Titel: | Das Erfindungspatent als technologische Einheit; von Dr. E. Hartig. |
Fundstelle: | Band 244, Jahrgang 1882, S. 323 |
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Das Erfindungspatent als technologische Einheit;
von Dr. E.
Hartig.
Hartig, das Erfindungspatent als technologische
Einheit.
Das deutsche Patentgesetz (vgl. 1877 224 644) enthält in §
20 die Bestimmung: „Für jede Erfindung ist eine besondere Anmeldung erforderlich“. Hieraus folgt als selbstverständlich,
daſs jede Erfindung ein besonderes Patent erfordert, wenn sie unter den Schutz des
erwähnten Gesetzes gestellt werden soll, oder auch, daſs nicht mehrere Erfindungen unter den Rechtstitel
eines einzigen Patentes vereinigt werden können. Der Einheitlichkeit des gesetzlich
zulässigen Schutzes steht sonach die Einheitlichkeit der geschützten Erfindung
gegenüber. Daſs hiermit die Absicht des Gesetzes richtig bezeichnet ist, unterliegt
keinem Zweifel, denn im § 4 des Gesetzes, in welchem den technisch unmittelbar
leistungsfähigen Erfindungen ein weiter reichender Schutz zugesichert wird als den
anderweiten Gegenständen, finden sich als Patentobjecte beispielsweise aufgeführt:
Ein Verfahren, eine
Maschine, eine Betriebsvorrichtung, ein Werkzeug, ein
Arbeitsgeräth. Auch in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes findet sich nirgends
eine Andeutung, daſs die Vereinigung mehrerer Erfindungen in ein Patent von irgend
einer Seite erwartet oder beabsichtigt worden wäre.
Gleichwohl ist es eine sehr häufige und mehr und mehr um sich greifende Gepflogenheit
der Patentsucher, möglichst viele Erfindungen in eine Anmeldung zu vereinigen,
woraus für alle Betheiligten die empfindlichsten Täuschungen und Unsicherheiten
entspringen. Nicht am wenigsten schwer wird das Patentamt von so gesetzwidrigem
Verlangen getroffen, welches in Tausenden verständigender und einschränkender
Zwischencorrespondenzen immer aufs Neue dasjenige auf Grund des Gesetzes wiederholen
muſs, was jeder Patentanwalt längst wissen sollte und lehren könnte; auf eine
Anmeldung kommen i. J. 1881 mehr als 6 Nachträge, Zwischencorrespondenzen und durch
den Geschäftsgang bedingte Vorlagen, also doppelt so viel wie i. J. 1878. Und doch
gelingt es bei dem gewaltigen Andrang der Schutz begehrenden Erfinder mit all dieser
Schreiberei nur ungenügend, eine dem Gesetz ganz entsprechende und, soweit das
Gesetz im Stiche läſst, eine mit Rücksicht auf den thatsächlichen Entwicklungsgang
der Technik gerechte Entscheidung in allen Fällen herbeizuführen; das Patentamt
müſste hierzu selbst die Functionen eines Patentanwaltes auf sich nehmen, was nicht
zu fordern ist. Eine Besserung kann hier nur erzielt werden, wenn jeder
Antragsteller die Anmeldung im Voraus möglichst so bearbeitet, daſs die einheitliche
Natur seiner Erfindung wohl erkennbar hervortritt.
Es liegt daher nahe, die Frage einer näheren Erörterung zu unterziehen, in welcher
Weise der Forderung des Gesetzes nach einem einheitlichen Ausdruck der unter Schutz
zu stellenden Erfindungen Genüge geleistet werden kann, ohne daſs die berechtigten
Ansprüche der Erfinder hierbei beeinträchtigt werden.
Eine allgemein gültige Beantwortung dieser Frage kann wegen der verschiedenartigen
Natur dessen, was man Erfindung nennt, zur Zeit noch nicht gegeben werden; sie würde
möglich sein, wenn der Inhalt des Begriffes „Erfindung“ schon in einer
unanfechtbaren, allerseits anerkannten Weise umgrenzt, vollständig definirt wäre,
was nicht der Fall ist. Die Amerikaner nennen manches Erfindung, was die deutschen
Techniker nur- als eine Construction, die Jedermann zustehende Ausübung einer im
Allgemeinbesitz befindlichen Constructionsregel, aufzufassen vermögen.
