besonderer Beziehung zur Geschichte der
Waffenfabrikation steht; es ist dies die Fabrique nationale
d'armes de guerre à Herstal (Lüttich). Die Herstellung der Gewehre hatte
früher in ganz anderer Weise stattgefunden, als sie jetzt stattfindet. Einzelne
geschickte Arbeiter erhielten die zu einem Gewehre gehörigen, mehr oder weniger
vorgearbeiteten Materialien und stellten daraus, oft unter starker Veränderung
einzelner Theile, die einzelnen Waffen zusammen. Die Theile zweier Waffen waren
durch diese Bearbeitung so verschieden geworden, dass sie fast nie umgetauscht
werden konnten. Die Massenfabrikation der Kriegswaffen in anderen Staaten hatte nun
zur Erkenntniss geführt, dass die Einführung eines neuen Herstellungsverfahrens
dringende Nothwendigkeit sei, wenn der Industriezweig der Waffenfabrikation nicht
untergehen sollte. Nach demselben sollten die Gewehre aus möglichst mit Maschinen
hergestellten, austauschbaren Theilen zusammengesetzt werden. Um diesen Gedanken
auszuführen, verbanden sich die hervorragendsten Waffenfabriken Belgiens und
gründeten die genannte Fabrique nationale d'armes de
guerre, deren erster grösserer Auftrag in der Lieferung einer
beträchtlichen Anzahl von Gewehren M./89 für den belgischen Staat bestand. Ob ohne
die Verbindung der Fabriken diese Lieferung in Belgien in gewünschter Weise hätte
ausgeführt werden können, erscheint fraglich.
Die Herstellung der nichtdeutschen Mauser-Gewehre liefert überhaupt treffliche
Beispiele für die Nothwendigkeit der Vereinigung einer Anzahl leistungsfähiger
Fabriken bei Herstellung neuer Kriegswaffen. Diese erfordern zu ihrer Construction,
ihrer Erprobung Einrichtungen von einer solchen Vielseitigkeit, dass sie nicht bei
einem Einzelunternehmer vorkommen können. Auf der anderen Seite ergibt die
Ausfuhrstatistik, welchen Nutzen Deutschlandvon der Vereinigung einer Anzahl von Gewehr-,
Patronenhülsen- und Pulverfabriken zur Herstellung der Mauser-Waffen gehabt hat. Da
alle Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass eine kräftige Weiterentwickelung der
Handfeuerwaffen folgen wird, so ist zu erwarten, dass ähnliche Vereinigungen
beibehalten oder neu geschaffen werden.
Ueber die Weiterentwickelung der Handfeuerwaffen wird in nächster Zeit ein
Versuchsschiessen der nordamerikanischen Marine mit 5,9-mm-Gewehren von mindestens
750 m Anfangsgeschwindigkeit aufklären; vielleicht führen auch die Bestrebungen der
Société française mit ihrem Daudeteau-Gewehr ein
hervorragendes Ergebniss in Bezug auf Anfangsgeschwindigkeiten herbei; es wird
behauptet, dass ein derartiges Gewehr jetzt schon 800 m Anfangsgeschwindigkeit
erreicht hat und auf 1000 m gebracht werden könne.
Verwerthung alter Kriegsgewehre.
Die Antwerpener Ausstellung gab eine kleine Andeutung von dem geringen Werthe, weiche
ausgeschiedene Kriegswaffen haben, in der für einzelne Liebhaber bestimmten
Preistabelle einer belgischen Waffenhandlung. (Für Händler werden diese Preise um
ein Vielfaches niedriger stehen.) Es kostete danach ein Zündnadelgewehr (Souvenir de
Sadowa) 6 Francs, Chassepot-Gewehr 8 Francs, Hahnschlossgewehr 9 Francs,
Steinschlossgewehr 12 Francs, Mauser-Repetirgewehr 1871/84 25 Francs.
Vielleicht sehr praktisch wird es sein, alte, ausrangirte, gezogene Gewehrläufe zu
Mitrailleusen gegen wilde Völker zu verwenden. Die Waffenfabrik Santon (Lüttich) hatte eine solche aus alten belgischen
Albini-Brändlin-Läufen ausgestellt.
Einige Leistungen der Gewehre sonst und jetzt.
Die Antwerpener Ausstellung brachte Darstellungen und Angaben über Durchschlagskraft,
Geschwindigkeit und Treffähigkeit alter und neuer Gewehre, von denen vielleicht
folgende bemerkenswerth sind:
Von belgischen Militärgewehren hatten
das
Steinschloss-gewehr1777 (A)
Percussions-gewehr1841 (B)
gezogeneGewehr1853 (C)
Albini-Brandlin-Gewehr1853/67 (D)
Mauser-Gewehr1889 (E)
Durchmesser der Laufbohrung
17,2 bis 17,5 mm
11 mm
7,65 mm
Geschoss
Kugel von 27 g
Langgeschossvon 32 g
Langgeschossvon 25 g
Langgeschossvon 14,1 g
Anfangsgeschwindigkeit
450 m
450 m
320 m
440 m
600 m
Höhenstreuung auf 100 m Entfernung
15 cm
13 cm
13,5 cm
4 cm
2,0 cm
Breitenstreuung auf 100 m Entfernung
7 cm
8 cm
9 cm
3 cm
0,7 cm
(Vgl. für letztere Angaben Fig.
3. Die Berechnung ist nach der deutschen Schiessvorschrift
ausgeführt.)
Auffallend ist der Rückschritt der Leistungen bei Einführung der ersten gezogenen
Gewehre. Die in Belgien zuerst eingeführten besassen indess eine bedeutend geringere
Treffähigkeit als die ähnlichen Gewehre anderer Staaten, weil sie ein schlechteres
Geschoss hatten (Minié-Geschoss ohne culot). Die
Leistung des heutigen spanischen Mauser-Gewehres mit 725 m Anfangsgeschwindigkeit
muss natürlich die des belgischen (mit 600 m) bedeutend übertreffen. Die
Weiterführung des Vergleiches würde aber den hier gestatteten Raum überschreiten und
muss daher unterbleiben.
Es ist übrigens schade, dass die obigen Versuche mit einer zu geringen Anzahl
von Schüssen ausgeführt worden sind, mindestens die doppelten Zahlen würden für ein
einigermaassen genügendes Ergebniss nothwendig gewesen sein.
Textabbildung Bd. 294, S. 218Fig. 3.Treffähigkeit von belgischen Gewehren (1777 bis 1889). Doppelt schade ist es aber vielleicht, dass kein Vergleichsschiessen mit
Bogen und Pfeilen stattgefunden hat; einmal, weil Belgien durch seine
Bogenschützenvereine leicht im Stande gewesen wäre, ein solches zu veranstalten, und
zum anderen, weil sonderbarer Weise die Treffähigkeit dieser alten Waffen,
Beobachtungen zufolge, sehr wohl in Vergleich mit den Schiesspulvergewehren vor 100,
ja sogar mit denen vor 40 Jahren gestellt werden kann. (Natürlich ist ein Vergleich
der Durchschlags Wirkungen, der Geschwindigkeiten sowie der Treffähigkeit über 100 m gänzlich ausgeschlossen.)
Bogen und Pfeile im heutigen Belgien.
Es würde eine grosse Unterlassungssünde sein, wenn bei einer Besprechung belgischer
Waffen die Bogen und Pfeile unerwähnt blieben. Ein kurzer Hinweis auf diese
Ueberbleibsel des Mittelalters, welche bis auf den heutigen Tag bei den Vlamen als
sehr beliebtes, nützliches Spielzeug in Benutzung geblieben sind, ist vielleicht
deshalb nicht ganz werthlos, weil er nicht nur eine Bedeutung für die Geschichte der
Waffen, sondern auch für die Völkerkunde und für den Unterricht in der Ballistik und
Physik hat.
