Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 255, Jahrgang 1885, S. 518 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
(Patentklasse 78. Fortsetzung des Berichtes S. 337
d. Bd.)
Mit Abbildungen auf Tafel
37.
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Major Joh. Lauer in Wien (* D. R. P. Nr. 30242 vom 6.
Mai 1884) hat seinen Apparat zum Sprengen unter Wasser
mittels frei aufgelegter Ladungen (vgl. 1884 251
* 124) nunmehr wesentlich verbessert und constructiv vollständig ausgeführt; auf
Taf. 37 veranschaulicht Fig. 2 die Seitenansicht,
Fig. 3
einen Grundriſs des Apparates, Fig. 8 einen Querschnitt
durch den Führungsrahmen und den Schlitten, Fig. 9 einen Grundriſs
derselben, Fig.
7 einen Querschnitt durch den Schlitten, Fig. 6 einen Längen
schnitt durch die Rohrstange und den Patronenstab.
Auf einem Fahrzeuge befindet sich ein Ausschuſsgerüste A, das in zwei Zapfenlagern a einen Rahmen
B aus U-Eisen trägt, welcher von 20 zu 20cm Einschnitte b hat,
in denen der verschiebbare Führungsrahmen C mittels
Sperrklinken c und c1 festgestellt wird; der Führungsrahmen besteht aus
zwei Stangen C1 und C2 und den seitlich
befestigten Schlitten D und D1, welche mit Kugeln oder Rollen d auf der Fuſsplatte des Rahmens B laufen. Ein mit dem Loche e versehener eiserner Schlitten E ist auf den
Stangen C1 und C2 verschiebbar und
wird an dem gleichfalls eingeschnittenen Verbindungsstücke C3 mit Klinke c2 festgestellt. Es wird sonach ein durch
die zwischen Spitzen oder Kugellagern drehbare Führungsschiene K, sowie durch das Loch e
gestecktes Führungsrohr L innerhalb der durch die
Gröſse des Ausschuſsgerüstes gegebenen Grenzen jede beliebige Stellung auf dem
Wassergrunde annehmen können. Ein doppelter Wind stock F (Fig.
4 und 5) vermittelt die Bewegung von Führungsrahmen und Schlitten, indem
einerseits dessen senkrecht stehende Hohlspindel g1 mit Handrad g2 ein Rad g trägt, das
in eine am Boden der Brücke liegende Zahnstange G
greift, während der Spindelbock F1 auf einer Platte H1 ruht, welche in einem Schlitze der Unterlagsplatte
H verschiebbar ist und mit an einem Bügel f1 befestigten, zu den
Schlitten führenden Zugstangen D2 und D3 diese Verschiebung der Längenrichtung auf den
Führungsrahmen überträgt; andererseits geht durch die Hohlspindel g1 eine zweite Spindel
h1 mit Handrad h und Kettenrolle f, über
welche sowie über die Rollen i in den Schlitten eine
Kette läuft, die an dem Schlitten E befestigt ist und
diesen sonach bei der Drehung des Handrades h nach der
Breitenrichtung verschiebt.
An der Führungsschiene K ist eine Welle k mit Kurbelscheibe gelagert, durch welche mittels
Drahtkabels das in Decimeter eingetheilte Führungsrohr L gehoben oder gesenkt wird. Dieses ist mit Flansche l verstärkt; es wird in dasselbe ein Muff N durch Bolzen n und an
einer Kette gehaltenen Keil l1 gesteckt, während in den Muff N der
Patronenstab
M mit Keil n3 befestigt wird, nachdem die Dynamitladung O daran gehängt wurde. Die Hinleitung geht vom
Zündapparate durch das Kabel in die Schaltvorrichtung der Rohrklemme l2 und den isolirten
Draht o zum Zünder, während als Rückleitung das Wasser
benutzt wird.
