Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Fundstelle: | Band 256, Jahrgang 1885, S. 408 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Mit Abbildungen.
(Patentklasse 78. Fortsetzung des Berichtes Bd.
255 S. 518.)
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
W. F. Wolff in Walsrode und M. v.
Foerster in Berlin (D. R. P. Anmeldung vom 25. August 1884) erzeugen ein Sprengpulver durch Zerkleinern stark gepreſster Nitrocellulose zu Körnern. Zu diesem Zwecke wird fein
zerkleinerte nasse Nitrocellulose auf hydraulischen Pressen zu dünnen Platten
verdichtet, die nassen Platten in Streifen, die Streifen in Körner zersägt. Statt
der nassen Nitrocellulose wollen sie auch durchaus mit Paraffin getränkte verwenden
(woraus wohl kein sonderlich brauchbares Pulver entstehen wird). Die Körner können
zum Schutze gegen
Verstauben in ein Lösungsmittel, wie Essigäther (vgl. dagegen 1884 251 371), Nitrobenzol u. dgl. oder in flüssiges Paraffin
getaucht werden. Der Vortheil dieses Pulvers besteht in einem höheren specifischen
Gewichte gegenüber gewöhnlicher Nitrocellulose.
Von Th. Nordenfelt in London stammen die beistehend
abgebildeten zwei neuen Formen für prismatisches
Pulver. Die Form Fig. 1 hat convexe Enden,
die Form Fig. 2 überdies trichterförmige
Vertiefungen; beiden fehlt der Zündkanal. Nordenfelt
hat diese Formen deshalb so gewählt, weil die Prismen mit Zündkanälen unmittelbar
nach der Entzündung in Folge des Gasdruckes bersten können, wodurch plötzlich ein
übermäſsiger Druck im Rohre entstehen kann; bei den Nordenfelt'schen Formen sind einerseits die für die rasche Entzündung
günstigen freien Flächen durch die Krümmung der Enden vergröſsert, andererseits wird
das Prisma erst dann ein durchlöchertes, wenn die Scheidewand zwischen den beiden
Eindrückungen durchgebrannt ist. Versuche mit diesen Prismen müssen erst zeigen, ob
die dadurch erzielte Vergröſserung des Hohlraumes nicht schon nachtheilig ist.
Fig. 1., Bd. 256, S. 409Fig. 2., Bd. 256, S. 409T. Petry, O. Fallenstein und H. Lisch
in Düren (D. R. P. Nr. 31786 vom 18. Juni
1884) stellen einen Sprengstoff her, indem sie Schieſsbaumwolle oder
andere Nitrocellulose in einem Nitrokohlenwasserstoff,
z.B. Nitrobenzol, lösen, in die entstehende gelatinöse Masse chlorsaures Kali,
Kalisalpeter, salpetersaures Ammoniak u. dgl. einkneten und der ganzen Masse noch 3
Proc. Schwefelantimon zusetzen. Aus diesem Sprengstoffe werden, wie beim Dynamit,
mit Papier umhüllte Patronen geformt.
Dieselben werden nun von der Firma Petry und Fallenstein
in Düren unter dem Namen „Kinetit“ in den Handel
gebracht und sind damit nach der Berg- und Hüttenmännischen
Zeitung, 1885 S. 65 auf der Grube Diepenlinchen bei Stolberg Versuche
angestellt wurden. Es ergab sich bei denselben:
Verbrauchk für 1m
Kostenfür 1m
Aufgefahrene m inder Häuerschicht
Im Feldortemit
Pulver (70 Proc.)DynamitKinetit
6,853,544,30
4,577,709,82
0,0460,0510,053
Beim Schacht-abteufen mit
DynamitKinetit
5,208,27
13,6322,36
0,01290,0135
Wie man sieht, sind diese Versuche für Kinetit sehr ungünstig
ausgefallen, was Verbrauch und Kosten betrifft, und es steht dem nur der raschere
Arbeitsfortschritt gegenüber. Derlei erste Versuche sind aber gewöhnlich nicht
maſsgebend; es ist anzunehmen, daſs die richtige Behandlungsweise noch nicht
herausgefunden wurde, denn die Zusammensetzung des Kinetit läſst für dasselbe eine
der Sprenggelatine nahe kommende Wirkung voraussetzen.
