Titel: | Ueber die schädliche Wirkung des Kartoffelbranntweins. |
Fundstelle: | Band 247, Jahrgang 1883, S. 262 |
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Ueber die schädliche Wirkung des
Kartoffelbranntweins.
Ueber die schädliche Wirkung des Kartoffelbranntweins.
Ueber Alkoholgenuſs und dessen Folgen liegen zwei beachtenswerthe Abhandlungen von
C.
Binz im Centralblatt für allgemeine
Gesundheitspflege, 1882 S. 131 bezieh. von Brockhaus (Daselbst S. 146) vor.
Binz hält das alltäglich stundenlang dauernde
Biertrinken, wie es bei einem groſsen Theile der unteren und mittleren Klassen
besonders in Deutschlands Städten Sitte ist, ferner das Ueberschwemmen von Magen und
Gehirn durch das Bier bei unserer studirenden Jugend und das Fortsetzen dieser
süſsen Gewohnheit im späteren Leben, wie es einem glücklicherweise nur kleinen Theil
von Angehörigen der gelehrten Stände eigen ist, gesundheitlich, ökonomisch und
intellectuell für ein nationales Uebel, welches nicht kleiner werden wird, wenn der
so oft ausgesprochene Wunsch auf staatliche Begünstigung der Bierproduction zur
Erfüllung gelangt. Aber die Verwüstungen, welche die Branntweinpest bei dem
Einzelnen und für die Gesellschaft anrichtet, sind für ein viel gröſseres Uebel zu
halten, an deren Stelle Verfasser sehr gerne, wenn es nun einmal nicht anders geht,
das geringere Uebel gesetzt sehen möchte.
Binz führt ferner aus, daſs man das Gift, welches der
Mensch unter den heutigen Umständen kaum entbehren kann, welches wir jedenfalls,
ganz zu verdrängen, keine nahe Aussicht haben, in möglichst wenig schädlicher Form
zulassen solle. Er hält es daher für eine nothwendige Aufgabe der Wissenschaft, die
schädlichen Nebenproducte besser als bisher kennen zu lernen, der Technik, sie aus
den alkoholischen Getränken zu entfernen, der staatlichen Aufsicht, den Vertrieb
unreiner Alkoholica zu hindern. Erst wenn die auf den Alkoholgenuſs hingedrängten
Bevölkerungsklassen ihn in einem 30 bis 40 Proc. davon enthaltenden käuflichen
Getränk in der nämlichen Reinheit trinken wie die Wohlhabenden im besten Rheinwein
und wenn andererseits durch Belehrung und Gesetzgebung das Maßhalten im Genusse erreicht ist, wird der so oft auch an unrechter
Stelle verurtheilte Alkohol erst recht werden, was er sein soll: ein unter gewissen
Umständen kaum ersetzbares Erfrischungsmittel für den körperlich schwer arbeitenden
gesunden und ein Sparmittel für den von zu rascher
Abnützung bedrohten kranken Menschen.
Brockhaus hat die Wirkung der wesentlichsten
Verunreinigungen des Kartoffelbranntweins: Aldehyd, Paraldehyd, Acetal, Propyl-,
Isobutyl- und Amylalkohol auf sich selbst untersucht, da Thierversuche hier nicht
maſsgebend sein können.
10 Tropfen Aldehyd in 100g Wasser schmeckten
widerlich und heftig brennend; es zeigte sich starkes Brennen auf der Zunge und im
Halse, widerlicher, auch durch öfteres Nachtrinken von Wasser nicht zu beseitigender
Nachgeschmack, starker Hustenreiz, Erstickungsgefühl, Uebelkeit, brennender Schmerz
im Magen, öfteres Aufstoſsen mit charakteristischem Aldehydgeschmack, heiſser Kopf,
Herzklopfen. Nach etwa einer Stunde waren die Erscheinungen vorüber. Etwas weniger
unangenehm waren die Wirkungen von 10 Tropfen Aldehyd in 200g Wein genossen. Aldehyd findet sich, auſser im Vorlauf, auch in geringer
Menge in jungen, frisch vergohrenen Weinen, aus welchem es bei längerem Lagern
verschwindet. Es ist bekannt, daſs junge Weine rascher und intensiver berauschen als
alte; vielleicht spielt dabei der geringe Aldehydgehalt eine Rolle.
Von 25 Tropfen Paraldehyd auf 250g Wasser ist der
Geschmack bei weitem nicht so intensiv, aber sonst ähnlich dem der Aldehydlösung.
Brennen auf der Zunge und im Halse, starker, lang anhaltender Nachgeschmack, später
Uebelkeit und leichte Magenschmerzen, häufiges Aufstoſsen mit charakteristischem
Geschmack. Nach Verlauf von ½ Stunde sind die Erscheinungen vorüber. Im Wein
genommen, ist auch der Geschmack des Paraldehyds weniger unangenehm als in
Wasser.
Von 40 Tropfen Acetal in 250g Wasser ist der
Geschmack erträglich; Brennen auf Lippe und Zunge, süſslicher, lang anhaltender
Nachgeschmack, Aufstoſsen mit schwachem Aldehydgeschmack, nach ½ Stunde Hitze und
Eingenommenheit des Kopfes. Nach 1 Stunde sind die Erscheinungen vorüber. 28 Tropfen
Acetal in 50g Wein gibt Schwere im Kopf und
Schwindel.