Unter solchen Umständen erscheint es rathsam, eine theilweise Lösung der erwähnten
Frage zu versuchen, unter näherer Betrachtung solcher Gegenstände, für welche die
Bezeichnung als Erfindung von Niemand in Zweifel gezogen werden kann. Wenn es
gelingt, für einzelne Gruppen anerkannter Erfindungen eine dem Rechtsgefühl aller
Betheiligten entsprechende und wissenschaftlich ausreichend begründete einheitliche
Umgrenzung des Erfindungsinhaltes aufzufinden, so würde alsdann auf dem Wege der
Analogie auch für anderweite Objecte, deren Erfindungscharakter zweifelhaft ist, ein
erwünschter Anhalt gefunden sein, auch der logisch sicheren Umgrenzung des
allgemeinen Begriffes „Erfindung“ näher gekommen werden.
Der Verfasser wählt hierzu die Gruppe der Arbeitsmaschinen, deren Eigenschaft als wirkliche Erfindung dann von
Niemand in Zweifel gezogen wird, wenn dieselben einen neuen Arbeitsproceſs
vermitteln und zugleich in ihrer Ausführungsform als eine neue Körperverbindung sich
erweisen. Daſs die von Howe 1846 hergestellte
Nähmaschine eine wirkliche Erfindung war, wird von Jedermann zugegeben werden
müssen; sie bewirkte die Verbindung zweier Stofflagen mittels zweier bei jedem Stich
sich umschlingender Nähfaden durch das Zusammenspiel einer neuen Gruppe von Werkzeugen, Nadel
und Schiffchen, Nähplatte und Stofftransporteur, und auch die Gesammtheit ihrer
Bestandtheile, Betriebsmechanismen und Stützkörper eingerechnet, war als eine
Neuheit zu erachten. In ähnlicher Art ist die König'sche Schnellpresse 1811 für eine wahre Erfindung zu halten gewesen,
indem sie einen zwischen Leitbändern, Druckform, Farbwalzen und Tiegelwalze, also in
einer neuen Gruppe von Maschinenwerkzeugen, sich regelmäſsig vollziehenden
Arbeitsproceſs durch elementare Betriebskraft hervorrief, der ebenso den Anspruch
auf Neuheit erheben konnte wie die dem Auge sich darbietende Gesammtheit der
zusammengefügten körperlichen Bestandtheile.
Sucht man die Grenzen zu ziehen, innerhalb deren von einem dem Erfinder zustehenden
Rechte gesprochen werden kann, so ergibt sich zunächst, daſs ein Anspruch, welcher
auf die sichtbare und greifbare, durch Modell oder Zeichnung- darzustellende
besondere Körperverbindung, also auf die „Gesammtanordnung der Maschine“
gerichtet ist, als zu eng sich erweist; sicher ist nur, daſs das Recht, diese
besondere Gesammtanordnung, als ein Ganzes aufgefaſst, auszuführen, dem Erfinder
jedenfalls zugesprochen werden muſs. Aber unser Rechtsgefühl erkennt ihm ein
mehreres zu. War die Maschine zuerst in Holz vorgeführt, so darf ein anderer sie
nicht in Eisen oder Stahl nachahmen, weil die Materialvertauschung als ein von der
mechanischen Technik allgemein geübtes (also auch dem Erfinder selbst zustehendes)
Verfahren schon seit lange anerkannt ist, zum Allgemeinbesitz aller
Maschinentechniker gehört. Gedächte Jemand die Maschine in anderen Dimensionen oder
in geänderten Gröſsenverhältnissen zu bauen, ohne die Natur des Arbeitsprocesses
abzuändern, so würde gleichfalls jeder Unbefangene eine Rechtsverletzung erkennen;
denn auch das Variiren von Abmessungen ist ein dem Constructeur geläufiges Thun. Ja
auch Gestaltsveränderungen der einzelnen Bestandtheile, Ersetzung einzelner
Mechanismen durch andere in der Technik bekannte Getriebe würden uns noch nicht
auſserhalb der gerechterweise zu ziehenden Grenzen des Erfindungseigenthumes
versetzen.
