Titel: | Ueber Zusammensetzung und Wirkungsweise des Türkischrothöles; von A. Müller-Jacobs. |
Autor: | A. Müller-Jacobs |
Fundstelle: | Band 251, Jahrgang 1884, S. 548 |
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Ueber Zusammensetzung und Wirkungsweise des
Türkischrothöles; von A.
Müller-Jacobs.
(Schluſs der Abhandlung von S. 499 d.
Bd.)
Müller-Jacobs, über die Zusammensetzung des Türkischrothöles.
II.
L. Liechti und W. Suida
(1883 250 543, vgl. auch S. 177 d. Bd.) glauben, daſs die
besprochene, in Wasser lösliche Verbindung eine Glycerinverbindung sei und zwar Monooxyoleïnsäure-Glycerin-Schwefelsäure-Ester:
C18H33O3.SO4.C3H5(OH).C18H33O3.C3H5(OH).
Es wird dabei betont, daſs sich während der Herstellung der
Reactionsmasse unter allen Umständen sehr beträchtliche Mengen von Schwefligsäure
entwickeln und daſs es ihnen nicht möglich gewesen sei, dessen Bildung zu umgehen.
Im Ferneren wird die Behauptung aufgestellt, daſs sich in der Schwefelsäure haltigen wässerigen
Unterlauge, entgegen den Beobachtungen von Frémy u.a.,
absolut kein Glycerin vorfinde.
Nun wird aber bei der Fabrikation von Türkischrothöl im Groſsen gerade die
Entwickelung von Schwefeldioxyd ängstlich vermieden, weil es sich gezeigt hat, daſs
unter derartigen Verhältnissen erhaltene Producte bei der Verwendung als Beizmittel
schlechte Resultate ergeben, und es sind deshalb meine vorstehenden Reactionsmassen,
auch diejenigen aus Oleïnsäure, mit besonderer Rücksichtsnahme auf diesen Umstand
hergestellt. In keinem Falle war eine Entwickelung von Schwefligsäuregas zu erkennen
und auch in der sauren Unterlauge konnte keines nachgewiesen werden.
Wer übrigens einen Blick auf die von Liechti und Suida gegebene Reactionsgleichung wirft, wird,
vorausgesetzt, daſs er mit der Fabrikation von Türkischrothöl vertraut ist, sofort
zugestehen müssen, daſs dieselbe der Wirklichkeit ganz und gar nicht entspricht:
2(C18H33O)3C3H5O3 + 7H2SO4 = C4H78O12S + 6SO2 + H2O + 4C18H34O3.
Beiläufig bemerke ich noch, daſs verschiedene Türkischrothöl-Fabrikanten sich mit
Versuchen beschäftigt haben, das Glycerin aus der wässerigen Unterlauge zu gewinnen,
und daſs dieselben nicht erfolglos geblieben sind. Die gewonnene Menge Glycerin
führte indessen nicht zu den darauf angewendeten Kosten. Aber ganz hiervon
abgesehen, ergibt sich die Unhaltbarkeit der Esterformel von Liechti und Suida aus dem Umstände, daſs sich
der wasserlösliche Stoff, wie oben bemerkt, auch aus reiner Oelsäure in Mengen bis zu 50 Procent der verwendeten Säure gewinnen läſst,
wenn man nur darauf achtet, daſs keine Entwickelung von Schwefligsäure, somit keine
Zersetzung der gebildeten Sulfosäure eintritt, was bei dem dahin zielenden Versuche
von Liechti und Suida
völlig auſser Acht gelassen wurde; gleichwohl wurden von ihnen geringe Mengen eines
„wasserlöslichen Körpers“ erhalten.
