Titel: | Die Fabrikation des Alpha-Naphtylamins. |
Fundstelle: | Band 265, Jahrgang 1887, S. 225 |
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Die Fabrikation des
Alpha-Naphtylamins.
Mit Abbildungen.
Die Fabrikation des Alpha-Naphtylamins.
In einer interessanten Abhandlung über die Fabrikation des
Naphtylamins, Chemische Industrie, 1887 Bd. 10 S. 215, bespricht O. N. Witt die Verhältnisse der modernen
Farbenfabrikation überhaupt und weist auf den fühlbaren Mangel an genauen Angaben
über das mächtige und überaus wichtige Gebiet der zwischen der Theerdestillation und
der Farbenbereitung liegenden Operationen hin. Während wir über erstere und die
gröbere Verarbeitung der einzelnen Theerfractionen genau unterrichtet sind, auch
über die Fabrikation der meisten Farbstoffe ganz bestimmte, theilweise sogar zu
detaillirte Vorschriften besitzen, die unter Umständen zu bloſsen Recepten werden,
stehen uns über das dazwischen liegende Bereich der Rohproducte der
Farbenfabrikation nur spärliche und zudem veraltete Notizen zu Gebote. Es ist daher
mit Freude zu begrüſsen, wenn von Seiten bewährter Fachleute das über diesem
wichtigen Gebiet noch schwebende Dunkel geklärt und auch dieser Theil unserer
Groſsindustrie sachgemäſs erörtert wird. Bedenkt man, daſs der weitaus gröſste Theil
der Theerdestillation aus Naphtalin besteht, faſst man ferner die Leichtigkeit ins
Auge, mit welcher wir diesen Körper rein darzustellen vermögen, so muſs auch
unmittelbar einleuchten, von welch groſsem Vortheile die Nutzbarmachung des
Naphtalins der Zukunft der Farbenfabrikation sein werde. Daſs alle in diesem Sinne
angestellten Versuche bis jetzt fehlgeschlagen sind, lag wesentlich daran, daſs man
sich zu ängstlich an Verfahren hielt, welche sich wohl für die Anilinabkömmlinge
bewährt hatten, nach dieser Richtung hin jedoch, weil durchaus unzweckmäſsig, keinen
Erfolg aufwiesen. Erst der auſserordentliche Verbrauch von Echtroth und anderen aus
Naphtylamin hergestellten Azofarbstoffen führte zu einer eigentlichen Reform der
Naphtylaminbereitung und zu einer Anpassung derselben an die gerechten Anforderungen
einer regelmäſsig und in groſsem Maſsstabe betriebenen Fabrikation. Sehen wir auch
in der Darstellung des Naphtylamins, was die chemische Natur und die
Aufeinanderfolge der einzelnen Operationen anbelangt, eine vollkommene Analogie mit
der Anilinbereitung, so müssen wir doch den physikalischen Eigenschaften des
Ausgangs- und Endmaterials eine technisch verschiedene Bearbeitung entsprechen
lassen.
Während Benzol als flüssiger und leicht beweglicher Körper sich glatt nitriren läſst,
setzt Naphtalin, weil fest und leicht sublimirbar, der Nitrirung groſse
Schwierigkeiten entgegen. Geringer sind die Unterschiede bei der Reduction, da beide
Nitrokörper bei der Reactionstemperatur ölig-flüssige Substanzen sind. Der
wesentliche Unterschied jedoch liegt in der Abscheidung der fertigen Basen: Anilin
kann mit Wasserdampf leicht übergetrieben werden, die geringe Flüchtigkeit des
Naphtylamins läſst aber eine Reinigung auf dieselbe Weise nicht zu. Es führt deshalb zur
Abscheidung des Naphtylamins die Methode sicherer zum Ziele, die auf dem alten
(sogen. trockenen) Anilinverfahren basirt.