Heutzutage bestehen in Belgien drei Arten von Gesellschaften, welche das Schleudern
von Geschossen durch die Federkraft von Bogen und Sehne als Sport betreiben.Die Vereine, welche
mit der Armbrust schiessen, sind am wenigsten
beachtenswerth, weil deren Geschosse nicht mehr Bolzen oder Pfeile sind, sondern mit
Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit eine Kugelform bekommen haben. Die Bogen
werden entweder zum Schuss in senkrechter oder zum Schuss in wagerechter Richtung
verwandt; nach dieser Schussart trennen sich die Vereine für das Bogenschiessen in zwei Arten (welche wenig Verkehr mit
einander pflegen); am zahlreichsten sind wohl die für den senkrechten Schuss gegen
eine Stange (tir à la perche). Die Bogen derselben sind
ungefähr 2 m (6 engl. Fuss) lang; würde in der Mitte der Sehne eine Zuglast von 40 k
angebracht, so hätte man die Grösse der Spannkraft, welche nöthig ist, um einen
Pfeil von 82 cm Länge in üblicher Weise fortzuschleudern. Diese Pfeile sind von
leichtem Holz, 6 bis 10 mm dick, haben statt der Spitze einen runden, nach vorn
breiter werdenden Ansatz von Hörn, dessen vorderste Fläche ein Kreis von 25 mm
Durchmesser ist. Hinten haben sie Federn, welche ähnlich schräg zur Achse stehen,
wie die Züge einer modernen Feuerwaffe zur Laufachse. Die Federn setzen die
geradlinig vorwärts getriebenen Pfeile in Rotation, indem sie die Luft in ähnlicher
Weise einwirken machen, wie die Flügel der nicht gehemmten Schraube eines
verankerten Schiffes das Wasser eines stark fliessenden Stromes. (Bei den mit einer
brisanten Sprengmasse gefüllten sehr langen Geschossen der Druckluftkanonen
[pneumatic dynamite guns], sowie bei den vor 40 Jahren versuchten Langgeschossen für
glatte Geschütze erzeugt der Luftwiderstand in gleicher Weise die Drehung.) –
Besonders hübsch ist es, den fliegenden Pfeil während der Augenblicke zu beobachten,
in welchen er seine Vorwärtsbewegung und seine Rotation ändert. Der Schwerpunkt
dieser Pfeile liegt auf ein Drittel der Länge, von vorn gerechnet. Zum Aufsetzen auf
die Sehne ist in der Abschlussfläche des Bodens des Pfeiles eine Rille angebracht,
die eine ganz bestimmte Richtung zur Stellung der Federn hat. Die Stangen, gegen
welche geschossen wird, sind 18 bis 20 m hoch; die Pfeile erreichen indess 60 bis 80
m Höhe.
Die Bogen der anderen Vereine, welche den wagerechten Schuss (tir au berceau) pflegen, sind leichter; sie schiessen auch leichtere,
kürzere Pfeile, welche nicht mit einer stumpfen Spitze, sondern mit einer
zugespitzten versehen sind. Einige Mitglieder dieser Vereine lassen die Federn so
schräg stellen, dass sie eine Drehung ergeben müssen, die grösser ist als die
mancher Feuerwaffen (sie haben also mehr als 30 Kaliber oder 6° Drall). Die
laubengangartigen Schussbahnen (berceaux) für diese Schiessen sind höchstens 33 m
lang; auf grössere wagerechte Entfernungen wird also zur Zeit nicht geschossen. –
Die Schuss weiten der für das Hochschiessen gebrauchten Bogen sind unter Benutzung
langer, spitzer Pfeile bei entsprechender Erhöhung ganz andere. Mit den jetzigen
stumpfen Pfeilen lässt sich schon eine Schuss weite von 200 m erreichen.
Neben Gründen der öffentlichen Sicherheit sind vielleicht auch noch andere für die
Ausführung dieser Schiessen maassgebend gewesen. So braucht der senkrecht in die
Höhe schiessende Schütze keine Rücksicht auf eine Krümmung der Flugbahn (also keine
„Erhöhung“) zu nehmen und der in wagerechter Linie schiessende braucht
bei 33 m Schussweite den Zielpunkt nicht weit vom Treffpunkt zu verlegen.
(Es ist eigenthümlich, dass amerikanische Naturvölker, selbst solche, welche nie
mit Europäern zusammengekommen sein können, wie die Schingu-Indianer in
Centralbrasilien, Pfeile mit schräg stehenden, Rotation erzeugenden Federn
gebrauchen. Aus der sorgsamen Ausführung dieser Pfeile [im Völkerkunde-Museum in
Berlin] ergibt sich, dass diese Völker eine Ahnung davon haben, dass durch die
Rotation die Flugbahn eines Pfeiles verbessert wird. Wenn dies der Fall ist, und
wenn ausserdem diese von der Cultur ganz unberührten Völker ausserdem noch andere
Kenntnisse von einer Flugbahn besitzen, wie z.B. über die Wahl des Haltepunktes,
über den Vortheil, den das Schiessen in die Höhe gewährt, so würde das ein Beweis
für die Intelligenz sein, wie ihn schlagender die Beschreibung der Ornamente, der
Töpfergebilde, der Webereierzeugnisse nicht liefern könnte. Da in Bezug auf
Erforschung der geistigen Entwickelung wilder Völker in neuerer Zeit deutsche
Forscher, wie Dr. von den Steinen [Brasilien] und Dr.
Baumann [Mondgebirge in Centralafrika], ein ganz
merkwürdiges Geschick entwickelt haben, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
dass wir über die Schiesskunst und die rohen ballistischen Kenntnisse wilder Völker
durch Expeditionen der Zukunft neue Aufschlüsse erlangen werden. [Jetzt steht
übrigens schon fest, dass die Schiesskunst der afrikanischen Naturvölker viel
geringer sein muss als die der amerikanischen, weil sie Einrichtungen zur Erzeugung
der Rotation nicht zu kennen scheinen.])
Die Einführung der in Belgien sehr beliebten, das „Kegeln“ oft ersetzenden
„Spiele mit Bogen und Pfeil“ würde bei uns nicht nur ein neues Vergnügen
schaffen, sondern, wie schon erwähnt, auch einen besonderen wissenschaftlichen
Nutzen gewähren. Mit Hilfe dieser sehr hübsch eingerichteten Instrumente kann man
die recht complicirten Erscheinungen einer Flugbahn deutlich sichtbar darstellen,
z.B. die fortschreitenden und drehenden Bewegungen in ihren steten Aenderungen der
Geschwindigkeiten, den Einfluss der letzteren, den der Erhöhungswinkel und des
Luftwiderstandes auf die Gestaltung dieser Bahn u.s.w. – Der Preis eines neuen,
starken Bogens ist etwa 22½ M., der eines Pfeiles 65 bis 100 Pf. Es dürfte sehr zu
bezweifeln sein, ob Hochschulen, Kriegsschulen oder Lehrerseminarien zur Zeit
nützlichere und vielseitigere Instrumente besitzen, als diese belgischen Bogen und
Pfeile sind.
Feldartillerie.
Belgisches Material.
Die belgische Regierung hatte auf der Antwerpener Ausstellung das zur Zeit bei
ihrem Heere eingeführte Feldartilleriematerial zur Darstellung gebracht. Dadurch
wurde die deutsche Industrie auch in Bezug auf Kanonen auf eine glänzende Weise
vertreten; waren doch die ausgestellten vier Feldgeschütze im offiziellen
Katalog durch eine staatliche Artilleriedirection als „bouches à feu du
système Krupp“ bezeichnet.
Da dies Material aber schon vor vielen Jahren eingeführt wurde, so kann es bei
einer Besprechung neuer Kriegswaffen nur wenig in
Betracht kommen, und zwar nur insoweit, als es Veränderungen erlitten hat. Von
diesen werden die der Geschosse hauptsächlich zu erwähnen sein. Während
dieselben früher vorspringende Kupferringe vorn und
hinten hatten, haben sie jetzt nur noch hinten
vorspringende, in die Züge sich pressende, die Drehungverursachende Ringe,
vorn aber solche, die nicht vorspringen, sondern lediglich centriren.
Schnellfeuerkanonen der
Feldartillerie.
