Titel: | Ueber Schwungradexplosionen. |
Fundstelle: | Band 265, Jahrgang 1887, S. 66 |
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Ueber Schwungradexplosionen.
Mit Abbildungen.
Ueber Schwungradexplosionen.
In den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbefleiſses für 1886 S. 25 ff. berichtet Regierungs-Maschinenmeister
Köchy hierüber in ausführlicher Weise. Der Genannte
stützt sich auf das reiche amtliche Material, welches anläſslich des Vorkommens
mehrerer Schwungradexplosionen zu Anfang der 80er Jahre durch das Kgl. Preuſs.
Ministerium für Handel
und Gewerbe im J. 1883 gesammelt worden ist. Dieses Material ist allerdings von sehr
verschiedener Beschaffenheit; während im Regierungsbezirke Düsseldorf die
Mittheilung über die einzelnen Unfälle eine ziemlich genaue ist in Bezug auf alle
dabei in Betracht kommenden Umstände, wird in der groſsen Mehrzahl aller anderen
Fälle wenig mehr als die nackte Thatsache des Unfalles angegeben.
Nach den vorliegenden Mittheilungen haben sich Unfälle an Schwungrädern, und zwar
wirkliche Explosionen, sowie bloſse Anbrüche folgendermaſsen auf die einzelnen
Regierungsbezirke vertheilt:
Regierungsbezirk
Jahrzahl
Zahl derexplodirtenSchwung-räder
Zahl derGetödteten
Zahl derVerletzten
DüsseldorfKölnTrierAachenOsnabrückWiesbadenArnsbergOppeln
1856 – 18831869 – 18811852 – 18671849 –
1862bis 1876bis 18791854 – 1883bis 1883
11 3 2 3 1 114 3
5–– 1 2– 7 1
12–31–1–
38
16
8
Die vorstehend verzeichneten Ermittelungen erscheinen verhältniſsmäſsig sehr gering;
namentlich sind dieselben durchaus nicht ausreichend zur Beantwortung der
Hauptfrage, nämlich der verhältniſsmäſsigen Häufigkeit derselben, da die Angaben
über die Anzahl der zur Zeit des Unfalles betriebenen Räder oder wenigstens
Hüttenwerke nur sehr unvollständig sind. Auſserdem scheint, wie die Berichte
theilweise selbst bemerken, überhaupt nur ein Theil der vorgekommenen Unfälle
mitgetheilt worden zu sein.
Vergleicht man z.B. die Angaben für die Bezirke Düsseldorf, Arnsberg und Aachen, so
erscheint es in der That als eine Abnormität, daſs der letztere Bezirk mit seiner
bedeutenden Industrie (gegenwärtig 17 Werke gegen 33 in Düsseldorf) von 1849 bis 62
nur drei derartige. Unfälle gehabt habe, seit 1862 aber überhaupt keinen mehr; es
ist dies um so weniger glaublich, als besonders bemerkenswerthe ungewöhnliche
Ursachen der Explosionen nur in sehr wenigen Fällen festgestellt sind, und der
Betrieb der Räder sich im Aachener Bezirke wohl kaum unter anderen Verhältnissen
vollzieht, als in Düsseldorf oder Arnsberg. Der Nachweis einer viel gröſseren Zahl
von Unfällen in diesen beiden Bezirken mag wohl den eingehenderen Nachforschungen
daselbst zuzuschreiben sein; immerhin heben aber die Berichte übereinstimmend
hervor, daſs selbst in diesen beiden Bezirken die Zahl der wirklich vorgekommenen
Unfälle erheblich gröſser sein dürfte.
Berücksichtigt man nur die genaueren Angaben für den Bezirk Düsseldorf, wo bei 33
Werken, in den Jahren 1871–83, 11 dergleichen Unfälle eingetreten sind – wahrscheinlich ist die Zahl
noch beträchtlich gröſser – so scheint doch die verhältniſsmäſsige Häufigkeit von
Schwungradbrüchen keineswegs gering zu sein.