Zunächst ist es für die Darstellung von Naphtylamin auſserordentlich wichtig, daſs
das angewandte Rohmaterial den höchsten Anforderungen an Reinheit entspreche. Eine
Prüfung nach verschiedener Richtung ist deshalb angezeigt: es sollen nicht allein
der Schmelz- und Siedepunkt des Naphtalins mit dem theoretischen übereinstimmen, es
soll auch eine Probe Naphtalin, an freier Luft einige Tage liegen gelassen, völlig
verdampfen und es darf reine, concentrirte Schwefelsäure mit 1g Naphtalin, auf 170 bis 200° erhitzt, sich nicht
roth, sondern höchstens grau färben. Ein Präparat, welches nach solcher Prüfung für
rein befunden, wird im Betriebe die besten Resultate geben (vgl. auch G. Lunge, 1881 242 455). Die
Nitrirung geschieht in weiten Cylindern von nachstehend beschriebener Form wie
folgt:
Die Rührvorrichtung (vgl. Fig. 2)
besteht aus vier bis sechs im Winkel von 45° schief gestellten Flügeln. Ein den
Cylinder umgebender Mantel erlaubt mäſsige Wasserkühlung. Der Apparat ist aus
Guſseisen gefertigt und mit einem Deckel (in der Zeichnung weggelassen) versehen,
dessen eine Hälfte sich aufklappen läſst, während die andere ein weites zum
Entweichen der entstehenden Gase bestimmtes Abzugsrohr trägt, dessen untere Hälfte
mit einem Dampfmantel umgeben ist, welcher gestattet, daſs das sich durch
Sublimation im Rohre festsetzende Naphtalin von Zeit zu Zeit herunterschmelze. Beim
Gebrauch ist das Rührwerk in verhältniſsmäſsig langsamer Bewegung und bewirkt ein
sanftes, aber vollkommenes Durchmischen des Inhaltes.
Fig. 1., Bd. 265, S. 226Fig. 2., Bd. 265, S. 226Die Beschickung des Apparates besteht, wie schon gesagt, aus einem Gemisch
von Salpetersäure mit Schwefelsäure. Da aber eine sehr energische Wirkung dieses
Gemisches nicht gewünscht wird, so wendet man nicht die stärkste, sondern die
wesentlich billigere 40grädige Salpetersäure an. Von dieser pflegt man auf 250k Naphtalin 200k
zu nehmen und mit dem gleichen Gewichte 66grädiger Schwefelsäure zu mischen. Aber
auch dieses Gemisch würde noch zu heftig wirken, und es ist daher nothwendig, noch
ein passendes Verdünnungsmittel anzuwenden. Ein solches bietet sich in der von
vorhergehenden Operationen herstammenden, dem Naphtalin gegenüber ganz unwirksamen Abfallsäure, von
welcher 600k zur Verdünnung des beschriebenen
Säuregemisches ausreichen. Die Gesammtmenge der Säure beträgt somit 1000k; sobald sich dieselbe im Apparate befindet, wird
das Rührwerk in Bewegung gesetzt und mit dem Eintragen des feingemahlenen und zum
Zurückhalten von Klumpen durch ein Sieb geriebenen Kohlenwasserstoffes begonnen. Das
Naphtalin wird sofort von der Säure angegriffen; eine partielle Schmelzung tritt ein
und die Temperatur steigt. Durch passende Regelung des Eintragens, sowie des
Wasserzuflusses in der Mantelkühlung wird die Temperatur constant auf 45 bis 50°
erhalten, Bei dieser Temperatur schreitet die Nitrirung ruhig fort und ist für die
angegebene Menge im Verlauf eines Tages beendet. Nun wird der Inhalt des Apparates
durch den Entleerungshahn in verbleite Holzkästen abgelassen. Beim Abkühlen setzt
sich das in der Flüssigkeit gelöste und suspendirte Nitronaphtalin in Form eines
Kuchens an der Oberfläche ab, so daſs die unter demselben befindliche Saure klar
abgelassen werden kann. Der Nitronaphtalinkuchen wird durch Auskochen mit Wasser in
verbleiten Bütten von anhängender Saure befreit und schlieſslich durch Zufluſs von
kaltem Wasser unter stetem Rühren granulirt.
Das so erhaltene Nitronaphtalin bildet harte Granalien von citronengelber Farbe,
welche weder auf der Auſsenseite noch auf dem Bruch schimmernde Blättchen
unveränderten Naphtalins zeigen dürfen. Sie sollen geruchlos sein und auch beim
Aufkochen einer Probe mit Wasser kein Naphtalin mit den Wasserdämpfen abgeben.
In dieser Form ist das Nitronaphtalin zur Reduktion durchaus geeignet, für den
Verkauf bedarf es jedoch noch einer Ueberführung in den krystallinischen Zustand.