Aus den gegebenen Andeutungen läſst sich nämlich feststellen, daſs Kinetit eine aus
Schieſsbaumwolle (wahrscheinlich Dinitrocellulose) und Nitrobenzol hergestellte
Gelatine ist, in welcher Salpeter und chlorsaures Kali eingeknetet und der
schlieſslich noch etwas Schwefelantimon zugesetzt wird. Trotz dieses letzteren
Zusatzes ist Kinetit noch immer schwer, nur durch sehr starke Zündhütchen, zur
Explosion zu bringen, ist aber wasserbeständig und soll auch nicht gefrieren.
Dagegen scheint es weniger brisant zu sein und deshalb einen festen Besatz zu
benöthigen, ein Umstand, welcher in der Praxis wesentlich mitspielt und bei
Zündhütchen auch gefährlich ist. Versuche mit Gyps- oder Heupfropfen sollen sich gut
bewährt haben. Dem Kinetite dürfte nur der Umstand hinderlich sein, daſs seine
Erzeugung stets theurer sein wird als die von Sprenggelatine oder Dynamit. Ueber die
gröſsere Gefährlichkeit (chlorsaures Kali und Schwefelantimon sind ein Knallsatz)
müssen erst Proben Aufschluſs geben.
P. A.
Favier in Paris (* D. R. P. Nr. 31411 vom 27. Mai 1884) will bei Herstellung
von Schieſspulver den salpetersauren Salzen ihre Hygroskopicität nehmen, indem er sie mit Paraffin, Harz oder ganz
besonders mit Nitronaphtalin mischt. Er empfiehlt für
100 Th. salpetersauren Ammoniak 5,75 Th. Paraffin oder 7,12 Th. Harz oder 9,02 Th.
Nitronaphtalin; auf 100 Th. salpetersaures Natron 9,26 Th. Paraffin, 13,40 Th. Harz,
oder 18,93 Th. Nitronaphtalin. Das Nitrat wird mit dem Kohlenwasserstoffe in einen
Misch- oder Knetapparat gebracht, welcher auf die Schmelztemperatur des
Kohlenwasserstoffes, also bei Nitronaphtalin auf 43°, erwärmt ist, und die geknetete
Masse wird in Warmpressen verdichtet und geformt. Zur Aufbewahrung ist das Pulver
durch Eintauchen in eine Lack- oder Harzlösung wasserbeständig zu machen. Um diese
Pulver zur Explosion zu bringen, genügt ein Zündhütchen nicht; sondern es müssen
etwa 20 Proc. Dynamit, Schieſswolle o. dgl. in eine Höhlung der gepreſsten Patrone
gebracht werden.
Wie die Erfahrung gezeigt hat, ist die schon öfter versuchte Mengung von Salpeter mit
Paraffin und Harz nicht genügend, um ein Pulver wasserbeständig zu machen, da die
Salpeterkrystalle allmählich ausgelaugt werden; der Ueberzug mit Paraffin (vgl. 1883
250 456) schützt nur, wenn derselbe sehr sorgfältig
gemacht ist und später nicht beschädigt wird. Stets
verschlechtern Paraffin und Harz das Pulver. Dagegen muſs die Beigabe von
Mononitronaphtalin als eine gute Idee bezeichnet werden und zweifellos wird damit
ein kräftiges Pulver zu erzeugen sein, wenngleich noch zu untersuchen ist, in wie
weit das Nitronaphtalin sich in der Feuchtigkeit verändern und die Gase beim
Verbrennen sich verschlechtern werden. Das gröſste Bedenken gegen diese
Pulvergattungen bildet der Umstand, daſs zu ihrer Explosion 20 Proc. Nitropräparate
erforderlich sind; es ist sehr fraglich, ob bei längeren Bohrlochsladungen diese
Menge genügen wird, und die gemischte mischte Verwendung von Pulver und Nitropräparaten hat
immer die gefährlichere Handhabung gegen sich.