Was die Ursachen dieser Unfälle anbelangt, so sind dieselben in bei weitem der
gröſsten Mehrzahl völlig unaufgeklärt. Nur in einem Falle ist Stoſs durch einen
fremden Körper, in 3 Fällen zu groſse Umlaufsgeschwindigkeit als Grund der Explosion
angegeben; auch im Bezirke Düsseldorf, wo nur 6 unter 15 Unfällen als unaufgeklärt
bezeichnet werden, dürften die Angaben über Ursache des Unfalles zumeist nur auf
Ansicht beruhen. So viel aber scheint festzustehen, daſs ungewöhnliche Umstände nur
selten zu Schwungradbrüchen führen, daſs vielmehr der Bruch meist ohne besondere
Veranlassung eintritt, also der gewöhnliche Betrieb der
Walzwerksräder bereits Gefahren für deren Erhaltung in sich zuschlieſsen
scheint.Ueber die starke Inanspruchnahme durch Abgabe der lebenden Kraft der
Walzwerksschwungräder bei gewöhnlichem Betriebe vgl. Stahl und Eisen 1881 Bd. 1 S. 64 ff.,
Bericht des Hrn. Blaß.
Was die Geschwindigkeit anbelangt, so ergibt sich aus den zuverlässigen Angaben, daſs
dieselbe, abgesehen von einzelnen Seilscheiben, durchaus eine mäſsige war und 33m nicht überschritt; nur in einem Falle soll sie
42m betragen haben. Bei zwei zersprungenen
Seilscheiben betrug dieselbe 41 und 47m; doch wird
im ersten Falle ausdrücklich schlechter Guſs als Ursache angeführt. In einem Falle
betraf die Explosion ein Rad, welches in Armen und Nabe schon alte, zum Theil
geflickte Anbrüche besaſs; in den allermeisten Fällen aber sind derartige
Beschädigungen nicht nachzuweisen.
Theilweise mag wohl, wie aus den Ergebnissen der von Köchy angestellten theoretischen Untersuchungen hervorgeht, auch die
Construction der Räder an den Zerreiſsungen einigen Antheil gehabt haben; von diesen
Untersuchungen soll nachher die Rede sein. Dem gegenüber hat aber ein Werk, welches
seit 1850 mit 3, gegenwärtig mit 14 Schwungrädern arbeitet, angegeben, daſs daselbst
Schwungradexplosionen nicht vorgekommen seien, und der amtliche Bericht bemerkt,
daſs diese Angabe vollen Glauben verdiene.
Nachstehend ist die Zusammensetzung eines solchen für 80 minutliche Umdrehungen
bestimmten Rades dargestellt. Der Kranz hat Rechteckquerschnitt und besteht aus 4
Theilen; dieselben sind durch starke Flanschen und Schrauben bolzen – nicht durch
Schrumpfringe, welche häufig Anbrüche an den Ansätzen der Nocken bewirken – und
doppelte, versenkte Ankerlaschen mit einander verbunden. Die einzeln gegossenen Arme
von ⌶-Querschnitt sind an den Kranz durch die bekannte
Schwalbenschwanzverbindung (mit Holzkeilen) angefügt und innen mit einer groſsen
Rosette in üblicher Weise verbunden. Auffälliger Weise hat letztere nicht einmal
einen Deckel, um die Symmetrie der Nabe herzustellen. Die eigentliche Nabe (Nuſs) ist an
den Enden mit Schrumpfringen verstärkt, und mit sorgfältiger Vermeidung übermäſsiger
Wandstärken gegossen, um Guſsspannungen zwischen ihr und der Scheibe möglichst zu
vermeiden.
Textabbildung Bd. 265, S. 68Uebrigens bemerkt die betreffende Fabrik, daſs sie auch Schwungräder
anderer Construction in Betrieb habe, wie denn überhaupt die Aufgabe, ein sicheres
Schwungrad zu bauen, sich auf verschiedene Weise lösen lasse.
Der amtliche Bericht fügt dem noch bei, daſs keiner der dortigen Motoren mehr als 80
bis 100 Umdrehungen in der Minute mache. Der Hauptgrund aber, daſs daselbst keine
Zerreiſsungen vorgekommen, liege in der sorgfältigen Controle vor und nach der
Betriebszeit, wodurch jeder Anbruch rechtzeitig entdeckt werde. Auch ein anderes
groſses Hüttenwerk, welches von 1850 bis 1871 nicht weniger als 4
Schwungradexplosionen gehabt hatte, gibt an, daſs seit 1871 die Räder täglich
nachgesehen würden, in Folge dessen kein Unfall mehr vorgekommen sei.
