Titel: | Zur Technologie des Glases. |
Fundstelle: | Band 278, Jahrgang 1890, S. 311 |
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Zur Technologie des Glases.
Zur Technologie des Glases.
Im Journal of the society of arts bespricht Dr. Guido Salmati die Geschichte
der venetianischen Glasindustrie von ihren ersten Anfängen bis in die
allerletzte Zeit. Das Venetianer Glas wird bekanntlich nicht in Venedig, sondern auf
der Insel Murano, etwa eine halbe Meile von dieser Stadt entfernt, hergestellt. Der
vorzügliche weiſse Quarzsand, welcher in groſser Menge auf Murano zu finden ist, hat
die Entwickelung der dortigen Glasindustrie in hohem Maſse begünstigt. Anfangs
wurden in Murano nur
Gebrauchsgegenstände gewöhnlicher Art hergestellte Aus dieser Periode der ersten
Anfänge hatte sich die Industrie im 13. Jahrhundert schon so weit entwickelt, daſs
im J. 1223 die Dogen und Senatoren von Venedig den Auftrag gaben, die Namen der
bedeutendsten MaestriDer geschicktesten
Glasbläser. in öffentliche Listen einzutragen, als die Namen von
Leuten, die hohe Achtung verdienen.
In den darauffolgenden Jahrhunderten stieg diese Achtung so weit daſs die Künstler
von Murano an europäischen Höfen gastlich empfangen, und daſs der venetianische Adel
es nicht unter seiner Würde hielt, sich mit Kindern der muranesischen Maestri zu
verheirathen, wobei die aus der Ehe entsprossenen Kinder alle Vorrechte der Nobili
genossen. Mit dem Niedergange der Macht Venedigs ging auch der Verfall der
Glasindustrie von Murano Hand in Hand. Im 17. Jahrhundert war das Verständniſs für
Form und Farbe verloren; schwerfällige, ungestalt und auffallend bemalte Vasen
gingen damals in den Handel; auch Wiederbelebungsversuche der alten Kunstfertigkeit
durch Guiseppe Briasi im J. 1700 hatten wenig Erfolg.
Es war erst dem Rechtsgelehrten Dr. SalviatiDem Vater des Verfassers. gelungen,
durch Studium alter muranesischer Aufschreibungen, durch Herstellung des alten
goldigen, silbernen und farbigen Schmelzes zunächst die Mosaiktechnik wieder zu
beleben und dadurch den Anstoſs zu geben zur neuen Entfaltung venetianischer
Kunst.
Er wurde in diesen Bestrebungen durch N. Shaw, W. Cooke, G.
Scott, ferner Clayton und Bell unterstützt. Die Schwierigkeit, welche mit der
Schulung der Glasbläser, deren Hände nur mehr an die schwerfälligen und plumpen
Formen der letzten Decennien gewöhnt waren, verbunden war, wird jeder begreifen, der
nur einigen Einblick in die Technik der Glasbläserei besitzt. Der Name
„Venetianer Glas“ umfaſst nicht nur Vasen und Becher und verzierte
Gegenstände, sondern auch Armleuchter, Spiegel, Tafelglas, Butzenscheiben zu
Fenstern u.s.w., in welchen Venedig einen Namen hatte. Die verschiedenen Gattungen
Glas werden mit besonderen Namen bezeichnet: „ritorto“ ein
verschiedenfarbiger Streifen auf hellem Grunde; „fiamma“ eine Mischung von
mehreren, verschiedenen Farben, die ihrer flammen artigen Erscheinung halber so
benannt wird; das „reticello“, welches ein köstliches Spitzenmuster
darstellt; das „aventurin“ mit metallischem Glänze; das „festoncino“
mit fadenartigem Aussehen; das „Calcedon“, dem milchweiſsen Quarz ähnlich,
u.s.w.
Die von den Arbeitern verwendeten Werkzeuge sind einfach: eine hohle, lange
Eisenröhre zum Blasen, eine Schere, einige Meſsinstrumente und ein Prägestempel mit
Matrize, die die Form einer Erdbeere besitzt, sind alle Instrumente, welche zur
Herstellung der complicirtesten Glaswaren dienen.
Die Glasgegenstände werden zunächst in der üblichen Weise geblasen und geformt, und
wenn dieselben in ihrer Hauptgestalt fertig sind, dem Maestro übergeben, der mit
groſser Geschicklichkeit die Verzierungen daran anbringt. Die Mannigfaltigkeit
derselben ist erstaunlich; Schlangen, Drachen, Blumen, Blätter, Handhaben u.s.w.,
nichts ist dem Maestro zu complicirt oder zu schwierig. Einige Vasen erfordern die
Aufmerksamkeit von vier Künstlern gleichzeitig und oft eine zweistündige Arbeit,
während welcher dieselben 30- bis 40mal ununterbrochen in den Ofen eingeführt und
daraus wieder herausgezogen werden.