In den Transactions of the technical Society of the Pacific
Coast, 1884 Bd. 1 Nr. 5 berichtet Fr. Jenssen
in San Francisco über die Ursachen der Explosionen bei der
Erzeugung hochexplosiver Stoffe. Verfasser betont, daſs in den J. 1869 bis
1872 wohl viele Explosionen in derlei Fabriken vorkamen, daſs aber in den letzten 12
Jahren dieselben nur selten sich ereignen. In den meisten Fällen sei die Ursache
entweder unzweckmäſsige Construction und verfehlte Anordnung der Fabrik und der
Einrichtungen, oder Mangel an Sorgfalt der Arbeiter, oder endlich Böswilligkeit. Jenssen findet, daſs die Herstellung von Nitroglycerin
in groſsen Apparaten, wie es Nobel thut, vortheilhafter
ist als nach der Mowbray'schen Methode in vielen
kleinen Gefäſsen, weil zu ersterer Art nur ein,
allerdings sehr verläſslicher, Arbeiter nothwendig sei. Jenssen hat die beiden Methoden in der Weise vereinigt, daſs er zwei
Apparate, jeden mit 1016k (1 Tonne engl.)
Nitroglycerinfassung, neben einander stellt, welche beide von einem Manne bedient
werden können. Das Gemenge von Glycerin und Säuren muſs fleiſsig gerührt werden;
denn wenn das Glycerin auf der Säure schwimmt, so kann es durch rasche Oxydation
Feuer fangen. Nur sofortiges Absperren des Glycerinzuflusses und verstärktes Rühren,
im Nothfalle rasches Entleeren in kaltes Wasser können der stürmischen Entwickelung
von Untersalpetersäure vorbeugen. Die letzte hierdurch hervorgerufene Explosion in
den Nobel'schen Fabriken fand im J. 1872 statt; seitdem
haben die genannten Mittel stets geholfen, trotzdem häufig Zersetzungen im Apparate
vorkamen. Bei der sogen. direkten Scheidung, wo, um die Säure zu gewinnen, das
Nitrirgemenge absitzen gelassen wird, ist stets Explosionsgefahr vorhanden.
Gewöhnlich wird der Inhalt des Apparates aber in ein groſses, mit Wasser gefülltes
Gefäſs abgelassen und es ist keine Gefahr zu befürchten, wenn man das Nitroglycerin
so kurz als möglich im ersten Wasser läſst und alsbald in ein zweites gibt, wo die
Waschung und Neutralisation beendet werden kann. Saures Nitroglycerin soll nie über
Nacht stehen bleiben. Die Ablaufleitungen sollen so weit als möglich von
Wärmeleitungen entfernt gehalten werden, da geringe Theile von Nitroglycerin stets
in den Röhren bleiben und durch andauernde Wärme leicht zersetzt werden können.
Leckungen sind sorgfältig zu vermeiden; Nitroglycerinhähne müssen leicht und ohne
Reibung sich drehen lassen. Die Waschwässer, welche – theils fein vertheilt, theils
an Unreinigkeiten gehängt – kleine Nitroglycerintropfen enthalten können, sollen
durch Thon- oder Bleirohre möglichst unmittelbar in flieſsendes Wasser geleitet
werden. Hölzerne Leitungen sind gegen Sonnenstrahlen wohl zu schützen. In einer
Fabrik flössen diese Wässer über ein sandiges Ufer dem Flusse zu und an einem
heiſsen Sommertage erfolgte an diesem Ufer eine heftige Explosion. In einer anderen
Fabrik flössen die Waschwässer durch einen in felsigem Boden angelegten Graben und, als
man bemerkte, daſs der Felsen klüftig sei und in den Spalten Nitroglycerin sich
angesammelt habe, dessen Herausnahme schwierig und gefahrvoll war, entschloſs man
sich, den Graben aufzulassen, die klüftige Stelle aber stets unter Wasser zu halten;
nach einigen Jahren jedoch schlug während eines heftigen Gewitters der Blitz in den
Graben und die darauf folgende Explosion richtete bedeutenden Schaden an.