An die Vorführung des thatsächlichen Materiales über Schwungradbrüche schlieſst Köchy sodann eine eingehende theoretische Untersuchung
der Schwungräder auf
ihre Widerstandsfähigkeit gegen Zerreiſsen, auf welche hier der Umfänglichkeit
halber nicht näher eingegangen werden kann. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen,
soweit letztere gewöhnliche Schwungräder, nicht verzahnte Räder oder Seilscheiben
betreffen, werden von Köchy in folgende Sätze
zusammengefaſst:
1) Die Beanspruchung der Räder durch die Centrifugalkraft ist bei
den derzeitig für dieselben gebräuchlichen Formen und Abmessungen selbst bei den
heute üblichen Umfangs-Geschwindigkeiten von 40m
und mehr während des gewöhnlichen Betriebes für sich allein durchaus nicht
hinreichend, den Bestand der Räder ernstlich zu gefährden. Allerdings dürften bei
vielen der heutigen Räder die Verbindungen der Kranztheile unter einander erheblich
schwächer hergestellt sein, als es zur Erzielung einer den übrigen Theilen des
Kranzes gleichen Festigkeit nothwendig wäre. Desgleichen ist die Verbindung der Arme
mit dem Kranze unter Umständen geeignet, die Festigkeit des Kranzes in sehr
ungünstiger Weise zu beeinfluſsen. Immerhin ist selbst unter Berücksichtigung dieser
Verhältnisse schon ein vollständiges Durchgehen der Maschine, also eine groſse
Unachtsamkeit des Wärters nothwendig, um eine Explosion des Rades durch den Einfluſs
der Centrifugalkraft allein herbeizuführen. Zu beachten ist hierbei noch, daſs bei
den heutigen Verhältnissen der Räder die Beanspruchung der Arme durch die
Centrifugalkraft stets erheblich geringer ist, als die des Kranzes, so daſs, wo
Anbrüche der ersteren nachgewiesen wurden, die Ursache derselben in der
Centrifugalkraft allein nicht zu suchen ist.
2) Die Beanspruchung der Räder durch verzögernde Kräfte (Stöſse)
trifft dagegen bei den heutigen Constructionen vorzugsweise die Arme derselben. Auch
hier dürfte indessen immer nur eine Unachtsamkeit im Betriebe eine gefahrdrohende
Beanspruchung dieser letzteren herbeiführen, da für eine solche rechnungsmäſsig ganz
ungewöhnlich hohe Widerstände nothwendig sind, welche unter allen Umständen stets
wenigstens eine sehr bedeutende Abnahme der Geschwindigkeit des Rades, wenn nicht
gar ein vollständiges Stillstehen desselben in kürzester Zeit veranlassen
werden.
Man ersieht hieraus, daſs die Ergebnisse der Untersuchung den Ansichten der Praxis
über die Ursachen der Schwungradexplosionen, wie sie in den amtlichen Berichten zu
Tage getreten sind, im Allgemeinen nicht widersprechen, wenngleich sie dieselben in
mancher Beziehung ergänzen, und dürfte dies ein Beweis für die Richtigkeit der den
Berechnungen zu Grunde gelegten Anschauungen sein. Aus diesen Ergebnissen dürfte
aber zu schlieſsen sein, daſs bei guter Construction und untadelhafter Ausführung
der Räder, sowie bei umsichtigem Betriebe Explosionen derselben zu vermeiden sind.
Wenn demnach aus den statistischen Mittheilungen zunächst der Schluſs gezogen wurde,
daſs der Betrieb der Räder an sich mit Gefahr für den Bestand derselben verbunden zu
sein schiene, so ist dies jetzt dahin zu beschränken, daſs in den aufgeführten
Fällen von Explosionen die Räder in einer oder in mehrfacher Beziehung den obigen
Bedingungen nicht entsprochen haben, und das Gleiche dürfte auch noch von manchen
der heute in Betrieb befindlichen Räder zu sagen sein.
Fragt man nun, was hinsichtlich der Construction sowohl, als des Betriebes zu
beachten ist, um den Rädern eine möglichst hohe Sicherheit gegen das Zerspringen zu
ertheilen, so folgen aus dem Ergebniſs der Untersuchungen nachstehende Regeln.
1) Die Verbindungen der Kranztheile unter einander sollen derartig
stark hergestellt sein, daſs ihre Festigkeit mindestens der des Kranzes an der
stärkst beanspruchten Stelle desselben entspricht. Die Erfüllung dieser Bedingung
dürfte unter allen Umständen möglich sein.