Das Führungsrohr wird aus einem Stücke hergestellt, der Muff ist kegelförmig
ausgedreht und mit dem Bolzen n verschweiſst und
vernietet, sowie durch Ringe n1 und n2. verstärkt; das Sprengmittel ist in einer
Pappbüchse mit Deckel und Zündloch eingepreſst, welche Büchse mit Wasserglas
getränkt, mit wasserdichter Masse gedichtet und in ein Leinwandsäckchen gesteckt
ist, das man mit Nägeln an den hölzernen Patronenstab befestigt. Zu seiner Bedienung
benöthigt der Apparat nunmehr nur 4 Mann. Lauer hat
sich noch verschiedene, hauptsächlich für mehr vorübergehende Aufstellung bestimmte
Aenderungen an den einzelnen Einrichtungen patentiren lassen.
B. Ballabene in Preſsburg stellt ein Lignit genanntes Dynamit her und benutzt ein neues Verfahren zum Nitriren von Holzmehl.
Das Holzmehl kommt in einen mit Blei gefütterten Kessel A (Fig.
1 Taf. 37), verschlossen mit Deckel a und
Kautschukring n, welche durch die für mehrere zu einer
Batterie verbundene Kessel gemeinsame und deshalb verschiebbare Spindel g angepreſst werden. Der Kessel hat zwei Siebböden b und c aus Blei, zwischen
welche ein Vlieſs aus nitrirter Baumwolle als Filter kommt. Unterhalb der Siebböden
ist ein drehbares Abfluſsrohr d mit Hahn, innen und
auſsen mit Blei belegt: desgleichen sind Preſsplatte h
und der untere Theil der Spindel g mit Blei verkleidet.
In den Kessel kommen 62 Th. Salpetersäure und 142 Th. Schwefelsäure, welche, nach
ihrer Abkühlung bis auf 15°, mit Holzmehl gesättigt werden. Nun wird der Deckel a niedergepreſst, Hahn d
geöffnet und durch f Luft von 2at Druck eingelassen, wodurch 50 Procent des
Säuregemisches verdrängt und im nächsten Kessel verwendet werden. Der Deckel wird
nun entfernt und durch eine Blechhaube mit Dunstabzug ersetzt; nach 1½ Stunden ist
der Nitrirungsproceſs beendet. Indem sodann die Preſsplatte h in den Kessel niedergeschraubt wird, lieſst man abermals 40 Procent des
Säuregemisches heraus. Zur Reinigung wird das Nitrolignin bei neuerlich
aufgepreſstem Deckel a mit Wasser aus dem Rohre e und Luft von 3at
durch f so lange abwechselnd behandelt, bis das
ablaufende Wasser neutral ist. Das gereinigte Nitrolignin wird in Sammelbottichen 24
Stunden lang einer 2procentigen Sodalösung ausgesetzt, sodann im Holländer
zerkleinert, abgepreſst und an der Luft getrocknet, endlich mit 80 bis 85 Proc.
Nitroglycerin vermischt, wobei es eine trockene, plastische Masse – Lignit genannt – bildet, welcher zur Verminderung der
Brisanz ein Zumischpulver aus 70 Th. Ammoniaksalpeter, 18 Th. Paraffin und 15 Th.
Schwefel zugefügt wird.
Dieses Verfahren schlieſst sich innig an die gebräuchliche Nitrirung der Baumwolle an und nur der
hierbei verwendete Apparat ist neu; eigentümlicherweise ist bei demselben für
Abkühlung gar nicht gesorgt. Das Lignit erweist sich als eine Vereinigung des Trauzl'schen Cellulose-Dynamites mit der von Nobel
angegebenen Verbesserung des Ammoniakrut.
Im Génie civil, 1884/5 Bd. 6 S. 168 veröffentlicht E. Roca eine Abhandlung über die wirksamste Zusammensetzung von Dynamiten und gelangt
dabei zur Angabe vermeintlich neuer Dynamite mit „hydrocarburirtem
Nitroglycerin“ als Basis, welche er „Lithoclastite“ nennt und, wie es scheint, vorläufig noch in der
Theorie erzeugt. Obzwar Roca also nicht Neues
vorbringt, ist es doch interessant, seinem Gedankengange zu folgen, wegen der
Schlüsse, welche sich dadurch für andere Dynamite ergeben.
Bei Versuchen in Bleicylindern, welche Roca mit verschiedenen Dynamiten anstellte, die sämmtlich 30 Proc.
