Titel: | Ueber das Elutionsverfahren in der Zuckerfabrikation. |
Autor: | W–n. |
Fundstelle: | Band 235, Jahrgang 1880, S. 53 |
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Ueber das Elutionsverfahren in der
Zuckerfabrikation.
Mit Abbildungen auf Tafel 7.
Ueber das Elutionsverfahren in der Zuckerfabrikation.
An alle groſsen Industrien tritt, sobald sie einen gewissen Grad der Vollendung
erreicht haben, die Frage der Abfallverwerthung
unabweisbar heran; dann
wird mit einem Mal in der weiteren Vervollkommnung des Arbeitsprocesses innegehalten
und statt dessen auf alle Weise versucht, die Fabrikationsabfälle voll auszunutzen,
sie einer ökonomischen Verwendung zuzuführen.
Unter den mechanischen Industrien konnten wir dies im vergangenen Jahrzehnt im
ausgedehntesten Maſse bei den Textilmanufacturen beobachten (vgl. die
Abfallspinnerei, Shoddy- und Mungofabrikation * 1871 189 15 u.a.); in gleichem Sinne
wird die Verhüttung und weitere Ausnutzung der Hochofenschlacke, die
Wiederverarbeitung der Stahlabfälle von stets wachsender Bedeutung, und was vor
nicht allzu langer Zeit als „werthloser Abfall“ in den Kohlenzechen bei Seite
geschoben wurde, brennt heute als Kohlenklein in den einstmals nur Kokes
vertragenden Feuerbüchsen unserer Locomotiven.
In noch weit höherem Grade ist die Abfallverwerthung in den rein chemischen
Industriezweigen durchgeführt; ein Blick in die Sachregister von „Dingler's
polytechnisches Journal“ genügt, um das ausgesprochene Ueberwiegen dieser
Richtung darzulegen, und es gibt vielleicht kein schöneres Beispiel, um deren
Bedeutung zu charakterisiren, als die epochemachende Entdeckung der
Anilinfabrikation, welche durchaus auf der Abfallverwerthung beruht.
Bei der in beide Gebiete hinübergreifenden Zuckerindustrie, welche durch die Gröſse
der darin angelegten Kapitalien und vermöge ihrer Bedeutung für die Landwirthschaft
einen wichtigen Factor in dem wirtschaftlichen Gefüge unseres Vaterlandes bildet,
ist die Frage der rationellen Abfallverwerthung erst in den letzten Jahren zu einer
brennenden geworden. Die früheren Leistungen dieser Richtung beschränkten sich
darauf, die Preſslinge und ausgelaugten Schnitzel zur Viehmast verwendbar zu machen,
höchstens noch die Waschwässer zur Berieselung oder Düngung des Bodens auszunutzen;
dagegen ist der wichtigste Abfallstoff der Zuckerfabrikation, die Melasse, bis heute
für die Zwecke der Zuckergewinnung fast werthlos geblieben, indem die groſse
Mehrzahl der Fabriken sich darauf beschränkt, ihre letzten in den Reserven nicht
weiter ausbringbaren Syrupe an die Spiritusfabriken abzugeben, wo sie allerdings
auch einer gewissen, jedenfalls aber höchst irrationeller Verwerthung zugeführt
werden.
Die groſsen wirtschaftlichen Verluste, welche dieser Art von
Abfallverwerthung entspringen, sind schon wiederholt betont und in klassischer Weise
in R. v. Wagner's Ausstellungsnotiz über Vincent's Verfahren zur Verwerthung der bei der
Spiritusfabrikation verbleibenden Melasseschlempe (vgl. 1878 230 263) besprochen worden. Es wird darauf hingewiesen, daſs bei einer
jährlichen Melasseproduction des deutschen Reiches von beiläufig 100000t der Werth des darin enthaltenen Zuckers (etwa 50
Procent des Melassegewichtes bewerthet mit 60 M. für 100k) allein 30 Millionen Mark, auſserdem die Kalisalze (etwa 5½ Proc., Werth
40 M. für 100k) und der Stickstoff (etwa 2 Proc., Werth
200 M. für 100k) weitere 6 Mill. Mark ausmachen,
während der Verkauf jener 100000t Melasse an die
Spiritusfabriken (durchschnittlich 8 Mark für 100k) kaum mehr als 8
Millionen Mark ergibt. Mag nun allerdings der Fabrikationsgewinn der
Spiritusfabriken an jenen 100000t mit 4 M. für
100k und mögen andererseits die directen
Gewinnungsspesen des in der Melasse enthaltenen Zuckers sammt Nebenbestandtheilen
mit gleichfalls 4 M. für 100k berechnet werden, so
stellt sich noch immer der Handelswerth des aus der Melasse ausbringbaren Zuckers
sammt Stickstoff und Salzen auf 32 gegenüber den für die Spiritusfabrikation
erreichbaren 12 Millionen Mark, somit, nach der jetzt noch allgemein üblichen
Verfahrungsweise, eine jährliche Werthvernichtung von 20 Millionen Mark, allein für
den Umfang des deutschen Reiches.