2) Die Verbindungen der Arme mit dem Kranze sollen so hergestellt
sein, daſs eine ungünstige Einwirkung durch dieselben auf die Festigkeit des
letzteren nicht eintreten kann. Schwalbenschwanzförmige Ansätze sind deshalb zu
vermeiden, dagegen erscheint es zweckmäſsig, statt solcher prismatische Ansätze der
Arme anzuwenden, da hierdurch eine vollständige Entlastung des Kranzes von der
Beanspruchung auf Biegung, wenigstens durch die Centrifugalkraft, zu erzielen ist,
wodurch die Sicherheit desselben bedeutend erhöht wird.
3) Die Arme der Räder sind so stark als irgend möglich zu
construiren. Bei Anwendung von Schmiedeisen für dieselben, welches Material sich
schon der gröſseren Zuverlässigkeit wegen empfiehlt, ist es entschieden möglich, die
Festigkeit derselben der des Kranzes gleich zu machen.
4) Um das Durchgehen der Maschine unter der Hand eines
unvorsichtigen Wärters zu verhüten, empfiehlt es sich, gut construirte, energisch
wirkende Regulatoren zu verwenden, deren Anwendung sich übrigens in jüngster Zeit
für Walzwerkmaschinen mehr und mehr einzubürgern scheint. Um die Ursachen für das
Versagen derselben soviel als möglich zu verringern, sollten sie nicht durch Riemen
oder Reibungsräder, sondern durch Zahnräder von der Schwungrad- oder Steuerwelle aus
betrieben, und durch gute und häufige Reinigung für das unbehinderte Spiel derselben
gesorgt werden.
5) Die übermäſsige Beanspruchung der Arme durch die Walzarbeit in
Folge des Einbringens zu starker oder zu kalter Packete oder Luppen kann nur durch
umsichtige Leitung des Betriebes verhindert werden. Sollte aber dennoch einmal ein
Rad hierdurch in kurzer Zeit zum Stillstand gekommen oder in seiner Geschwindigkeit
bedeutend zurückgegangen sein, so ist stets die Gefahr eines Anbruches zu vermuthen.
Dasselbe sollte alsdann sofort still gestellt und nicht eher wieder in Betrieb
genommen werden, als bis durch die genaueste Untersuchung die vollständige
Sicherheit desselben festgestellt ist. Ueberhaupt aber dürften zeitweise
Untersuchungen der Räder durch Beamte oder Meister des betreffenden Werkes selber zu
empfehlen sein. Das in der Abbildung dargestellte Rad zeigt hinsichtlich seiner
Sicherheit gegen Stöſse durchaus keine günstigeren Verhältnisse als die explodirten
Räder, und trotzdem sind auf dem Werke, dem dasselbe entstammt, noch keine
Explosionen von Rädern vorgekommen. Sicherlich dürfte dies nur der guten
Ueberwachung der Räder auf diesem Werke zu verdanken sein.
6) Endlich ist bei der Construction und Herstellung der Räder
darauf Bedacht zu nehmen, daſs alle diejenigen Bedingungen erfüllt werden, welche
bei den Berechnungen stillschweigend vorausgesetzt wurden, da Verstöſse gegen
dieselben naturgemäſs nicht Gegenstand einer rechnerischen Untersuchung sein können.
Dahin gehört demnach die Vermeidung aller Konstructionen, bei welchen von vornherein
durch Form oder Herstellungsweise starke Spannungen in den durch den Betrieb
beanspruchten Theilen auftreten können. In dieser Beziehung sind also Räder, welche
aus mehreren Theilen zusammengesetzt sind, solchen, bei denen z.B. die Arme mit dem
Kranze aus einem Stück bestehen, vorzuziehen. Auch auf die Vermeidung massiger Naben
ist Bedacht zu nehmen, da mehrere der mitgetheilten Brüche auf durch den Guſs in
denselben entstandene Spannungen zurückzuführen sein dürften.
Werden alle diese Bedingungen erfüllt, so wird man sagen müssen,
daſs die vollständige Zertrümmerung oder Explosion eines so construirten und
betriebenen Rades unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht mehr möglich ist.
Sicherlich aber dürfte es eine dankbare Aufgabe nicht allein der staatlichen,
sondern auch der Aufsichtsbeamten der betreffenden Werke selber sein, namentlich
ältere Räder hinsichtlich ihrer Sicherheit in der im Vorstehenden angegebenen Weise
zu prüfen. Das Ergebniſs solcher Untersuchungen dürfte in mancher Beziehung
Bemerkenswerthes bieten und manches Werk noch rechtzeitig dadurch vor einem Schaden
bewahrt werden, den es sonst vielleicht einmal über kurz oder lang durch das
Zerspringen eines Rades erleiden könnte.