Es ist nun vielfach der irreführende Weg eingeschlagen worden, ein zumeist aus vielen
einzelnen Stücken zusammengesetztes Werk der hier als Beispiel gewählten Art, etwa
nach Anleitung der sogen, „beschreibenden Maschinenlehre“ in diese
Bestandtheile zu zerlegen und diese selbst bezieh. deren zahlreiche
„Combinationen“ als einzelne Ansprüche des Erfinders aufzustellen. Die
gänzliche Unzulässigkeit dieses Weges hat Verfasser bereits früher (im Civilingenieur, 1881 Bd. 27 S. 41) nachgewiesen, so
daſs hier nicht weiter die Rede davon zu sein braucht. Nur auf dem Boden
amerikanischer Gewohnheiten hat eine so ungeeignete Behandlungs weise einer
wichtigen Art des geistigen Eigenthumes entstehen und beharrlich festgehalten werden
können. Das angedeutete Verfahren der Formulirung von Ansprüchen erinnert an die
unvollkommene Art, wie ein Blinder sich von dem Vorhandensein seiner Geräthschaften
durch Betasten überzeugt, während ein Sehender mit einem Blick zur Gewiſsheit
kommt.
Fragen wir uns, was eine Arbeitsmaschine der hier als Beispiel gewählten Art thun soll, so müssen wir erkennen, daſs sie mechanische
Arbeit, also Triebkraft und Bewegung, aus irgend einer Arbeitsquelle entnehmen, in
der Art ihres Wirkens umgestalten und zur Ausübung eines bestimmten „Werkes“
verwenden soll. Es sind also Actionen, welche sich nach
dem Willen des Erfinders vollziehen, Betätigungen, von
welchen einige – wie die Einführung, die Leitung und Umgestaltung der mechanischen
Arbeit, die Stützung der verwendeten Körper u.a. – in einer gewissen
Gleichförmigkeit bei allen Arbeitsmaschinen sich wiederholen, während eine, die
eigentliche Werkerzeugung, der sogen. Arbeitsproceſs, jeder Arbeitsmaschine den eigentlichen
Charakter aufprägt. Dieser Arbeitsproceſs repräsentirt ein Abstractum, das, logisch
aufgefaſst, durchaus gleichartig ist mit dem menschlichen Thun, das in Wirklichkeit
einerseits an gewisse wesentliche Bestandtheile der Maschine, die Werkzeuge derselben, andererseits an das in der
Herstellung begriffene Werkstück geknüpft ist, das zu
lückenloser Vorstellung nur mittels eines Denkprocesses gebracht werden kann: Es
repräsentirt die in die Körperwelt versetzte, praktisch erprobte, ihrer Natur nach aber immaterielle
Conception des Erfinders. Bei dilettantischer Auffassung wird dieses
allerwesentlichste Moment der Arbeitsmaschine gänzlich übersehen, indem man von der
Maschine direct zu dem körperlichen Endresultat übergeht, also nur das Greifbare
auffaſst. Es ist Aufgabe der Technologie, eine zutreffende Ausbildung dieses
Begriffes der Werkerzeugung, also des vom Erfinder gewollten Thuns der Maschine, zu
bewirken und in jedem einzelnen Falle die Darstellung der Werkzeuge nach Form und
relativer Bewegung und der Werkstücke vor und nach dem Spiel der Maschine durch
diejenigen Gedanken zu ergänzen, welche eine für das Erkennen zureichende
Vollständigkeit dieses Begriffes zu Stande bringen.