Vor einigen Jahren hatte sich eine grosse schriftstellerische Bewegung erhoben,
welche die Behauptung aufstellte, es sei nöthig und möglich, die Leistungen der
Feldgeschütze beträchtlich zu steigern. Die Bewegung hatte solche Bedeutung
gewonnen, dass sich fast alle Geschützfabriken bewogen fühlten, mit einem oder
mehreren Modellen neuer Feldgeschütze an die Oeffentlichkeit zu treten. In
Antwerpen waren indess nur drei von diesen Neuconstructionen ausgestellt. Diese
und auch die meisten der nicht ausgestellten zeigen eine Neuerung, welche den
sogen. schweren Schnellfeuerkanonen der Marine entnommen ist; sie lagern das
Rohr so in seinem Schiessgerüst (Laffete), dass die rückwärts wirkende
Pulverkraft nicht stossweise wirkt, sondern mit Hilfe einer nassen
(hydraulischen) oder trockenen (Feder- und Scheiben-) Bremse einen kleinen
Rücklauf und dann mit Hilfe einer Feder einen kleinen Vorlauf erzeugt. Damit die
Laffete an der Stelle des Bodens bleibt, wo sie
aufgestellt ist, hat man entweder an ihrem hinteren
Ende (Laffetenschwanz) ein winkelförmiges, wie eine Pflugschar sich in den
Erdboden eingrabendes Eisenstück oder vorn an der
Achse eine Art Verankerung mit dem Erdboden angebracht. Bei dem von der Compagnie des hautes fourneaux St. Chamond
ausgestellten Geschütze sollte diese Verbindung zwischen Achse und Erdboden
ausserdem eine kleine wagerechte Drehbewegung der Laffete mittels einer Schraube
ermöglichen; bei einem von Cockerill (Seraing)
vorgeführten konnte das Rohr in der Laffete eine
derartige Bewegung machen. Bei diesen beiden Geschützen wollte man erreichen,
dass das Rohr nach jedem Schusse so genau wieder in seine frühere Stellung
zurückging, dass es beim nächsten wieder das Ziel traf, ohne aufs Neue gerichtet
worden zu sein. Da bei derartigen Geschützen die ganze Munition – Geschoss,
Pulver und Zündung – ähnlich wie bei den Gewehren in einer Messinghülse steckte
und durch einen Entzündungsmechanismus im Verschluss abgefeuert wurde, so
konnten sie unter günstigen Umständen so schnell hinter einander schiessen, dass
man ihnen die Bezeichnung „Schnellfeuergeschütze der Feldartillerie“
beilegte. Das „Schnellschiessen ohne Richten“ scheint indess nicht immer
günstige Ergebnisse gehabt zu haben; häufig nimmt die Kanone nach dem Schusse
die Stellung nicht wieder ein, welche sie vorher inne hatte. Wenn der Vor- und
Rücklaufmechanismus gut arbeiten soll, wird er sehr schwer und er vermehrt dann
das Gewicht des Geschützes so, dass entweder die Kräfte der Kanoniere und der
Zugpferde zur Bedienung und zum Transport nicht mehr ausreichen, oder dass die
Geschossleistungen so vermindert werden müssen, dass eine für genügend erachtete
Wirkung nicht mehr möglich ist. (Letzteres scheint bei dem erwähnten Cockerill'schen 7,5-cm-Geschütz mit nur 470 m Anfangsgeschwindigkeit bei nur 5 k Geschossgewicht der Fall gewesen zu
sein.)
Den neuesten Zeitungsnachrichten zufolge sind in Frankreich die Versuche mit
einem neuen Feldgeschütz beinahe oder gänzlich abgeschlossen und steht die
Einführung dieser kostspieligen Neuerung bevor. Entgegen der früheren Angabe
soll dieses Geschütz ein Schnellfeuergeschütz sein (also auch Metallhülsen für
die Pulverladung haben). Sollte letztere Angabe wahr sein, so werden sich
sämmtliche Grossmächte binnen Kurzem gezwungen fühlen, den grössten Theil ihres
bisherigen Feldartillerie-Materials als werthlos zu betrachten und ein neues,
dem französischen ähnliches anzuschaffen.
Massivrohr für 470 m
Anfangsgeschwindigkeit aus Martin-Siemens-Stahl.
Das von Cockerill ausgestellte Feldgeschütz dürfte
indess auch das Interesse weiterer Kreise erweckt haben, und zwar deshalb, weil
das Rohr aus einem Stück Martin-Siemens-Stahl
bestand, während das gleichkalibrige Geschütz des belgischen Staates mit viel
geringerer Geschwindigkeit (und Leistung) ein Rohr künstlicher
Metallconstruction (aus Tiegelgusstahl?) war. Aus dieser Thatsache kann man
unter anderen Schlüssen den ziehen, dass es doch
vielleicht seiner Zeit nicht unbedingt nothwendig
gewesen ist, für Feldgeschütze unter 500 m Anfangsgeschwindigkeit von der
einfachen, billigen Construction der Massivrohre abzugehen. (Für die
wahrscheinlich ungeheuer stark angestrengten Rohre der Zukunftsgeschütze hat
wahrscheinlich die künstliche Metallconstruction ihre Bedeutung nicht verloren.)
Stellt man neben diese beiden Constructionen noch die jetzt in England bei der
Feldartillerie (versuchsweise?) eingeführte Construction der Rohre mit
Drahtumwickelung (nach Longridge), so kommt man zu dem Schlusse, dass man über die
Festigkeit des Stahles, über seine Verwendung in Geschützrohren noch recht viele
Erfahrungen sammeln muss, und dass die jetzt herrschenden Ansichten noch lange
keine allgemein und ewig gültigen Grundsätze sind.
Munitionskasten aus
Aluminium.
Bei dem Cockerill'schen Feldgeschütze war die
Munition (wie oben beschrieben mit Messinghülsen)
in Kasten (à 6 Stück) aus Aluminium verpackt. Diese Kasten waren auf einem
Rahmen des Vorderfahrzeuges (der Protze) befestigt, über demselben befand sich
ein Gerüst, um Bedienungsmannschaften, Gepäck u.s.w. aufzunehmen. Die
Construction des Gerüstes und die Verwendung des Aluminiums als
Verpackungsmaterial an Stelle des Eisen- oder Stahlbleches sind jedenfalls
Gedanken, die eine Zukunft haben. – Ob aber nun die Munition 6-(oder
5-)stückweise in besondere Kasten verpackt werden muss, ist die Frage. Bei
Einführung der Kastenverpackung der bisherigen Feldgeschosse lag die Sache
anders. Damit ein Mann 6 bis 5 Schuss mit einem oder zwei Griffen an das
Geschütz bringen konnte, mussten die zugehörigen Theile in 1 bezieh. 2 Stücken
zusammengefasst sein; die damalige Trennung von Geschoss und Pulver machte das
nothwendig. Da von der in Messinghülsen verpackten Munition der Zukunft ein Mann
bequem 3, vielleicht auch 4 Schuss auf einmal ebenso schnell vom Fahrzeug an das
Geschützrohr schaffen kann, wie einen Kasten mit 6 (oder 5) Geschossen und einen
Tornister mit Pulver, so erscheint die Beibehaltung besonderer Transportkasten, selbst wenn sie auch aus leichtem
Aluminium sind, nicht gerade nothwendig.
Belagerungs- und Festungsgeschütze.
Belgisches Material.
Die in Antwerpen ausgestellten Geschütze dieser Gattung boten nur wenig Neues.
Sie gehörten bis auf wenigeAusnahmen zum Kriegsmaterial des belgischen
Staates, dessen 15- und 12-cm-Geschütze mit grossen Geschwindigkeiten den
deutschen bezieh. Krupp'schen sehr nahe stehen.
Eine kurze 15-cm-Stahlkanone entspricht der deutschen von Hartbronze.
Hervorzuheben ist vielleicht, dass alle Laffeten dieser Geschütze aus Stahlblech
gestanzt sind; bei der 15-cm-Ringkanone sind die Wandbleche mindestens 17 bis 18
mm dick und nicht nur deren Aussenränder umgebogen, sondern auch die Innenränder
besonderer dreieckiger, zur Erleichterung angebrachter Ausschnitte; stellenweise
sind Verstärkungen durch angenietete Platten hergestellt.
Die ausgestellten Mörser hatten nicht wie einige deutsche: Schraubenverschlüsse,
sondern sämmtlich Keilverschlüsse, und waren von Stahl; die von 15 cm
entsprachen den deutschen von gleichem Kaliber.
Neuartig war eine sogen. 21-cm-Haubitze in niedriger Laffete; das Rohr hatte auf
seinem äusseren Schildzapfenringe ausgedrehte Reifelungen und war beträchtlich
länger als das vom deutschen 21-cm-Mörser.
Der belgische Staat hatte mehrere Arten kleiner, für den Gebrauch in Festungen
bestimmter Schnellfeuergeschütze ausgestellt, welche den auf Schiffen
verwendeten sehr ähnlich sehen. Eine besondere Beschreibung dieser Geschütze
würde zu weit führen; ihre Einrichtungen sind im Allgemeinen bekannt (die
Brauchbarkeit der Hohlgeschosse feuernden 3- bis 6-cm-Kanonen für den Krieg zu
Lande wird vielfach bezweifelt).
12-cm-Belagerungskanone von
Canet.