Indem Liechti und Suida auf
die Zersetzungsproducte der wasserlöslichen Verbindung ihre Theorie von der
Wirkungsweise des Türkischrothöles aufbauen, haben sie ganz auſser Acht gelassen,
daſs sich in der Reactionsmasse, wie solche praktisch erhalten wird, auch noch
groſse Mengen – bis zu 30 Procent – in Alkohol unlöslicher Substanzen und zwar, wie
wir gesehen, unveränderte Triglyceride vorfinden. Aber gerade diesem Antheile kommt
ja eben die Hauptwirkung beim Beizprozesse zu, sonst müſste offenbar ein aus
Oelsäure hergestelltes Türkischrothöl in Anbetracht der Zersetzungsproducte genau
dieselbe mordirende Wirkung besitzen wie solches aus Triglyceriden, was
erwiesenermaſsen nicht der Fall ist.Wurde die zu färbende Baumwolle mit dem Ammoniumsalze des reinen wasserlöslichen Körpers – mit
Sulfoleïnsäre – gebeizt, so erhielt Verfasser in allen Fällen schlechte Färberesultate: ein mattes, glanzloses,
gegen Säuren unechtes Roth, wogegen die erzielte Farbe allen Anforderungen
entsprach, wenn in derangewendeten Sulfoleïnsäure zuvor etwa 10
Procent irgend eines Triglycerides gelöst wurden.
Obgleich diese Einwände, unterstützt durch die Resultate vorstehender Untersuchungen,
genügend sind, um die Nichtexistenz des Glycerinesters und die Unhaltbarkeit der
daraus entwickelten Theorien darzuthun, will ich nicht unterlassen, noch auf einige
nicht unwesentliche Punkte in besagter Abhandlung aufmerksam zu machen.
Gleich Eingangs derselben wird erwähnt, daſs Frémy in
seiner Arbeit über die Einwirkung von Vitriolöl auf Olivenöl die Reactionsproducte
nicht vollkommen zu trennen vermochte; nur einige Zeilen weiter aber wird auf die
von ihm gefundene empirische Zusammensetzung des Bariumsalzes der Sulfosäure
bedeutendes Gewicht gelegt. Daſs Frémy keine reine
Sulfosäure unter den Händen hatte, geht daraus unzweifelhaft hervor, daſs sich
dieselbe in Säure haltigem Wasser nicht löste.
Indem die genannten Verfasser meine zur Zeit in meinem Patente „zur Darstellung fester Fettsäure aus Oelsäure und
Oelsäureglyceriden“ aufgestellte
Reactionsformel (vgl. 1882 244 172) einer Kritik
unterziehen, wiederholen sie den Versuch nicht in der
von mir angegebenen Weise und gelangen in Folge dessen zu ganz anderen Schlüssen,
welche aber den Thatsachen wiederum nicht entsprechen. Ihre Gleichung: C18H34O2 + H2SO4 = C18H34O3+H2O + SO2 gibt
absolut keine Auskunft über das intermediäre, wasserlösliche Product, das jedem
Kattundrucker hinreichend bekannt ist, und läſst da Schwefligsäure auftreten, wo
absolut keine nachzuweisen ist. Ein einmaliges Umkrystallisiren der Reactionsmasse
bezieh. ihrer Zersetzungsproducte genügt, um zu einer Säure von weit höherem
Schmelzpunkte als dem von Liechti und Suida für Oxyölsäure (58°) angegebenen zu führen, und
beweist, daſs eine sorgfältige Prüfung der betreffenden Verhältnisse nicht
stattgefunden hat.
Wenn wir nun aber die Frage aufwerfen, in welcher Beziehung die von Liechti und Suida
erhaltenen analytischen Zahlen mit den vorstehenden Ergebnissen stehen, so liegt der
Schluſs nahe, daſs die beiden genannten Chemiker wahrscheinlich keine vollkommen
reine Sulfoleïnsäure unter den Händen hatten, sondern einen Körper, welcher noch
beträchtliche Mengen unveränderter Glyceride und Oxysäuren in Lösung enthielt. Ein
geringerer Schwefel geh alt ihrer Salze wird daraus leicht erklärlich. Das sehr
beträchtliche Lösungsvermögen der wasserlöslichen Verbindung für die verschiedensten
wasserunlöslichen Substanzen: Triglyceride, Fettsäuren, Aether und Alkohole, welches
auch von Liechti und Suida
beobachtet worden ist, führt uns dann auch ungezwungen zu dem Schlüsse, daſs in
ihren synthetisch gewonnenen analogen Estern mehratomiger Alkohole (Mannit, Stärke,
Traubenzucker) mit Oelsäure und Schwefelsäure nur gemischte Lösungen vorlagen und
daſs bei Darstellung der Salze die gelösten Körper von den sich bildenden
Niederschlägen einfach niedergerissen wurden. Der Austritt von Glycerin oder eines anderen
mehratomigen Alkoholes bei Zersetzung der so entstandenen (unreinen) Salze oder der
freien Säure hat dann nichts Eigenthümliches, wenn wir nochmals auf die Thatsache
hinweisen, daſs freie Sulfoleïnsäure Triglyceride zu zersetzen vermag.
