Titel: Quantitative Staubbestimmungen in Arbeitsräumen; von Bezirksarzt Dr. W. Hesse in Schwarzenberg (Sachsen).
Autor: W. Hesse
Fundstelle: Band 240, Jahrgang 1881, S. 52
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Quantitative Staubbestimmungen in Arbeitsräumen; von Bezirksarzt Dr. W. Hesse in Schwarzenberg (Sachsen). Hesse, über quantitative Staubbestimmungen in Arbeitsräumen. Vom Juli 1880 bis Januar 1881 habe ich die Luft einer Anzahl von Arbeitsräumen auf ihren Staubgehalt geprüft. Wenn ich dabei von der Absicht ausging, festzustellen, wie viel ein Arbeiter bei seiner Beschäftigung durchschnittlich Staub einathmet, so bin ich in so fern nicht ganz zu dem erwünschten Ziele gelangt, als es die von mir gewählte Versuchsanordnung in der Regel rathsam erscheinen lieſs, die Luft aus gröſserer Entfernung und Höhe zu entnehmen, als es dem jeweiligen Verhältniſs zwischen Staubquelle und Nase des Arbeiters entsprach. Die von mir erhaltenen Werthe sind also Minimalwerthe, ja zum Theil noch weit geringere. Nichts desto weniger sind die gewonnenen Ergebnisse so merkwürdig und auffallend, daſs sie zu sehr ernsten Betrachtungen über die Beziehungen zwischen Staub und Gesundheit Veranlassung geben und zur Beschaffung eines umfangreicheren Materials dringend auffordern. Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, daſs mittels eines Tropfenaspirators die zu untersuchende Luft durch ein mit Baumwolle gefülltes Glasröhrchen gesaugt wurde. Zwischen Aspirator und Glasröhrchen war eine Gasuhr eingeschaltet. Vor und nach dem Versuche wurde das Glasröhrchen (einschlieſslich Baumwolle, bezieh. Baumwolle und Staub) einige Tage über concentrirte Schwefelsäure im Exsiccator aufbewahrt und dann gewogen. Der Gewichtsunterschied zwischen beiden Wägungen ergab, wie viel Staub in einer durch die Gasuhr gemessenen Luftmenge vorhanden war. Um Durchschnittswerthe zu erlangen, wurde die Dauer der einzelnen Versuche in der Regel auf einige Tage bemessen, mindestens aber so lange, bis eine Gewichtszunahme von einigen Milligramm zu gewärtigen stand. Die Luft wurde nur während der Arbeitszeit angesaugt. Ein specielleres Eingehen auf die Versuche, wie die Besprechung der mikroskopischen Befunde an dieser Stelle würde den Rahmen einer vorläufigen Mittheilung überschreiten. – Nicht uninteressant ist es, für geeignete Fälle zu berechnen, wie groſs etwa das Gewicht des
Nr. Arbeitsraum Versuchsdauer Luft-menge Gewichts-zunahme Gewichtd. Staubesin 1cbmLuft Bemerkungen. l g g 1 Filzschuhfabrik, Fachraum 7 Stunden     59 0,01035 0,1751) 1 Arbeiter 2 Ebenda 2 Stunden     32 0,0034 0,1062) Desgleichen. 3 Kunstmühle, Schüttboden Etwa 8 Tage 1302 0,00575 0,00442 Neues System m. Apirator 4 Mahlmühle            „ 4 Tage   927 0,04425 0,0477 Altes System (offene Gänge) 5 Bildhauerei, Halb imFreien stehende Werkstatt Einige Tage      515,5 0,0045 0,00873 1 bis 3 Arbeiter 6 Mechanische Weberei,Spulsaal 8 Tage(77 Stunden) 1469 0,0044 0,00303) 10 Maschinen (36 Ar-    beiterinnen) 7 Ebenda 6 Tage(55½ Stdn.)   851 0,0020 0,00235 Desgleichen. 8 Papierfabrik, Hadernsaal 5 Tage 1128 0,00425 0,003774) 20 Arbeitstische (38 Ar-    beiterinnen) 9 Andere Papierf.       „ Einige Tage   708 0,0162 0,02295) 14 Tische (28 Arbeite-    rinnen) 10 Ebenda (70 Stunden) 1162 0,0289 0,0249 11 Hutfabrik, Blasm.-Raum Einige Tage   296 0,0019 0,00642 1 Arbeiterin. 12 Eisenwerk (Gieſserei)Putzraum Einige Tage   558 0,040 0,07176) 15 bis 20 Arbeiter. 13 Ebenda 9 Tage   993 0,0997 0,10 Desgleichen. 14 Bürstenfabrik, Borsten-einziehsaal 16 Tage 1692 0,0065 0,003847) 90 Arbeiterinnen 15 And. Bürstenf., Borstenein-zieh- u. Brettchenbohrraum 9 Tage   778 0,0028 0,00360 20 Arbeiterinnen. 16 Kohlengrube, vor Ort 18 Stunden   336 0,0048 0,0143 2 Arbeiter. 17 Erzgrube, vor Ort(sehr hartes Gestein) 2¼ Stdn.     50 0,0004 0,00808) 2 Arbeiter (nasse För-    stenbohrung) 18 Ebenda   200 0,0029 0,0145 2 Arbeiter (trockene    Förstenbohrung) 19 Wohnhaus, Studierzimmer 10 Tage 1235 0 09) 20 Wohnhaus, Wohn- undKinderstube Nahezu2 Wochen 1224 0,00195 0,001610) 1 bis 2 Erwachsene und    4 bi 5 Kinder