Die Société anonyme des Forges et Chantiers de la
Méditerranée, d.h. die französische Gesellschaft, welcher der Ingenieur
Canet, Urheber des nach ihm benannten
Artilleriematerials, angehört, hatte eine 12-cm-Belagerungskanone von 26
Geschossdurchmesser Länge ausgestellt, welche sehr einfache Räder zeigte; es
waren dies gewissermaassen nur Radreifen mit Speichen und Nabe ohne alle
Holztheile. Diese Räder verdienen besonderer Erwähnung, weil sie in der
französischen Festungsartillerie vielfach gebraucht werden. Die Canet'sche Kanone zeigte ausserdem eine
eigenthümliche Achsenconstruction; da, leider, jedem Deutschen die nähere
Besichtigung derselben untersagt war, so ist es unmöglich, zur Zeit Genaueres
darüber anzugeben. Wahrscheinlich liegen der Construction Bestrebungen zu
Grunde, der Achse beim Rückstoss eine federnde Bewegung mittels eines
elastischen Achsfutters zu gewähren. Diese Bewegung würde in Verbindung mit
einer Erleichterung der Räder immerhin eine erhebliche Gewichtsverminderung der
Geschütze herbeiführen können.
12-cm-Feldmörser von
Schneider (Creusot).
Ein recht interessantes Geschütz war ein von der berühmten alten französischen
Firma Schneider et Cie. (Creusot) ausgestellter 12-cm-Mörser. Mittels einer hydraulischen
Brems- und einer Federvorrichtung hatte das Rohr Rück- und Vorlauf in der
Laffete; an dem hinteren Ende der letzteren war zum Festhalten der Stellung ein
schippen- oder pflugscharartig wirkendes Eisenstück angebracht, welches sich
beim Schiessen in den Boden eingraben soll. Das Geschütz ist eigentlich für die
Feldarmee bestimmt, und zwar wahrscheinlich zu denselben Zwecken, wie die
15-cm-Feldmörser anderer Armeen; die grosse Länge des Rohres (12½
Geschossdurchmesser), die grosse Anfangsgeschwindigkeit und das ziemlich grosse
Gewicht des Geschosses (300 m bezieh. 20 k) befähigen es dazu. Da das
ausgestellte Rohr die Nr. 318 trug, so sind vielleicht manche dieser Art im
Gebrauch, und vielleicht steht dieses Geschütz denen der französischen Feldarmee nicht ganz fern, welche vor 2 Jahren
bei den Manövern versucht worden sind.
Der sehr handliche Verschluss dieses Rohres zeigte ein zweimal unterbrochenes
Schraubengewinde, wie es der Amerikaner Gerdom
(1893 288 5) vorgeschlagen hat. Da ein Festschiessen
jedes Schraubenverschlusses leicht vorkommen und die Bedienung stören kann, so
dürfte zu überlegen sein, ob es bei Mörsern, deren
Munition in Messinghülsen liegt (wie es hier der
Fall war), nicht ausführbar und zweckmässig sein würde, diesen Verschluss durch
einen zu ersetzen, der dem der Mauser-Gewehre ähnlich ist, der also in zwei an
der Aussenwand eines Cylinders sitzenden Klauen besteht, welche sich mit der
rückwärtigen Kante auf die senkrecht zur Achse
stehenden Flächen zweier reifenartigen Vorsprünge in der Rohrwand stützen.
Schiffs- und Küstengeschütze.
Lange Kanonen mit geringer
Gasspannung oder kurze mit grosser?
Gebrauchsfähige schwere Schiffsgeschütze sind nur von der Firma Canet's ausgestellt worden, und zwar eine 80
Geschossdurchmesser lange 10,5-cm-Kanone und eine 48 lange von 15 cm.
Augenscheinlich wollte die Firma durch die Länge ihrer Geschütze auf das
grössere Publikum einen Eindruck machen. Indess demjenigen, der einigermaassen
die Entwickelung langer Kanonen verfolgt hat, besagen diese ausgestellten
Geschütze wenig, weil sowohl von Seiten der englischen und der französischen
Regierung und Armstrong's solche von viel grösseren
Längen und Leistungen hergestellt worden sind, nämlich 15-cm-Kanonen von 100 und
mehr Geschossdurchmessern.
Vielleicht ist es indess lehrreich für manchen Ausstellungsbesucher gewesen, zu
sehen, welche Nachtheile eine grosse Rohrlänge hat. Die 10,5-cm-Kanone ist vor
dem Schwerpunkte des Rohres etwa 6 m, hinter demselben ungefähr 4 m lang. Bei
einem ähnlich langen 15-cm-Rohr werden diese Zahlen 9 und 6 m sein. Denkt man
sich ein derartiges Rohr im Mittelpunkt einer Laffete liegend, deren Drehpunkt
sich senkrecht unter diesem Punkte befindet, so verlangt der hintere Rohrtheil
allein einen kreisförmigen Bewegungsraum von 12 m Durchmesser. Bei
Inbetrachtnahme des Vordertheiles erscheint diese Beanspruchung des
Schiffsraumes natürlich noch viel ungünstiger. Wenn die Lagerachse des Rohres
und gleichzeitig der Drehpunkt der Laffete nach vorn verlegt worden wären, wie
es beispielsweise bei schweren französischen Schiffsgeschützen geschehen ist, so
würde mit einer Drehung des Geschützes der Schwerpunkt des Schiffes in einer
recht störenden Weise verlegt werden. Da grössere Anfangsgeschwindigkeiten ohne Vermehrung der Rohrlängen sich durch grössere
Gasspannungen, d.h., durch Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Rohrwände gegen
den Druck der Pulvergase mittels Drahtumwickelung erzielen lassen, sohaben die englische
Regierung und Armstrong mehrere solcher Rohre (nach
Longridge) anfertigen lassen. (Diese Rohre sollen einem Drucke von 5000 at widerstehen,
während die bisher gebräuchlichen möglicher Meise
nur einen solchen von 3000 at ertragen können.) Die Fragen: Lange Kanonen mit
geringen Gasspannungen oder kürzere mit grossen? werden wohl in kürzester Zeit
zur Entscheidung kommen müssen; denn da die neuesten Ergebnisse der Treffen in
den ostasiatischen Gewässern gezeigt haben, dass die Artilleriewirkung
ausschlaggebend ist, so wird eine Erhöhung derselben durch Vergrösserung der
Anfangsgeschwindigkeiten die nächste Aufgabe der Artillerieconstructeure
sein.
Die Firma Canet's hatte ferner das Holzmodell einer
40 Rohrdurchmesser langen 32-cm-Kanone ausgestellt. (Dasselbe stand aufrecht in
der entferntesten, am wenigsten zugänglichen Ecke der betreffenden Abtheilung).
Dieses Rohr hat einige Bedeutung, weil ähnliche Rohre zur Bewaffnung der
japanischen Schiffe dienten, welche in der Schlacht am Yalu-Flusse theilgenommen
haben. Die in einer Ausstellungsschrift aufgestellte Behauptung der Firma, das
Rohr entwickele dieselbe Kraft, wie die gleichzeitig fertig gestellten
englischen und deutschen „40-cm-Geschützrohre von 100 und 120 t Gewicht“,
ist indess unrichtig. Es entwickelt
das Krupp'sche
42-cm-(Riesen-)Geschütz
19370
mt
und durchschlägt 127 mm Schmiedeeisen,
das englische 41,25-cm-(Armstrong-) Geschütz
17560
mt
und durchschlägt 119,5 mm Schmiedeeisen,
das Canet'sche
32-cm-Geschütz
11238
mt
und durchschlägt 119,5 mm Schmiedeeisen.
Mit mehr Berechtigung hätten die Krupp'schen 30,5-cm-Kanonen mit diesen Canet'schen von 32 cm verglichen werden können.
Die Firma Canet's war bekanntlich bei der ersten
Construction von schnellfeuernden Schiffsgeschützen, deren Rohr in der Laffete
einen Rück- und Vorlauf hat, stark betheiligt, und vielleicht gerade dadurch hat
sie sich in der Pariser Ausstellung von 1889 einen grossen Namen in der
französischen Waffenindustrie erworben. Von schnellfeuernden Laffeten waren in
Antwerpen zwei ausgestellt, eine ältere von 1888/89
und eine neuere (à chàssis oscillant, letztere ist
1892 285 52 skizzirt). Eine Beschreibung derselben
kann hier nicht gegeben werden, weil sie zu weit führen oder Bekanntes
wiederholen würde.
Von grösseren Küstengeschützen war noch ein sogen. Verschwindungsgeschütz
ausgestellt, d.h. ein solches, bei welchem das Rohr auf Trägern gelagert ist,
die beim Schusse zurückklappen und dabei eine Feder- oder Luftdruckkraft
aufspeichern, wodurch das Rohr später in einem gewollten Zeitpunkte wieder
aufgerichtet werden kann. Diese Laffete wird mit ihrem Untersatz hinter hohen
Wällen aufgestellt, und nötigenfalls mit einer Stahlplatte gegen Shrapnelfeuer
noch überdeckt. Für eine Küstenvertheidigung, die kein Mörserfeuer zu erwarten
hat, mag ein derartiges Geschütz Werth haben, für den reinen Landkrieg wohl
nicht.
