Titel: | Zur Kenntniss des Färbevorganges. |
Autor: | Georg Spohn |
Fundstelle: | Band 287, Jahrgang 1893, S. 210 |
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Zur Kenntniss des Färbevorganges.
Von Georg Spohn.
Zur Kenntniss des Färbevorganges.
Der Process, der beim Färben von vegetabilischen und animalischen Fasern vor sich
geht, konnte, so einfach auch seine praktische Ausführung sein mag, theoretisch bis
jetzt noch nicht befriedigend erklärt werden.
Es haben sich bekanntlich die Theoretiker betreffs dieser Frage in zwei Lager
gespalten.
Die einen halten den Process lediglich für einen mechanischen, d.h. sie sind der
Meinung, der Farbstoff lagere sich auf oder in der Faser ab, ohne dass der Farbstoff
oder die Faser irgend einer chemischen Veränderung unterworfen werde.
Die anderen halten den Färbevorgang für einen chemischen Process, bei dem der
Farbstoff und die Faser eine chemische Verbindung eingehen.
In neuerer Zeit hat sich zu diesen beiden Theorien noch eine dritte gesellt: die
sogen. Lösungstheorie von WittWitt, „Zur Theorie des Färbeprocesses“,
Färber-Zeitung, 1890/91 Heft 1 S. 1, vgl.
D. p. J. 1892 286109., nach welcher die Vorgänge beim Färben als
Lösungserscheinungen aufzufassen sind. Die Witt'sche
Theorie gibt meines Erachtens keine neue Erklärung des Färbevorganges, sondern steht
voll und ganz auf dem Boden der sogen. mechanischen Theorie, worauf schon HwassHwass, „Das Beizen und Färben der
Textilfaser“, Färber-Zeitung, 1890/91
Heft 14 S. 246. hingewiesen hat. Durch seine Betrachtung hat Witt, ohne dass es in seiner Absicht lag, wesentlich
zur Festigung der mechanischen Theorie beigetragen, wie in einer späteren
ausführlicheren Veröffentlichung über diesen Gegenstand gezeigt werden soll.
Ich will nun versuchen, nachzuweisen, dass bei der Baumwolle in den von mir
untersuchten Fällen von einer chemischen Färbung nicht die Rede sein kann, sondern
dass diese Färbungen zweifellos auf mechanischen Vorgängen beruhen.
Bevor ich jedoch die Ergebnisse meiner Untersuchungen mittheile, sei noch eine Frage
erörtert, deren Klarstellung principielle Bedeutung für den Ausbau der Theorie des
Färbens besitzt. In der einschlägigen Literatur begegnet man nämlich einer grossen
Unsicherheit in Bezug auf die Angaben über die Lagerungsverhältnisse zwischen
Farbstoff und Faser. Es heisst da oft, der Farbstoff sei „auf“ der Faser
fixirt, „auf“ der Faser niedergeschlagen u. dgl., in Fällen, wo dies durchaus
nicht der Fall ist, sondern wo der Farbstoff vielmehr die Substanz der Faser völlig
durchdrungen und eine homogene Färbung erzeugt hat. Dasselbe gilt in noch höherem
Grade von den Beizen. So heisst es beispielsweise bei Hummel-KnechtHummel-Knecht, Die Färberei und Bleicherei der
Gespinnstfasern, 2 Aufl. Berlin 1891, S. 107.:
„Das Beizen hat den Zweck, auf dem Textilstoffe möglichst fest
und dauerhaft einen solchen Körper niederzuschlagen und zu fixiren, der fähig
ist, sich mit dem nachher zu verwendenden Farbstoffe zu verbinden und denselben
im unlöslichen Zustande auf der Faser niederzuschlagen.“
Es ist nun noch keine Beize bekannt geworden, deren Wirksamkeit sich lediglich
auf die Oberfläche der Faser erstreckte. Die Substanz der Faser wird vielmehr völlig
von der Beize durchsetzt, welche später den Farbstoff in der Faser niederschlägt bezieh. festhält. Die Ausdrücke „auf dem
Textilstoff“, „auf der Faser“ in dem oben angeführten Citat sind
demnach nicht zutreffend. Andererseits lassen sich – selbstredend ohne Anwendung
einer Beize – Färbungen erzeugen, bei denen der Farbstoff in der That mechanisch an der Oberfläche der Faser haftet, wo also der
Ausdruck „Fixirung auf der Faser“ völlige
Berechtigung besitzt. Aus den angeführten Thatsachen ergibt sich die Notwendigkeit,
dass auf die Correctheit der in Rede stehenden Angaben mehr Werth gelegt werden
muss, als bisher geschehen ist. Die Frage selbst, ob ein Farbstoff bezieh. eine
Beize auf oder in der Faser zur Ablagerung gelangt ist, lässt sich mit Sicherheit
nur auf mikroskopischem Wege entscheiden.