Zur Herstellung von „reticello“, „ritorto“, „filigran“ u.s.w.
wird das Material in besonderer Weise vorbereitet, was oft 3 Tage beanspruchen kann.
Die farbigen Glasstreifen werden auf eine Schaufel gelegt und mit Krystall bedeckt.
Auf einem, am Ende der Pfeife sitzenden Glasstück wird das so erhaltene farbige Glas
zu einem Cylinder (Canna) aufgerollt, der zum Schütze noch mit Krystall überfangen
und durch Rollen und Blasen fertiggestellt wird. Von diesem Glase wird ein Stück
abgenommen und auf Krüge, Vasen u.s.w. verarbeitet. Durch Drehen und Verziehen der
Masse während des Blasens erhält man spiralförmig gewundene Streifen.
Die Flamme wird folgendermaſsen präparirt: Auf eine hohle, gerollte Masse werden
Streifen von farbigem Glase gelegt und spiralförmig aufgewunden. Man erhitzt und
überführt es, während es im Ofen, und ehe die Verschmelzung sehr weit vorgeschritten
ist, mit einem scharfkantigen Stück Eisen mehrere Male, so daſs Wellen gebildet
werden.
Die Herstellung von Aventurin, welches als Verzierung vielfach Verwendung findet, ist
in Venedig nur einigen Maestri bekannt, und soll sehr schwierig sein. Der Name ist
nach Salviati von Aventurina in der Bedeutung
„Wagstück“ abgeleitet, wegen der Schwierigkeit seiner Herstellung.
Beim Eintritt der Künstler wird denselben zugestanden, daſs sie eine bestimmte Zeit
des Tages auf Studien verwenden dürfen, wobei sie bestrebt sind, neue Formen und
Farben zu schaffen. Sie arbeiten gemeinsam in bewunderungswürdiger Eintracht. Einer
springt dem anderen bei in der Entwickelung und Vervollkommnung neuer Ideen und alle
erwarten mit Aengstlichkeit den Zeitpunkt der Vollendung einer neuen Vase.
Eifersucht ist den Glaskünstlern von Murano fremd; schlimme Worte werden nie
ausgetauscht und bei der Arbeit sind sie glücklicher als an Feiertagen. Ende Juli
oder August werden die Oefen wegen der groſsen Hitze für einige Zeit gelöscht. Einem
traurigen Schicksale gehen die Glaskünstler von Murano leider meistens entgegen, und
das ist die Erblindung, die sich bei vielen im 40. oder 50. Lebensjahre einstellt,
eine Folge der übermäſsigen Arbeit bei blendendem Feuer. Sie leben mäſsig, verdienen
viel und haben meist bis zur beginnenden Arbeitsunfähigkeit genug erspart, um bequem auskommen zu können.
–
Ueber das Zerspringen der Lampencylinder sprach Direktor
Fischer in der Polytechnischen Gesellschaft zu Berlin. Es ist eine bekannte Thatsache,
daſs Cylinder nach dem Verlöschen der Lampe manchmal plötzlich, scheinbar ohne
Ursache, mit lautem Knall zerspringen. Solche Cylinder sind nach Fischer entweder durch ungleiche Wandstärke, durch
mangelhafte Kühlung oder durch unpassende Zusammensetzung von vornherein gegen
Temperaturwechsel sehr empfindlich, oder es wurden Spannungen im Glase
hervorgebracht durch ungleichmäſsige Erhitzung oder Abkühlung derselben. In einer
auf den Vortrag folgenden Discussion theilte Regierungsrath B. mit, daſs von gewöhnlichen Lampencylindern oft 6 bis 7 Stück hinter
einander sprangen, daſs er jetzt 2 Sorten in Gebrauch habe, die eine zu 50, die
andere zu 75 Pfg., die erstere aus Milchglas, die zweite matt geschliffen, welche
sich beide seit einem halben Jahre bewährt haben. Die Güte der Arbeit und des Glases
sind entscheidend. Auch auf Leuchttürmen, wo Cylinder bis zu 5 Zoll Durchmesser
vorkommen, hat man Erfahrungen gemacht, die dafür sprechen. Die schönst gearbeiteten
Cylinder, aus der gewöhnlichen deutschen Masse (?) hergestellt, sehr gut gearbeitet
und gekühlt, sogar oben und unten abgeschliffen, sind doch stets leicht gesprungen.