Verschlüsse.
Fasst man das zusammen, was die Ausstellung an Verschlüssen für schwere Rohre zeigte,
so ergibt sich nicht viel Neues. Der Keilverschluss für Schiffs- und Küstengeschütze
mit grossen Anfangsgeschwindigkeiten war deshalb nicht vertreten, weil Krupp nicht ausgestellt hatte. Die Firma Canet's hatte ausser den Schraubenverschlüssen der
beiden oben erwähnten langen Kanonen noch einige Modelle von derartigen Verschlüssen
ausgestellt. Die meisten derselben hatten (die bekannten) Einrichtungen, um durch
eine einzige Bewegung eines gelenkartig gebrochenen Hebels den Verschlusscylinder
zunächst aus dem Gewinde zu drehen, dann rückwärts zu bewegen und mit seinem
Thürrahmen aus dem Rohre herauszuschwenken. Die Verschlüsse werden meist mit
Einrichtungen zum elektrischen Abfeuern und zum Abfeuern mit der Hand versehen;
ausserdem sind Sicherheitsvorrichtungen angebracht, welche ein unbeabsichtigtes
Losgehen eines Schusses ausschliessen. Die Verschlüsse der Geschütze, welche
Metallhülsen für die Pulverladung haben, sind natürlich mit Auszieher versehen.
Armstrong hatte ein kleines Verschlussmodell für schwere
Geschütze ausgestellt, welches zwar nicht neu war, da es schon vor 3 Jahren auf der
Londoner Naval Exhibition vorgeführt wurde, das aber doch vielleicht eine Erwähnung
verdient. Hier hat der Verschlusscylinder vorn eine konische, hinten eine
cylindrische Form und die Gewinde sind so ausgeschnitten, dass die Gewindesegmente
des konischen Theiles vor den weggenommenen des cylindrischen liegen. Der Verschluss
lässt sich auch mit einem Griff wie der Canet'sche
öffnen und die Einrichtung basirt auf ähnlichen Grundsätzen wie dieser, nur ist die
Ausführung eine etwas andere.
Armstrong scheint bei einigen Rohren die Verschlüsse so
eingerichtet zu haben, dass sie durch den Rücklauf, der durch die Wirkung der
Pulvergase nach hinten erzeugt wird, zuerst geöffnet und dann geschlossen werden;
die letztere Bewegung wird durch eine Feder bewirkt, welche durch die erste Bewegung
gespannt und dann festgehalten wird; das Freimachen der Feder wird später durch
Einführung der Munition hervorgerufen. Die erste derartige Einrichtung hatte Maxim im J. 1891 auf der Londoner Naval Exhibition
vorgeführt. Die Ausführung dieses Gedankens scheint sich indess bis jetzt noch nicht
bewährt zu haben.
Die Verschlüsse für die Schiffskanonen von 8 cm abwärts bieten eine wahre Musterkarte
von Constructionen dar; die meisten bis zu 3,7 cm Durchmesser abwärts, sind
Keilverschlüsse der verschiedensten Art. Die von diesem Kaliber abwärts bis zu dem
der Gewehrgeschosse bringen ihre Munition zum Laden selbsthätig heran (automatische
Geschütze oder automatische Gewehre von Maxim oder von Skoda).
Eine Beschreibung aller Verschlüsse, welche in Antwerpen ausgestellt waren, würde
wenig allgemeines Interesse gewähren.
Geschosse und Hülsen.
Geschosse und Hülsen für Marinegeschütze füllten einen grossen Theil des Antwerpener
Ausstellungsraumes. Von ersteren waren die mit dünnen (Stahl-) Wänden sehr
bemerkenswerth, welche Schneider (Creusot) ausgestellt hatte. Einige derselben waren
künstlich plattgedrückt oder verbeult, um die geringe Dicke und die Güte des
Materials zu zeigen.
Hülsen waren für Geschütze von 15 cm Kaliber bis zum kleinsten vorhanden; die meisten
bestanden aus Messingoder einem anderen Gelbmetall, Cockerill und
auch andere Fabriken hatten einige aus Aluminium ausgestellt; die Brauchbarkeit der
letzteren „soll noch nicht vollständig ausgeschlossen sein“.
Verbesserung der Geschwindigkeitsmessung.
Bekanntlich ist die Entwickelung der heutigen Schusswaffen hauptsächlich dem
Geschwindigkeitsmesser (Chronograph, Chronoskop) von le
Boulengé zu verdanken (1893 288 26); da dieses
Messinstrument aus Belgien stammt, so war anzunehmen, dass es ein hervorragender
Gegenstand der Antwerpener Ausstellung bilden würde. Diese Hoffnung wurde etwas
enttäuscht. Belgien selbst hatte zwei gebrauchte Apparate ausgestellt und die Fabrik
Canet's einen dritten mit Verbesserungen des
französischen, durch ballistische Untersuchungen bekannten Generals Sébert. Ausserdem war ein besonderer Apparat
(comparateur régulateur) nebst einer Ausarbeitung von A. und
V. Flamache ausgestellt, durch welche die Fehler der Chronographen regulirt
werden sollen. Leider war die Besichtigung der Einrichtungen des Generals Sébert den Deutschen verboten und sie können aus diesem
Grunde hier noch nicht besprochen werden; die ziemlich ausgedehnte Arbeit der Herren
Flamarche, in einem Aktenstück des
Artillerie-Commandos von Antwerpen enthalten, musste in einer halben Stunde
durchgelesen werden; eine genaue Kenntnissnahme derselben war später unmöglich, weil
sie aus der Ausstellung für eine lange Zeit entfernt wurde. Das Nachstehende kann
deshalb vielleicht Lücken und kleine Irrthümer enthalten (für die um Nachsicht
gebeten wird).
Der Geschwindigkeitsmesser von le Boulengé beruht
bekanntlich auf der Messung der Zeitdauer von einer Stromunterbrechung zu einer
anderen; man lässt zu dem Zwecke ein Geschoss durch einen Draht schlagen und eine
Stromunterbrechung erzeugen, welche einen Stab fallen macht; weiterfliegend schlägt
dann das Geschoss durch einen zweiten Draht und unterbricht einen anderen Strom,
dadurch den Anschlag eines federnden Messers gegen den fallenden Stab verursachend.
Aus dessen Fallhöhe lässt sich nun mit Leichtigkeit die Zeit berechnen, welche der
Geschossflug zwischen beiden Drähten gebraucht hat, wenn der Widerstand im Apparat bekannt ist. Ein besonderes Verfahren, die gleichzeitige
Trennung (Disjunction) beider Ströme im Apparat, zeigt
ihn durch Markiren der Zeit an, welche der Stab durchläuft, bis das Messer ihn
trifft.
Den Angaben auf der Ausstellung zufolge scheint man die Stromunterbrechungen in
Belgien bei Gewehren auf m 0 und m 50 vor der Waffe für kleinere Geschwindigkeiten,
auf m 0 und m 100 für grössere zu legen. Um die Geschwindigkeiten verschiedener
Geschosse zu vergleichen, braucht man dann eigentlich nur die Flugzeiten für ein und
dieselbe Unterbrechungsstrecke in Betracht zu ziehen (also z.B., um einen bequemen
Rechnungsausdruck zu gebrauchen, die für t(0 bis 50)). Augenblicklich noch scheinen die
Messungen der Flugzeiten durch die le Boulengé'schen
Apparate ziemlich ungenau zu sein. Es soll dies z.B. auf den elektrischen
Ausstellungen in Paris 1881, in München 1882 und in Wien 1888 gezeigt worden sein.
Oft soll eine Messung auf einer längeren Unterbrechungsstrecke bei ein und derselben
Geschwindigkeit eine kleinere Flugzeit ergeben wie auf einer kürzeren. Die Herren
Flamarche geben dann zum Vergleich Ergebnisse eines
dänischen Messapparates à roue phonétique mit einem von le Boulengé. Danach hat bei denselben Schüssen gemessen der Apparat
Im Mittel
à roue phonétique
1420
1408,8
1408,8
1420
1404,4
Fuss
le Boulengé
1402
1389
1396
1404
1397,75
„
–––––––––––––
Der erstere hat also mehr
gemessen
16,75
Fuss.