Nitroglycerin und einen Saugstoff aus Kohle und Natriumnitrat enthielten, fand er
bemerkenswerthe Kraftunterschiede. Nachforschungen nach deren Ursache ergaben: 1)
Ist der Saugstoff so zusammengesetzt, daſs der Kohlenstoff als Kohlensäure
verbrennt, so ergibt derselbe, mit der gleichen Menge Nitroglycerin vermischt, einen
schwächeren Explosivstoff, als wenn der Kohlenstoff als Kohlenoxyd verbrennt. 2) Das
Höchste an Kraft eines so gebildeten Explosivstoffes erhält man durch weitere Zugabe
von so viel Kohlenstoff, um den freien Sauerstoff des Nitroglycerins ausnützen und
die bei der Explosion des letzteren sich bildende Kohlensäure zu Kohlenoxyd
reduciren zu können. 3) Ueber diese Grenze hinaus wird die Wirkung geringer.
Roca findet nun, daſs man die
stärksten Dynamite erhalten müsse, wenn solche Stoffe vermieden werden, welche
wieder Sauerstoff abgeben, dagegen solche beigegeben, welche reducirend wirken; zu
diesen gehören Wasserstoff und Kohlenstoff. Er berechnet sodann nach den Berthelot'schen Formeln folgende Verhältnisse bei der
Zersetzung durch Explosion:
A) Reines Nitroglycerin.
C6H2(NO5,HO)3 =
6CO2
+ 2HO
+ 3HO
+ 3N
+ O
(1 Atom Sauerstoff frei)
Atomgewichte 227 =
132
+ 18
+ 27
+ 42
+ 8
= 227
Volumen
12v
+ 4v
+ 6v
+ 6v
+ 1v
= 29v
Wärmeeinheiten 6 × 6 × 8000 + 2 × 1 × 34500 +
0 + 0 + M = etwa 184000.
B) Theoretisches Wasserstoff-Lithoclastite.
C6H2(NO5,HO)3
+ 7H
= 6CO
+ 9HO
+ 3HO
+ 3N
Atomgewichte
227
+ 7
= 84
+ 81
+ 27
+ 42
= 234
Volumen
12v
+ 18v
+ 6v
+ 6v
= 42v
Wärmeeinheiten 6 × 6 × 5600 + 9 × 1 × 34500 +
0 + 0 + M = 572100.
C) Theoretisches Kohlenstoff-Lithoclastite.
C6H2(NO5,HO)3
+ 7C
= 13CO
+ 2HO
+ 3HO
+ 3N
Atomgewichte
227
+ 42
= 182
+ 18
+ 27
+ 42
= 269
Volumen
26v
+ 4v
+ 6v
+ 6v
= 42v
Wärmeeinheiten 13 × 6 × 5600 + 2 × 1 × 34500 +
0 + 0 + M = 566000.
Es ist hierbei v als
Volumeneinheit bei 0° und 760mm Druck mit 5l,58, M als latente
Zersetzungswärme des Nitröglycerins mit 60000 Wärmeeinheiten angenommen. Für 100 Th.
dieser Stoffe ergeben sich sonach folgende Zahlen:
Volumen
Procent mehr alsNitroglycerin
Wärmeeinh.
Procent mehr alsNitroglycerin
A
12,77
–
184000
–
B
17,95
40
244600
33
C
15,61
22
214000
16,6
Roca erwägt, daſs die Kraft eines
Explosivs mit dem Gasvolumen und der Wärmemenge bei Gewichtseinheit proportional
steigt, und findet sonach den Vortheil auf Seite des Lithoclastite, auf B mehr als
C. Er fügt jedoch hinzu, daſs die Procentzahlen, z.B. bei B 40 + 33 = 73 Proc.,
nicht das Maſs der Kraftsteigerung sein können, weil es in Folge des gröſseren Gasvolumens und der
mittleren specifischen Wärme einer gröſseren Wärmemenge bedarf, um dieselbe
Temperatur zu erzeugen wie bei der Explosion von reinem Nitroglycerin.