Was würde nun näher liegen, als diesen Proceſs der Werkerzeugung des als neu
vorausgesetzten thatsächlichen Zusammenspieles der Maschinenwerkzeuge mit den
Werkstücken selbst zum Gegenstand des Rechtsschutzes zu machen, denselben als eine
technologische Einheit aufzufassen, die als ein Abstractum, dessen Grenzen zwanglos
die in Beziehung stehenden körperlichen Dinge: Fabrikat, Werkzeugsgruppe,
Gesammtheit der Maschine als Körperverbindung, umschlieſst, dem Erfinder für eine
gewisse Zeit gehört? Würde man hierin den eigentlichen „Gegenstand der
Erfindung“ erkennen, so wäre jeder Zweifel über den Charakter der Erfindung
als „geistiges Eigenthum“ beseitigt; eine neue Gesammtaction, welche mit
Sicherheit wiederholungsfähig ist, bildet eine Schöpfung von zweifellos
immaterieller Natur, obwohl sie an körperliche Dinge, an Werkzeuge und Werkstücke,
gebunden ist. Letztere sind nur das Substrat, die sichtbaren Träger der Action,
nicht schon diese selbst, und wenn man in kurzsichtiger Weise dieses körperliche
Substrat allein als den Gegenstand des Erfindungseigenthumes definirt, so läuft man
Gefahr, alle Proceduren, denen körperliches Eigenthum seiner NaturDie gänzlich heterogene Natur von materiellem und geistigem Eigenthum ergibt
sich u.a. aus der Erwägung, daſs bei ersterem der Uebergang aus dem
Allgemeinbesitz in den gesetzlich garantirten Privatbesitz möglich ist, bei
letzterem nicht; hier ist nur in umgekehrter Richtung die Uebertragung
denkbar. nach unterliegen kann, auf geistiges Eigenthum zu
übertragen, dasselbe im räumlichen Sinne zu theilen, die Theile im beschränkt
mathematischen Sinne zu combiniren und zu permutiren, wobei eine für alle
Betheiligten verhängniſsvolle Verwirrung zu Stande kommt und selbst jeder
nachträgliche Versuch, durch logisches Denken Klarheit und gerechte Entscheidung
herbeizuführen, Schiffbruch leidet. Ist der abstracte Kern einer Erfindung nicht bei
Ausarbeitung der Patentschrift dargelegt und in einem sicher verständlichen
Patentanspruch formulirt, so liegt es begreiflicherweise nicht in Macht und Beruf
der Patentbehörden, diesen eigentlichen Kern des Erfindungseigenthumes nachträglich
zu Gunsten des Erfinders herauszuarbeiten; das vermeintliche Recht zerbröckelt
alsdann in den Nichtigkeits- und Berufungsinstanzen in haltlose Fragmente, von denen
vielleicht das eine oder andere als ein werthloses Nichts in der Hand des
Patentinhabers verbleibt.
Die hier für eine gewisse Art von Erfindungen aus der inneren Natur des Gegenstandes
hergeleitete Auffassung trifft übrigens, was ihrer Berechtigung eine weitere Stütze
verleihen dürfte, mit der vom deutschen Patentgesetz für die chemischen Erfindungen vorgeschriebenen Auffassung überein; denn nach §
1,2 sind von der Patentirung ausgeschlossen: „Stoffe, welche auf chemischem Wege
hergestellt werden, soweit die Erfindungen nicht ein bestimmtes Verfahren zur
Herstellung der Gegenstände betreffen“.
Die Fassung „ein bestimmtes Verfahren“ war von der Commission des Reichstages
vorgeschlagen worden, „um den Willen des Gesetzes, daſs eine individuelle neue Methode der Herstellung vorliegen
müsse, auszudrücken“.
Hieraus und aus den gesammten einschlägigen Verhandlungen ergibt sich, daſs eben das
Verfahren der Herstellung als ein über körperliche
Dinge sich erhebendes Abstractum als Erfindungsobject
angesehen werden soll. Es wäre wider alle logische Consequenz, wenn man für irgend
eine andere Gattung von Erfindungen, etwa weil gröſsere Complexe körperlicher Dinge
sich hier in die
Anschauung drängen, ein solches Abstractum nicht gleichfalls anerkennen und als
geistigen Kern der Erfindung festhalten wollte.
Von Interesse mag es sein, an dieser Stelle daran zu erinnern, daſs die k. sächsische
Verordnung vom 20. Januar 1853, die Ertheilung von Erfindungsprivilegien betreffend,
in § 11 die Bestimmung (im Sinne einer logischen Nothwendigkeit) enthielt, „daſs der Gegenstand eines Patentes als ein untheilbarer anzusehen
ist“.