So klar diese Rechnung auf die Vortheile der Wiedergewinnung des in der Melasse
enthaltenen Zuckers hinweist, so kann es andererseits doch nicht überraschen, daſs
bis in die jüngste Zeit die Zuckerindustrie diesen Gegenstand kaum beachtete. Sie
hatte noch nicht jenen Grad der Vollkommenheit in der Urfabrikation selbst erreicht,
welcher, wie eingangs angedeutet, nothwendig vorangehen muſs, ehe der immerhin
ferner stehenden Frage der Abfallverwerthung allgemeinere Beachtung gewidmet
wird.
So lange die Art der Saftgewinnung nicht endgültig entschieden war und so lange – wie
selbst heute noch in Oesterreich, in Folge des irrationellen Steuersystemes der
Pauschalirung – das principiell einzig richtige Diffusionsverfahren durch
überhastete Arbeit ungenügend ausgenutzt wird, ist kein Raum für jene mehr
verfeinerten Processe, welche sich mit der rationellen Abfallverwerthung
beschäftigen. Darum blieben die in dieser Richtung seit Jahrzehnten eifrigst
betriebenen Versuche und Studien der Gelehrten von der Praxis völlig unbeachtet, um
erst in neuester Zeit, als jene Vollendungsstufe der Urfabrikation erreicht worden,
wie mit einem Schlage actuellste Bedeutung zu erlangen.
Schon anfangs der fünfziger Jahre wurde von Dubrunfaut
und Leplay (1850 117 136. 275. 1851 121 308. 1854 131
47. 1863 167 398. 1865 178 230. * 1871 202 164) die Entdeckung gemacht, daſs der in
der Melasse enthaltene Zucker durch Zusatz von Baryt von den die Kristallisation
hemmenden Salzen getrennt und aus der entstehenden Barytverbindung ohne
Schwierigkeit gewonnen werden kann. Auch wurde dieser Proceſs in gröſserem Maſse
praktisch durchgeführt und dürfte selbst heute noch in Anwendung sein; einer
weiteren Durchführung stand zur Zeit der Entdeckung die damals noch andere Ziele
erstrebende allgemeine Richtung der Zuckerfabrikation entgegen; heute ist das
Verfahren, welches zudem in Folge der giftigen Eigenschaften des Baryts hygienisch
nicht ganz unbedenklich erscheint, durch die neueren Elutionsmethoden überflügelt.
Dieselben beruhen ausschlieſslich auf der Eigenschaft des in der Melasse enthaltenen
Zuckers sich mit Kalk zu dreibasischem Zuckerkalk zu verbinden und von dem
Nichtzucker der Melasse dadurch zu trennen, daſs der dreibasische Zuckerkalk im
reinen Alkohol unlöslich bleibt, wogegen die fremden Bestandtheile der Melasse stets
einen gröſseren oder
geringeren Grad von Löslichkeit behalten. So wird die Möglichkeit geboten, die mit
Kalk versetzte Melasse so lange mit Alkohol auszuwaschen, bis reiner Zuckerkalk
zurückbleibt, welcher, durch Destillation entgeistet, entweder direct auf Rohzucker
verarbeitet, oder statt des sonst üblichen Kalkzusatzes zur Saturation der
Rübensäfte verwendet werden kann.
Dieses Fabrikationsprincip wurde zum ersten Male von Dr. C.
