Ueber das Krystallinischwerden und die
Festigkeitsverminderung des Eisens durch den Gebrauch; von Prof. Bauschinger.Mit Abbildungen.Bauschinger, über Qualitätsänderung des Eisens durch den
Gebrauch.Die Frage, ob das Eisen durch den Gebrauch, bei welchem es Stöſsen, Erschütterungen,
wechselnden Belastungen ausgesetzt ist, seine Structur ändere, krystallinisch werde
und in Folge dessen an Festigkeit verliere, ist bekanntlich noch keineswegs
entschieden. Beiträge zu ihrer Lösung oder auch nur Erörterung dürften daher immer
noch willkommen sein, zumal wenn diese Versuchen entnommen worden sind, welche nur
bei ganz selten wiederkehrenden Gelegenheiten angestellt werden können. Solcher
Gelegenheiten boten sich mir vor etwa 1½ Jahren, zufällig zusammentreffend, zwei
dar. Ueber die dabei gemachten Versuche und deren Resultate soll hier kurz berichtet
werden.
[Textabbildung Bd. 235, S. 169]
Die eingeschriebenen Zahlen sind
Centimeter.I) Bei der im Sommer 1878 vorgenommenen eingehenden Revision der Bamberger Kettenbrücke, die im J. 1829 erbaut wurde,
sollten im Hinblick auf die in Rede stehende Frage einige Kettenglieder auf ihre
Festigkeit, Elasticität u.s.w. geprüft und in diesen Beziehungen verglichen werden:
a) mit einem vorhandenen Reservekettenglied (A), das mit allen übrigen angefertigt
worden, aber seitdem an gut geschützter Stelle und ohne Beanspruchung gelegen war;
b) mit einem Kettenglied (E), das in demselben Etablissement, wie die ganze Brücke
im J. 1829, jetzt und zwar auf möglichst gleiche Weise hergestellt wurde. Die Zahl
der einer Kette der Brücke entnommenen Glieder war drei, das eine (B) lag im
Scheitel der Kette, das zweite (C) schloſs sich unmittelbar an dieses an; das dritte (D) war das
dritte vom Aufhängepunkt aus. Form und Gröſse aller dieser Glieder sind in
vorstehendem Holzschnitt skizzirt und angegeben. Sie wurden bei der Prüfung mittels
Bolzen, die in ihre Augen paſsten, eingespannt, so daſs sie sich ganz unter
denselben Umständen befanden wie in der Kette der Brücke.Zuerst wurde mittels meines Spiegelapparates jedesmal der Elasticitätsmodul und die
Elasticitätsgrenze für ein Stück von 20cm
bestimmt. Ueber die Elasticitätsgrenze hinaus wurde dann ein einfacher Meſsapparat,
ein Stangenzirkel mit Millimetertheilung und Nonius für 0mm,1 angewendet, der die Verlängerung für 200cm Länge zu messen gestattete. Damit konnte der
Beginn des Streckens beobachtet werden. Endlich wurde jede Stange abgerissen und die
Zugfestigkeit, die Querschnittsverminderung an der Bruchstelle und die Verlängerung
nach dem Bruche (auf 200cm) ermittelt, sowie das
Aussehen des Bruchquerschnittes. Die erhaltenen Resultate sind in Tabelle I
zusammengestellt.I. Kettenglieder der Bamberger Kettenbrücke.
Bezeichnung desKettengliedesElasticitätsmodulk auf 1qcElasticitätsgrenze beik auf 1qcBeginn des Streckensbei k auf 1qcZugfestigkeitk auf 1qcQuerschnittsverminderg.in Proc. des
ursprüngl.Verlängerung auf 200cmin Proc.Aussehen der Bruchfläche
u.s.w.A22980002610286031203 0,8Der Bruch erfolgt plötzlich u. unerwartet. Bruchfläche zum gröſsten
Theil grob- krystallinisch, stellenw. feiner, sogar körnig.
Schweiſsfehler an einer Stelle.B22760001630243028902 2,2Alles genau so wie vorhin, auch bezügl. des Schweiſsfehlers; nur
ist im Ganzen der Bruch etw. gröber als b. vor. Stück.C21570002170255036105510,7Bruch sehr feinsehnig, aber verworren geschichtet mit kl.
krystallin. Stellen.D228900022602620351034 6,5Bruch gröſstentheils sehnig, an beiden Schmalseiten krystallinische
Stellen.E229800020002670368030 5,1Bruch sehn., hell u. dunkel unregelmäſs. geschichtet m. einigen
kryst. Punkten.