Bei der Uebersetzung dieser Erwägungen ins Praktische findet Roca jedoch Schwierigkeiten, da eine Mischung von
Wasserstoff und Nitroglycerin derzeit noch nicht ausführbar, reiner Kohlenstoff aber
nicht genügend saugfähig ist. Die letztere Bedingung findet er in den Körpern von
der Formel CmHnOp gegeben, unter welche die Kohlenwasserstoffe, die
Cellulose und ähnliche Stoffe sich reihen, und insbesondere die Cellulose, z.B. mit
Alkalien behandeltes Holzmehl, hält Verfasser für sehr geeignet, wenngleich dieselbe
viel Wasser gebunden enthält, dessen Dampf eine groſse specifische Wärme besitzt und
demnach das Gasgemenge abkühlt.
Wir wollen nicht weiter auf die Schluſsfolgerungen eingehen,
welche Roca auf das Verhältniſs der Wirkung von
Lithoclastite gegen die Sprenggelatine, Paléine, Panclastite u.s.w. zieht, und
erwähnen nur, daſs er bei einer Mischung von 70 Th. Nitroglycerin und 30 Th. Zucker
eine um 30 bis 35 Proc. stärkere Wirkung fand als bei reinem Nitroglycerin.
Wie schon bemerkt, ist die Zusammensetzung von Dynamiten mit an Kohlenstoff reichen
oder auf die Kohlensäure reducirend wirkenden Saugstoffen keineswegs neu und schon
seit mindestens 10 Jahren im Gebrauche; ja die neueren Dynamite enthalten sämmtlich
derlei Körper. Das Nobel'sche Neu-Dynamit hält
bekanntlich Holzmehl, allerdings auch nrit Kalisalpeter vermengt, das Ditmar'sche Dualin besaſs – nitrirtes – Holzmehl als
Saugstoff. Das früher in Eperies erzeugte Fulgurit wurde aus Nitroglycerin und
kohlensaurer Magnesia erzeugt, das weiſse Dynamit mit Kalkguhr (kohlensaurem Kalk)
hergestellt. Allerdings hatten die Fabrikanten früher nicht oder wenig an die
chemische Wirkung ihrer Saugstoffe gedacht, weil es sich für sie in erster Linie
darum handelte, überhaupt einen Saugstoff zu finden, und in der That befaſst man
sich erst seit Berthelot's grundlegenden Studien etwas
näher mit dem Einflüsse der Zusammensetzung auf die Verbrennungsgase.
Abgesehen nun von der Neuheit der Roca'schen Ideen,
machen sich auch Bedenken gegen deren Richtigkeit geltend. Wir haben schon öfter
unsere Ansicht dahin ausgedrückt, daſs die Explosion nicht als reine Verbrennung
anzusehen ist und daſs während derselben eine klimme von Vorgängen stattfindet, die
noch nicht ganz aufgeklärt ist. Zweifellos ist es, daſs, im Gegensatze zu Roca's Ansicht, die Kraft einer Explosion nicht
lediglich von dem entwickelten Gasvolumen und der Wärmemenge abhängt; vielmehr
spielen da noch andere Umstände eine Rolle, wie z.B. das specifische Gewicht des
Explosivstoffes, die Widerstandsfähigkeit des Mediums und in erster Linie die Kürze
der Zeit, innerhalb welcher die Explosion erfolgt. In dieser Hinsicht hat es sich
nun schon lange gezeigt, daſs die Explosion um so rascher erfolgt ist, je mehr
Kohlensäure die Gase enthalten und daſs die Bildung von Kohlenoxyd mit einer
langsamen Wirkung Hand in Hand geht. Wenngleich es also nach der einen Seite
theoretisch richtig ist, daſs die Verrennung als Kohlenoxyd eine gröſsere Wärmemenge
erzeugt, so wird diese doch dadurch zum groſsen Theile aufgehoben, daſs die
Verbrennung langsamer
erfolgt, die Gase also nicht jene hohe Spannung annehmen* können, welche der
gröſseren Erwärmung gleich käme. Es ist diese Erfahrung bei allen Explosivstoffen
gemacht worden, welche nach Roca's Ideen
zusammengesetzt sind, angefangen bei den Schwarzpulver-Ersatzstoffen und endigend
bei verschiedenen Dynamiten, welche alle bei zu hohem Kohlenstoffgehalte in den
Explosionsgasen wohl Kohlenoxyd, aber keineswegs gröſsere Wirkungen lieferten.