Scheibler klar ausgesprochen (vgl. Zeitschrift des
Vereines für Rübenzuckerindustrie, 1865 S. 117), um das J. 1865 von ihm zur
praktischen Ausführung gebracht und demselben, gemäſs der charakteristischen
Gewinnungsart durch Auswaschen, der Name
„Elution“ gegeben, unter welchem nunmehr alle neuen Systeme der
Zuckergewinnung und Melasse zusammengefaſst werden.
Auſser der Elution kommt heute nur mehr das Osmose-Verfahren von Dubrunfaut (1856 139 305. * 1867 184 149. 186 44. *
1868 189 143. 154. * 1869 194 60. 1870 196 361) in Betracht, beruhend auf dem
Geschwindigkeitsunterschied, mit welchem einerseits der Zucker, andererseits die
Salze der Melasse durch dünne Scheidewände – (Pergamentpapier) diffundiren – eine
Geschwindigkeitsdifferenz, welche jedoch unter Umständen so klein wird, daſs sie nur
einen geringen Procentsatz des in der Melasse enthaltenen Zuckers rein zu gewinnen
gestattet. Darum scheint, wenigstens für die nächste Zukunft, in der richtigen
Durchbildung der Elution allein die Möglichkeit einer vollkommenen Ausnutzung der
Melasse zur Zuckerfabrikation zu beruhen.
Die hier in Frage kommenden Systeme scheiden sich naturgemäſs in solche, welche den
Zuckerkalk durch Bildung eines thunlichst reinen Niederschlages aus der Melasse
direct zu erzielen streben, während eine zweite Gruppe von Verfahrungsweisen
zunächst ein Zwischenproduct den „Melassekalk“ bildet, welcher noch alle Melasse enthält und hierauf
erst allmählich von dem Nichtzucker befreit wird. Zur ersteren Gruppe rechnen wir
die Versuche von Stammer (1862 163 215), die Ausführung
von Schröter und Wellmann
(1866 179 68), das in verschiedenen Fabriken im Groſsen durchgeführte Verfahren von
Sebor (1872 204 496. 1873 207 410. Zeitschrift für Zuckerindustrie, [Prag] 1873 S. 564.
1874 Heft 1) und endlich eine bis jetzt noch nicht näher bekannte Erfindung von A. Drevermann in Berlin (* D. R. P. Nr. 2890 vom 30.
März 1878). Nachdem die drei erstgenannten Verfahrungsweisen schon eingehend
besprochen sind und das letztere seine praktische Ausbildung bis jetzt noch nicht
gefunden hat, mag hier nicht näher auf dieselben eingegangen werden; zudem
repräsentirt auch diese Art der Melasseverarbeitung eine wohl schon veraltete
Richtung.
Dagegen hat sich die Methode der Bildung von rohem
Melassekalk aus der Melasse und Elution desselben zu reinem Zuckerkalk in
den letzten Jahren stetig ausgebreitet und dürfte allem Anschein nach alle früheren Verfahren
verdrängen. Dieses System wurde verkörpert durch die Elutionsverfahren von Scheibler, Weinrieb., Scheibler-Seyferth und Manoury.
Wie oben erwähnt, begann Dr. C. Scheibler Mitte der 60er
Jahre das Elutionsverfahren im Fabriksbetrieb durchzuführen. Er versetzte, den
Laboratoriumsversuch ins Groſse übertragend, die in ihrem gewöhnlichen Zustand der
Eindickung befindliche Melasse mit der beiläufig zur Bildung des dreibasischen
Zuckerkalkes erforderlichen Menge von Kalk in Gestalt von Kalkmilch und gewann dadurch ein breiartiges Product, welches jedoch in
dieser Form zum Auslaugen absolut ungeeignet war. Dagegen lieſs sich dasselbe in
getrocknetem und zerkleinertem Zustand aufs erfolgreichste auslaugen und gab als
Endproduct der Fabrikation einerseits ziemlich reinen Zuckerkalk, andererseits
concentrirte Laugen, welche die Nichtzuckerbestandtheile der Melasse in sich
gesammelt enthielten und in gewöhnlichen Blasen entgeistet, das denkbar
vollkommenste Düngmaterial für Rübenböden lieferten, da si denselben geradezu alles
zurückliefern, was ihnen die Rübe bei ihrem Wachsthum entzogen hatte.Die ersten Forschungen über die Natur des Zuckerkalkes und dessen
Unlöslichkeit in Alkohol und heiſsem Wasser sind von Peligot (1851 120 302), welcher
angeblich schon im J. 1838 den Zuckerkalk entdeckt hat (vgl. 1851 121 309).