Man sieht, daſs daraus keinerlei Anhaltspunkte sich ergeben,
weder für eine Verminderung der Festigkeit des Eisens, noch für eine Aenderung
seiner Structur oder seiner Elasticität, während eines fast 50jährigen
Gebrauches, welchem die drei Kettenglieder B, C, D unterworfen waren.II) Im gleichen Sommer 1878 wurden die anfangs der fünfziger Jahre erbauten How'schen Holz-Gitterbrücken auf der bayerischen
Allgäubahn (Kempten-Lindau) einer genauen Durchsicht und Prüfung unterworfen. Auch
dabei sollte die Frage erörtert werden, ob etwa die Festigkeit der hierbei
verwendeten eisernen Hängebolzen durch den Gebrauch, namentlich durch das von Zeit zu Zeit
wiederholte stärkere Anziehen der Muttern an den Enden, verringert worden sei. Zu
diesem Behufe wurden aus dreien der vier untersuchten Brücken je 4, aus der vierten
6 Hängebolzen entnommen und an das „Mechanisch-technische Laboratorium der
technischen Hochschule München“ eingesendet. Dieselben wurden mittels der an
den Enden befindlichen Muttern so eingespannt, wie sie es beim Gebrauche sind und
auf ganz gleiche Weise geprüft, wie es vorhin für die Kettenglieder beschrieben
worden ist. Nur wurde der Elasticitätsmodul und die Elasticitätsgrenze nicht für
jeden, sondern nur für jeden zweiten Hängebolzen gemessen; der Beginn des Streckens
wurde für diejenigen Stangen, bei welchen diese Messungen nicht vorgenommen wurden,
nur durch Beobachtungen ander Wage der Werder'schen
Festigkeitsmaschine ermittelt; bei den anderen wurden die Verlängerungen über die
Elasticitätsgrenze hinaus auf Längen von 400, bezieh. auf 350cm gemessen.Bei einer dieser Brücken, bei der Waltenhofer, welcher 6
Hängebolzen entnommen worden sind, trifft es sich gut, daſs die Versuche, welche Hr.
Oberbaudirector v. Pauli während des Baues der Brücke
bei der Anlieferung der Hängebolzen mit einem Theil derselben vorgenommen hat, von
ihm veröffentlicht und dadurch für Jedermann zugänglich erhalten worden sind. Sie
finden sich im Bayerischen Kunst- und Gewerbeblatt,
1853 S. 4 bis 25 und wurden mit der Werder'schen
Festigkeitsmaschine ausgeführt und zwar mit dem ersten Exemplar derselben, welches
eben in Veranlassung dieser Versuche von Werder
construirt und in der v. Cramer-Klett'schen Fabrik in
Nürnberg (jetzt „Maschinenbau-Actiengesellschaft Nürnberg“) gebaut worden
war. Die Verlängerungen wurden auf eine Länge von 16 Fuſs bayerisch mittels eines
Fühlhebelapparates gemessen, der sie in 20facher Vergröſserung zeigte, und dadurch
Elasticitätsmodul und Elasticitätsgrenze bestimmt.v. Pauli hat 5 Stangen geprüft, Nr. I bis V, deren jede
6m,67 lang war; ihr mittlerer Durchmesser
betrug im cylindrischen Theil bezieh. 4,29, 4,03, 4,06, 4,00 und 4cm,29; an den Enden waren sie verstärkt, damit die
dort angeschnittenen Gewinde keine Verschwächung verursachten. Die Resultate sind
(in Metermaſs umgerechnet) in der folgenden Tabelle II zusammengestellt mit
denjenigen von Versuchen, die ich im Herbste 1878 für diejenigen 6 Hängebolzen
(bezeichnet mit a bis f) erhielt, welche bei oben gedachter Gelegenheit kurz vorher
aus der Waltenhofer Brücke genommen worden waren. Deren Länge war natürlich
dieselbe, die mittleren Durchmesser schwankten zwischen 3,94 und 4cm,13; an den Gewinden an beiden Enden waren sie
ebenfalls verstärkt.II. Hängebolzen der Waltenhofer Brücke.
Geprüft vonBezeichnungElasticitätsmodulk auf 1qcElasticitätsgrenzebei k auf 1qcBeginn des Streckensbei k auf 1qcZugfestigkeitk auf 1qcQuerschnittsverminderg.in Proc. des
ursprüngl.Aussehen der Bruchfläche
u.s.w.v. Pauli 1852 IIIIIIIVV1923000204700020960001900000206600026502080197022672585–––––3300 289313033302960–––––Vorher einmal mit 1930k/qc gespannt. Bruch ⅓ körnig, ⅔
sehnig.Früher nie belastet. Bruch sehnig, am Rande schwach
körnig.Bruch sehnig mit etwa 0qc,34
körni- gem Gefüge.Bruch ⅓ sehnig, ⅔ feinkörnig.Bruch fast
durchaus feinkörnig.Mittel:23102)† In Tab. IV S. 19 der oben angeführten Abhandlung von
Oberbaudirector v. Pauli steht für
dieses Mittel unrichtig 24k,1 auf
1qmm, wahrscheinlich in Folge
eines Satzfehlers.3120Bauschinger
1878abcdef–21350002114000–2160000––20401870–2130–225022302160251022002310289030703340283026002960192225–––Bruch sehnig, fein, durch einen Schiefer geschwächt.Bruch
sehnig, nur am Rande etwas kry- stallinisch, aber matt und
zerklüftet.Feinsehnig, aber matt, mit einigen kry- stallinischen
Punkten.Bruch an einer
Schweiſsstelle.Desgleichen.Desgleichen.Mittel:2013–––––2280––––––31002790Das obere der beiden Mittel für die Zug- festigkeit gilt für die 3
ungeschweiſsten, das untere für die 3 geschw. Stangen.