In den Mischräumen ist wenig Gefahr; nur wenn der Saugstoff nach dem Trocknen zu warm
verwendet wird, kann Zersetzung eintreten. Die Heizröhren sollen gut umhüllt und
häufig gereinigt werden, damit der beim Mischen umherfliegende Staub nicht auf
denselben liegen bleibe, was besonders bei der immer häufiger werdenden Verwendung
von Nitrocellulose nothwendig ist. Selbstverständlich sind die Oefen für die
Heizungen von den Gebäuden entfernt zu halten.
Bei den gebräuchlichen Patronenpressen sind einige Unglücksfälle dadurch vorgekommen,
daſs der Stempel in dem Trichter nicht genau geführt war und sich an den Wandungen
rieb (vgl. 1884 254 * 114). Zur Vermeidung solcher
Unglücksfälle werden die Stempel neuestens aus Bein
hergestellt. Bei der Erzeugung von Patronen aus der Sprenggelatine und dem
Gelatinedynamit mit einer neuartigen Maschine (nach Art der bekannten Thonschneider
angeordnete Schraube) ist bisher kein Unglücksfall vorgekommen und bei einiger
Sorgfalt auch keiner zu befürchten. Es ist natürlich, daſs sowohl im Misch- wie im
Verpackungsraume metallene Werkzeuge nicht verwendet werden, oder an den Wänden
hängen sollen. Die Fenster sollen durch Roll vorhänge gegen unmittelbare
Sonnenstrahlen geschützt sein. Reinlichkeit und Genauigkeit sind überhaupt die
Vorbedingungen für die Sicherheit und können nicht genug geschätzt werden.
Bei aller Vollkommenheit der Einrichtungen ist es nothwendig, daſs die Arbeiter stets
sorgfältig überwacht werden. Die häufig verschieden beantwortete Frage, ob man
Arbeiter so lange als möglich halten, oder häufig wechseln solle, beantwortet Jenssen dahin, daſs verläſsliche Leute zu behalten, die
anderen häufig zu wechseln sind; bei der Erzeugung von Nitroglycerin und bei der
Neutralisation bedarf es lang geübter Leute, in den anderen Abtheilungen erfahrener
Vorarbeiter, welche neue Leute niemals allein arbeiten lassen dürfen.
Gegen Böswilligkeit gibt es keinen anderen Schutz als sorgfältige Ueberwachung; von
Nutzen ist die in Oesterreich, der Schweiz u.s.w. getroffene Anordnung, daſs die
Arbeiter nur in ihre eigene Werkstätte Zutritt haben.
Im Hafen von Larne (Groſsbritannien) stand ein alter
Schooner „Essequibo“, welcher früher als Dynamitmagazin diente und seit 1876
als herrenloses Gut umhertrieb. Derselbe war zur Zeit seiner Benutzung häufig von
Sturzwellen überfluthet und einmal ganz mit Wasser gefüllt worden und der betreffende,
seither verstorbene Besitzer wuſste, daſs der Kielraum und die Zwischenräume
zwischen den Spanten mit Nitroglycerin getränkt waren. Es schien wahrscheinlich,
daſs fast alles Nitroglycerin mit der Zeit aus dem Schiffe herausgewaschen wurde;
allein es blieb doch noch darin, denn als 2 Arbeiter die Metallbestandtheile dieses
herrenlosen Schiffes für sich verwerthen und ein ans Land gebrachtes Pumpenrohr mit
dem Hammer zerkleinern wollten, explodirte dieses und tödtete die Leute. Es mag
dieser Fall als Warnung dafür dienen, daſs es nicht genügt, wenn die staatlichen
Vorschriften die behördliche Bewilligung für die Errichtung von Explosivstoff-Lagerräumen vorschreiben, sondern daſs auch
die Auflassung solcher erst dann erfolgen dürfe, wenn
sachverständige Organe deren Ungefährlichkeit für andere Zwecke zweifellos
feststellen.