So einfach sich aber dieses Verfahren in all seinen Theilen auf den theoretischen
Grundlagen aufbaute und so günstig die Fabrikationsproducte sich gestalteten, so
scheiterte es doch an einem anscheinend geringfügigsten Zwischenprocesse. Das Trocknen des breiartigen Scheibler'schen Melassekalkes
bereitete von Anfang an die gröſsten Schwierigkeiten, und als es dem unermüdlichen
Forscher endlich gelungen war, die geeignete Art des Trockenprocesses zu finden,
indem er den Melassekalk in dünnen Schichten in die einzelnen Fächer geheizter
Trockenräume eintrug, so stellte sich ein derart groſser Brennmaterialverbrauch
heraus, daſs die Fabrikationsspesen jeden Gewinn von vorn herein unmöglich
machten.
Nachdem so der eigentliche Urheber aller späteren Elutionsverfahren, Dr. C. Scheibler, einige Jahre vergeblich an der
Ueberwindung dieser Schwierigkeit gearbeitet hatte, wendete er sich, im Verein mit
Dr. Seyferth, einem völlig neuen Verfahren zu –
offenbar der Ueberzeugung, daſs auf dem zuerst betretenen Wege ein Erfolg unmöglich
sei. Und doch lag, wie dies in der Entwicklungsgeschichte der Technologie so oft
schon vorgekommen, auch hier die von Scheibler
erstrebte Lösung so nahe, daſs es geradezu unbegreiflich erscheint, wie ihm dieselbe
entgehen konnte. Wenn die künstliche Trocknung des Scheibler'schen Melassekalkes so unüberwindliche Schwierigkeiten
bereitete, was lag da, sollte man glauben, näher, als die Trocknung des Gemisches
durch
entsprechende Behandlung der einzelnen Theile vor der
Mischung vorzubereiten. War doch die Form des Kalkzusatzes in Gestalt von
Kalkmilch lediglich eine Erleichterung des mechanischen Mischungsprocesses – für die
theoretische Grundlage des Verfahrens war nur gelöschter Kalk (Calciumhydroxyd) erforderlich, ob dieser trocken gelöscht
in Pulverform, oder mit Wasserüberschuſs gelöscht als Kalkmilch erschien, blieb
völlig gleichgültig. Andererseits läſst sich mit nur geringen Kosten die Melasse
beliebig anwärmen und in heiſsem Zustande mit dem trocknen Pulver gelöschten Kalkes
zusammenmischen, das so gebildete breiartige Gemisch erhärtet von selbst nach kurzer Zeit und die künstliche
Trocknung des Melassekalkes entfällt. Würde in dieser Weise der rohe Melassekalk
sofort nach der Mischung in entsprechende Form gebracht, so wäre das Endresultat,
das gleiche wie bei der Scheibler'schen Methode nach
der künstlichen Trocknung des mit Kalkmilch und kalter Melasse hergestellten
Gemenges, und so dieses Verfahren, das nur an den übermäſsigen Spesen in der
künstlichen Trocknung scheiterte, vielleicht erfolgreich durchführbar geworden.
Dieser Versuch fand thatsächlich nicht statt und erst einem späteren Verfahren, dem
Weinrich'schen war es vorbehalten, diese einfachste
Lösung der Aufgabe aufzufinden.
In der Zwischenzeit hatte sich Scheibler mit Seyferth vereinigt, ein ganz neues System auf Grundlage
der Bildung von porösem Melassekalk durchgearbeitet und i. J. 1875/76 in
Wassersleben am Harz praktisch eingerichtet. Ganz augenscheinlich hat bei der
Begründung dieses Verfahrens die Idee der künstlichen Trocknung ihren Einfluſs
ausgeübt; auch hier findet, wie bei Scheibler, eine Art
künstlicher Trocknung des angemischten Melassekalkes statt; doch erhält er die
hierzu nöthige Wärme nicht von auſsen, sondern bildet sie aus sich selbst – durch
chemische Reaction. Statt der Kalkmilch wird beim Scheibler-Seyferth'schen Verfahren frisch gebrannter ungelöschter Kalk
verwendet, dieser zu Pulverform zermahlene Aetzkalk wird der auf etwa 30° erwärmten
Melasse zugesetzt, innig mit derselben vermischt und der gebildete Brei in
Blechgefäſse abgelassen, in welchen sich nach wenig Minuten eine höchst energische
Reaction entwickelt. Denn jetzt verbindet sich das in der Melasse enthaltene Wasser
(durchschnittlich an 20 Proc.) mit dem Aetzkalk, welcher bisher pulverförmig nur
mechanisch beigemengt war, der Kalk wird gelöscht, in Folge dessen quillt die Masse
auf, geräth in heftige Bewegung, bis als Resultat des ganzen Processes, nachdem
aller Kalk gelöscht ist, ein trockner, poröser Melassekalk entsteht, welcher nun
ohne weiteres zerkleinert und ausgelaugt wird.