Die Erfahrung hat gelehrt, daſs ein richtig gewählter Zusatz von Bleisuperoxyd die
Gefahr des Springens auf ⅓ bis ¼ vermindert hat. Seitdem Bleikristall für Cylinder
auf Leuchtthürmen verwendet wird, hat das Springen derselben nach dem Löschen der
Lampen aufgehört. Die Cylinder werden, wenn die Lampen gelöscht sind, mit einem
Tuche umwickelt stehen gelassen, bis sie kalt sind (Veitmeyer).
Eine noch zu wenig berücksichtigte Ursache des Springens von Lampencylindern ist
jedenfalls in dem Wassergehalte der Oberfläche des Glases zu suchen.Vgl. 1889 273
42. Referent sah 6 Cylinder derselben Sorte beim Anwärmen hinter
einander springen; die Cylinder waren gleichmäſsig gearbeitet und dünn in der
Wandung; sie stammten aus einer Fabrik, in welcher für gute Kühlung gesorgt wird.
Hier ist wohl der Wassergehalt der Oberfläche die Ursache des Springens. Eine
Glasröhre, in welcher längere Zeit feuchte Substanzen auf höhere Temperatur unter
Druck erhitzt worden waren, sprang bei raschem Erhitzen sofort in kleine Splitter,
während die gleiche Sorte – unbenutzt – bei gleicher Erhitzung intact blieb. Wurde
die Röhre langsamer erwärmt, so zeigten sich zahlreiche Risse an der Innenseite der
Röhre, die jedoch kaum 0mm,10 tief in die
Glasmasse eindrangen; bei noch langsamerem, allmählich bis zur Rothgluth
gesteigertem Erwärmen konnte man die interessante Erscheinung des Auftretens von
äuſserst dünnen Gasbläschen der verschiedensten Gröſse auf der Innenwandung der Röhre
bemerken, ein sicherer Beweis, daſs die Feuchtigkeit bis zu einer gewissen Tiefe in
die Oberfläche des Glases eingedrungen war.
Da besonders die alkalireichen Gläser der Gefahr ausgesetzt sind, beim Liegen an der
Luft Wasser anzuziehen, so dürfte sich ein Glassatz, der der Normalformel nahe
kommt, für die Herstellung von Lampencylindern empfehlen. Natron dürfte sich besser
eignen als Kali, der Kalk könnte theilweise durch Zink- oder Bleioxyd ersetzt
werden, auſserdem dürfte ein Zusatz von 2 bis 3 Proc. Thonerde in Form von Kaolin
u.s.w. sich als vortheilhaft erweisen. Es wäre sehr zu wünschen, daſs Versuche in
dieser Richtung angestellt und die Resultate derselben gelegentlich publicirt
würden.
Um dem Uebelstande abzuhelfen, der bei Anwendung von Kühlöfen älterer Construction
für die Erzeugung von optischem Glase dadurch veranlaſst wird, daſs durch zu
schnelle Kühlung Spannungen im Glase eintreten, welche die Gläser für groſse
Fernrohrobjective u.s.w. unbrauchbar machen, haben Schott
und Genossen in Jena schon seit längerer Zeit an der Ausführung einer neuen
Kühlmethode gearbeitet (vgl. 1889 273 129). Die
Vorarbeiten dafür haben Veranlassung gegeben, den Einfluſs
der Spannung auf das optische Verhalten der Gläser zu untersuchen.Zeitschrift für
Instrumentenkunde, 1890 Heft 2 * S. 41. Die wichtigsten
Ergebnisse sind folgende:
1) Jedes Glas ist gespannt, d.h. die kleinsten Theilchen im Innern befinden sich in
einem Zustande der Dehnung bezieh. Pressung, wenn der Uebergang aus dem erweichten
in den festen Zustand nicht sehr langsam vor sich geht. 2) Der Brechungsexponent ein
und desselben Glasstückes ist um so niedriger, je schneller der Kühlprozeſs
verläuft: der Unterschied kann mehrere Einheiten der dritten Decimale betragen. 3)
Zeigt eine Linse oder kreisrunde Scheibe bei sorgfältiger Untersuchung im
polarisirten Lichte während einer vollständigen Drehung um ihre optische Achse ein
regelmäſsiges, in keiner Stellung verzerrtes schwarzes Kreuz, so ist die Spannung
als eine regelmäſsige anzusehen. Durch die symmetrische Anordnung zur Achse ist sie
ohne nachtheiligen Einfluſs auf die Beschaffenheit des Bildes. 4) Zeigt eine Linse
oder kreisrunde Scheibe bei der Untersuchung im polarisirten Lichte während der
Drehung um ihre Achse in einer oder in mehreren Stellungen ein verschobenes
schwarzes Kreuz oder eine sonstige verzerrte Figur, so ist die Spannung
unregelmäſsig, was denselben Einfluſs ausübt, wie wenn das Glas an verschiedenen
Stellen der Linse ein verschiedenes Brechungsvermögen hätte. Derartige Gläser
sollten für etwas gröſsere Objective überhaupt nicht verwendet werden.