Ein Product von schönem Aeuſseren zu erhalten, ist wegen der Hartnäckigkeit, mit
welcher das Nitronaphtalin der Krystallisation widersteht, da es sich zumeist ölig
abscheidet, um erst nachträglich krystallinisch zu erstarren, mit auſserordentlichen
Schwierigkeiten verknüpft. Günstige Resultate wurden nach folgendem Verfahren
erzielt: Schmilzt man rohes Nitronaphtalin auf dem Wasserbade mit einem Zehntel
seines Gewichtes Cumol oder Solvent-Naphta, so erhält man ein lange flüssig
bleibendes Oel, welches man zur Entfernung von mechanischen Verunreinigungen
filtriren und eventuell sogar durch Erwärmen über Chlorcalcium vollkommen trocknen
kann. Das klare Gemisch wird nun sich selbst überlassen, wobei es allmählich zu
einem Haufwerk sehr schöner Krystalle erstarrt. Bringt man nun den so erhaltenen
Krystallkuchen unter eine hydraulische Presse, so flieſst das zugesetzte
Lösungsmittel mit einem Theile des Nitronaphtalins ab und kann von diesem durch
Destillation mit Wasserdämpfen getrennt und wiedergewonnen werden. Der Preſskuchen
aber besteht aus schön gelben Krystallen von Nitronaphtalin, welche leicht zu einem
lockeren Krystallmehl zerfallen. Die von der Nitrirung des Naphtalins herstammende
Abfallsäure wird, falls man sie nicht zur Verdünnung bei neuen Operationen verwenden
will, in der Düngerfabrikation verwerthet, oder sie kann auch auf 66grädige
Schwefelsäure verarbeitet werden, wobei ihr Gehalt an organischen Körpern in Folge
ihres geringen Lösungsvermögens für Nitronaphtalin völlig belanglos ist oder durch
Wasserzusatz abgeschieden werden kann. Die Reduction des Nitronaphtalins geschieht in Apparaten, welche
die Einrichtung der für Anilinöl dienenden haben. Nur ist die Armatur insofern
einfacher, als der dort nothwendige Rückfluſskühler wegfällt und durch ein
einfaches, weites, oben auf den Apparat aufgesetztes Rohr ersetzt wird. Ferner
benöthigt ein für Naphtylamin bestimmter Reductionsapparat keinen eigenen
Dampfkessel, da es genügt, ihn an die allgemeine Dampfleitung anzuschlieſsen. Zur
Reduction verwendet man am zweckmäſsigsten Eisen und Salzsäure. 600k lufttrockenes Nitronaphtalin, 800k Eisenbohrspähne und 40k Salzsäure werden unter Zusatz von etwas Wasser
mit einander vermengt, angewärmt und bald darauf das Nitronaphtalin in Portionen in
den Apparat eingetragen. Das Rührwerk ist während dessen fortwährend in Bewegung.
Die Reaction, welche eine ziemlich heftige ist, muſs durch entsprechendes Eintragen
des Nitrokörpers derart geregelt werden, daſs der ganze Reductionsapparat auſsen
handwarm ist, was einer Innentemperatur von etwa 50° entsprechen wird.
Wenn das Zugeben des Nitrokörpers beendet ist, so wird der Apparat noch etwa 6 bis 8
Stunden im Gange erhalten, wobei durch Zuströmen von Dampf durch die hohle Welle des
Rührwerkes für Innehaltung der richtigen Temperatur gesorgt wird. Ein Kaltwerden des
Apparates würde ein plötzliches Erhärten des Reactionsgemisches und den Bruch der
Rührwelle zur Folge haben. Gegen Ende der Operation werden von Zeit zu Zeit Proben
genommen und auf ihren Gehalt an Nitronaphtalin (durch Abdestilliren und Auflösen
des Destillates in Salzsäure) untersucht.
Sobald die Operation beendet ist, wird zu Milch gelöschter Kalk (auf die angegebenen
Mengen genügen etwa 50k) zugegeben und nach
kräftigem Durchrühren die Masse aus dem Apparate entleert.
Der Vorgang bei der Reduction ist nach des Verfassers Ansicht wohl der, daſs das
eigentlich reducirend wirkende Agens das Eisenchlorür ist, welches während der
Reduction in eines der basischen Chloride, etwa Fe2Cl4O, übergeht. In diesem Falle würde
sich die Reaction durch die Gleichung:
24FeCl2 + 4C10H7NO2 + 4H2O = 12Fe2Cl4O + 4C10H7NH2.
wiedergeben lassen. Das gebildete basische Chorid wird nun
seinerseits von dem überschüssig vorhandenen Eisen angegriffen und unter Bildung von
Oxyduloxyd zu Eisenchlorür reducirt, welches aufs Neue auf Nitronaphtalin einwirken
kann: 12Fe2Cl4O +
9Fe = 3Fe3O4 +
24FeCl2.