Die Zusammensetzung von Dynamiten auf die Erzeugung von vorwiegend aus Kohlenoxyd
bestehenden Gasen ist jedoch schon deshalb verfehlt, weil man in den Gruben das
Kohlenoxyd unbedingt vermeiden muſs. Es ist eine
bekannte Thatsache, daſs Dynamite, welche als Saugstoff kohlensaure Salze und
Cellulose enthielten, in minder gut gelüfteten Strecken geradezu unverwendbar
wurden, weil die Oerter mit Kohlenoxyd erfüllt waren und die Arbeiter unter heftigen
Vergiftungserscheinungen litten. Man hat die Ursache dafür in allen möglichen
Umständen gesucht und erst in neuerer Zeit war Referent in der Lage darauf
hinzuweisen, daſs die kohlensauren Salze bei der hohen Explosionstemperatur mit der
Kohle der Cellulose Kohlenoxyd ergeben müssen. Es muſs deshalb ein Vorschlag,
Dynamite geradenwegs auf Kohlenoxydbildung zu berechnen, jedenfalls befremden.
Aus der Eigenschaft verschiedener Stoffe, z.B. Wasser, Zink, Eisen, Kohle u.s.w., die
Kohlensäure bei hoher Temperatur zu Kohlenoxyd zu verwandeln, muſs es auch
hergeleitet werden, daſs sich in den Explosionsgasen von
Nitroglycerin oder Kieselguhr-Dynamit regelmäſsig auch Kohlenoxyd befindet
und daſs die Menge des letzteren je nach dem gesprengten Stoffe und seiner
Oertlichkeit schwankt. Dieser Umstand wurde bisher noch nicht gewürdigt- es ist aber
Thatsache, daſs die Gase ein und desselben Dynamites in verschiedenen Gruben einen
verschiedenen Grad von Athembarkeit, verschiedene Mengen von Kohlenoxyd enthalten,
und es scheint dem Referenten zweifellos, daſs Eisensteine, Kohle u.s.w. einen Theil
der Kohlensäure zu Kohlenoxyd reduciren.
In einem von J. Henry Keſsler in Paris verfaſsten
Büchlein veröffentlicht die Société anonyme des Poudres et
Dynamites einige Mittheilungen über die in ihrer Fabrik zu Arendonck bei
Turnhout in Belgien erzeugten Sprengmittel. Neben gewöhnlichem Pulver,
Kieselguhr-Dynamit und Dynamit, mit wirksamer Basis je nach Verlangen, liefert diese
Fabrik hauptsächlich Paléine, auf deren Herstellung Lanfrey und Renard in
Chartres ein Patent hatten. Paléine ist Strohnitrocellulose mit Nitroglycerin
vermengt und wurde im J. 1882 auch in Oesterreich zur Untersuchung eingebracht;
dieselbe soll gegenwärtig auch von der Deutschen
Sprengstoff-Fabrik in Wahn bei Köln erzeugt werden.