Die Abhandlung enthält noch die Beschreibung einer Vorrichtung von Mach, um planparallele Platten und Positivlinsen auf
Spannungserscheinungen zu prüfen.
Einige Versuche, welche behufs Gröſsenberechnung eines Oberlichtes in der
photometrischen Anstalt von Fr. Siemens und Co. in
Berlin mit Glassorten zur Prüfung ihrer
Lichtdurchlässigkeit angestellt wurden, ergaben folgende Resultate, die
zwar keine groſse Genauigkeit, aber doch praktischen Werth besitzen (vgl. 1889 274 45):
1) Einfaches mattes Glas undurchsichtig, nur Licht durchlassend,
ergab einen Verlust an Licht von 27 Proc.
2) Einfaches Kathedralglas von etwas grünlicher Färbung 12⅔ Proc.
Verlust.
3) Einfaches Kathedralglas von weiſser Färbung 12⅔ Proc.
Verlust.
4) Einfaches weiſses rheinisches Doppelglas 10⅓ Proc. Verlust.
5) Einfaches dünnes Spiegelglas 10 Proc. Verlust.
6) Die unter 4) und 5) genannten, rheinisches Doppelglas und
dünnes Spiegelglas zusammen, in 6cm Entfernung in
einen Rahmen gespannt, ergaben 21 Proc. Verlust.
7) Kathedral- und rheinisches Doppelglas zusammen in einem Rahmen
in etwa 6cm Entfernung von einander, ergaben einen
Verlust von 23 Proc.
8) Eine matte Glasscheibe mit gemaltem Stern, zusammen mit einer
weiſsen Dachscheibe, letztere bestaubt; beide aus dem Oberlicht eines in Benutzung
befindlichen Saales. Die Scheiben, in einer Entfernung von 1m,6 von einander, ergaben einen Verlust von etwa
60 Proc.
9) Eine neue, nicht bestaubte, matte Glasscheibe ohne Stern
zusammen mit der bestaubten, weiſsen Glasscheibe des vorigen Versuches, Entfernung
der Scheiben von einander 1m,6, ergaben einen
Verlust von 40 Proc.
Dr. A. Jolles hielt in der Wiener chemisch-physikalischen Gesellschaft einen Vortrag über die Ursache des Irisirens von Tafelglas.Die Arbeit wurde in Gemeinschaft mit F. Wallenstein publicirt. Alle
irisirenden Glasplatten zeigen die Eigenschaft des Farbenspiels nur an einer
Flächenseite. Die Untersuchung ergab, daſs diese Seite mit einem Netz mikroskopisch
feiner Krystallnadeln behaftet war. Ein Theil dieser Krystalle (lange, baumförmig
verzweigte Nadeln) war in Wasser vollständig und leicht löslich und bestand, wie
später die Untersuchung zeigte, aus kohlensaurem Natron; ein anderer Theil war, weil
in das Glas eingeschmolzen, nicht vollständig löslich und hatte die Form dicker
Prismen mit keilförmigen, abgestumpften Enden. Durch Analyse des Spülwassers konnte
man Natron, Schwefelsäure und Kohlensäure nachweisen. Der irisirende Ueberzug selbst
konnte durch das Wegwaschen der Krystalle nicht beseitigt werden; er verschwindet
nicht durch Kochen mit Salzsäure, geht aber, mit 7proc. Natronlauge gekocht, in
kurzer Zeit in Lösung.
Kalk konnte in der salzsauren Lösung nicht nachgewiesen werden. Der Ueberzug besteht
demnach höchst wahrscheinlich aus amorpher Kieselsäure.