Die französische Explosivstoff-Commission hat mit
Rücksicht auf gewisse Vorstellungen, welche im Interesse der durch das Widerstreben
der verschiedenen Transportunternehmer gefährdeten Ausfuhr von Pulver und Jagdmunition erhoben wurden, eine Reihe von
Versuchen durchgeführt, um darzuthun, in wie weit eine Gefahr bei solchen Versendungen vorhanden sei; im Bulletin d'Encouragement, 1885 Bd. 12 S. 26 findet sich darüber der
Bericht. Bei den Versuchen wurden alle während der Fortschaffung zu Land oder zur
See nur irgendwie denkbaren Fälle nachgeahmt. Man lieſs insbesondere Kisten in einen
Schacht von 12m Tiefe fallen, lieſs ein Gewicht
von 300k bei gewöhnlicher und bei einer Temperatur
von 100° aus 5m Höhe auf die Kiste fallen, lieſs
in denselben Patronen detoniren, brannte die Kisten an u.s.w. Die Commission
erklärte als Ergebniſs, daſs die nachfolgenden Munitionskörper in der That
vollkommene Sicherheit bieten, nämlich, daſs die Explosion eines dieser
Munitionskörper nicht auch die Massenexplosion der anderen in derselben Kiste
verpackten hervorrufen könne: Zündhütchen in Weiſsblechbüchsen, geladen mit 65 Th.
Knallquecksilber und 35 Th. Kalisalpeter; Zündhütchen in Pappschachteln, geladen mit
dem Gaupillat'schen Knallsatze (Mischung von
metallischen Chlor- und Schwefelcyanverbindungen); Flobert'sche Kapseln in Blechbüchsen, geladen mit 2 Th. Knallquecksilber,
1 Th. Kalisalpeter, 1 Th. Schwefelantimon; Zündpillen für Centralzünderpatronen in
Pappschachteln; Patronen für kleine Kaliber, System Gaupillat, in Pappschachteln; Revolverpatronen beider Systeme in Blech-
oder Pappumhüllung; Jagdpatronen beider Systeme; Gewehr-Metallpatronen aller Art.
Die Commission folgert daraus, daſs es gar keinen Anstand haben könne, diese
Munitionskörper mit Eisenbahn-Güterzügen, Fuhrwerken (einschlieſslich
Personenwagen), auf Kanälen, Segel- oder Dampfschiffen (auch Auswandererschiffen) zu
befördern. Auch die Beförderung als Eilgut auf Eisenbahnen wäre zu gestatten, wenn
die Flobert'schen Kapseln und die Revolverpatronen (mit
Kugel) in Kisten von höchstens 5k Rohgewicht, die
Zündhütchen mit höchstens 2k,5 Rohgewicht aufgegeben werden.
Bezüglich der Sprengkapseln ist auch diese Commission (gleichwie die englische und
österreichische) nicht der Meinung, daſs sie unter die Sicherheitsmunition zu
rechnen seien (vgl. 1884 251 121. 253 75).