Dieses Verfahren, welches zu einer Zeit auftauchte, wo der Frage der
Melasseverarbeitung schon allgemeines Interesse gesichert war, fand rasch gröſsere
Verbreitung und wurde, speciell unter thätiger Mitwirkung von H.
Bodenbender, in all seinen Theilen in vollendeter Weise durchgearbeitet.
Wir verweisen diesbezüglich auf die Neue Zeitschrift für
Rübenzuckerindustrie, 1879 S. 373 und 412.
Ziemlich gleichzeitig mit dem Verfahren von Seyferth
wurde von Frankreich aus ein anderes System der Bildung von Melassekalk bekannt
gemacht, welches den Zuckerfabrikanten H. A. J. Manoury
in Capelle (* D. R. P. Nr. 5003 vom 1. November 1877) zum Urheber hat.
Dasselbe bringt, als wesentlichen Unterschied von den übrigen Elutionsverfahren, den
Melassekalk in halbweicher Form zum Auslaugen und erspart so die Kosten der
Vorbereitung des harten Melassekalkes zur Elution. Hier wird die gekühlte Melasse
mit theilweise gelöschtem Kalk in Pulverform in einem eigenartigen Mischgefäſs
vereinigt und das entstehende Product, aus halbweichen Pillen bestehend, in den
Lauggefäſsen mit verdünntem Spiritus behandelt. Zur richtigen Führung des Processes
und zur Hervorbringung der gewünschten Zähigkeit des körnigen Melassekalkes ist es
nöthig, mehr als die theoretisch nöthige Menge von Kalk, statt beiläufig 35 Proc.
Kalkpulver, 80 bis 100 Proc. zuzusetzen; eine weitere Eigenthümlichkeit des
Verfahrens beruht in den vor der Mischung erfolgenden Zusätzen von Natron und Soda,
welche der bei etwa 100° eingedickten und später wieder abgekühlten Melasse
beigefügt werden, um durch Herstellung von leichter löslichen Verbindungen der
Kalksalze der Melasse das Auslaugen zu beschleunigen.
Kurz nach Bekanntwerden dieser beiden Verfahren tauchte endlich die letzte hier zu
besprechende Ausbildung des Elutionsverfahrens auf, herrührend von dem
Zuckerfabrikanten Moritz Weinrich in Pecek und Wien
(vgl. * D. R. P. Nr. 7171 vom 17. Juli 1878). Dasselbe kehrt in seinen
Grundprincipien wieder vollständig zu dem Ausgangspunkt der Scheibler'schen Versuche zurück und ist als eine vollendete Lösung
derselben zu bezeichnen. Wie bei Weinrich's Verfahren
aus heiſser Melasse unter Zusatz von trocken gelöschtem Kalk ein Melassekalk
gebildet wird, welcher alsbald nach der Mischung ohne Reaction und ohne künstliche
Trocknung von selbst erstarrt, wurde schon oben gelegentlich der Scheibler'schen Methode erörtert. Doch wird diese Masse
nicht nach Analogie des letzteren Verfahrens in complicirten Lauggefäſsen der
Elution unterzogen, sondern gestattet, vermöge ihrer charakteristischen spröden
Structur eine ganz eigenthümliche Vorbereitung zum Zwecke schneller und möglichst
vollständiger Auslaugung. Da über dieses interessante Verfahren bis jetzt noch keine
Veröffentlichung erfolgt ist, so benutzen wir die Wiedergabe Fig. 1 bis
4 Taf. 7 einer in Prag kürzlich ausgestellten Zeichnung, um es kurz zu
erörtern.