Daſs v. Pauli die Elasticitätsgrenze etwas höher, den
Elasticitätsmodul etwas kleiner fand als ich, rührt von der geringeren
Empfindlichkeit und Genauigkeit der Meſsinstrumente her, welche ihm damals zu Gebote
standen.Die mittlere Festigkeit der drei ungeschweiſsten Hängebolzen,
die nach 25jährigem Gebrauch geprüft wurden, ist noch dieselbe wie bei den fünf
neuen Bolzen, welche v. Pauli im J. 1852 untersuchte, und aus der letzten
Spalte der vorigen Tabelle folgt, daſs sicherlich auch die
Structur jener drei Hängebolzen keine Veränderung erfahren hat.In nachstehender Tabelle III theile ich noch die Resultate mit, die ich auf die schon
beschriebene Weise für die je vier Hängebolzen der drei anderen Allgäu-Brücken
erhalten habe. Des mangelnden Vergleiches mit neuem, ungebrauchtem Material halber
bieten sie nicht ganz das gleiche Interesse wie die oben angegebenen; da aber diese
Hängebolzen, so viel ich weiſs, in demselben Hüttenwerk hergestellt wurden wie die
der Waltenhofer Brücke und also auch wohl die gleicheIII. Hängebolzen der 3 anderen Allgäu-Brücken.
Hänge-bolzenderBezeichnungElasticitätsmodulk auf 1qcElasticitätsgrenze beik auf 1qcBeginn des Streckensbei k auf 1qcZugfestigkeitk bei 1qcQuerschnittsverminderg.in Proc. des
ursprüngl.Aussehen der Bruchfläche
u.s.w.Illerbrücke bei Kemp-ten, je 6m,82 lang, 5cm,2dick, im Gewinde nichtverstärktabcd2077000––20380001090––141018901940–20603070325031703210––––Bruch im Gewinde, sehnig mit drei gröſseren krystallinischen
Nestern.Bruch im Gewinde, ganz wie vorhin aussehend.Bruch
im Gew., gröſstentheils grob- krystallinisch; der sehnige Theil
in der Mitte gelblich und matt, wie ver- brannt;
zerklüftet.Bruch im Gewinde, ganz krystalli- nisch, theils grob,
th. wenig grob.Ellhofer Brücke, je 4m,58lang, 4cm,4 stark, im
Ge-winde verstärktabcd2221000–2169000–2010–1790–2180–2210–2680293027803130–121617Bruch an einer Schweiſsstelle; soweit er durch das Material selbst
geht, sehr schön sehnig.Bruch an einer fehlerhaft. Stelle,
sehn. aber ganz matt u. gelbl.; die Stange ist in der Mitte
geschweiſst, doch er- folgt der Bruch nicht daselbst.Sehnig,
aber mittendurch eine breite krystallin. Schicht. In der Nähe
der Enden derselben äuſserl. Querrisse.Durchweg sehnig, aber
stark zer- klüftet; äuſserlich Querrisse.Laiblachbrücke, a) u. b)4m,46 lang, 4cm,6
dick,c) u. d) 4cm,52 lg., 3cm,7dick, in den
Gewindenverstärkt.abcd2143000–2151000–1920–2080–22602410253024202610291033103480 7– 14,537Bruch an einer, wie es scheint, ge- schweiſsten Stelle;
sehnig.Bruch an einer Schweiſsstelle; Ma- terial sehnig,
porös.Bruch sehnig, porös.Bruch sehnig, etwas zerklüftet;
in der Mitte der Stange befindet sich unverkennbar eine
Schweiſsstelle, die aber aushielt.
ursprüngliche Qualität für sie vorausgesetzt werden darf, so
zeigen die Zahlen für die Zugfestigkeit in der 6. Spalte, in so weit sie sich auf
Brüche an ungeschweiſsten Stellen beziehen, doch wieder, daſs eine Verringerung der
Zugfestigkeit durch 25jährigen Gebrauch nicht stattgefunden haben kann. Ebenso wenig
läſst sich aus den Bemerkungen über das Aussehen der Bruchfläche in der letzten
Spalte schlieſsen, daſs das Eisen der Bolzen durch den Gebrauch krystallinisch
geworden sei.München, Anfang Januar 1880.