Eine rein mechanische Färbung findet zweifellos bei den mineralischen Farbstoffen
statt, die durch Fällung auf der Baumwollfaser erzeugt werden, z.B. Bleichromat,
Manganbister. Ich färbte zunächst Baumwolle mit Bleiehrornat. Bei Betrachtung unter
dem Mikroskop sieht man ganz deutlich die Bleichromatkrystalle auf der Faser
befestigt. Diese Befestigung ist rein mechanischer Natur, denn selbst bei Anwendung
der stärksten Vergrösserungen erwiesen sich die der Faser anliegenden
Krystallflächen völlig unverändert. Wäre bei der Befestigung ein chemischer Process
im Spiel gewesen, so würden jene Krystallflächen ohne Zweifel Veränderungen erfahren
haben, etwa nach Art des Abschmelzungsprocesses, wie er sich bei
Lösungserscheinungen zeigt, oder in Bezug auf die Färbung. Von alledem war an den
Farbstoffkrystallen nicht das mindeste zu bemerken. Ihre Grosse und Form blieb
dieselbe, gleichgültig, ob sie mit der Faser in Contact traten oder nicht. An den
Berührungsstellen zwischen Faser und Farbstoffkrystall waren die beiderseitigen
Färbungen scharf, und zwar genau geradlinig, abgegrenzt: keinerlei
Ineinanderfliessen der Färbung deutete auf chemische Vorgänge. Durch mechanischen
Druck auf das Deckglas war ich im Stande, Farbstoffkrystalle ohne Verletzung von der Faser zu entfernen, die grösseren Krystalle
zuerst, während die kleineren so fest an der Faser hafteten, dass sie auch durch
eine Steigerung des Druckes bis zur Zertrümmerung des Deckglases nicht zu entfernen
waren. Diese Beobachtung, die sich aus den Cohäsionserscheinungen leicht erklären
lässt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass es sich in fraglichem Falle nur um eine
mechanische Verbindung zwischen Farbstoff und Faser handeln kann.
Bei spärlicher Besetzung erscheint die Faser unter dem Mikroskop fast ungefärbt. Auch
in solchen Fällen, d.h. auch wenn einzelne Strecken der Faser auf grössere
Entfernungen hin – ich beobachtete deren oft genug von 60 μ, und darüber – ohne jede Farbstoffablagerung sind, erscheint die Faser
makroskopisch dennoch intensiv gefärbt.
Bei dichterer Besetzung der Faser mit Krystallen sehen bei oberflächlicher
Betrachtung einzelne Stellen der Faser allerdings homogen gefärbt aus. Der mit
mikroskopischen Arbeiten wenig Vertraute könnte in solchen Fällen allenfalls die
Anschauung gewinnen, dass es sich hier um eine Von der bisher besprochenen völlig
verschiedene Färbung handelt. Allein die scheinbar homogene Färbung rührt davon
her, dass die Krystalle, die unterhalb der Faser liegen, durch dieselbe
durchschimmern und so den gelben Schein der Faser hervorrufen. Man kann sich davon
leicht dadurch überzeugen, dass man tiefer einstellt, wodurch dann die
Farbstoffkrystalle sichtbar werden.