25 Tropfen Propylalkohol in 200g Wasser gaben
keinerlei unangenehme Nachwirkungen. 50 Tropfen in 200g Wasser hatten einen nicht unangenehmen Geschmack und bald vorübergehende
Uebelkeit zur Folge. 100 Tropfen Propylalkohol in 250g Wein ergeben leichtes, bald vorübergehendes Gefühl von Eingenommenheit
des Kopfes.
60 Tropfen Isobutylalkohol in 125g Wasser ergaben
Brennen auf Lippen, Zunge und im Halse, fuseligen Nachgeschmack, leichte, bald
vorübergehende Uebelkeit. 150 Tropfen Isobutylalkohol in 250g Wein gelöst: Geschmack süſslich, scharf; starkes
Brennen im Schlunde und im Halse; Hustenreiz und Gefühl von Spannung auf der Brust.
Dann trat Kopfschmerz auf, Druck in der Schläfegegend und Uebelkeit. Schlaf ruhig.
Am nächsten Morgen vollständiges Wohlbefinden.
40 Tropfen Amylalkohol, mit 200g Wasser genommen,
ergaben Magenschmerz, heiſsen Kopf, Schwindel, Eingenommenheit des Kopfes. 50
Tropfen Amylalkohol in 250g Wein: Löst sich
leichter als im Wasser; auch ist der Geschmack nicht so unangenehm wie der der
wässerigen Lösung. Brennen und Kratzen im Munde und Hals, starker Hustenreiz, Hitze
im Kopf und Stirnkopfschmerz. Später bei gleicher Dosis: Husten, Erstickungsgefühl
und Druck im Magen: Aufstoſsen mit charakteristischem Geschmack, dann Schwere im
Kopf, Magenschmerzen, Uebelkeit, Brechneigung und Gefühl des Berauschtseins; Schlaf
unruhig. Am nächsten Morgen nichts Abnormes.
In Folge eines Versehens wurden 10 Tropfen Allylalkohol in 100g Wasser Morgens 9 Uhr getrunken. Der Geschmack
war scharf, unangenehm, aber erträglich. Nach 10 Minuten heftiger Reiz zum Niesen;
die Augen begannen zu thränen, Uebelkeit, Druck auf der Brust und Schwindel. Nach 15
Minuten wurde die Uebelkeit stärker; heftige Magenschmerzen. In 20 Minuten trat
groſse Abgeschlagenheit und starkes, öfteres Erbrechen ein; der Schwindel und die
Leibschmerzen wurden so heftig, daſs Verfasser sich niederlegen muſste; die Glieder
des Körpers waren wie gelähmt; Erbrechen und Leibschmerzen hielten beinahe 1 Stunde
an; nachher hochgradige Abspannung, heiſser Kopf, taumelnder Gang, ab und zu
Kolikanfälle. Der Zustand blieb so bis zum Abend, aber noch den ganzen nächsten Tag
hindurch fühlte sich Verfasser angegriffen und zu geistiger Arbeit unfähig. Der Allylalkohol ist daher ein entschiedenes, heftig wirkendes
Gift; sein Vorkommen im Branntwein ist wahrscheinlich.
Die Versuche ergaben somit, daſs die Verunreinigungen des Kartoffelbranntweins auf
den menschlichen Organismus viel kräftiger wirken als der Aethylalkohol.
Es ist nun bekannt, daſs bei den durch Mifsbrauch geistiger Getränke, besonders des
Branntweins, hervorgerufenen krankhaften Zuständen ähnliche Erscheinungen beobachtet
werden, wie sie bei diesen Versuchen zu Tage traten, und daſs gerade die Organe,
welche sich bei letzteren am stärksten angegriffen zeigten, auch beim chronischen
Alkoholismus am frühesten und intensivsten erkranken; Verfasser erinnert nur an den
chronischen Rachen-, Kehlkopf- und Magenkatarrh der Trinker, die habituellen
Congestionen zum Kopf, die allgemeine Muskelschwäche, den Verfall der Geisteskräfte
u. dgl. Der Schluſs dürfte daher wohl gerechtfertigt sein, daſs die Verunreinigungen
der gewöhnlichen Branntweinsorten bei der Entwickelung der Säuferkrankheiten eine
wesentliche Rolle spielen.
Die Erscheinungen des Alkoholismus werden zwar am raschesten und stärksten durch den
Miſsbrauch von schlechtem Branntwein hervorgerufen, aber auch Lösungen von reinem
Aethylalkohol, wie wir sie im Bier und Wein haben, führen – im Uebermaſs längere
Zeit hindurch genossen – Schädigungen der menschlichen Gesundheit herbei, und zwar
um so schneller und in um so stärkerem Grade, je concentrirrer die Lösung des
Aethylalkohols ist. Das Feilhalten und der Ausschank unreiner Branntweine ist daher
zu verbieten. Da ferner die Reinigung der gewöhnlichen
billigen Branntweinsorten bis jetzt nur unvollständig erreicht wird, überdies auch
der reine Aethylalkohol in concentrirtem Zustande kein für den Organismus
indifferenter Stoff ist, so ist die Verwendung des Branntweins als Genuſsmittel
überhaupt in jeder Weise zu bekämpfen.