Aus den Zahlenreihen ergibt sich, dass die Differenzen der Einzelmessungen von ihrem
Mittel abweichen
bei
ersterem
Apparat
um
+ 5,6
– 5,6
– 5,6
+ 5,6
Fuss,
„
letzterem
„
„
+ 4,25
– 8,75
– 1,75
+ 6,25
„
Aus diesen Angaben, besonders aus den letzten beiden Zeilen wird nicht jeder Leser
auf die Ueberlegenheit des dänischen Apparates schliessen; im Gegentheil, Jemand,
der viel gemessen hat, wird sagen: die dänischen Angaben sind entweder das Ergebniss
eines ganz aussergewöhnlichen Zufalles (von vier Messungen je ein Paar + 5,6 und ein
Paar – 5,6) oder aber sie sind nicht einwandfrei; in jedem Falle werden sie erst
durch eine Wiederholung glaubhaft gemacht werden müssen. (Ein Mathematiker, dem die
dänischen Versuche zur Verfügung stehen, wird wahrscheinlich die
Unwahrscheinlichkeit derselben rechnerisch beweisen können. Trotzdem die obigen
Zahlen gar keine Beweiskraft haben, dürften die Folgerungen der Herren Flamarche, dass versucht werden muss, die Messungen der
Apparate von le Boulengé zu verbessern, allgemeinen
Beifall finden.)
Der ausgestellte „comparateur régulateur“ bestand im Wesentlichen aus einer
Stahlkugel, die an einem Elektromagneten hing, durch den derselbe Strom lief, wie
durch den ersten Stab des zu untersuchenden le Boulengé-Apparates. Eine Unterbrechung rief also den Fall der Kugel und den
dieses Stabes hervor. Durch einen luftleeren Raum fiel nun die Kugel auf ein
federndes Lager und erzeugte dort ebenso eine zweite Unterbrechung wie in dem zu
untersuchenden Apparate. Wenn dieser nun dieselbe Fallzeit gehabt hätte, wie der
„comparateur“, dann wäre sein richtiges Arbeiten erwiesen gewesen,
andernfalls eine Berichtigung nothwendig geworden. – Der Gedanke, einen Strom in
zwei Apparaten unterbrechen zu lassen, erscheint recht praktisch. Ob es aber
empfehlenswerth ist, eine Kugel als fallenden Körper zu
wählen, dürfte fraglich sein. – (Vielleicht liesse sich schon ein nützlicher Anhalt
für mehrere zu untersuchende le Boulengé-Apparate gewinnen, wenn in ihnen ein gemeinsamer Strom die erste; ein zweiter die andere
Unterbrechung erzeugen würde: gleiche Messungen würden dann die Güte der Apparate
beweisen.)
Es muss hervorgehoben werden, dass manche Rechner die durch die Apparate wirklich
ermittelten Flugzeiten in einer durchaus nicht zu
rechtfertigenden Weise weiter zu Geschwindigkeiten
verarbeiten. Ist z.B. die Flugzeit t zwischen den
Unterbrechungsstellen m 0 und m 50 (mit t0–50) ermittelt, so pflegt man hieraus (ohne Fehler zu begehen) die mittlere Geschwindigkeit zu
berechnen \left(=\frac{50}{t_{0-50}}\right). Dann aber wird meist
der grobe mathematische Fehler begangen, diese mittlere
Geschwindigkeit (während 50 m) als Geschwindigkeit im
mathematischen Sinne
\left(\frac{d\,s}{d\,t}\right) für den Halbirungspunkt m25 zu bezeichnen (=
v25). Der Fehler
rührt von einer mangelhaften Berücksichtigung des Luftwiderstandes her und macht
sich jetzt schon beim kleinkalibrigenGewehre mit mindestens 600 m Anfangsgeschwindigkeit
bemerklich; er wird beträchtlich mit der Verminderung des Kalibers und der
Vermehrung der Geschwindigkeit wachsen. Es ergibt sich dies beispielsweise aus
folgender Ermittelung aus Versuchsergebnissen mit dem 6,5-mm-Mannlicher-Gewehr. Das
Geschoss desselben hat vor der Mündung auf
100
75
50
25
0
m
eine Geschwindigkeit
von
646
662,5
682
704,5
730
m
diese nimmt also ab
um
16,5
19,5
22,5
25,5
m,
d.h. auf den vierten 25 m 9 m weniger, als auf den ersten.
Berechnet man mit Hilfe zweier Differenzenreihen die Geschwindigkeit für jedes Meter
der ersten 50 und trägt man dann diese Werthe mit gleichen Abständen senkrecht auf
einer geraden Linie ab, so sieht man sofort, dass die Linie, welche die
25-m-Geschwindigkeit vorstellt, gar nicht auf \frac{50}{2}=25\mbox{
m} liegen kann, sondern dass in diesem Falle die Werthgrösse für
„v25“
zwischen 23 und 24 m liegen muss. – Wer den Weg (s)
eines mit ungleichförmiger Geschwindigkeit sich bewegenden Körpers durch 2 dividirt
und dann annimmt, an diesem Halbirungspunkt sei die mathematische Geschwindigkeit
\left(\frac{d\,s}{d\,t}\right)= der mittleren
\left(\frac{s}{t}\right), macht denselben Fehler, als wenn er
sagt: Der Eisenbahnzug Frankfurt-Livorno hat nahe beim achten Kilometer hinter
Göschenen im Gotthard-Tunnel seine mittlere Geschwindigkeit, weil dort die Mitte des ganzen Weges ist.
Eine Zeitlang hat man versucht, die für eine bestimmte Strecke gemessene Flugzeit für
einen Punkt zu berechnen, der dicht vor der Waffe liegt; den sich ergebenden Werth
nannte man „v0“.
Hervorragende Ballistiker, wie der österreichische Oberst v.
Wuich, haben die Ansicht, dass diese Rechnungen willkürliche, nicht
empfehlenswerthe sind. Es fragt sich nun, ob diese „unsicheren Rechnungen“
nicht durch andere, allgemein als maassgebend anerkannte ersetzt werden können, wenn
genau arbeitende Messapparate zu Gebote stehen. – Theoretisch muss ein solcher
Apparat im Stande sein, den Luftwiderstand auch auf den kleinen Strecken zu
bestimmen, auf welchen die Flugzeiten für die sogen. Anfangsgeschwindigkeiten
gemessen werden. Würde man z.B. durch sorgfältig ausgeführte Reihen von
Schüssen:
t
150–200
t
40–90
t
100–150
t
30–80
t
50–100
t
20–70
t
0–50
t
10–60
ermitteln, so bekäme man für diese acht Strecken acht Flugzeiten. (Es sind so viele Strecken zu wählen, weil
vielleicht einige unbrauchbar sind, z.B. durch die Wirkung der Pulvergase vor der
Mündung.) Man gewinnt günstigen Falles daraus die Flugzeiten von vier auf einander
folgenden Strecken von je 10 m (ungünstigen Falles die von drei oder vier von je 50
m) und nimmt nun die Wahrscheinlichkeit zu Hilfe, dass sich die gemessenen
Flugzeiten der auf einander folgenden Strecken ähnlich verhalten, wie die der
einzelnen Meter innerhalb einer Strecke. (Je kleiner die Strecke, d.h. je besser die
Messung, desto richtiger gestaltet sich die Behauptung; den Grad der
Richtigkeit zu bestimmen, würde besondere Aufgabe der Mathematik sein). Man gelangt
so zur Flugzeit des ersten Meters und hat damit schon,
wörtlich genommen, die wirkliche
Anfangsgeschwindigkeit. Da diese aber bei den heutigen Gewehrgeschossen und denen der nächsten
Zukunft im höchsten Falle 1 m kleiner ist, als der Differentialquotient der
Geschwindigkeit am Anfange (des ersten Meters) der Flugbahn, so braucht man nur zu
der gefundenen Zahl 1 zu addiren, um den grössten Werth zu erhalten, den die
Anfangsgeschwindigkeit haben kann \left(\mbox{also
}v_0=1+\frac{1}{t_{0-1}}\right). Eine Untersuchung, ob für die erste
„1“ nicht ein genauerer Werth genommen werden muss, erscheint
augenblicklich noch nicht nothwendig; ob es vielleicht rathsam ist, an Stelle der
Flugzeit des ersten Meters die eines weiter rückwärts gelegenen zu wählen, wird sich
ausserdem aus den vorgeschlagenen Messungen ergeben. (Letztere sind natürlich nur
einmal erforderlich zur Aufstellung einer Tabelle, um richtige
Anfangsgeschwindigkeiten in die bisher gemessenen mittleren [für 50 bezieh. 100 m]
überzuführen. In Zukunft würden dann die Messungen
genau so ausgeführt wie bisher, aber die Geschwindigkeitsangaben dieser Tabelle entnommen [nicht mehr
berechnet].)