In der Dynamitfabrik von Matagne-la-Grande (Belgien) hat
am 15. April d. J. eine Explosion bei der Nachscheidung von
Säuren stattgefunden, welche einem Arbeiter und auch dem Generaldirektor
dieser Anlage das Leben kostete. Diese Fabrik hat früher indirekt geschieden und
seit dem vorigen Jahre die noch heute in der französischen
Nationalfabrik von Vonges gebräuchliche Art der unmittelbaren Scheidung
eingeführt. Es werden dabei die Säuren nach der ersten Scheidung in Korbflaschen
abgezogen, hier, im Freien stehend, sich selbst überlassen, nach 24 Stunden noch 300
bis 500g, nach 8 bis 14 Tagen etwa 50g und nach weiteren 14 Tagen der Rest mittels
Heber abgenommen, worauf die Säuren (auf 100k
Beschickung etwa 75k von 61° B.) zur
Wiederverwerthung verkauft werden. Nun wurde in Matagne häufig beobachtet, daſs das
Nitroglycerin auf den Säuren schwimmend gefror, ferner, daſs sich am Boden der
Flaschen Eisklumpen artige Gebilde absetzten, in welchem Falle das Nitroglycerin gar
nicht steigt; bei Erwärmung, oft schon bei 3 bis 4°, kam dann eine grünliche, roth
dampfende Flüssigkeit in die Höhe, brannte häufig und zersprengte die Flaschen.
Selbst bei versandtfertigen, also bereits verschlossenen Flaschen kamen noch oft
Sprengölaugen an die Oberfläche und Flaschenbrüche waren insbesondere dann häufiger,
wenn der Klumpen sich löste.
Als nun ein Arbeiter damit beschäftigt war, Nitroglycerin aus solchen Korbflaschen
abzuheben, sah er die Strohumhüllung einer solchen und bald darauf von etwa 20
anderen Flaschen brennen, lieſs seinen Topf mit Nitroglycerin stehen, rannte um
Hilfe und ging trotz Warnung wieder zu den Flaschen; unmittelbar darauf explodirten
etwa 40 davon und durch die ausgeflossenen Säuren entzündeten sich und detonirten
dann die Flaschen eine um die andere. Trotzdem nun schon ein Arbeiter getödtet
wurde, war der Generaldirektor der Fabrik so unvorsichtig – unbekannt aus welchem
Grunde – eine solche Flasche umzulegen, worauf auch diese losging und ihn tödtlich
verletzte.
Es scheint zweifellos, daſs diese ganze Art der unmittelbaren Scheidung verfehlt ist,
und es steht dem nicht entgegen, daſs die Fabrik von Vonges schon Jahre hindurch so
arbeitet; hat ja doch die Fabrik in Pembrey (Wales) das von Boutmy und Faucher in Vonges eingeführte
Verfahren auch aufgeben müssen, weil die Möglichkeit einer Explosion gröſser ist.
Stets ist es gefährlich, das Nitroglycerin längere Zeit mit concentrirten Säuren in
Berührung zu lassen, weil es sich darin theilweise löst und die immer vorhandene
Untersalpetersäure leicht aufnimmt, wodurch selbst bei gewöhnlicher Temperatur
Zersetzung eintritt. Es können möglicherweise die mit dem Gefrieren und Aufthauen
von Nitroglycerin verbundenen Wärme Vorgänge beschleunigend auf die Zersetzung einwirken. Auch die
beobachteten Eisklumpen artigen Gebilde tragen offenbar zur Zersetzung bei:
Gefrorene Säuren können sie nicht sein (Gefrierpunkt der Salpetersäure – 40°, der
Schwefelsäure – 34°), dagegen aber Kammerkrystalle, wie
sie sich bei Einwirkung von Untersalpetersäure auf Schwefelsäure entwickeln und
unter stürmischer Gasentwickelung wieder zersetzen. Unbedingt schlecht ist es, eine
solche Nachscheidung in breitbauchigen enghalsigen Korbflaschen vorzunehmen, welche
den Dämpfen wenig Ausgang lassen.