In einer gut gelungenen Naphtylaminreductionsmasse ist weder Naphtalin noch
Nitronaphtalin vorhanden, nur bei falsch geleitetem Betriebe kann eine Rückbildung
des Nitronaphtalins zu Naphtalin eintreten. Man muſs deshalb bei der Einführung des
zur Abscheidung der fertigen Base anzuwendenden Verfahrens auſserordentlich
vorsichtig sein, da einerseits ihr Destillationsvermögen ein sehr träges ist,
andererseits bei der in den Retorten herrschenden hohen Temperatur eine merkliche
Zersetzung wahrzunehmen ist.
Für eine rasche Entfernung des Naphtylamins aus den Retorten ist aus diesen Gründen
vor allem Sorge zu tragen, was man am besten dadurch erreicht, daſs man die
Reductionsmasse in möglichst dünner Schicht erhitzt. Man richtet daher die
Destillationsretorten zweckmäſsig als Etagenretorten ein (vgl. Fig. 1) und schiebt die Reductionsmasse in flachen
Kästen aus Eisenblech in diese Retorten ein. Letztere werden kräftig geheizt, und
zur raschen Entfernung der sich entwickelnden Naphtylamindämpfe wird Wasserdampf
eingeblasen, dessen Zuführungsrohr von den abziehenden Feuergasen leicht überhitzt
werden kann. Die an die Retorten sich anschlieſsenden guſseisernen Kühlschlangen
liegen in Bottichen, in welchen das Kühlwasser auf einer Temperatur von 60° erhalten
wird, damit nicht etwa erstarrendes Naphtylamin die Kühlschlangen zusetze. Das
Naphtylamin destillirt mit etwas Wasser vermischt als schwärzliches Oel, welches in
den Vorlagen zur Krystallmasse erstarrt.
Die zur Umwandlung des Rohproductes in das Handelspräparat nöthige Rectification
geschieht in der Weise, daſs die Base, nachdem sie mechanisch von dem anhaftenden
Wasser getrennt ist, in einem Vorwärmer durch eine Dampfschlange eingeschmolzen und
durch längeres Erhitzen von Wasser befreit wird. Das geschmolzene Product läuft dann
in eine schmiedeiserne Rectificationsretorte (vgl. Fig.
3), welche durch direktes Feuer geheizt werden kann. Die Retorte ist oben
mit einem Blechtrichter bedeckt, durch welchen ein Theil der Feuergase geleitet
werden kann.
Fig. 3., Bd. 265, S. 229Der Zweck dieses Trichters ist, zu vermeiden, daſs ein Theil der
Naphtylamindämpfe sich schon im oberen Theile der Retorte verdichte und in diese
zurückflieſse. Das Naphtylamin destillirt als fast wasserklares Oel, welches in
Formen gegossen wird und in diesen zu hellgrauen, oft fast weiſsen Krystallkuchen
erstarrt. Das so bereitete Naphtylamin ist nicht völlig rein, es enthält vielmehr
stets merkliche Mengen von Naphtalin, welches sich während der ersten Destillation
in den Retorten bildet. Die Ausbeute an Naphtylamin ist gut, wenngleich sie von der
Theorie noch weit entfernt ist. Jedoch muſs auch dieser Uebelstand auf Rechnung der
trockenen Destillation gesetzt werden; er ist eben das Resultat der oxydirenden
Wirkung des Eisenoxydoxyduls auf das Naphtylamin. Daſs eine solche Reaction
thatsächlich stattgefunden hat, erkennt man bei der Untersuchung der aus den
Etagenretorten kommenden Rückstände. Dieselben bestehen aus metallischem Eisen,
welches in hohem Grade pyrophorisch ist. Sie entzünden sich nach kurzem Liegen an
der Luft von selbst und verbrennen dann zu rothem Eisenoxyd. Da mitunter behauptet worden ist,
daſs das α-Naphtylamin des Handels kleine Mengen von
β-Naphtylamin enthalte, hat Verfasser auch nach
dieser Richtung Versuche angestellt, welche zu dem Resultate geführt haben, daſs bei
der Nitrirung des Naphtalins die β-Verbindung sich
nicht einmal spurenweise bilde. Dagegen fand sich im rohen Naphtylamin eine Base,
welche ihren Reactionen nach zu schlieſsen Perinaphtylendiamin zu sein scheint. Dieser Beimengung wird wohl auch der
Umstand zu verdanken sein, daſs das beste Naphtylamin bei längerem Liegen an der
Luft allmählich violett wird. Absolut reines
α-Naphtylamin hält sich beliebig lange weiſs und unverändert.