Der Vortragende gibt über deren Entstehung folgende Erklärung: Das Irisiren tritt
einseitig auf; im Streckofen wird das Glas einseitig von Flammen umspült. Im
Streckofen ist die Ursache des Irisirens zu suchen. Die schwefelige Säure der
Feuergase wirkt nach langjährigen Erfahrungen der Glasfabrikanten schädlich auf das
Glas ein (vgl. O. Hirsch 1887 264 503), sie macht dasselbe oberflächlich matt. Die schwefelige Säure ist im Stande, bei
Gegenwart von Sauerstoff unter Umständen Kochsalz zu zersetzen, die Kieselsäure
vermag dies selbst bei Weiſsgluth nicht. Ersterer Prozeſs vollzieht sich am besten
bei etwa 4000 C. Die Kieselsäure ist bei 400 bis 500° C. eine schwache Säure, um so
leichter wird sie bei dieser Temperatur durch Einwirkung der schwefeligen Säure bei
Gegenwart von Sauerstoff ausgetrieben unter Bildung von Natriumsulfat, welches das
Glas oberflächlich überzieht (Sulfat ist im Glase schwer löslich und wird als Galle
von diesem ausgeschieden). Das Tafelglas durchwandert den ganzen Ofen; relativ kühle
Stellen wechseln mit heiſsen, oxydirende Gase wechseln mit reducirenden. Wir können
annehmen, daſs in der gröſsten Hitze, während welcher das Glas sich auf der
Streckplatte befindet, unter dem Einflüsse reducirender Gase das gebildete
Natriumsulfat lösend auf die darunter befindliche Schichte Kieselsäure wirkt. Es
wird dann aus der Haut von Natriumsulfat eine Haut von Wasserglas entstehen. Im
Kühlofen bleibt dieselbe erhalten. Auf das kalte Glas können die Atmosphärilien
nachträglich unter Bildung von Natriumsulfat, Carbonat und amorpher Kieselsäure
wirken.
Im Anschlusse an die Broschüre von Dr. W. SchultzeVgl. 1890 276
277.: „Warum Bier nicht aus Gläsern
getrunken werden soll“, bespricht Referent die Löslichkeit von Glassubstanz in sauren und neutralen
Flüssigkeiten.Wochenschrift für Brauerei, 1890 S.
530.
Schultze bestimmt u.a. die Gewichtsabnahme von Gläsern,
welche er in Lagerbier gebracht und 15 Tage in demselben belassen hat. Aus dieser
Gewichtsabnahme und aus der Analyse der Biergläser bestimmt derselbe die Menge von
Bleioxyd, welche bei 5 Minuten langem Verweilen des Bieres im Glase aus diesem vom
Biere aufgenommen wird. Eine derartige Berechnung läſst sich nur anstellen unter der
Voraussetzung, daſs das Glas auf seiner Oberfläche gleichmäſsig, im Verhältniſs
seiner procentischen Zusammensetzung, gelöst werde, eine Voraussetzung, die durchaus
falsch ist.
Führen wir zunächst die Versuche von H.
Schwarz über die Löslichkeit von Glas in verdünnter Salzsäure an (Glasstudien, Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes, Berlin 1887, vgl. 1888 Bd. 267
S. 223, ferner Mylius, 1889 Bd. 270 S. 85). Die
Glasproben wurden so fein zerrieben, daſs sie die feinste Müllergaze passirten. 5g des so erhaltenen Glaspulvers wurde mit 50cc HCl von 10 Proc. 24 Stunden lang bei 100 C.
digerirt; 45cc wurden abfiltrirt, verdampft, der
Rückstand wurde gewogen und analysirt. Das Glas Nr. I, ein reines Blei-Kaliglas von
der Normalformel K2O, PbO, 6SiO2 hatte folgende Zusammensetzung:
Kieselsäure
=
53,3
Proc.
Bleioxyd
=
32,7
„
Kali
=
13,8
„
Von 1g Glas gingen in
Lösung:
Bleioxyd
0g,0003
Eisenoxyd
0g,0010
Kali
0g,0022
––––––
0g,0035
= 0,35 Proc. gelösten Glases
Das Glas Nr. IV, ein reines Kali-Kalkglas von der
Zusammensetzung:
70,7
Proc.
Kali
10,8
„
Kalk
18,3
„
Kali
gab ebenso wenig an Salzsäure ab wie das vorhergehende
Glas. Von 1g Glas gingen in Lösung:
Kieselsäure
0g,00022
Kalk
0g,00132
Kali
0g,00112
Eisenoxyd
0g,00066
–––––––
0g,00332
= 0,33 Proc.
Glas Nr. VII, ein Blei-Kalk-Kali-Natronglas von der Formel
PbCaK2Na2Si12O28 und der
Zusammensetzung:
Kieselsäure
62g,5
Bleioxyd
19g,2
Kalk
4g,8
Kali
8g,6
Natron
5g,3
gab für 1g an HCl
ab:
Kieselsäure
0g,00034
Bleioxyd
0g,00049
Kali
0g,00022
Eisenoxyd
0g,00055
Kali-Natron
0g,00140
–––––––
0g,00299 = 0,299 Proc.