Der Theoretiker mag vielleicht an der gegebenen Esterformel Gefallen finden. Wer aber
genau überlegt, welche umständlichen Vorgänge (Vereinigung zweier
Triglyceridmoleküle durch SO4 zu einem Molekül,
gleichzeitige Oxydation der sämmtlichen Oelsäureradicale unter theilweisem Austritte
derselben) zur Bildung dieser Verbindung führen, wird sie von vorn herein mit
anderen Augen betrachten.
Wenn wir an Hand der analytischen Ergebnisse es versuchen, einen Schluſs auf die
Wirkungsweise des Türkischrothöles als Beizmaterial in der Färberei zu ziehen, so
ist es zunächst unerläſslich, das sogen, ältere Türkischroth-Verfahren
vergleichsweise näher zu betrachten. Schon S. Jenny
hatte in einer von der Société industrielle de Mulhouse
(vgl. Bulletin, 1869 S. 10 und 335) mit einer Medaille
bedachten Abhandlung nach ziemlich umfassenden Versuchen die Ansicht ausgesprochen,
daſs die mit Tournantölemulsionen gebeizte, sogen, weiſs gewaschene Waare im
Wesentlichen unverändertes Oel neben wenig Fettsäure- und Oelsäureseifen enthalte
und daſs das erstere, indem es in den Farblack eintrete, ihn umhülle, so zu sagen
feucht erhalte und vor äuſseren Einwirkungen (Reagentien) schütze, der Farbe Glanz,
Weichheit und Solidität – die Grundeigenschaften des Türkischroth – ertheile. Diese
Ansicht findet ihre Hauptstütze darin, daſs weiſs gewaschene Waare leicht eine
Behandlung mit Alkalicarbonatlösungen oder mit Alkohol verträgt, ohne demordirt zu
werden, was ja entschieden der Fall sein müſste, wenn die abgelagerten wirksamen
Stoffe der Hauptmenge nach Säure artiger Natur wären. In ganz gleicher Weise
bestätigt sich dies bei Waare, welche nach sogen, neuer
Methode mit Türkischrothöl-Lösungen behandelt wurde. Nach mehrmaliger
Behandlung in solchen Beizflüssigkeiten, jeweiligem Trocknen und Waschen fixirt sich
eine beträchtliche Menge unveränderten Oeles in der Faser (neben Oxysäuren). Derart
behandelte Waare kann ebenfalls nur mit Aether, Chloroform, Benzol, nicht aber mit
Alkalicarbonatlösungen oder Alkohol demordirt werden.
Bei Verwendung von Türkischrothöl genügt einmalige Beizung zum Hervorbringen einer
gleich glänzenden Farbe, wie beim alten Verfahren ebenfalls nicht, weil die Menge
des fixirten Triglycerides zu gering ist; wohl aber wird ein Roth erhalten, welches
den Anforderungen an Solidität vollkommen entspricht.
Die durch Waschen nicht entfernten sulfoleïnsauren Salze spielen diesfalls, indem
sie mit Thonerde in Verbindung treten, eine befestigende Rolle.
Der Unterschied in der Beizwirkung einer mit wässerigem Ammoniak neutralisirten
Reactionsmasse, gegenüber einer solchen, welche das Natrium- oder Kaliumsalz der
Sulfoleïnsäure enthält, beruht auf der verschiedenen Zersetzlichkeit dieser Salze. Während die
der fixen Alkalien beim Trocknen der Waare unverändert bleiben und nebst der
gröſsten Menge unveränderten Oeles ausgewaschen werden können, zersetzt sich das
Ammoniaksalz durch Erhitzen in freies Ammoniak und Oxysäuren neben Schwefelsäure,
wodurch gleichzeitig das unveränderte Triglycerid fest fixirt wird.