In den Commentaren des deutschen Patentgesetzes ist die Frage nach dem einheitlichen
Charakter des Patentobjectes nur flüchtig gestreift. Am nächsten kommt Kohler (Deutsches
Patentrecht, 1878) der hier entwickelten Anschauung durch den Ausspruch auf
S. 53: „Die Erfindung ...... ist keine Combination von räumlichen Formen und
Figurationen“, sowie durch die auf S. 55 enthaltene, wenn auch im
technologischen Sinne noch ungenaue, so doch zutreffende Anführung: „Bei der
Erfindung liegt eine Naturkräftecombination vor, bei welcher die Form nur das
Substrat eines Kräftespieles ist“. Wenn es als nachgewiesen erachtet werden
kann, daſs der Forderung des deutschen Gesetzes nach Einheitlichkeit des
Erfindungsobjectes für neue Arbeitsmaschinen in einer befriedigenden Art entsprochen
wird, wenn der neue Arbeitsproceſs in seiner Anschlieſsung an die zugehörigen
körperlichen Complexe von Werkzeugen und Werkstücken selbst zum Anspruch erhoben
wird, welchen sich ein zweiter Anspruch auf die concrete Anordnung der Maschine in
ihrer Gesammtheit zwanglos unterordnet, so erübrigt nun noch eine Besprechung
derjenigen Versuche, welche in anderer Weise als durch die schon widerlegte
willkürliche Combination körperlicher Bestandtheile der Maschine eine Erweiterung
des dem Erfinder zustehenden Rechtes anstreben. Es kann hier nur noch die Zerlegung
des bis jetzt als Ganzes betrachteten Arbeitsprocesses der Maschine in seine logisch
unterscheidbaren Theile in Betracht kommen und die Beanspruchung dieser
Theilprocesse für das Gesammtgebiet der Technik. So können wir bei der Howe'schen
Nähmaschine unterscheiden: die Stofftransportirung, die Einspieſsung der Nadel, die
Bildung der Schleife, die Verriegelung des Oberfadens durch den Unterfaden, die
Anspannung beider Fäden u.a. Bei eingehender Prüfung solcher Einzelprocesse ergibt
sich nun aber regelmäſsig mit Bestimmtheit, daſs hier die ausgedehntesten
Entlehnungen aus dem Bereich des schon im Allgemeinbesitz der Technik befindlich
gewesenen Vorrathes stattgefunden haben, einfache Uebertragungen aus dem Besitzthum
anderer Zweige der Technik, wenn auch der Erfinder selbst zuweilen sich dessen nicht
klar bewuſst und jedenfalls wenig geneigt sein mag, solche Uebertragungen zuzugeben.
Wie dem auch sei, die getrennte Inanspruchnahme solcher elementarer Einzelprocesse
neben der Forderung auf das Ganze – und die nordamerikanische Patentpraxis liefert
zahlreiche Beispiele auch hierfür – führt unfehlbar zu einer bedauerlichen
Belästigung der gesammten Technik und unerwünschten Häufung der Streitfälle und
setzt den guten Kern des ganzen Patentschutzes in tiefen Schatten. Was würde man
sagen, wenn ein Maler auſser einem neuen Bild vielleicht auch noch einen besonderen
Pinselstrich desselben, der vielleicht eine bedeutende Wirkung hervorruft, dem
gesetzlichen Schutz gegen Nachahmung unterstellen wollte? Der einheitliche
individuelle Charakter scheint eben dem Wesen allen geistigen Eigenthumes untrennbar
anzuhaften; nur ein Ganzes kann hier in Betracht kommen und, wenn auch im einzelnen
Falle wohl der Urheber einer Geistesschöpfung die Empfindung erlittenen Unrechtes
haben mag, wenn ihm einzelne Züge derselben in den nachfolgenden Werken Anderer
wieder begegnen, so muſs doch hier wohl die gewichtige Erwägung Platz greifen, daſs
auch er wieder – mit beiden Füſsen auf den Schultern der Vorgänger steht; was er im
Einzelnen ohne Entschädigung an Andere abgibt, wird durch die benutzten
Ueberlieferungen der Vor- und Mitlebenden wohl in den meisten Fallen mehr als
ausgeglichen.