Eine derartige einwandfreie Bezeichnung der Anfangsgeschwindigkeit hat nicht nur
einen theoretischen Werth, sondern auch einen praktischen. Die nordamerikanische
Marine scheint z.B. die Flugzeit des Geschosses ihres neuen 5,9-mm-Versuchsgewehres
auf einer Strecke von nur 36,8 m zu messen. Der
gefundene (etwa 750 m Geschwindigkeit entsprechende) Werth würde nach belgischem
Verfahren, auf 100 m Unterbrechungsstrecke gemessen, viel kleiner werden. (Es ergibt
sich dies aus den obigen Zahlen für das Mannlicher-Gewehr.) Um hohe Werthe zu
erhalten, die der amerikanischen Messweise entsprechen, müsste eine für die
nordamerikanische Waffenlieferung arbeitende Fabrik entweder einen der in jenem
Lande gebrauchten Geschwindigkeitsmesser sich beschaffen und die damit verbundene
Berechnungsweise anwenden, oder aber, wie oben angegeben, den Maximalwerth der
Anfangsgeschwindigkeit (v0) bestimmen.
Die angestrebte Bestimmung der Flugzeit des ersten Meters der Flugbahn und das
Ueberführen derselben in den Differentialquotienten der Geschwindigkeit zu Anfang
der Flugbahn erscheint zwar schon bei jetzigen guten
Geschwindigkeitsmessinstrumenten möglich; ob das aber der Fall ist, wenn die
Geschwindigkeiten der Waffen sehr vermehrt werden, bleibt fraglich. Aus diesem
Grunde dürfte die Anregung der Antwerpener Ausstellung zur Verbesserung der le Boulengé'schen Apparate recht zeitgemäss
erscheinen.
Vielleicht erscheint es nicht ganz überflüssig, beiläufig noch eine besondere
Bemerkung über Hauptirrthümer der bisherigen Messungen zu machen. Die in Antwerpen
ausgelegte Arbeit der Herren Flamarche spricht von der
Benutzung des eben erwähnten Halbirungspunktes der gemessenen Flugstrecke, als wenn
das eine ganz selbstverständliche Sache wäre. Andere Werke drücken recht bestimmt
dasselbe aus. Indessen der bekannte Ballistiker Siacci
und sein Uebersetzer (der Ingenieur bei der Firma Canet's) Laurent bemerken bei der
„mittleren Geschwindigkeit“ der gemessenen Strecke: „on l'affecte au point moyen“ –„che si attribuisce al punto di mezzo“. Aus diesen
diplomatischen Worten ist wohl zu entnehmen, dass ein Heranziehen des
Halbirungspunktes stattfindet, aber nicht, dass es gutgeheissen wird oder begründet
ist. – Bei der Suche nach einer Begründung der Bezeichnung der Geschwindigkeit für
einen derartigen Punkt drängt sich die Ueberzeugung auf, dass es noch manche Leute
gibt, die glauben, man dürfe eine Geschossbahn so betrachten, als wenn sie eine gleichförmige Geschwindigkeit habe. Hoffentlich wird
dieser Aberglaube als ein naturwidriges, ganz überflüssiges Phantasiegebilde recht
bald ausgerottet werden.
Gasdruckmesser von Nagant.
Textabbildung Bd. 294, S. 225Fig. 4.Gasdruckmessung nach Nagant. Das Messen von Gasspannungen in Gewehren war früher recht ungenau (1893
288 27). Die Firma Nagant (Lüttich) hatte in Antwerpen einen diesen Zweck in verbesserter
Weise erfüllenden Stauchapparat ausgestellt, der sehr erwähnenswerth ist. Derselbe
unterscheidet sich von früher gebrauchten Apparaten dadurch, dass der durch die
Pulvergase zusammenzudrückende Kupfercylinder (-stollen) nicht vor oder hinter der
Pulverladung angebracht ist, sondern seitwärts, und zwar in einem „Lager“,
das in den wagerecht liegenden Lauf eingeschraubt ist (Fig.
4). (Bei Kriegsgewehren liegt die Achse des senkrechten Lagers ungefähr 20 mm vor dem Verschlusskopf, bei Jagdgewehren
nur ungefähr 15 mm.) Die Wand der Patronenhülse, welche das Pulver enthält, dessen
Spannung ermittelt werden soll, ist mittels eines besonderen Apparates so
ausgebohrt, dass die Pulvergase in die Mitte des „Lagers“ einströmen können,
wenn die Patrone in den Lauf geschoben ist. Im „Lager“ liegt ein loser
Stahlstempel mit Kopf, auf diesem steht der Stauchcylinder. Letzterer hat einen
Durchmesser von nur 3 mm, während die Innenfläche des Stempels, also die Fläche,
gegen welche die Pulvergase wirken sollen, beinahe 5 mm Durchmesser hat. Durch diese
Anordnung wird natürlich das Maass des Stauchens vergrössert und damit der Apparat
befähigt, sehr kleine Drucke zu messen. Der Stauchcylinder wird mit einem besonders
ausgearbeiteten Röhrchen an seine Stelle gebracht und dort durch eine von oben in
das „Lager“ eingeführte Widerlageschraube festgehalten. Beim Schusse sollen
die Pulvergase fast nur gegen den Stempel wirken und der Innenraum des
„Lagers“ eine kaum merkliche Verschmutzung zeigen, so dass ihre
Absperrung durch eine besondere Dichtung ganz überflüssig geworden ist.
Nach dem Schusse wird der Stauchcylinder aus dem Lager genommen, gemessen und die
gefundene Stauchung umgerechnet. Eine Umrechnung ist nöthig, weil die Grösse der
Stauchung natürlich nicht unmittelbar proportional der Grösse der Druckwirkung ist
und schwerlich einfache Vergleiche der Gasspannungen liefern würde. Am besten würde
die (in Frankreich vorwiegend gebrauchte) Umrechnung in Kilo auf 1 qc sein (1,033 k
auf 1 qc = 1 at); und zwar deshalb, weil die Strecken, um welche die Stauchcylinder
zusammengedrückt worden sind, mit solchen verglichen werden, die durch den
Druck eines ruhenden Gewichtes gemessen wurden. (Eine Umrechnung in Atmosphären gibt
manchmal zu Irrthümern Veranlassung, indem sie einige Leser zu dem Glauben führen
kann, als ob hier ähnliche Drucke [d.h. solche ohne
begleitende Bewegungserscheinungen] vorhanden wären, wie z.B. bei Gasometern und
Barometern.)
Der Gasdruckmesser von Nagant wird in verschiedenen
Staaten gebraucht, so z.B. in Belgien, Russland und Frankreich, und muss schon aus
diesem Grunde den besseren Präcisionsinstrumenten beigezählt werden; für die
Untersuchung schwacher Spannungen, wie solche bei Mörsern (und Jagdgewehren)
vorkommen, scheint er zur Zeit ganz unentbehrlich zu sein. Es müssen seine
Gasspannungsmessungen bei einem bestimmten Gewehrlaufe, der eine ziemlich
gleichmässige Munition verschiesst, werthvolle Aufschlüsse über Rohranstrengungen
liefern. Freilich darf man vielleicht jetzt noch nicht so weit gehen, die
Messungszahlen sehr verschiedenartiger Rohre, z.B. die eines 8- und eines
5-mm-Gewehres, zu vergleichen. Um das zu können, müssten erst noch besondere
Aufschlüsse über die Verbrennungsvorgänge innerhalb einer Patrone gegeben und der
genaue Beweis geführt werden, dass bei jedem Schuss die Maximalspannung gemessen
wird.
Es kann erwartet werden, dass der Apparat die wichtige Frage entscheiden wird, ob ein
kleiner Fremdkörper (Papierstückchen, Sandkorn) im Rohre eines neueren Gewehres im
Stande ist, die Waffe aufzubauchen oder sogar zu sprengen, indem er das Geschoss
aufhält und ein Zusammenballen der Gase hinter demselben veranlasst. Wird ein Nagant'scher Apparat einige Millimeter hinter der
beabsichtigten Lagerstelle eines solchen Körpers angebracht und ein Schuss ohne, einer mit
demselben abgegeben, so wird ein etwa sich zeigender grosser Unterschied der
Spannungszahlen eine endgültige Antwort liefern, deren Folgen recht schwerwiegende
sein können.