Als Resultat meiner vorliegenden Untersuchungen, welche in der schon eingangs
erwähnten Abhandlung näher ausgeführt sind, ergibt sich nun folgendes:
1) Das sogen. Türkischrothöl ist als eine gesättigte Lösung von unverändertem Oele
(Triglycerid), sowie von Zersetzungsproducten der Sulfoleïnsäure in den Alkalisalzen
dieser, oder einer analogen Säure (z.B. Sulforicinölsäure) zu betrachten und wirkt
als Beize, indem es das Oel in vertheiltester Form an die Faser abgibt. Beim
vorzüglichsten Verfahren werden die sulfoleïnsäuren Salze durch Waschen möglichst
wieder entfernt, wogegen bei einfacheren Methoden die Eigenschaft der
Sulfoleïnsäure: mit Aluminiumhydrat unlösliche Salze zu bilden, gleichzeitig zur Fixation derselben benutzt werden.
2) Die anerkannt bessere Wirksamkeit der Ricinusölmordants (entsprechend der
bekannten leichteren Löslichkeit des Ricinusöles) beruht darauf, daſs sich gröſsere
Mengen von Ricinusöl in der entsprechenden Sulfosäure gelöst vorfinden und solches
Türkischrothöl demnach eine verhältniſsmäſsig gröſsere Menge Oel an die Faser
abzugeben vermag als die entsprechenden Producte anderer Triglyceride. Danach ist es
verständlich, daſs erst mit jenem Augenblicke die tiefgehende Umwälzung m der Türkischroth-Färberei, welche zum sogen, neuen Verfahren geführt hat, eintreten konnte, als die
Fabrikationsbedingungen für das Product genügend hergestellt waren. Die Versuche von
Runge, Mercer und Greenwood und von Keyser führten nicht zum
Ziele, was nicht verwunderlich ist, angesichts des eingeschlagenen Weges, welcher
zur Entwickelung von SO2 führen muſste. Ebenso wenig
ist die schon in den 50 er Jahren zur Fixation der Anilinfarben vielfach in
Verwendung gelangte, bekannte Oel-Schwefelsäurebeize, oder die „Acide Sulfoleique“ aus Oelsäure hergestellt, wegbahnend gewesen, da
derselben die Charakteristik des Türkischrothöles (vollständige Löslichkeit in
Wasser bei einem bestimmten Gehalte an unverändertem Oele) vollständig mangelte.
Dagegen näherte sich eine Arbeit des Verfassers über Abkürzung der
Türkischrothbeiz-Verfahren (vgl. 1873 210 236) durch
Ueberführen der Triglyceride mit Leimlösungen unter gleichzeitigem Zusätze von
unterchlorigsauren Alkalien in möglichst feine Emulsion dem Ziele, indem damit
wirklich ein echtes, schönes Türkischroth bei einmaliger Beizung erreicht
wurde.Vgl. C. Romen: Die Colorie der Baumwolle mit
besonderer Berücksichtigung der Türkischroth-Färberei. (Wien 1878.
A. Hartleben.) Im engen
Anschlüsse an diese Methode gelangte derselbe endlich zur Fabrikation desjenigen Productes,
welches heute noch unter dem Namen Türkischrothöl im Handel ist. Im ersten Theile
der erst später eingereichten Patentbeschreibung (D. R. P. Nr. 1488) sind diejenigen
Bedingungen zuerst genau aufgeführt und veröffentlicht,
welche zur Darstellung eines allen Erfordernissen
entsprechenden Beizmittels unerläſslich sind, während die Zusammensetzung
der gleichzeitig im Handel erschienenen ähnlichen Mordants nicht bekannt wurde. –
Soweit des Verfassers Antheil am neuen Türkischroth-Verfahren, wobei er ausdrücklich
darauf verzichtet, Erfinder desjenigen Türkischrothöles zu sein, bei dessen
Darstellung sich Schwefeldioxyd entwickelt.
Mount Vernon bei
New-York, Anfang Februar 1884.