Es muſs daher auch dieser Versuch, die technologische Einheit des Erfindungsobjectes
in Frage zu stellen, zurückgewiesen werden, ganz abgesehen davon, daſs derselbe den
Bestimmungen des deutschen Patentgesetzes zuwiderlaufen würde.
Wenn aus dem Vorstehenden sich ergibt, daſs für die als Beispiel gewählte Gruppe von
Erfindungen ein wirkliches Abstractum den Gegenstand der neuen Schöpfung bildet, so
mag noch ein Einwand kurze Erörterung finden, welcher von manchen Seiten erhoben
werden wird, der Einwand nämlich, daſs alsdann es den Anschein gewinne, als ob eine
bloſse Idee, ein von körperlichen Dingen gänzlich
abgelöstes Abstractum unter Schutz gestellt werden solle, was den Absichten jedes
Patentgesetzes zuwider sei. Hiergegen ist aber anzuführen, daſs bei dem, was man im
gewöhnlichen Sprachgebrauch eine Idee nennt, die logisch scharfe Umgrenzung, sowie
die volle constructive Gestaltung der zur Verwirklichung erforderlichen körperlichen
Hilfsmittel gänzlich fehlen, die wir für eine fertige Erfindung voraussetzen. Die
Zeichnung der neuen Maschine – um bei unserem Beispiel zu bleiben –, welche den
technologisch befriedigenden Nachweis liefert, daſs die beabsichtigte Gesammtaction
auch wirklich eintritt, bildet eben einen unerläſslichen Bestandtheil der
Patentschrift, obgleich der volle Inhalt des Patentobjectes durch sie nicht
erschöpft ist; die Zeichnung kann mit der zugehörigen Beschreibung aus der Idee die
fertige Erfindung hervorgehen machen.
Einer weiteren Untersuchung mag es vorbehalten bleiben, wie sich die nach § 7 unseres
Gesetzes zulässigen Verbesserungspatente (Zusatz- und Abhängigkeitspatente) in die
dargelegte Auffassung einfügen; nur soviel ergibt sich sofort, daſs, für die hier
als Beispiel benutzte Erfindungsgruppe, die den gleichen Arbeitsproceſs bewirkende,
aber in den Mechanismen abweichende Gesammtanordnung der Arbeitsmaschine zwanglos
als Anspruch gelten kann, weil eine solche in gleicher Art wie die Gesammtanordnung
des Hauptpatentes als Körperverbindung dem Abstractum des erzielten Arbeitsprocesses
logisch untergeordnet ist und ebenso wie allenfalls noch manche andere Anordnung in
dem logischen Intervall untergebracht werden kann, welches zwischen dem ersten und
zweiten Anspruch des Hauptpatentes enthalten ist.
Bedenklich erscheint es dagegen jedenfalls, wenn Körperverbindungen solcher Art für
schon bekannte, im Allgemeinbesitz befindliche Arbeitsprocesse, also bloſse
Constructionen, die keinem bestehenden Hauptpatent untergeordnet werden können,
unter den Patentschutz sich drängen. Die Häufung solcher Patente ist sehr geeignet,
das Ansehen und die Werthschätzung wahrer Erfindungen zu verdunkeln und den
Patentschutz selbst zu discreditiren. Der Streit um Dinge, an denen nur
Aeuſserliches, Form, Gruppirung u. dgl., in Betracht zu ziehen ist, macht bald, weil
Mangels jedes höheren verständlichen Kriteriums immer geringfügigere Unterschiede
anerkannt werden müssen, die Wirksamkeit des beabsichtigten Schutzes hinfällig, wie
auch auf anderen Gebieten des geistigen Eigenthumes sich gezeigt hatVgl. u.a. Alphons Thun: Die Industrie am Niederrhein
und ihre Arbeiter, (Leipzig 1879) 2. Theil S. 201: „Kaum hat
aber ein Fabrikant ein neues Muster aufgebracht, so setzt sich gleich
die ganze Schaar der Concurrenten in Bewegung, läſst das Muster abgucken
und macht es nach. Das Deponiren desselben nutzt nichts, da die
Sachverständigen auch die kleinste Abweichung als neues Muster
anerkennen und daher bisher ein jeder Deponent seinen Proceſs verloren
hat.“; die Forderung von Hauptpatenten auf bloſse
Constructionen wird bei weiterer Entwickelung der Constructionslehre und weiterem
Eindringen in das Wesen des immateriellen Eigenthumes nothwendig aus Mangel an
innerer Berechtigung aufgegeben werden müssen.