Auch Gläser von der Formel 5SiO2,
R''O, R'2O lieſsen bei dieser Behandlung nur 1 bis
1,5 Proc. in Lösung gehen. Gegen Wasser verhält sich die Glassubstanz analog. Mylius bringt Gläser von bestimmter Zusammensetzung
durch Zerklopfen und Sieben auf gleiche Korngröſse. 18 bis 20g dieser Glaskörnchen mit einer Gesammtoberfläche
von annähernd 760qc wurden in einem Platinkolben 5
Stunden lang mit 70cc Wasser gekocht und in 60cc das Gelöste bestimmt. Aus dem Glase 6SiO2 1¼K2O ¾CaO nahm
das Wasser auf: 5mg,4 Kieselsäure und 26mg,7 Kali aus dem Glase 6SiO2 1¼Na2O ¾CaO aber:
5g Kieselsäure und 11,5 Natron, ferner aus dem
Normalglase 6SiO2., Na2O, CaO : 3,2 Kieselsäure und 4,2 Natron. Man vergleiche ferner die Arbeit
von Mylius (1889 273
132).
Aus diesen und ähnlichen Beispielen geht hervor, daſs Glas
durch neutrale und saure Flüssigkeiten durchaus nicht im Verhältniſs seiner
procentischen Zusammensetzung gelost wird, daſs vielmehr Alkalien und
alkalische Silicate in Lösung gehen, während saure Silieate und freie Kieselsäure
als schützende Schicht zurückbleiben, welche das Glas vor der weiteren Einwirkung
des Lösungsmittels bewahren.
Wie dünn aber die Oberflächenschicht eines gut zusammengesetzten Glases ist, in
welche chemische Agenden eindringen können, bis ihnen durch die Natur des Glases
Halt geboten wird, geht wieder aus den Versuchen von H.
Schwarz hervor. Trotz der feinen Zertheilung des Glases blieben 99,7 Proc.
desselben nach der Behandlung mit Salzsäure ungelöst zurück; die Dicke der
Oberflächenschicht, in welche die Säure eingedrungen ist, kann also nur einen
kleinen Bruchtheil (1/50 oder 1/100) des Durchmessers der einzelnen Theilchen betragen. Wäre die
Glasschicht, in welche die Flüssigkeit durch Zersetzung des Glases eindringen kann,
nicht so auſserordentlich dünn, so würden unsere in Glasflaschen aufbewahrten
Reagentien für die qualitative und quantitative Analyse nur zu bald verunreinigt und
somit unbrauchbar werden. Die Flaschen selbst müſsten trübe und undurchsichtig
werden. Daſs dies für gewöhnlich nicht der Fall ist, lehrt die tägliche
Erfahrung.
Schlechter zusammengesetzte Gläser setzen allerdings der zersetzenden Wirkung von
Wasser u.s.w. keinen so groſsen Widerstand entgegen. Nach R.
Weber erweisen sich thonerdefreie oder -arme Gläser im Gebrauch und bei der
Prüfung mit Salzsäuredampf als gut, wenn ihre Zusammensetzung dem Verhältniſs R2O, CaO, 6SiO2
entspricht, wenn sie also auf 2 Mol. Base, 6 Mol. Kieselsäure und Kalk und Natron zu
gleichen Molekülen enthalten. Die Menge der Kieselsäure kann ohne Beeinträchtigung
der Eigenschaften nur dann von 6 auf 5 und beim Spiegelglase selbst auf 4,75 Mol.
für 2 Mol. Base sinken, wenn gleichzeitig das Verhältniſs von Kalk zu Natron sich so
ändert, daſs gleichzeitig 6 Mol. Natron auf 10 Mol. Kalk vorhanden sind.
Andererseits erträgt gutes Glas eine Steigerung des Alkaligehaltes dem Kalk gegenüber
auf 3; 2 und selbst auf 2 : 1, falls gleichzeitig die Kieselsäure bis auf 7 oder im
zweiten Falle auf 8,3 Mol. für 2 Mol. Basis vermehrt wird.
Referent weiſs, daſs bleifreie Preſsgläser, welche diesen
Anforderungen entsprechen, möglich sind und im Bändel vorkommen.
Derartige Gläser sind nach mehrmaliger Berührung mit Flüssigkeiten – wie oben
dargethan wurde – so gut wie unlöslich, sie schützen sich selbst. Uebrigens wird
auch durch einen nicht unbeträchtlichen Bleigehalt des Glases bei richtiger
Zusammensetzung die Widerstandsfähigkeit desselben nicht oder nur wenig beeinfluſst
(vgl. R. Weber, Poggend. Ann. [2] 6 455, ferner H. Schwarz a. a. O.).