im Jahre von 1 Arbeiter in seiner Werkstätte eingeathmeten Staubes sich herausstellt. Es würde, die oben aufgeführten Zahlen zu Grunde gelegt, das Jahr zu 300 Arbeitstagen, 500l stündliche Athemluftmenge und 10stündige Arbeitszeit angenommen, z.B. betragen bei:
Versuch 3) 6,63g Versuch 8) 5,655g Versuch 12) 107,55g 4) 71,55 9) 34,35 13) 150,0 6) 4,5 10) 37,35 14) 5,76 7) 3,525 11) 9,63 15) 6,40
Wenn ich aus diesen wenigen Untersuchungen Schlüsse ziehen darf, so muſs ich vor Allem hervorheben, daſs zweifellos selbst übel beleumundete Arbeitstätten vorkommen, in denen beständig sehr groſse Mengen von Staub entwickelt und eingeathmet werden, ohne daſs die Gesundheit der Arbeiter im mindesten litte (vgl. Versuch 4, 12 und 13), andererseits Arbeitsräume mit verhältniſsmäſsig geringer Staubentwicklung häufig sind, wo der Gesundheitszustand der Arbeiter auſserordentlich viel zu wünschen übrig läſst (vgl. Versuche 6, 7, 14 und 15). Ferner scheint es mir von gröſstem Einfluſs zu sein, ob der eingeathmete Staub chemisch different – und dann in welcher Weise – oder indifferent auf den Organismus wirkt. In zahlreichen Fällen, wenn nicht in den meisten, erübrigt es noch, festzustellen, welchen Antheil der Staub an der Erkrankung des Arbeiters nimmt und in wie weit Nebenumstände – als Arbeitslokal, Art der Arbeit, Stellung des Körpers bei der Arbeit (Tiefe oder Oberflächlichkeit der Athmung), Arbeitzeit (Tag- und Nachtschicht), Dauer der Einathmung (tägliche, gesammte, mit oder ohne Unterbrechung), Art der Staubentwicklung (beständig oder unterbrochen), Lebensweise (insbesondere Ernährung und Wohnung), Lebensgewohnheiten, Zustand des Körpers, speciell der Athemwerkzeuge (Disposition) – in Frage kommen. Weitere Untersuchungen haben sich darauf zu erstrecken, welche Rolle das Volumen des Staubes und Gröſse, Beschaffenheit und Eigenschaften der Staubtheilchen spielen, wie viel von dem Staube bis in die Lunge dringt, wie viel mit der Ausathmung wieder herausgeschafft wird, welche Staubmenge für einen bestimmten Fall die zulässige Grenze bildet, welche Maſsregeln geeignet sind, die Entstehung, und Einathmung schädlicher Staubmengen und Staubarten zu verhüten. Durch Vorversuche habe ich in dem unter Nr. 12 und 13 der obigen Tabellen aufgeführten, für diesen Zweck äuſserst günstigen Versuchsfelde (schwarzer, in weiſser Watte leicht erkenntlicher Staub) für meine Person und den jeweiligen Zustand meiner Athmungsorgane ermittelt, daſs bei so massenhafter Staubentwicklung (vorwiegend Graphit- und Quarzstaub) augenscheinlich: 1) ein wenn auch geringer Theil des eingeathmeten Staubes bei der Ausathmung die Athmungswerkzeuge wieder verläſst; 2) daſs es nur ein Theil der feinsten Staubtheilchen ist, welcher auf diese Weise wieder erscheint, während alle gröberen zurück gehalten werden1); 3) daſs die Menge des wieder ausgeathmeten Staubes sich in der Weise abstuft, daſs bei Ein- und Ausathmen durch den Mund verhältniſsmäſsig am meisten, bei Einathmen durch den Mund und Ausathmen durch die Nase erheblich weniger, bei Einathmen durch die Nase und Ausathmen durch den Mund noch weniger, bei Ein- und Ausathmen durch die Nase (zu dem einen Nasenloche ein–, zum anderen ausgeathmet) nur noch äuſserst wenig den Körper verläſst. Die Versuche wurden in der einfachen Weise angestellt, daſs in einer bestimmten, für alle Versuche gleich langen Zeit in ein die Ausathmungsöffnung vollständig ausfüllendes Glasröhrchen, in welchem ein wenig Baumwolle eingeschoben war, beständig ausgeathmet wurde. Die Ausgangsöffnung des Glasröhrchens war vorsorglich mit einem gröſseren lockeren Baumwollbausch umhüllt.