Die für eine tägliche Verarbeitung von 18t Melasse
berechnete Fabriksanlage zerfällt in einen mehrstöckigen Tract, das Mischhaus, und
einem einstöckigen, das Lauglocal. In ersterem befinden sich im oberen Stock die Wasser- und
Spiritusbehälter c, im ersten Stock die mit Rührwerken
und geheizten Doppelböden versehenen Gefäſse e, in
welchen die Melasse bis gegen 100° erwärmt und durch die in Fig. 2
ersichtliche Rohrleitung zu dem Mischgefäſs g
abgelassen wird. Gleichzeitig gelangt in dieses Gefäſs die theoretisch zur Bildung
des dreibasischen Zuckerkalkes erforderliche, genau nach dem Zuckergehalt der
Melasse berechnete Menge von trocken gelöschtem Kalk, welcher vorher durch ein
gewöhnliches Cylindersieb f gegangen ist. Diese beiden
Bestandtheile werden in dem mit Dampfmantel und geheizten Boden versehenen
Mischgefäſs g durch rasch sich umdrehende Rührarme
innig gemengt, während der gebildete Melassekalk in Gestalt eines heiſsen flüssigen
Breies ununterbrochen vom Boden des Mischers in die Erstarrungskästen abgezogen
wurde. Dort erstarrt derselbe in einigen Stunden zu einer harten und spröden Masse
und gelangt, nachdem derselbe in etwa 24 Stunden völlig ausgekühlt ist, durch einen
Aufzug in das oberste Stockwerk des Mischhauses, um zunächst durch ein doppeltes
Brechwerk i und hierauf durch die Schleudermühle k zu Staub und Gries zerkleinert zu werden. Nachdem der
gemahlene Melassekalk den Siebcylinder m passirt hat,
gelangt er zu dem im Lauglocale aufgestellten Rührwerk n (Fig. 1 und
3), das mit Spiritus gefüllt ist, welcher, durch Rührarme in steter
Bewegung erhalten, die einfallenden Staub- und Griestheilchen suspendirt, dieselben
allseitig durchdringt und ihnen jene eigenthümliche Beschaffenheit ertheilt, welche
vom Erfinder ganz bezeichnend „Melassekalk-Sand“ genannt wird. Nach kurzem
Ummischen im Rührwerke wird der Melassekalk-Sand durch eine Pumpe abgezogen und
durch zerlegbare Rohrleitung in einen der liegenden Eluteurs o geschafft, aus welchem dann zunächst der zum Anmischen verwendete
Spiritus als schwer beladene Lauge abgezogen wird. Diese gelangt sofort in
Laugenblasen r zur Destillation und liefert, nachdem
sie entgeistet werden, den werthvollsten Dünger in concentrirter Form.
Bei weiterem Fortschreiten des Laugprocesses wird frischer Spiritus im Eluteur
aufgegeben und dienen die hiervon abgezogenen leichteren Laugen am vortheilhaftesten
zum neuerlichen Anmischen von Malassekalk-Sand im Rührwerk. Nach 50 bis 60 Stunden
ist das Auslaugen eines Eluteur beendigt, der zurückgebliebene reine Zuckerkalk wird
theils im Eluteur selbst, theils in der Kalkmilchblase q durch Destillation von dem Spiritus befreit und als Zuckerkalk direct
verarbeitet, oder zur Scheidung der Rübensäfte verwendet. Dabei ist als wesentlicher
Vorzug des neuen Systemes die hohe Reinheit des gebildeten Zuckerkalkes anzuführen,
welche ein, bei den älteren Verfahren unmögliches, directes Verarbeiten auf
Rohrzucker gestattet; während der Campagne gelangt der Zuckerkalk selbstverständlich
mit den – Rübensäften zur Verarbeitung und wird hier denselben an Stelle von Kalk
zugesetzt.
Ueber die praktischen Resultate des Weinrich'schen
Verfahrens dürften wohl bald entscheidende Daten bekannt werden, nachdem
verschiedene Fabriken die Arbeit nach demselben aufgenommen haben. Die Raschheit des
Laugprocesses, sowie die durch Wegfall des Batteriensystemes erreichte Einfachheit
der ganzen Anlage gestatten auch in dieser Richtung einen günstigen Schluſs.
W–n.