Zur Beurtheilung des Nagant'schen Apparates trägt ein im
D. R. P. Nr. 73015 beschriebener in ganz anderer Weise ausgeführter Stauchapparat
bei. In demselben wird eine Patrone, deren Boden ausgeschnitten ist, durch ein
Rohrstück fest umschlossen, das gleichzeitig das Lager für einen Stempel bildet, der
durch die Gase der Patrone nach hinten gedrückt wird und aus zwei Theilen besteht;
der Vordertheil desselben wird in den Ausschnitt der Patrone geschoben, um deren
Boden mit der Zündmasse und ihrem Lager zu ersetzen; der Hintertheil ist axial
durchbohrt und stösst gegen ein zu stauchendes röhrenförmiges Metallstück; zum
Entzünden kann sich ein Schlagbolzen durch diese Theile nach der vorne befindlichen
Zündmasse bewegen. Der Hintertheil des Stempels soll sich gasdicht in seinem Lager
bewegen, was durch geringen Spielraum und durch einen Abdichtungsring bewerkstelligt
wird. Sein Widerstand gegen die Rückwärtsbewegung, welche durch die Verbrennungsgase
erzeugt wird, ist also gross. Letztere werden eine Einwirkung auf den Kopf des
Stempels haben, die sehr von der Verbrennung der starken Zündmasse, weniger von der
des Pulvers abhängig ist. Aus diesen Gründen schon müssen die Messungen des
letzteren Apparates ganz andere, als die des Nagant'schen sein. Da die beträchtliche Grösse des ganzen Stempels ausserdem
in ungünstiger Weise die Uebertragung des Gasdruckes auf den (röhrenförmigen)Kupferstollen
beeinflusst, so können die Angaben des deutschen Apparates nur geringe Sicherheit
besitzen. (Hervorragende Sachverständige haben in der diesjährigen Versammlung der
British Association in Oxford [Sitzung der Mechanical Section, G, vom 11. August]
die Schädlichkeit eines grossen Druckstempels hervorgehoben.)
Wenn auch der Nagant'sche Apparat der beste
Stauchapparat ist, so darf er vielleicht noch lange nicht als das beste Instrument
zur Ermittelung von Gasspannungen in Gewehren betrachtet werden. – Die
Stauchapparate beruhen auf der Gasspannungsmessung während eines Augenblickes. Eine andere Klasse von Messungen bestimmt die
Gasdrucke an verschiedenen Punkten im Laufe und liefert dadurch ein lebendiges Bild
ihrer Schwankungen; eine dritte Klasse liefert gewissermaassen eine Summirung der
Kräfte und Widerstände, welche auf ein Geschoss im Laufe wirken, indem es die
Geschwindigkeit desselben an der Mündung ermittelt (und mit Hilfe des Gewichts die
ihm ertheilte lebendige Kraft). Gibt man gleichartige Schüsse aus gleichartigen
Läufen von verschiedener Länge ab, so erhält man Kraftgrössen, die sich zu ganz
brauchbaren Ergebnissen zusammenstellen lassen. Es ist nicht unmöglich, dass eine
der beiden letzteren Klassen von Messungen die Angaben liefern wird, welche für die
Ballistik am brauchbarsten sind. (Vgl. 1893 288 27 und
1894 291 50.)
Ausstellung von Schiesspulver.
Die belgische Pulverfabrik zu Wetteren hatte eine schöne Sammlung der verschiedensten
Arten von Schiesspulver ausgestellt. Es wurde dadurch gezeigt, dass die Fabrik
schönes schwarzes, graues, braunes, gelbes, – würfel-, kieselsteinförmiges, mehr
oder weniger kugelförmiges, grobkörniges, feinkörniges, – röhrenförmiges,
blättchenförmiges Pulver fabricirt. Es wird viele Ausstellungsbesucher gegeben
haben, denen diese Thatsachen sehr gleichgültig gewesen
sind, die aber trotzdem ein grosses Interesse an Schiesspulver hatten, aber nicht an
dessen Aeusserlichkeiten, sondern an dessen Kraftäusserungen. Diese Besucher hätten
leicht befriedigt werden können durch eine rasch verständliche, bildliche
Darstellung dieser Aeusserungen, welche, eine Vergleichung von
Geschossgeschwindigkeiten, von Treffähigkeiten unter anderem enthaltend, ebenso gut
hätten vorgeführt werden können, wie das Wachsen der Leistungen der Gewehre.
Die jetzt kaum beachtete Pulversammlung wäre dadurch in einen Gegenstand von ganz
besonderer Anziehungskraft verwandelt worden.
Panzerplatten.
In Antwerpen waren nur Panzerplatten veralteter Art ausgestellt. Am
beachtenswerthesten war wohl eine Nachbildung der ersten Nickelstahlplatte, welche
1890 in Annapolis (Nordamerika) Aufsehen erregt und gewissermaassen den Nickelstahl
in Aufschwung gebracht hatte; sie war von dem Erwerber des Patentes für Nordamerika,
der Firma Schneider (Creusot, Frankreich), ausgestellt.
Neuere, nach Harvey gehärtete Platten waren
unvertreten.
Es waren ferner ausgestellt von den Hüttenwerken zu St.
Chamond (Frankreich) eine 15 cm-Platte von „Specialstahl“, welche
15-cm-Schüssen sehr gut widerstanden hatte, und eine Menge von dünneren Platten von
72 mm bis zu sehr kleinen Durchmessern herab (einige von Chromstahl), für
Schilde von Geschützen, Mannschaften und für Schiffsdeckplatten bestimmt, zum Theil
schon beschossen, und zwar meistens nur so, dass kein Durchschlag erfolgte, z.B.
eine von 72 mm durch 65-mm-Geschosse von 4 k Gewicht und 435 m
Anfangsgeschwindigkeit.
Eigenthümlich war bei den Stahlplatten die Bartbildung an der Frontseite der
Geschosslöcher, wenn diese mit grosser Geschwindigkeit
aufgetroffen hatten. Eine von den obigen Hüttenwerken ausgestellte 4 bis 5 cm dicke
Platte aus „Specialstahl“ war von einer Anzahl von 12-cm-Granaten mit kleinen Auftreffgeschwindigkeiten von 148 bis 210 m
beschossen worden; die Eindringungstiefen betrugen 40, 48, 54, 60 mm und zeigten
platte Eindrücke, welche ziemlich genau den Formen der Geschossköpfe entsprachen;
bei den grösseren dieser kleinen Geschwindigkeiten waren hinten deutlich sichtbare
Beulen herausgetreten. Eine Bartbildung, d.h. ein Heraustreten des Plattenmetalls
nach vorn, dem Geschosse entgegen, hatte hier nicht stattgefunden. Bei den kleinsten
Geschwindigkeiten war die Beulenbildung sehr schwach, es scheint hier fast nur eine
Zusammenpressung des Plattenmaterials stattgefunden zu haben.
Wenn auf der Antwerpener Ausstellung Panzerplatten neuester Anfertigung nicht
vertreten waren, so ist das kaum zu bedauern, denn im Augenblicke weiss wohl Niemand
bestimmt, welche Platten die widerstandsfähigsten sind. Die Versuche der letzten
beide Jahren haben bewiesen, dass man nicht behaupten darf: Nickelstahl ist besser
als einfacher Stahl, oder: das Härten nach Harvey
(Bereicherung des Kohlenstoffgehaltes in der Vorderfläche und rasche Abkühlung
dieser Fläche) ist immer vortheilhaft; in Nordamerika
steht man jetzt (October 1894) auf dem Standpunkte, dass man feine Risse in der
Vorderfläche einer gehärteten Nickelstahlplatte gar nicht mehr als schädlich
ansieht, selbst wenn sie in grosser Zahl vorhanden sind; im Gegentheil, es ist
ausgesprochen worden, dass solche Platten oft haltbarer sind als die nicht rissigen.
Eine berühmte Fabrik liefert gute Platten und auch solche, die geradezu als schlecht
zu bezeichnen sind; einzelne Platten sind an einer Stelle vorzüglich, an einer
anderen mangelhaft. Die Schwierigkeit, die Unerfahrenheit der Fabrikation scheinen
noch nicht überwunden zu sein, und die kostspieligen Versuche, welche bisher
stattgefunden haben, sind vielleicht noch zu wenig zahlreich gewesen, um sichere
Aufschlüsse zu geben.
Die Panzerthürme und Panzerthurmstücke der Antwerpener Ausstellung eignen sich nicht
zu einer Betrachtung an dieser Stelle, weil sie Einrichtungen älterer Art haben, die
schon vielfach beschrieben worden sind.