Die Fehler des Glases, die Mittel, dieselben zu erkennen und
zu prüfen, werden von L. Appert eingehend
besprochen (Mémoires et Compte rendu des traveaux de la
société des ingénieurs civils, 1890 S. 310 bis 326). Die Masse eines
fehlerfreien Glases soll durchaus homogen sein; alles was diese Gleichartigkeit
unterbricht, ist als Fehler des Glases zu bezeichnen. Solche Fehler können bedingt
sein durch Auftreten von Gas- oder Luftblasen, von ungelösten Sandkörnern,
krystallinischen Ausscheidungen u.s.w. Appert befaſst
sich nicht mit Fehlern der ersteren Art. Sie sind leicht zu erkennen und entstehen
in Folge unvollkommener Läuterung des Glases oder durch nachträgliches Einbringen
von organischer Substanz in die flüssige Masse. Dagegen unterzieht der Verfasser die
festen Einschlüsse des Glases einer eingehenden Untersuchung. Das bei derselben
gebrauchte Instrument war ein Polarisationsmikroskop in der von Fouqué und Lévi
beschriebenen Form mit einer Vergröſserung von 300 bis 800 (linear). Man schleift
Lamellen von 0mm,03 Dicke aus dem zu prüfenden
Glase und kittet dieselben mit Kanadabalsam auf den Objectträger. Man untersucht
zunächst bei gewöhnlichem und darauf bei polarisirtem Licht. Die Prüfung der Glasfehler mit
Flüssigkeiten von hohem specifischen Gewicht ergab, daſs dieselben stets annähernd
die gleiche Dichte haben, wie die umgebende Glasmasse. Als häufigste Verunreinigung
des Glases tritt der Quarz auf und ist leicht zu erkennen, auch ist seine
Doppelbrechung leicht zu bestimmen. Bei Gegenwart von Quarz hat man die Frage zu
beantworten, ob derselbe von Thonsubstanz umgeben ist oder nicht. Im ersteren Falle
erscheint der Krystall umgeben von einer graulichen, das Licht stark zerstreuenden
Masse. Die Kieselsäure stammt dann aus den Wänden der Gefäſse, in welchen das Glas
geschmolzen wurde. Tritt der Quarz allein auf, so ist anzunehmen, daſs der Sand im
Glassatze zu grob, oder daſs die Masse nicht genügend gemischt war.
Fig. 1., Bd. 278, S. 320Fig. 2., Bd. 278, S. 320Fig. 3., Bd. 278, S. 320Fig. 4., Bd. 278, S. 320 In vielen Fällen hat die mikroskopische Untersuchung als Ursache des Fehlers im Glase die
nachträgliche Ausscheidung von Krystallen verschiedener in der Natur vorkommender
Mineralien zu erkennen gegeben.
Fig. 5., Bd. 278, S. 321 Sehr häufig trifft man Kryställchen oder krystallinische Aggregate von
Wollastonit an. Als Calciumbisilicat ist sein Auftreten an kalkreiche
Alkali-Kalkgläser gebunden. In Fig. 1 ist der
Radialschnitt eines Sphärolithen aus Wollastonit dargestellt, wie er im polarisirten
Lichte bei gekreuzten Nicols erscheint; in Fig. 2 der
Tangentialschnitt ebenfalls bei gekreuzten Nicols. Gleichzeitig mit Wollastonit oder
für sich allein tritt häufig auch Diopsid in der Glasmasse auf. In Fig. 3 und 4 sind
Entglasungen dargestellt, welche dem Auftreten von Diopsid zuzuschreiben sind.
Der Melilith tritt in unregelmäſsigen Gruppen auf, als Sphärolith oder auch in
Aggregaten anderer Form. Wir geben in Fig. 5 die
Darstellung eines solchen Aggregates. Die hier beschriebenen und ähnliche
Entglasungsproducte treten meist in kleinen, mikroskopischen Krystallen auf.
Manchmal trifft man aber auch gröſsere Krystalle an. Appert hatte Gelegenheit, derartige schön ausgebildete
Wollastonitkrystalle zu beobachten gelegentlich des Bruches einer Glaswanne von
400t Inhalt (vgl. Fouqué weiter unten). Das ausgeflossene Glas erstarrte sehr langsam, so
daſs die Krystalle Zeit hatten, sich auszubilden. Wenn Wollastonit in ganz kleinen
Krystalldrusen sich ausscheidet, wird er mit freiem Auge oft erst bemerkbar, wenn
die Flächen des Glases sorgfältig geschliffen und polirt sind; durch diese
Eigenschaft kann er nicht unbeträchtlichen Schaden verursachen, indem die
Beobachtung derartiger Glasfehler sich lange Zeit oft den geschicktesten Arbeitern
entzieht. Sein Auftreten wird naturgemäſs begünstigt durch Vermehrung des
procentischen Kalkgehaltes im Glase. Auch der Magnesiagehalt des Glases begünstigt
die Entglasung, indem er zur Entstehung von Wollastonit und von Diopsid gleichzeitig
Veranlassung gibt.
Die Temperatur, bei welcher sich Krystalle im Glase bilden, liegt stets unterhalb des Schmelzpunktes der Glasmasse.