Die Mittheilung der Gesellschaft sagt über Paléine, daſs 5 Sorten A bis E erzeugt
werden, von denen A 40 bis 50 Nitroglycerin und 60 bis 50 nitrirtes Stroh, die
anderen Sorten in fallendem Verhältnisse weniger enthalten. Die Sorte A soll um ⅓, B um ¼, C ein
wenig-stärker als 75procentiges Dynamit sein und es sind hierfür Versuche der
gemischten Dynamit-Commission von Versailles mit Bleicylindern, Eisenplatten,
Schienen und – bezüglich der Empfindlichkeit gegen Stoſs – mit Gewehrschüssen auf
kurze Entfernung angeführt, welche Versuche diese Angaben bestätigen. Die
Gesellschaft verbürgt folgende 3 Haupteigenschaften der Paléine: Dieselbe schwitzt
das Nitroglycerin nicht aus, sondern bleibt unter allen Umständen trocken; sie
gefriert nie und ist gegen die heftigsten Stöſse unempfindlich.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daſs Nitroglycerin und Nitrozellulose, in
passendem Verhältnisse gemengt, ein kräftigeres Sprengmittel ergeben müssen als
75procentiges Kieselguhr-Dynamit und daſs dieser Explosivstoff vermöge der
Elasticität seines Saugstoffes gegen Stoſs auch minder empfindlich ist. Beispiele
hierfür bieten die Sprenggelatine, die Neu-Dynamite, das Rhexit, der Lithofracteur,
das Cellulose-Dynamit u.s.w.; es werden also die Angaben der Gesellschaft auch für
das Nitrostroh-Dynamit, die Paléine, zutreffen. Ein Anderes ist es jedoch mit den
oben erwähnten 3 Haupteigenschaften. Zwar werden dieselben verbürgt, was einen Widerspruch eigentlich nicht zuläſst:, allein sehon so oft haben Fabrikanten in gutem Glauben etwas zugesichert, was sich später als
unhaltbar erwies, daſs es wohl gestattet sein mag, auch hier anderer Meinung zu
sein. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird Paléine wohl kein Nitroglycerin
ausschwitzen, da es davon zu wenig enthält, um dieses nicht vollständig zu binden;
bei wiederholtem Gefrieren und Aufthauen dürfte sich dies jedoch ändern, besonders,
wenn man das fortwährend wechselnde Verhalten hierbei in Betracht zieht, das
Hauptmann Heſs a. a. O. bekannt gab. Nun verbürgt
allerdings die Gesellschaft, daſs Paléine auch nicht gefriere; dies ist aber einfach
nicht möglich. Gefrieren muſs das Nitroglycerin,
wahrscheinlich um Einige Grade später als im Kieselguhr-Dynamit, aber bei 0°
zweifellos. Es kann sein, daſs sich Paléine auch im gefrorenen Zustande noch nicht
hart anfühlt, weil das Volumen des Saugstoffes groſs ist, und daher mag die irrige
Ansicht entstanden sein. Daſs Paléine unter allen Umständen trocken bleibe und nach
3jähriger Aufbewahrung in feuchten Räumen unverändert war, dürfte wohl gleichfalls
nur so zu verstehen sein, daſs sie nicht zerfloſs; aber es ist schwer denkbar, daſs
Nitrocellulose irgend einer Gattung nicht auch die Feuchtigkeit ihrer Umgebung
aufnehme, nachdem sie das Nitroglycerin so gut bindet. Was schlieſslich die
Unempfindlichkeit gegen die heftigsten Stöſse betrifft, so kann sie gleichfalls nur
auf Selbsttäuschung beruhen; wir haben es schon oft genug festgestellt, daſs jeder
Explosivstoff auf heftigen Schlag detoniren muſs, der eine leichter, der andere
schwerer.
Es wird nicht ohne Interesse sein, auszugsweise anzuführen, was Hauptmann Dolliak in den Mittheilungen
über Gegenstände des Artillerieund Genie-Wesens, 1882 S. 278 über die zur Prüfung
eingebrachte Strohnitrocellulose berichtet. Zur Nitrirung wird seines geringen
hengehaltes wegen Roggenstroh
verwendet, das 15 bis 16 Stunden lang in 1 bis 2procentiger Sodalösung gekocht,
zermahlen und ausgewaschen, sodann in einem Gemische von 3 Th. Salpetersäure und 7
Th. Schwefelsäure nitrirt und schlieſslich ausgewaschen wird. Die
Strohnitrocellulose hatte eine licht braungelbe Farbe, sah verfilzt und ziemlich
zerfasert aus, hatte einen Wassergehalt von 2,20 Proc. und einen mittleren
Aschengehalt von 2,90 Proc., enthielt kein Neutralisationsmittel und zeigte keine
Spur freier Säure. Der Stickstoffgehalt, nach der Methode von Heſs mit dem Lunge'schen
Nitrometer gesucht, war im Mittel 11,07 Proc., erreichte also nur den der
Collodiumwolle. Die Entzündungstemperatur bei langsamer Erwärmung wurde mit 177°
bestimmt. Die Stabilitätsprobe (Aussetzen trockener Luft von 60°, Beobachtung der
Zersetzungsproducte in einer Jodkaliumkleisterlösung) wurde schlecht bestanden, was
aus folgenden bei dieser Untersuchung stets beobachteten Erscheinungen
hervorgeht:
Strohnitro-Cellulose
Gepreſste englischeSchieſswolle
Minuten vom Beginne der Aussetzung
Erscheinen der ersten Spur eines Ansatzes
3
9
Deutlichwerden und Vollendung des
blauen Ringes
8
309
Eintritt einer Spur von Färbung der
Flüs- sigkeit
60
1215
Deutliche Färbung der Flüssigkeit
200
1360
Die Strohnitrocellulose wurde deshalb als chemisch unstabil
bezeichnet und als Grund dafür gefunden, daſs die Cellulose der Strohfaser niemals
vollständig rein abgeschieden werden kann, sondern stets mit Fett, Wachs, Harz,
Pektinstoffen, Mineralsubstanzen u.s.w. verunreinigt ist, welche gleichfalls nitrirt
werden und leicht zersetzliche, wenig beständige fremde Nitroproducte ergeben.