Allen diesen Uebelständen begegnet man durch die in den Nobel'schen Fabriken übliche unmittelbare Scheidung, wobei in 1 bis 2
Stunden und bei 12 bis 15° Wärme der gröſste Theil des Nitroglycerins in die Höhe
steigt, die Trennungsschicht jedoch nicht abgehoben wird, sondern mit den Säuren in
passende Gefäſse kommt, in welche sodann Wasser bis zur erreichten Verdünnung auf
etwa 36° B. flieſsen gelassen wird; auch kann dies durch Einleiten von Wasserdampf
in einen mit Kiesstücken gefüllten Gloverthurm geschehen. Hierbei findet nun unter
starkem Aufschäumen und Dampfentwickelung eine allmähliche Zersetzung des
Nitroglycerins statt und das etwa unzersetzte Nitroglycerin sinkt leicht zu Boden.
Es werden auf diesem Wege wohl geringer werthige Abfallsäuren gewonnen; jedoch ist
die Gefahr bedeutend herabgemindert.
In dem vorliegenden Falle waren offenbar die Strohumhüllungen durch Säuredämpfe
entzündet, der Zersetzungsvorgang durch die Temperaturerhöhung bis zur Explosion
beschleunigt worden. Die vom Generaldirektor umgelegte Flasche hatte keine
Strohumhüllung, stand nicht im Feuer und war verschlossen; es scheint, daſs die in
dem leeren Theile thatsächlich beobachtete Zersetzung durch das Umstürzen rasch in
die ganze Masse verbreitet und so gleichfalls deren Steigerung bis zur Explosion
herbeigeführt wurde.
In der Revue industrielle, 1885 S. 188 veröffentlicht
P. Berthelot die Ergebnisse einiger im Vereine mit
Vieille und Oberst Sébert, sowie der physikalischen Commission der Akademie der
Wissenschaften in Paris gemachten Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Detonation in den Explosivstoffen. Die
Explosivstoffe wurden in dünne Röhrchen aus Blei, Zinn und Metall von 1 bis 2mm innerer Lichte und 100 bis 200m Länge geladen und die Explosionsgeschwindigkeit
zum Theile mit den Chronographen von Sébert und Le Boulengé, meist aber mit dem Sébert'schen sogen. Velocimeter gemessen, indem um die Röhrchen in
passenden Abständen Drähte gewickelt waren, durch welche selbstständige elektrische
Ströme gingen und zum bekannten Stimmgabel-Schreibapparate führten.
Die Versuche haben in mehrfacher Beziehung bemerkenswerthe, wenn auch schon früher
als wahrscheinlich angenommene Ergebnisse geliefert. So wurde gefunden, daſs die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit mit dem Durchmesser der Ladung, mit der Dichte des
Explosivstoffes und auch mit der Natur der Umhüllung (bei Zinn gröſser wie bei Blei)
wächst. Nitroglycerin in engen Röhrchen (3mm im
Lichten) ist bei 12° Wärme gar nicht, bei 14° nur theilweise und erst bei 18° (nach
Aussetzung in die Sonne) zur Explosion zu bringen. Die Form der Umhüllung (gekrümmt
oder rechtwinkelig) hat auf die Geschwindigkeit keinen Einfluſs. Obzwar die
erhaltenen Geschwindigkeiten durch die vorerwähnten Umstände bedeutende
Verschiedenheiten zeigen, ist es doch von Interesse, die Durchschnittszahlen zu
kennen. Es wurde die secundliche Geschwindigkeit gefunden in Meter für: Gepreſste
Schieſswolle in Bleiröhrchen 5200m, in
Zinnröhrchen 5916m. Gekörnte Schieſswolle 4770m. Stärke-Pulver 4885m. Nitromannit 6908m. Nitroglycerin
1078m. Dynamit Nr. 1 von Vonges 2668m. Panclastite 4685m. Die Geschwindigkeit ist am Beginne der Explosion kleiner; in Abständen
von 25 zu 25m bei einer Länge von 100m gemessen, ergab gepreſste Schieſswolle von 4661
bis 5980m Geschwindigkeit in der Secunde.