Krystalle von Feldspath bilden sich selbst bei Einhaltung der günstigsten Temperatur
äuſserst langsam und schwer. Sie erfordern zudem die gleichzeitige Anwesenheit von
Kali, Thonerde und Kieselsäure, und der Melilith sogar die Anwesenheit von Kali,
Thonerde, Magnesium und Eisen in bedeutenden Quantitäten, Bedingungen, welche bei
Hochofenschlacken viel häufiger erfüllt sind als bei Glassorten. Eine natürliche
Folge dieser Erscheinung ist die groſse Beständigkeit thonerdereicher Gläser,
welche, selbst wenn die Summe der Erdalkalien bei weitem die Menge des Kalkes
übertrifft, die in einem einfachen Glase Entglasungserscheinungen hervorrufen würde,
durchaus glasig und amorph bleiben.
Appert empfiehlt den Glasfabrikanten (was ja vielfach
schon geschieht; vgl. Schott und Frank, 1889 273 90; ferner Zsigmondy,
1889 271 38 und 40), Thonerde ihrem Glassatz zuzusetzen,
wodurch nicht nur an Alkalien gespart werden kann, sondern auch ein Glas gewonnen
wird, welches wenig Neigung hat, zu krystallisiren.
Appert bespricht schlieſslich die Theorie der Entglasung
im Anschluſs an die Ansichten älterer Autoren, Berzelius hält das Réaumur'sche, Porzellan
für Glasmasse, welche durch Krystallisation neue Eigenschaften erlangt hat. Pelouze bekräftigt diese Ansicht in einer Arbeit, die
der Pariser Akademie der Wissenschaften vorgelegt wurde; auch er hält die Entglasung
für eine einfache Aenderung der physikalischen Beschaffenheit der Glassubstanz.
Dumas kam der Wahrheit schon näher, indem er die Ursache
dieser Erscheinung der Bildung von Körpern bestimmter Zusammensetzung zuschreibt,
deren Schmelzpunkt die Temperatur, bei welcher sie entstehen, bei weitem übertrifft.
Er schrieb diesen Körpern die gleiche Zusammensetzung zu, aus welchem Glase sie auch
immer sich gebildet haben mögen. Das ist entschieden unrichtig, indem die Krystalle
stets dem Glase, aus welchem sie entstanden sind, in der Zusammensetzung nahe
stehen.
Nach Appert bestehen die Gläser aus mehreren Körpern
bestimmter Zusammensetzung, deren Moleküle ohne bestimmte Richtung neben einander
liegen, und die sich daher nicht einem krystallographischen Raumnetze einfügen
lassen, wie das bei den krystallisirten Körpern möglich ist.
In gewissen Fällen können diese Körper identisch sein mit den Krystallen, welche
nachher sich in der Glassubstanz bilden, in anderen können sie davon verschieden
sein, die Bildung solcher aber begünstigen. Ein Beispiel der letzteren Art ist die
Bildung von Magneteisenstein in einem eisenreichen Glase. Während die ursprüngliche
grüne Glassubstanz nicht die geringste Einwirkung auf die Magnetnadel zeigt, wird
dieselbe nach der Entglasung stark magnetisch.
Die Arbeit von Appert ermöglicht es, in kurzer Zeit zu
entscheiden, welcher Art die Fehler eines Glases sind, und damit auch die Mittel an
die Hand zu geben, denselben wirksam entgegenzutreten. Es genügt, aus dem Glase
dünne Plättchen zu schleifen und dieselben der Reihe nach im gewöhnlichen und
hierauf im polarisirten Licht zu betrachten.
Es mag hier Erwähnung finden, daſs D. Herman und F. Rutley vor einigen Jahren eine Arbeit über die
Bedingungen, unter welchen die Entglasung auftritt, und den mikroskopischen
Charakter derselben veröffentlicht haben. (Proceedings of
the Royal Society of London, 1885 Bd. 39 S. 87.) Es wurden Glasstücke
verschiedener Dimension in Sand eingebettet mehrere Tage lang zur dunklen Rothglut,
etwa 650° C, erhitzt. Die Autoren kamen wie Appert zu
dem Resultate, daſs die Entglasungstemperatur unter dem Schmelzpunkte des Glases
liege. Die Entglasung schreitet gewöhnlich von der Oberfläche, woselbst sich
zunächst kleine Sphärolithen bilden, gegen innen fort.
Ist die Anzahl der Sphärolithen groſs, so wachsen sie in einander und man erhält das
für die gewöhnliche Entglasung charakteristische Gewirre von Kryställchen. Ueber die
Zusammensetzung der verwendeten Glassorten und die Natur der gebildeten Mineralien
finden sich in der citirten Abhandlung keine Angaben.