Aus einem in der Oesterreichischen Zeitschrift für Berg- und
Hüttenwesen, 1885 S. 4 ff. veröffentlichten Vortrage des ReferentenUeber Explosivstoffe für den Bergbau, Vortrag
von Oscar Guttmann im Oesterreichischen
Ingenieur- und Architekten-Verein. sei nachfolgende
Zusammenstellung aller gegenwärtig in Oesterreich – Ungarn erzeugten Sprengmittel
gegeben.
A) Direkt explodirbare
Stoffe.
1) Schwarzpulver.
2) Diorrexin aus Sistiana bei Duino:
42,78 Th. Kalisalpeter, 23,16 Th. Natronsalpeter, 13,40 Th. Schwefel, 7,49 Th.
Holzkohle, 10,97 Th. Buchensägespäne, 1,65 Th. Pikrinsäure, 0,55 Th. Wasser (vgl.
1877 224 532. 1884 251
123).
3) Haloxylin aus Chrast und Cilli: 75
Th. Kalisalpeter, 15 Th. Sägespäne, 8⅓ Th. Holzkohle, 1⅔ Th. rothes Blutlaugensalz.
Eine in Arad erzeugte Varietät hat Natronsalpeter an Stelle von Kalisalpeter (vgl.
1876 221 549. 1884 251
123).
4) Petralit aus Budapest besteht aus
Kalisalpeter, Schwefel, Holzmehl und Kokespulver, mit Graphit polirt (vgl. 1884 251 123).
Vorkommen des Titelblattes hier ist ein Bindungsfehler des Druckexemplars.
5) Janit aus Peggau: 70 Th.
Kalisalpeter, 12 Th. Schwefel, 18 Th. Lignitkohle, 0,4 Th. Pikrinsäure, 0,4 Th.
chlorsaures Kali, 0,3 Th. geglühte Soda.
6) Carboazotine aus Fischau bei
Wiener-Neustadt und aus Dombrau: 64 Th. Kalisalpeter, 12 Th. Schwefel, 7 Th. Ruſs,
17 Th. Gerberlohe oder Sägemehl, zum Ganzen noch 1 bis 5 Th. Eisenvitriol.
7) Azotine aus Nagybánya und
Verespatak enthält Natronsalpeter, Schwefel, Kohle und Petroleumrückstände.
8) Amidogène von Joh. Gemperle: 73 Th. Kalisalpeter, 8 Th. Holzkohle, 8
Th. Kleie, 10 Th. Schwefel, 1 Th. Bittersalz (vgl. 1884 251 118).
9) Lederit aus Knittelfeld: 45 Th.
Kalisalpeter. 15 Th. Schwefel, 20 Th. Mennige, 18 Th. Lederabfälle, 2 Th.
Pikrinsäure (vgl. 1884 254 113).
10) Vulcanit aus Jicin: 35 Th.
Kalisalpeter, 19 Th. Natronsalpeter, 11 Th. Schwefel, 9,5 Th. Sägemehl, 9,5 Th.
chlorsaures Kali, 6 Th. Holzkohle, 4,25 Th. Glaubersalz, 2,25 Th. rothes
Blutlaugensalz, 2,25 Th. Zucker, 1,25 Th. Pikrinsäure. Neuestens soll es mehr
chlorsaures Kali, dagegen kein Glaubersalz und Blutlaugensalz enthalten.