In so weit es zulässig erscheint, von einer überwiegend umfänglichen Gruppe von
technischen Schöpfungen, die als notorische Erfindungen allerseits anerkannt sind,
auf die Gesammtheit der übrigen einen Schluſs zu ziehen, ergeben sich aus dem
Vorstehenden die nachfolgenden Sätze:
1) Den Inhalt jeder selbstständigen unabhängigen Erfindung bildet ein an (mindestens)
eine neue Körperverbindung geknüpftes neues Abstractum, dessen logische Umgrenzung
zugleich diejenige des zulässigen Rechtsschutzes liefert; dasselbe umschlieſst die
erforderlichen Körperverbindungen im Sinne der logischen Unterordnung.
2) Der Gegenstand eines auf solche Erfindung ertheilten Patentes (Hauptpatent) ist
als eine technologische Einheit zu behandeln, dergestalt, daſs weder der das
Abstractum bildende Complex neuer Actionen, noch eine der Körperverbindungen, welche
zur Realisirung desselben erfunden sind, in ihre Bestandtheile aufgelöst und isolirt
als Erfindungseigenthum beansprucht werden können. Bloſse Merkmale dürfen nicht zu
selbstständigen Ansprüchen erhoben werden.
3) Eine Construction, welche mit abgeänderten körperlichen Mitteln eine patentirte
Gesammtaction erzielt, ist als Gegenstand eines Zusatzpatentes bezieh. eines
Abhängigkeitspatentes zulässig, kann aber ebenfalls nur als ein einheitliches Ganzes
behandelt werden.
4) Patenttitel, welche nach ihrer Fassung schon eine Vielheit von logisch
coordinirten Gegenständen ankündigen (z.B. Neuerungen), sind unzulässig. Ein solcher
Titel läſst nur eine der beiden Annahmen zu, daſs entweder wirklich mehrere
Erfindungen vereinigt werden sollen – was gesetzwidrig wäre –, oder daſs der
vorhandene technologische Kern nicht dargelegt ist; dann wäre die Patentschrift
unvollständig, und zwar würde das Wichtigste fehlen.
5) Patentansprüche, welche die Bezeichnung „Combination“ (constructiver
Gebilde oder elementarer Actionen, enthalten, sind thunlichst zu vermeiden, weil sie
als ein bloſser Nothbehelf für die wünschenswerthe technologisch genaue Anführung
sich darstellen, also eine logisch bestimmte Umgrenzung des zu schützenden
Gegenstandes nicht liefern. Ebenso sind anderweite Ausdrücke, deren logischer Inhalt
unsicher ist, wie „System“, „Princip“, „Idee“,
„Erfindungsgedanke“, selbstverständlich in den Patentansprüchen zu
vermeiden.
Ein Gesetz kann selbstverständlich nur nach einerlei Grundsätzen gehandhabt werden
und, angenommen, daſs diese näherungsweise in vielen Hunderten von collegialen
Berathungen festgesetzt sind, so kann Jedermann ermessen, welche umfängliche Arbeit
dem Patentamt erwachsen muſs, wenn von 6500 Anmeldungen, die durchschnittlich in
einem Jahre eingehen, vielleicht 90 Procent solchen aus dem Patentgesetz und aus der
Natur des geistigen Eigenthumes herzuleitenden Grundsätzen widersprechen. Es
erwächst daher auch für das betheiligte Publicum die dringende Verpflichtung, solche
Grundsätze zu würdigen und bei Herstellung der Patentanmeldungen entsprechend zu
berücksichtigen. (Nach dem Patentblatt, 1882 S.
49.)