Ebenso verhält es sich bei Färbungen mit Manganbister, wo ebenfalls die einzelnen
Farbstoffkrystalle auf der Faser deutlich zu unterscheiden sind. Dafür, dass in den
angeführten Beispielen eine chemische Färbung ausgeschlossen ist, spricht übrigens
auch die Thatsache, dass Asbest, auf dieselbe Weise behandelt, ebenfalls gefärbt
wird. In letzterem Falle kann allerdings von einer echten Färbung in technischem
Sinne weniger gesprochen werden, als in den oben besprochenen Fällen. Während
nämlich die Baumwollfaser noch genügend grosse ebene Flächen besitzt, an denen auch
die grösseren Farbstoffkrystalle adhäriren können, ist dies bei Asbest nicht mehr
der Fall. Hier zeigt das mikroskopische Bild, dass nur die kleinen Krystalle auf der
Faser haften, während die grossen zwischen den Fasern lose eingestreut sind.
Die bisher behandelten Färbungen gehören ohne Zweifel zu den typischen Fällen
mechanischer Färbung, bei denen es a priori im höchsten Grade wahrscheinlich war,
dass sie ohne chemische Vorgänge zwischen Faser und Farbstoff zu Stande kommen. Die
einzelnen Partikelchen der färbenden Substanz waren der directen Beobachtung
zugänglich, aus ihrem Verhalten liess sich die Natur des Färbevorganges direct
erkennen.
Wie nun aber, wenn dies nicht mehr der Fall ist, wenn unsere optischen Hilfsmittel
nicht einmal mehr ausreichen, die Wege, welche für die Einwanderung der
Farbstoffpartikelchen in die Faser nothwendig vorhanden sein müssen, wahrzunehmen,
geschweige denn die einzelnen Farbstoffpartikelchen selbst? Solche Fälle, in denen
die Farbstoffpartikelchen so klein sind, dass sie sich der optischen Beobachtung
völlig entziehen, d.h. nur in ihrer Gesammtheit wahrnehmbar sind, in denen sie in
die Substanz der Fasern einzuwandern vermögen und dieselbe homogen färben, sind
bisher für die chemische Theorie vorzugsweise als Argument benutzt worden,
namentlich wenn mit solchen Färbungen zugleich Farbenänderungen verknüpft sind. Ohne
mich auf Erörterungen der Gründe einzulassen, welche vom theoretischen Standpunkte
aus für die eine oder andere Auffassung sprechen, sei im Folgenden wiederum ein
typisches Beispiel für eine grosse Gruppe von Färbungen behandelt, in welchem der
Farbstoff zweifellos rein mechanisch an die Faser gebunden ist, obwohl die Faser
(noch dazu unter Farbenänderung) völlig homogen gefärbt wird.
Bekanntlich besitzt gefälltes Alizarin eine gelbbraune Farbe und wird von ungeheizter
Baumwolle überhaupt nicht aufgenommen. Je nach der Art der Beize kann man jedoch mit
Alizarin sehr schöne und echte Farben auf der Baumwolle hervorrufen. Taucht man z.B.
mit Thonerde gebeizte Baumwolle in ein Alizarinbad und erwärmt, so färbt sich die
Baumwolle an, und zwar mit einer anderen Nuance, als wenn vorher mit Chromoxyd,
Eisenoxyd u.s.w. gebeizt worden wäre.
Hier sind nun drei Möglichkeiten gegeben.
Erstens kann die von der Faser aufgenommene Beize lediglich als Träger für den
Farbstoff dienen, der für sich allein nicht in die Faser einzuwandern vermag. In
diesem Falle wäre nicht nur die Färbung, sondern der ganze Vorgang von Anfang bis zu Ende rein
mechanischer Natur, gegen welche Auffassung schon der Umstand spricht, dass die
Farbe der ausgefärbten Faser völlig verschieden ist von der Farbe des Alizarins.
Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Faser durch die Beize chemische
Veränderungen erleidet, durch welche dann die Aufnahme des Farbstoffes ermöglicht
wird. Diese Farbstoffaufnahme könnte auf zweierlei, wesentlich von einander
verschiedene Weise zu Stande kommen: entweder geht die chemisch veränderte Faser mit
dem Alizarin eine chemische Verbindung ein, die dann ihrerseits der Faser die
Färbung verleiht und in welchem Falle der Vorgang ein rein chemischer sein würde,
oder mit der chemischen Veränderung der Faser ändern sich zugleich auch die
physikalischen Eigenschaften der Faser in der Art, dass sie fähig wird, das Alizarin
aufzunehmen. Gegen die letztere Eventualität spricht wiederum die Verschiedenheit
der Farbe des Alizarins und der ausgefärbten Faser, dagegen nicht gegen die erstere
Eventualität.