11) Mylin von Franz Redtenbacher in Steyerling ist erst in neuester Zeit aufgekommen;
die Zusammensetzung ist noch nicht bekannt.
B) Indirekt explodirbare
Stoffe.
1) Nobel'sche Neu-Dynamite Nr. 1 bis 3 aus Zamky und Preſsburg: Nr. 1 besteht aus 64,5
Th. Gelatinöl und 35,5 Th. Zumischpulver aus Kalisalpeter und Holzmehl (vgl. 1884
252 159).
2) Weißes Dynamit Nr. 1 und 2 von St.
Lambrecht: Nr. 1 besteht aus 70 Th. Nitroglycerin, 30 Th. Zumischpulver aus 20 Th.
Kalkguhr und 11 Th. Holzzeug.
3) Rhexit Nr. 1 bis 5 von St.
Lambrecht: Nr. 1 besteht aus 64 Th. Nitroglycerin, 11 Th. Holzmoder, 7 Th. Holzfaser
und 18 Th. Natronsalpeter.
4) Arlberger Dynamit Nr. 1 bis 3 von
St. Christoph: Zusammensetzung von Nr. 1 ungefähr 65 Th. Nitroglycerin, 10 Th.
Barytsalpeter, 20 Th. Kieselguhr und 5 Th. Holzkohle.
Es ist bekannt, daſs sich bei der Erzeugung von Explosivstoffen noch manchmal
Erscheinungen zeigen, deren Ursache und Wirkung bisher nicht bekannt war; wie bei
allen neueren Erzeugungen muſs auch hier die Zeit die erforderlichen Erfahrungen
bringen. Eine solche Erscheinung wurde in mehreren ausländischen Dynamitfabriken
gemacht, in welchen man Badschwämme zum Reinigen der
Nitroglyceringefäſse benutzt. In einer solchen Fabrik ist es Regel, derlei
Schwämme nach dem Gebrauche in lauem Wasser und sodann in einer schwachen Sodalösung
auszuwaschen und schlieſslich zu trocknen. Ein Arbeiter unterlieſs nun jüngst die
Reinigung eines Schwammes, legte denselben neben ein Gefäſs mit Nitroglycerin;
plötzlich entzündete sich der Schwamm und brannte mit lebhafter, hoher und heller
Flamme ab. Das Nitroglycerin wurde durch die Geistesgegenwart eines anderen
Arbeiters unwirksam gemacht, indem derselbe rasch einen Kübel Wasser darüber goſs.
In einer anderen Fabrik werden diese Schwämme auf einem Drahtnetze bei 25°
getrocknet und dabei sind wiederholt Schwämme verbrannt und sogar explodirt.
Man erinnert sich hierbei daran, daſs auch lose Schieſswolle, bei 30° auf Drahthorden
ausgebreitet, öfters explodirte, und ebenso nahe liegt es, an die Selbstentzündung
von Putzwerg u. dgl. in Fabriken zu denken. Die Erklärung für die Selbstentzündung
der vorgedachten Schwämme liegt wohl darin, daſs in den gereinigten Gefäſsen sich
stets saures, d.h. noch
Schwefelsäure enthaltendes Nitroglycerin befindet und daſs von dieser Schwefelsäure
ebenso wie vom Nitroglycerin durch unvollkommene Waschung noch Reste im Schwämme
verbleiben, die in Verbindung mit dem Wasser allmählich eine hohe Temperatur
erzeugen, – eine Erfahrung, die bei Werg, Wolle u.s.w., welche mit schlechtem Rüböle
u. dgl. in Verbindung kommen, oft gemacht wurde. Auch ist es möglich, daſs die
hierbei gleichfalls vorhandene Untersalpetersäure eine Oxydation der Schwammsubstanz
hervorruft, welche durch die Wärme der Trocknung nur noch beschleunigt wird. Es wird
sich deshalb jedenfalls empfehlen, solche Schwämme sofort nach dem Gebrauche in
Wasser zu legen, durch Kochen in heiſser Sodalösung und
wiederholtes Auspressen zu reinigen und dann erst zu trocknen.
Oscar Guttmann.