Die dritte Möglichkeit endlich besteht darin, dass die von der Faser aufgenommene
Beize in keinerlei chemische Beziehung zur Faser tritt, auch nicht bloss dem
Farbstoffe als Vehikel dient, sondern dass die Beize das Alizarin aufnimmt und mit
demselben eine chemische Verbindung erzeugt, welche der Faser die bekannte Färbung
gibt. In diesem Falle käme zwar der Farbstoff durch einen chemischen Vorgang, der
sich nothgedrungen innerhalb der Substanz der Faser
abspielen muss, zu Stande; die Fixirung des Farbstoffes in der Faser, also die
eigentliche Färbung, wäre dagegen ein rein mechanischer Vorgang.
Die zuletzt genannte Möglichkeit ist zutreffend. Wir sind bekanntlich in dem in Rede
stehenden Falle im Stande, genau dieselbe Farbe ohne
Anwesenheit der Baumwolle zu erzeugen, was nicht möglich sein würde, wenn
die Substanz der Baumwolle an dem Zustandekommen der die Färbung erzeugenden
Verbindung betheiligt wäre.
Bekanntlich gibt reine Thonerde mit Alizarin allein dieselbe rothe Färbung wie die
gebeizte Baumwolle mit Alizarin. Ebenso gelingt es, genau dieselbe rothe Färbung auf
mit Thonerde imprägnirtem Asbest hervorzurufen, also mit einer Substanz, die auch
nicht die mindeste chemische Aehnlichkeit mit Baumwolle besitzt.
Aus den vorgeführten Thatsachen ergibt sich zur Evidenz, dass
das Alizarin lediglich auf die in der Faser aufgespeicherte Beize wirkt, dass
die Faser nur den Farbstoffträger bildet, mit welchem der durch die Einwirkung
des Alizarins auf die Beize erzeugte farbige Niederschlag mechanisch verbunden
ist. Es finden also zwar chemische Processe innerhalb der Faser statt, durch welche die färbende Verbindung entsteht,
die Substanz der Faser ist jedoch an diesen chemischen Vorgängen nicht betheiligt:
der eigentliche Färbevorgang, d.h. die Verbindung
zwischen Farbstoff und Faser beruht einzig und allein auch hier auf mechanischen
Ursachen. Diese mechanischen Kräfte können wohl nur Molekularkräfte sein,
deren Wirksamkeit freilich, soweit sie die Färbeprocesse betrifft, noch wenig
erforscht ist.
Hätten wir an Stelle von Baumwolle irgend eine andere vegetabilische Spinnfaser für
unsere Versuche gewühlt, so würden sich die Verhältnisse ungleich complicirter
gestaltet haben. Wir wissen, dass Baumwolle nahezu reine Cellulose ist, ebenso
wissen wir aber auch, dass alle anderen Spinnfasern in chemisch und physikalisch
verschiedene Schalen differenzirt sind, die namentlich in der erstgenannten
Richtung noch sehr wenig bekannt sind. In vielen Fällen pflegt die äusserste dieser
Schalen sehr dünn zu sein, welcher Umstand sogar schon den für Baumwolle so
einfachen Nachweis, ob es sich bei Anwendung von Bleichromat oder Manganbister um
chemische oder mechanische Färbung handelt, ungleich schwieriger gemacht haben
würde.
Vorstehende Untersuchungen habe ich auf Anregung und unter Leitung meines
hochverehrten Lehrers, Herrn Privatdocenten Dr. M.
Fünfstück, ausgeführt und spreche ihm auch hier meinen wärmsten Dank aus.
Auch danke ich Herrn Prof. Dr. Häussermann für die
freundliche Unterstützung, die er mir durch Ueberlassung von Material u.s.w. zu
Theil werden liess.
Stuttgart, Technische Hochschule.